Recht
Wo ist die Grenze zwischen Falschabrechnung und Abrechnungsbetrug?
In den letzten Wochen wurde in zahlreichen Publikationen über die bundesweiten Aktivitäten der Staatsanwaltschaften in Sachen Abrechnungsbetrug berichtet. Überall dort, wo Sonderkommissionen tätig sind, also in Hamburg, Berlin und Koblenz, wird verstärkt gegen Ärzte ermittelt. Im Vordergrund steht hierbei stets der so genannte „Abrechnungsbetrug“. Angesichts wiederholter Anfragen besorgter Leser geben wir Ihnen nachfolgend einen kurzen Überblick darüber, wann die unkorrekte Abrechnung zum Abrechnungsbetrug wird.
Tatsache ist: Der EBM und noch mehr die GOÄ sind kompliziert und interpretationsbedürftig. Dickbändige Kommentare zeugen von der mangelnden sprachlichen und inhaltlichen Präzision der Gebührenordnungen. Bei der GOÄ kommt hinzu: In wesentlichen Bereichen ist sie völlig veraltet und hinkt dem medizinischen Fortschritt hinterher. Die Auseinandersetzungen um Auslegungsfragen der GOÄ sind daher sauber vom eigentlichen Abrechnungsbetrug zu trennen. Ein Betrug im Sinne des § 263 Strafgesetzbuch (StGB) erfordert Vorsatz und die Absicht, sich oder anderen einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.
Fünf verschiedene Fälle von Abrechnungsbetrug können unterschieden werden:
1. Die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen
Bei der Abrechnung nicht erbrachter Leistungen ist der Sachverhalt unstrittig: Wer fingierte Leistungen berechnet, betrügt. Der Nachweis des Vorsatzes gelingt meist anhand der Häufigkeit der Fälle. Im Einzelfall kann aber leicht Folgendes passieren: Wenn Sie versehentlich eine falsche Eintragung tätigen, wird daraus in den Händen der Abrechnungsstelle schnell ein „Abrechnungsbetrug“. Kommt dieser Fehler jedoch nur sehr selten vor, so spricht dies gegen Vorsatz und rettet den Betroffenen eventuell vor dem Betrugsvorwurf.
2. Die Abrechnung nicht persönlich erbrachter und nicht delegierbarer Leistungen
Die Delegationsfähigkeit von Leistungen und die persönliche Leistungserbringung sind rechtlich nach wie vor nicht eindeutig geklärt. Grundsätzlich gilt die Delegationsfähigkeit unter Beachtung des § 4 Abs. 2 GOÄ. Beispiel: Von einer Laborgemeinschaft durchgeführte Basislaboruntersuchungen können als eigene ärztliche Leistungen berechnet werden. Dasselbe gilt analog für die Delegation von Massagen, Krankengymnastik usw. an Mitarbeiter.
3. Die bewusst falsche gebührenrechtliche Bewertung
Zu einer bewusst falschen gebührenrechtlichen Bewertung gehören insbesondere:
- die Abrechnung einer nicht gesondert berechenbaren Leistung. Die Einführung des „Zielleistungsprinzips“ und dessen Verankerung im § 4 Abs. 2 a GOÄ ohne gleichzeitige Überarbeitung der Leistungskataloge besonders der operativen Fächer führen zu einer Vielzahl von Auseinandersetzungen, wie zum Beispiel: Was gehört unverzichtbar zu einer Leistung und ist nicht gesondert berechnungsfähig? Was ist hingegen ein zusätzlicher Teilschritt, der über eine Modifikation hinausgeht und damit gesondert berechnungsfähig ist? Zahlreiche, einander widersprechende Amtsgerichts-Urteile belegen die Hilflosigkeit der unteren Gerichtsinstanzen bei der Auslegung der GOÄ.
- der Ansatz einer höher bewerteten Gebührenziffer für eine tatsächlich erbrachte geringerwertige Leistung. Beispiel: Wer statt mindestens zehn nur ganze fünf Minuten berät, kann die GOÄ-Nr. 3 natürlich nicht ansetzen. Anderes Beispiel: Ein normales EKG wird nicht zum Belastungs-EKG, weil man den Patienten zwischendurch drei Kniebeugen machen lässt.
- die Abrechnung einer anderen Leistung mit gleichem Gebührensatz anstelle der erbrachten Leistung, um Leistungsausschlüsse zu umgehen.
4. Die Abrechnung tatsächlich erbrachter, aber nachweislich medizinisch nicht notwendiger Leistungen
Häufig wird der Vorwurf erhoben, dass angeblich medizinisch nicht notwendige Leistungen erbracht würden. Was ist „medizinisch nicht notwendig“? Für den Bereich der gesetzlich krankenversicherten Patienten legt der „Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ (NUB-Ausschuss) fest, was eine „ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse“ konkret bedeutet. Zumindest der Aspekt der Wirtschaftlichkeit spielt im Bereich der privaten Krankenversicherungen eine untergeordnete Rolle. Zunehmend machen sich jedoch private Krankenversicherungen und insbesondere die Beihilfestellen die Auffassungen des NUB-Ausschusses zu Eigen.
Tipp: Wenn Sie Leistungen anbieten, die von diesem Gremium nicht anerkannt wurden, sollten Sie die Patienten vorher darüber aufklären, dass eine Erstattung nicht immer gewährleistet ist. Dadurch erhalten Sie sich das Vertrauen der Patienten und umgehen Probleme bei der Rechnungsforderung, denn: Wer derartige Leistungen auf das ausdrückliche Verlangen des Patienten hin erbringt (§ 1 Abs. 2 GOÄ) und sich das schriftlich unter Hinweis auf die möglicherweise fehlende Erstattung bestätigen lässt, umgeht aufwendige Schriftwechsel mit Versicherungen und Beihilfestellen zu der Frage, warum diese Maßnahme notwendig war. Der Patient ist dann in jedem Fall zur Begleichung der Rechnung verpflichtet. Bei gesetzlich krankenversicherten Patienten ist diese schriftliche Einverständniserklärung sogar zwingend erforderlich.
5. Die fehlende Weitergabe von Rabatten
Der „Herzklappenskandal“ ist als typisches Beispiel für die fehlende Weitergabe von Rabatten sicher auch Ihnen noch gut im Gedächtnis.
Welcher von diesen Fällen ist nun wirklicher Betrug, der auch strafrechtlich geahndet werden könnte?
Der Staatsanwalt muss nachweisen, dass ein „Abrechnungsbetrüger“ vorsätzlich und in Bereicherungsabsicht gehandelt hat. Wer aus Unkenntnis zu hohe Rechnungen stellt oder wer sich gutgläubig ein neuartiges, aber leider völlig wirkungsloses medizintechnisches Gerät hat aufschwatzen lassen und dieses nun anwendet, begeht keinen Betrug, da er nicht vorsätzlich handelt. Nur in den oben genannten Fällen 1 und 5 ist ein Betrug relativ einfach nachzuweisen. Die Fälle 2 bis 4 berühren dagegen eher Bewertungs- und Auslegungsfragen – sie machen den Großteil aller Auseinandersetzungen mit den Versicherungen und Beihilfestellen aus. Hier ist weniger der Staatsanwalt als vielmehr der Verordnungsgeber gefragt, der durch Überarbeitung der GOÄ Klarheit und Rechtssicherheit schaffen sollte.
Tipp: Um sich gegenüber Betrugsvorwürfen zu schützen, sollten Sie – falls Sie selbst Zweifel an der „richtigen“ Abrechnung Ihrer Leistungen haben – einen der anerkannten GOÄ-Kommentare heranziehen (Gerichte zitieren sehr oft den Kommentar des Deutschen Ärzteverlages) und/oder Abrechnungsempfehlungen (zum Beispiel von Berufsverbänden oder aus Zeitschriften), die Ihre Auffassung stützen, aufheben. Sie können auch – kostenfrei – Ihre Landesärztekammer um Stellungnahme bitten.
Quelle: Abrechnung aktuell - Ausgabe 06/2001, Seite 5