· Fachbeitrag · Vertragsarztrecht
Wann kann ein Vertragsarzt höheres Honorar beanspruchen?
von Rechtsanwalt und Fachanwalt für MedR Dr. Matthias Kronenberger, Dierks + Bohle Rechtsanwälte, Berlin, www.db-law.de
| Sie haben das Gefühl, dass in einem oder in mehreren Quartalen Ihre Leistungen aus vertragsärztlicher Tätigkeit nicht angemessen vergütet wurden? Und andere Praxen sind zu dieser Zeit in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten oder sogar insolvent gegangen? Sollten Sie als Vertragsarzt in dieser Situation nicht also ein höheres Honorar beanspruchen respektive dieses einklagen? Und wenn ja: Unter welchen Voraussetzungen wäre eine solche Klage Erfolg versprechend? |
Erst kürzlich Klage auf angemessene Vergütung abgewiesen
Das Sozialgericht Hamburg hat eine Klage von strahlentherapeutisch tätigen Radiologen auf höhere Honorare mit der Begründung abgewiesen, dass der Grundsatz der angemessenen Vergütung nicht bereits verletzt sei, wenn andere strahlentherapeutische Praxen in dieser Zeit wirtschaftliche Schwierigkeiten gehabt hatten und von Insolvenz bedroht gewesen sein sollten (Urteil vom 20.2.2013, Az. S 27 KA 206/09). Abzustellen sei auf die generelle Situation einer Arztgruppe für mindestens vier Quartale und nicht auf die Ertragssituation einer einzelnen Praxis.
Dieses Urteil bietet die Gelegenheit, anhand der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Frage nach den Voraussetzungen eines Anspruchs auf höheres vertragsärztliches Honorar wegen Verletzung des Gebots auf angemessene Vergütung aufzugreifen. Ein solcher Anspruch könnte auf § 72 SGB V gestützt bzw. auch unmittelbar aus Art. 12 Grundgesetz (GG) hergeleitet werden.
Das Gebot angemessener Vergütung gemäß § 72 Abs. 2 SGB V
Seit seiner Einführung mit dem Gesundheitsstrukturgesetz vom 20. Dezember 1988 bestimmt § 72 SGB V die Grundsätze der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, die im Wesentlichen bereits in § 368g Reichsversicherungsordnung (RVO) festgelegt waren. Zu diesen Grundsätzen zählt seit Anbeginn auch das Gebot der angemessenen Vergütung.
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„Die vertragsärztliche Versorgung ist [...] so zu regeln, dass [...] die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet werden.“ |
Mit dieser Vorschrift wird das Gebot der angemessenen Vergütung zu einem verbindlichen - freilich inhaltlich unbestimmten - Rechtssatz erhoben, der jedoch nicht die Angemessenheit des vertragsärztlichen Einkommens schlechthin zum Ziele hat. Sinn und Zweck dieses Gebotes ist nicht, die Angemessenheit der Vergütung einzelner Leistungen oder eines einzelnen Arztes zu gewährleisten, sondern über die Gewährung einer angemessenen Vergütung insgesamt die im öffentlichen Interesse liegende Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu erreichen. Die Norm richtet sich folglich nicht an den einzelnen Vertragsarzt, sondern an die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und Krankenkassenverbände. Letztere haben Verträge zu schließen, die ärztliche Leistungen in der Art und Weise vergüten, dass ein funktionierendes Versorgungssystem ermöglicht wird, indem es den Ärzten ausreichende Anreize bietet, sich für die Zulassung zur kassenärztlichen Tätigkeit wirtschaftlich zu interessieren (BSG, Urteil vom 12.10.1994, Az. 6 RKa 5/94).
§ 72 Abs. 2 SGB V begründet deshalb grundsätzlich kein subjektives Recht des einzelnen Vertragsarztes auf ein bestimmtes, als angemessen bewertetes Honorar für einzelne Leistungen oder die ärztliche Tätigkeit insgesamt (BSG, Urteil vom 7. Februar 1996, Az. 6 RKa 6/95) bzw. auf einen höheren oder zumindest garantierten Punktwert (BSG, Urteil vom 3. März 1999, Az. B 6 KA 8/98 R).
Aus dem Gebot der angemessenen Vergütung folgt auch kein Anspruch auf eine kostendeckende Vergütung von Einzelleistungen, weil sich die Frage der Kostendeckung aufgrund der Abhängigkeit von individuell beeinflussbaren Faktoren (zum Beispiel Kostenstruktur und Standort der Praxis, Qualität des Leistungsangebots) einer generellen Beantwortung entzieht. Außerdem liegt dem Zuschnitt der vertragsärztlichen Vergütung eine Mischkalkulation zugrunde, sodass es durchaus Leistungen geben kann, bei denen selbst mit einer kostengünstig organisierten Praxis kein Gewinn zu erzielen ist (BSG, Urteil vom 14.3.2001, Az. B 6 KA 54/00 R; BSG, Beschluss vom 11.3.2009, Az. B 6 KA 31/08 B; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.1.2013, Az. L 7 KA 67/11).
ZWISCHENFAZIT | Ein Anspruch auf höheres Honorar wegen Verletzung des Gebotes auf angemessene Vergütung gemäß § 72 Abs. 2 SGB V kommt nur in Betracht, wenn durch eine zu niedrige Vergütung ärztlicher Leistungen das vertragsärztliche Versorgungssystem als Ganzes - bzw. zumindest ein Teilgebiets - und als deren Folge auch die berufliche Existenz der an dem Versorgungssystem teilnehmenden ärztlichen Leistungserbringer gefährdet wäre (BSG, Urteil vom 12.10.1994, Az. 6 RKa 5/94). Eine zu niedrige Bewertung lediglich einzelner Leistungen oder Leistungskomplexe genügt hierfür regelmäßig nicht (BSG, Urteil vom 7.2.1996, Az. 6 RKa 6/95). |
Der unmittelbare Anspruch auf höhere Vergütung aus Art. 12 GG
Die verfassungsrechtlich geschützte Berufsfreiheit umfasst grundsätzlich auch den Anspruch auf Honorierung der vertragsärztlichen Tätigkeit. Die gesetzlichen Grenzen dieses Schutzes ergeben sich aus dem begrenzten Gesamtvergütungsvolumen (§ 87a SGB V), das von den KVen und den Krankenkassenverbänden bei der weiteren vertraglichen Ausgestaltung der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 72 Abs. 2 SGB V zu beachten ist. Hiernach sind jedoch zwei Ziele zu realisieren: das Ziel einer angemessenen Vergütung und das besonders hohe Ziel der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Versorgung. Die angesichts des begrenzten Gesamtvergütungsvolumens gegebenenfalls bestehenden Schwierigkeiten, diesen beiden Zielen zugleich in vollem Umfang gerecht zu werden, können es notwendig machen, diese in einen verhältnismäßigen Ausgleich zueinander zu bringen. Ein unmittelbarer Anspruch auf höheres Honorar bzw. Honorarstützung folgt aus Art. 12 GG daher im Ergebnis nur, wenn der erforderliche Ausgleich zwischen den beiden Zielsetzungen nicht mehr verhältnismäßig ist. Dies ist erst dann der Fall, wenn in einem - fachlichen oder örtlichen Teilbereich - flächendeckend und unabhängig von Besonderheiten in einzelnen Regionen und/oder bei einzelnen Arztgruppen ein Vergütungsniveau zu beobachten wäre, das mangels ausreichenden finanziellen Anreizes zu vertragsärztlicher Tätigkeit zur Beeinträchtigung der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten führt (BSG, Urteil vom 9.12.2004, Az. 6 KA 44/03 R) bzw. dadurch in diesem Bereich die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung gefährdet (BSG, Urteil vom 31.8.2005, Az. B 6 KA 6/04 R).
Hierfür ist primär auf die generelle Situation der betroffenen Arztgruppe und nicht auf die Ertragssituation einer einzelnen vertragsärztlichen Praxis abzustellen, sodass es unerheblich ist, in welcher Höhe der einzelne Vertragsarzt Honoraransprüche erwerben und ob seine Praxis einen ausreichenden Gewinn abwerfen kann. Zur Erfassung der generellen Lage ist hingegen die Gesamtsituation der betroffenen Arztgruppe über einen längeren Zeitraum, nämlich über mindestens vier zusammenhängende Quartale, zu betrachten (BSG, Urteil vom 9.12.2004, B 6 KA 44/03 R). Bei der Beurteilung, ob eine flächendeckend unzureichende Vergütung vertragsärztlicher Leistungen einer bestimmten Arztgruppe vorliegt, sind neben den Einnahmen aus vertragsärztlicher, auch die Einnahmen aus privatärztlicher und sonstiger Tätigkeit zu berücksichtigen (BSG, Beschluss vom 23.5.2007, Az. B 6 KA 27/06 R).
FAZIT | Zusammenfassend ist festzustellen, dass ein Anspruch auf höheres Honorar wegen Verletzung des Gebotes auf angemessene Vergütung nur dann Erfolg versprechend geltend gemacht werden kann, wenn
In der Gesamtbetrachtung hat das BSG damit hohe Voraussetzungen für einen solchen Anspruch auf höheres Honorar aufgestellt. Rechtsstreitigkeiten, mit denen allein eine Verletzung des Gebotes angemessener Vergütung gerügt wird, sind deshalb auch selten geworden und dürften nur in besonderen Situationen Aussicht auf Erfolg bieten.
Klären Sie im Verbund mit Ihren Fachkollegen vor Ort, ob strukturelle Versorgungsdefizite bestehen, die nicht auf die Ertragssituation der eigenen Praxis beschränkt sind, sondern die generelle Situation der gesamten Arztgruppe für mindestens vier Quartale betreffen. Daneben ist aber immer auch an die Grundsätze der leistungsproportionalen Vergütung und der Honorarverteilungsgerechtigkeit zu denken, mit denen ebenfalls - und häufig mit wesentlich größeren Erfolgsaussichten - ein Anspruch auf höheres Honorar begründet und gerichtlich durchgesetzt werden kann. |