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  • 05.08.2011 · IWW-Abrufnummer 112677

    Sozialgericht Düsseldorf: Urteil vom 18.05.2011 – S 2 KA 231/10

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Sozialgericht Düsseldorf, S 2 KA 231/10

    Tenor:
    Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird zugelassen.

    Tatbestand:

    Streitig ist ein Regress wegen der Verordnung eines Heilmittels.

    Ein in der Medizinischen Klinik II der Klägerin beschäftigter Arzt verordnete am 14.07.2008 für die bei der Beigeladenen zu 1) Versicherte L C, geb. 00.00.1956, 10x "Heißluftmassage" sowie 10x "KG". An zehn Behandlungstagen erbrachte daraufhin eine Praxis für Physiotherapie jeweils "KG-HLuft/Mass".

    Unter dem 01.09.2009 stellte die Beigeladene zu 1) einen Antrag auf Prüfung in (mehreren) besonderen Fällen. Soweit es die Versicherte L C betrifft, wurde der Antrag damit begründet, dass gemäß Abschnitt VI Punkt 24. der Heilmittelrichtlinien die Verordnung von zwei vorrangigen Heilmitteln nicht möglich sei. Zu diesem Prüfantrag nahm die Klägerin dahin Stellung, dass Frau C an einer seropositiven rheumatoiden Arthritis leide und begleitend Anhalt für ein sekundäres Fibromyalgie-Syndrom bestehe. Neben der antirheumatischen Basismedikation würden bei ihr seit Jahren erfolgreich Maßnahmen der physikalischen Therapie (PT, KG, MT, Wärmebehandlung) mit dem Ziel einer Schmerzreduktion bzw. des Erhalts und der Verbesserung der verbliebenen Mobilität angewandt. Aus ärztlicher Sicht seien diese Maßnahmen im Sinne eines multimodalen Therapieansatzes indiziert. Es müsse eingeräumt werden, dass die Verordnung von 10x Heißluft und 10x KG auf einem Rezept zwar formell nicht zulässig, jedoch medizinisch indiziert gewesen sei.

    Mit Bescheid vom 28.04.2010 setzte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein für die Verordnungen der Patientin C, L einen Regress in Höhe von 95,30 EUR für das Quartal 3/2008 fest:

    Bei der Überprüfung der Verordnung sei aufgefallen, dass der Indikationsschlüssel WS2a eingetragen worden sei. Als Heilmittel sei je 10-mal Wärmetherapie, Klassische Massagetherapie und Krankengymnastik verordnet worden. Laut Heilmittelkatalog sei bei dem Indikationsschlüssel WS2a als vorrangiges Heilmittel entweder Krankengymnastik oder Manuelle Therapie verordnungsfähig. Als ergänzendes Heilmittel seien entweder Traktion oder Wärme- oder Kältetherapie verordnungsfähig. Bei dem Indikationsschlüssel WS2a sei die Verordnung von Klassischer Massagetherapie nicht zulässig.

    Hiergegen richtet sich die am 28.05.2010 erhobene Klage.

    Die Klägerin ist der Ansicht, unabhängig von der in der ärztlichen Verordnung zum Ausdruck kommenden Therapieentscheidung treffe den Heilmittelerbringer eine eigenständige Pflicht zur Prüfung der Verordnung. Er müsse kontrollieren, ob eine Verordnung die für eine wirksame und wirtschaftliche Heilmitteltherapie notwendigen ärztlichen Angaben enthalte, aus seiner professionellen Sicht heraus erkennbare Fehler aufweise und vollständig sei. Entspreche eine Verordnung nicht den Heilmittel-Richtlinien, dürfe der Therapeut diese weder realisieren noch abrechnen; die Krankenkasse könnte die Vergütung verweigern bzw. die bereits gezahlte Vergütung zurückfordern. Vorliegend hätte eine Plausibilitätsprüfung der Verordnung durch den Heilmittelerbringer mit dem anschließenden Hinweis an den verordnenden Arzt auf die bei Vorliegen der Diagnose WS2e ausgeschlossene klassische Massagetherapie den erst mit

    Durchführung der Therapie entstandenen Schaden vermieden. Diesen Umstand habe die Beklagte in ihrer Prüfentscheidung nicht beachtet.
    Die Klägerin beantragt,
    1.den Bescheid der Beklagten vom 28.04.2010 aufzuheben, soweit er einen Teilregress in Höhe von 95,30 EUR für die Verordnung vom 14.07.2008 für die Patientin C, L gegen die Klägerin festsetzt;
    2.hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28.04.2010, soweit er einen Teilregress in Höhe von 95,30 EUR für die Verordnung vom 14.07.2008 für die Patientin C, L gegen die Klägerin festsetzt, zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
    Die Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Sie hält ihren Bescheid für rechtmäßig. Die ihr zur Prüfung vorgelegte Verordnung sei nicht zulässig gewesen. Es sei nicht dargelegt worden, inwieweit die Verletzung einer Prüfpflicht des Heilmittelerbringers in ihrer Prüfentscheidung hätte beachtet werden können und sollen. Für die Klärung der Verschuldensfrage hinsichtlich der unzutreffenden Verordnung sei sie nicht die richtige Klagegegnerin.
    Die Beigeladenen stellen keine Prozessanträge.
    Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
    Entscheidungsgründe:
    Die Kammer konnte in Abwesenheit von Vertretern der Beigeladenen zu 2) verhandeln und entscheiden, da auf diese Möglichkeit in der form- und fristgerecht zugestellten Terminbenachrichtigung hingewiesen worden ist.
    Die zulässige Klage ist unbegründet.
    Die Klägerin ist durch den Bescheid der Beklagten nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da der verfügte Regress rechtmäßig ist.
    Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung und damit auch die Beklagte sind befugt, Regresse wegen unzulässiger Verordnung von Heilmitteln festzusetzen. Dies ergibt sich aus § 16 Ziffer 1 c der Prüfvereinbarung (Rhein. Ärzteblatt 12/2007, S. 69). Die Ermächtigungsgrundlage hierfür findet sich in § 106 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), nach dem die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vorsehen können. Demgemäß ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass den Prüfgremien die Zuständigkeit für Regresse wegen unzulässiger Arznei- und Heilmittelverordnung durch gesamtvertragliche Vereinbarung übertragen werden darf (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 6/09 R - m.w.N.; vgl. auch BSG, Urteil vom 14.03.2001 - B 6 KA 19/00 R - m.w.N.).
    Der Bescheid der Beklagten war auch unmittelbar mit der Klage anzufechten. § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V schließt ein Vorverfahren vor dem Beschwerdeausschuss bei Verordnungsregressen aus, denen ein Verordnungsausschluss zugrunde liegt, der sich unmittelbar und eindeutig aus spezifischen gesetzlichen Regelungen des Krankenversicherungsrechts bzw. den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ergibt. Die Zielsetzung der zum 01.01.2008 neu eingeführten Regelung geht dahin, den Beschwerdeausschuss von Entscheidungen zu entlasten, die eher technischen Charakter haben und ganz überwiegend in der Umsetzung eindeutiger normativer Vorgaben bestehen (BSG, Urteil vom 11.05.2011 - B 6 KA 13/10 R - gemäß Terminbericht Nr. 23/11). Das ist hier der Fall. Die Entscheidung der Beklagten stützt sich auf den im Heilmittelkatalog (Anlage 2 der Heilmittel-Richtlinien des G-BA) normierten Verordnungsausschluss der Klassischen Massagetherapie bei der Indikation nach Schlüssel WS2a. Dem tritt die Klägerin inhaltlich auch nicht entgegen.
    Der von der Beklagten ausgesprochene Regress ist auch materiell-rechtlich begründet. Der Heilmittelerbringer hat die ausgestellte Verordnung vom 14.07.2008: 10x "Heißluftmassage", 10x "KG" bei lebensnaher Betrachtung dahin gedeutet, dass 10x Heißluft (Wärmetherapie), 10x (Klassische) Massage und 10x Krankengymnastik verordnet worden sind. Diese Leistungen hat er erbracht und gegenüber der Beigeladenen zu 1) abgerechnet. Nach dem Heilmittelkatalog kommt bei der Indikation nach Diagnoseschlüssel WS2a jedoch als vorrangiges Heilmittel nur Krankengymnastik (KG) oder manuelle Therapie (MT) und als ergänzendes Heilmittel u.a. Wärmetherapie in Betracht. Die Verordnung von Klassischer Massagetherapie ist insofern unzulässig. Zutreffend weist der Prüfantrag ferner darauf hin, dass gemäß Teil 1 Abschnitt VI Ziffer 24 der Heilmittel-Richtlinien die Verordnung von zwei vorrangigen Heilmitteln nicht statthaft ist.
    Der gegenüber der Klägerin verfügte Regress ist dabei nicht - wie bei Regressen wegen eines sog. sonstigen Schadens (§ 16 Ziffer 1 e der Prüfvereinbarung) - von einem Verschulden der Klägerin abhängig. Bei den ärztlich verordneten Leistungen soll im Wege des Regresses der Schaden ersetzt werden, der den Krankenkassen durch unwirtschaftliche Verordnungen eines Arztes entsteht, sie damit für die Kosten, für die sie nach der Rechtslage aufzukommen nicht verpflichtet sind, einen Ausgleich erhalten, wobei es auf ein Verschulden des Vertragsarztes nicht ankommt (vgl. z.B. BSG, Beschluss vom 14.03.2001 - B 6 KA 71/00 B - (zu Verordnungen im Rahmen von Krankengymnastik nach den Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien); BSG, Urteil vom 14.03.2001 - B 6 KA 19/00 R -).
    Auch die rechtlich normierte Zusammenarbeit zwischen Arzt und Heilmittelerbringer (vgl. § 125 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 SGB V) schließt den Regress gegenüber der Klägerin nicht aus.
    Heilmittel sind nur nach Maßgabe der Heilmittel-Richtlinien verordnungsfähig (Teil 1 Abschnitt II Nr. 8 Satz 1 Heilmittel-Richtlinien). Dabei ist der Therapeut grundsätzlich an die ärztliche Verordnung gebunden (Teil 1 Abschnitt II Nr. 9 Satz 2 Heilmittel-Richtlinien). Dies bedeutet aber nur, dass er weder andere noch weitere Leistungen als die vom Vertragsarzt verordneten erbringen und abrechnen darf, nicht aber, dass er berechtigt oder gar verpflichtet ist, jede Verordnung ohne weitere Prüfung auszuführen. Da die Heilmittel-Richtlinien auch gegenüber dem Heilmittelerbringer verbindlich und daher von ihm zu beachten sind, ist ihm die Berufung auf den Inhalt der ärztlichen Verordnung verwehrt, wenn er erkannt hat oder hätte erkennen müssen, dass die vertragsärztliche Verordnung nicht mit den Heilmittel-Richtlinien übereinstimmt. Denn nach § 2 Abs. 4 SGB V haben auch die Leistungserbringer darauf zu achten, dass Leistungen nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden. Diese Bestimmungen begründen eine eigenständige Verantwortung auch des Heilmittelerbringers, für die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 12 SGB V) der Heilmittelerbringung zu sorgen. Da seine Leistung durch die ärztliche Verordnung veranlasst wird, hat er diese Verordnung auf aus seiner professionellen Sicht erkennbare Fehler und Vollständigkeit zu überprüfen. Unberührt bleibt dabei die ärztliche Verantwortung für die in der Verordnung zum Ausdruck kommende Therapieentscheidung aus medizinisch-ärztlicher Sicht. Gegebenenfalls hat der Heilmittelerbringer Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu nehmen (BSG, Urteil vom 27.10.2009 - B 1 KR 4/09 R -; LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 26.10.2010 - L 11 KR 1322/09 - und L 11 KR 690/10 -; vgl. auch BSG, Urteil vom 29.11.2006 - B 6 KA 7/06 R -).
    Selbst wenn der physiotherapeutische Heilmittelerbringer aus seiner professionellen Sicht den zur (teilweisen) Unzulässigkeit der Verordnung führenden Fehler hätte erkennen und mit der Klägerin Rücksprache nehmen müssen, um den Schaden zu vermeiden, dieses aber unterlassen hat, schließt das den Regress gegen die Klägerin nicht aus. Der Regress scheitert auch nicht daran, dass die beigeladene Krankenkasse die Rechnung des Heilmittelerbringers sogleich nach deren Eingang bei ihr hätte prüfen und ihm gegenüber die Zahlung der auf die Klassische Massagetherapie entfallenden Kosten hätte verweigern können.
    Das SGB V sieht Prüfungen von Abrechnungen auf verschiedenen Ebenen vor. Zentral ist hierbei die in § 106 SGB V geregelte nachgelagerte Wirtschaftlichkeitsprüfung, die ausdrücklich ärztlich verordnete Leistungen einbezieht. Dabei erfordern das Wirtschaftlichkeitsgebot und sein hoher Rang sowie die daraus resultierende Pflicht zu effektiven Wirtschaftlichkeitsprüfungen, dass kein Vertragsarzt - weder mit seinem Behandlungs- noch mit seinem Verordnungsverhalten - von solchen Prüfungen ausgenommen bleiben darf (z.B. BSG, Urteil vom 02.11.2005 - B 6 KA 63/04 R - m.w.N.). Demgemäß hat die Beklagte rechtsfehlerfrei die Klägerin, welche die unzulässige Heilmittelverordnung ausgestellt hat, in Regress genommen. Ob und inwieweit diese im Innenverhältnis zu dem Heilmittelerbringer ihrerseits Rückgriffsansprüche haben könnte, ist für die Außenrechtsbeziehung der Prüfungsstelle zur Klägerin unerheblich.
    Rechtmäßig ist schließlich auch die Höhe des Regresses. Dieser beschränkt sich auf die Kosten der unzulässigen Verordnung der Klassischen Massagetherapie, bei der Patienteneigenanteile nicht angefallen waren.
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
    Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat die Kammer die Berufung zugelassen (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

    RechtsgebietVertragsarztangelegenheiten