06.11.2015 · IWW-Abrufnummer 145723
Verwaltungsgericht Gießen: Urteil vom 11.03.2015 – 21 K 1976/13
Arzt, Berufspflichten, Verstoß, Abrechnung, Europäischer Gerichtshof, berufswidrige Werbung, irreführende Werbung, Berufsausübungsfreiheit, Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen, Heilberufsgesetz, Dienstleister, Berufsgerichtsbarkeit, EU Mitgliedstaaten, EU Ausländer, Kammerangehöriger, Freiheit der Arztwahl, Europäischer Gerichtshof, Gebührenziffer
Verwaltungsgericht Gießen
Urt. v. 11.03.2015
Az.: 21 K 1976/13.GI.B
Tenor:
Dem Beschuldigten wird wegen Verstoßes gegen seine Berufspflichten ein Verweis erteilt.
Der Beschuldigte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Gebühr wird auf 1.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
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I.
Der Beschuldigte ist griechischer Staatsangehöriger, der in Athen Medizin studiert hat. Er erwarb seinen Doktorgrad der Medizin 1981 und erhielt von der Präfektur Athen die Arbeitserlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufes. Er war von 1986 bis 1990 Chefarzt der Andrologischen Abteilung des Universitätsklinikums in Athen und ist seit 1990 in einer eigenen, als „Andrology Institute Athens“ (Andrologisches Institut Athen) bezeichneten Praxis tätig. Er ist in Athen niedergelassen und Mitglied der dortigen und der griechischen Ärztekammer, die ihm den guten Ruf (Good Standing) attestiert hat.
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Im Zeitraum von 2006 bis 2009 kam der Beschuldigte durchschnittlich an einem oder an zwei Tagen pro Monat nach Deutschland, um im räumlichen Zuständigkeitsbereich der Landesärztekammer Hessen andrologische Operationen im ambulanten Operationszentrum des Ärztehauses am Elisabethenstift in A-Stadt durchzuführen. Die Tätigkeit des Beschuldigten beschränkte sich ausnahmslos auf die Durchführung hochspezialisierter chirurgischer Eingriffe, während die sonstigen im Zusammenhang mit der Operation stehenden Dienstleistungen, wie Terminvereinbarungen oder die Operationsnachsorge in den Händen des Personals des Ärztehauses verblieben. Die Terminvereinbarung mit den Patienten, dem Operationszentrum und dem Anästhesisten sowie mit dem Beschuldigten organisierte der approbierte Arzt J., der eine Firma M... betreibt, die das Sekretariat für den Beschuldigten wahrnahm.
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II.
Um auf die durchgeführten Operationen aufmerksam zu machen, richtete der Arzt J. für den Beschuldigten im Internet die Webseite www.m...-klinik.com ein. Dort war unter dem Stichwort „Informationen zur Klinik in A-Stadt“ (Deutschland) der Beschuldigte abgebildet. Dies stand unter dem Kapitel „Klinikleitung“. Diese Webseite hat der Beschuldigte zum Ende des Jahres 2008 auslaufen lassen.
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Ab dem 1. Januar 2009 stellte der Beschuldigte seine uro-genitalen rekonstruktiven ambulanten Operationen auf der Webseite www.deutsches-institut-....com dar. Es wurden auf der Webseite die Orte Athen, Paris, Rom, Nikosia, Dubai, Sao Paolo und Sofia genannt, wo der Patient sich operieren lassen könne. Die Operationen in Deutschland finden im ambulanten Operationszentrum A-Stadt oder in der Tagesklinik im Alicehospital A-Stadt statt.
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Der Patient R. ließ sich im Dezember 2006 von dem Arzt J. unter der Firma M... einen Kostenvoranschlag schicken betreffend die Operation einer massiven Penisdeviation bei Induratio penis plastica-plaque (IPP) durch den Beschuldigten. Die Gesamtbehandlungskosten werden darin auf 7.500,00 EUR beziffert. Der Patient R. unterzog sich der Operation am 31. August 2007, die der Beschuldigte unter Assistenz der Ärzte Dr. S. und J. und dem Anästhesisten des ambulanten Operationszentrums durchführte. Unmittelbar vor der Operation unterzeichnete der Patient eine Honorarvereinbarung gemäß § 2 Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), die die Gebührenziffern der Gebührenordnung umfasst, die die einzelnen Leistungen der Operation der Induratio penis plastica umfasst. Weiter ist aufgeführt die Gebührenziffer 2089: „Operation der Dupuytre´schen Kontraktur Analogziffer Diffizile Präparation“. Es ist der Steigerungsfaktor 18,8 eingesetzt und der Betrag von 1.973,76 EUR ausgewiesen.
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Die Rechnung des Beschuldigten für die am 31. August 2007 erfolgreich durchgeführte Operation (ambulante komplette Plaqueexidierung mit anschließender Defektdeckung mittels Pelvicol BARD Intubationsnarkose (ITN); Begradigung bei Erhalt der Funktion), die im Auftrag der Arzt J. unterschrieben hat, datiert vom 7. September 2007. Sie enthält die Gebührenziffern aus der Honorarvereinbarung mitsamt den erhöhten Steigerungssätzen. Sie enthält auch die Berechnung nach der Gebührenziffer 2089. Es ist der Steigerungssatz von 16,2 angewandt. Für diese Position wird der Betrag von 1.700,19 EUR liquidiert. Die Rechnung schließt insgesamt mit 6.395,96 EUR. Infolge einer Anfrage des operierten Patienten vom 21. Oktober 2007 an die Landesärztekammer Hessen zur Angemessenheit der erfolgten Abrechnung leitete die Kammer am 6. August 2008 berufsrechtliche Ermittlungen wegen des Verdachts überhöhter Abrechnungen und Werbeverstoßes gegen den Arzt ein. Zuvor hatte sich die Rechtsabteilung der Kammer mit der Frage befasst, welche Abrechnungsziffern nach deutschem ärztlichem Berufsrecht in zutreffender Weise auf diesen Fall Anwendung finden könnten und dazu auch die gutachterliche Stellungnahme des Berufsverbandes der Deutschen Urologen eingeholt. Im Verlauf des berufsrechtlichen Ermittlungsverfahrens erfolgten dazu weitere Stellungnahmen. Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) enthält keine einschlägige Abrechnungsziffer für die vom Beschuldigten durchgeführte oben bezeichnete Operation.
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III.
Mit bei dem Verwaltungsgericht Gießen am 12. Mai 2010 eingegangener Anschuldigungsschrift schuldigte die Landesärztekammer Hessen (Präsidium) den Beschuldigten an,
in A-Stadt seit dem Jahr 2006, insbesondere am 7. September 2007, seinen Beruf als Arzt nicht gewissenhaft und nicht gemäß dem Vertrauen ausgeübt zu haben, das dem Arztberuf entgegengebracht wird, indem er von dem Jahr 2006 an bis Ende 2008 im Internet seine „ambulanten andrologischen Operationen“ unter „Männer-Klinik“ und ab 2009 „Deutsches Institut“ und „Europäisches Institut“ angeboten hat, und indem er am 7. September 2007 im Rahmen einer Honorarvereinbarung unter einer Gebührenziffer eine Leistung liquidierte, bezüglich der diese Gebührenziffer nicht frei vereinbar war,
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ein Berufsvergehen gemäß § 12 der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen (BO) i. V. m. §§ 2, 6 Abs. 2, 12 GOÄ sowie gemäß § 27 BO begangen zu haben.
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Das Verfahren gegen den Beschuldigten vor dem Berufsgericht für Heilberufe wurde mit Beschluss vom 6. April 2011 eröffnet.
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IV.
In der Hauptverhandlung vor dem Berufsgericht für Heilberufe vom 2. August 2011 erging nach Erörterung der Fragen der Entscheidungskompetenz und der europarechtlichen Vorgaben ein Beschluss zur Aussetzung des Verfahrens und zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Das Berufsgericht stellte dem Gerichtshof in Bezug auf die Anwendung der für die Entscheidung des Verfahrens maßgeblichen Vorschriften der Berufsordnung und des Heilberufsgesetzes verschiedene Fragen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Artikel 5 und 6 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen in das ärztliche Berufsrecht in Hessen.
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Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 12. September 2013 auf das Vorabentscheidungsersuchen entschieden, dass nationale Regeln, wie sie zum einen in § 12 Abs. 1 der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen enthalten sind, wonach Honorarforderungen angemessen sein müssen und, soweit nicht andere gesetzliche Vergütungsregelungen gelten, auf der Grundlage der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte zu bemessen sind, und zum anderen in § 27 Abs. 3 der Berufsordnung, der den Ärzten berufswidrige Werbung untersagt, nicht in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen fallen. Diese Richtlinie lege die Vorschriften fest, nach denen ein Mitgliedstaat, der den Zugang zu einem reglementierten Beruf oder dessen Ausübung in seinem Hoheitsgebiet an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen knüpfe, für den Zugang zu diesem Beruf und dessen Ausübung die in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Berufsqualifikationen anerkenne, die ihren Inhaber berechtigten, dort denselben Beruf auszuüben. Diese Anerkennung verschaffe dem Betroffenen damit im Aufnahmemitgliedstaat vollen Zugang zu dem reglementierten Beruf und ermögliche es ihm, diesen Beruf dort unter denselben Voraussetzungen wie Inländer auszuüben, wobei der Zugang das Recht umfasse, die vom Aufnahmemitgliedstaat vorgesehene Berufsbezeichnung zu führen. In diesem Kontext sehe Artikel 5 Abs. 3 der Richtlinie 2005/36/EG vor, dass der Dienstleister, wenn er seine beruflichen Tätigkeiten vorübergehend und gelegentlich ausübe, den berufsständischen, gesetzlichen oder verwaltungsrechtlichen Berufsregeln unterliege, die in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen Berufsqualifikationen stünden, sowie den Disziplinarbestimmungen, die im Aufnahmemitgliedstaat für Personen gelten, die denselben Beruf wie er ausübten. Dabei handele es sich um Disziplinarvorschriften, mit denen die Nichteinhaltung der Berufsregeln in unmittelbarem Zusammenhang mit den Qualifikationen geahndet würden. Dies betreffe Regelungen für die Definition des Berufs, für das Führen von Titeln und für schwerwiegende berufliche Fehler in unmittelbarem und speziellem Zusammenhang mit dem Schutz und der Sicherheit der Verbraucher. Folglich seien weder die Vorgaben für die Honorarbemessung noch das Verbot berufswidriger Werbung durch Ärzte berufsständische Regeln in unmittelbarem und speziellem Zusammenhang mit den Berufsqualifikationen für den Zugang zu dem betreffenden reglementierten Beruf (EuGH, Urteil vom 12. September 2013 - C-475/11 -, amtlicher Umdruck, Rdnrn. 33, 34, 36, 39, 40).
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Nach der Darlegung des Gerichtshofs ist es Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung seiner Hinweise, zu prüfen, ob die oben genannten berufsgerichtlichen Regeln eine Beschränkung im Sinne von Art. 56 AEUV darstellen und – wenn ja - ob mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, ob sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten, und ob sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist. Art. 6a der Richtlinie schreibe weder die Berufsregeln noch die Disziplinarverfahren vor, denen ein Dienstleister unterworfen werden könne, der sich zur vorübergehenden und gelegentlichen Ausübung seines Berufs in den Aufnahmemitgliedstaat begebe, sondern dieser Artikel sehe nur vor, dass die Mitgliedstaaten, um die Anwendung der Disziplinarbestimmungen gemäß Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie zu erleichtern, entweder eine automatische vorübergehende Eintragung oder eine Proformamitgliedschaft bei einer Berufsorganisation vorsehen könnten. Mit der letzteren Aussage hat der Gerichtshof die vierte Vorlagefrage als unzulässig angesehen, soweit diese alle Bestimmungen der Berufsordnung und die mit ihr zusammenh ängenden Regeln über die Berufsgerichtsbarkeit betraf.
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V.
Für das vorliegende berufsgerichtliche Verfahren ergibt sich aus alledem, dass das Berufsgericht zur Entscheidung über die von der Landesärztekammer erhobenen Anschuldigungen berufen und zuständig ist. Seiner Entscheidungskompetenz steht weder nationales Verfassungsrecht noch Europarecht entgegen. Was die Ausführungen des Verteidigers des Beschuldigten zu der von ihm herangezogenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteile vom 13.12.2007 – 3 StR 385/04 -, juris, und vom 13.10.2005 – 3 StR 385/04 -, juris) betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass diese Rechtsprechung auf das vorliegende Verfahren und die sich hier ergebenden Fragen nicht übertragbar ist. Die Urteile des Bundesgerichtshofs stellen allein auf die bundesrechtlichen Regelungen in § 10b BÄO ab und betreffen zudem strafbewehrte Pflichtenverstöße.
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Wie das Berufsgericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen zutreffend ausgeführt hat, stellen die entscheidungserheblichen Normen der Berufsordnung, wie auch der sechste Abschnitt des Heilberufsgesetzes, Regelungen über die Berufsausübung im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) dar. Die Gesetzgebungskompetenz für Fragen der Zulassung zu ärztlichen und anderen Berufen, die vorliegend nicht Gegenstand des Verfahrens sind, hat Art. 74 Abs. 1 Ziffer 19 GG der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet. Insoweit hat der Bund in der Bundesärzteordnung (BÄO) von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht. Das Land Hessen hat mit dem Dritten Änderungsgesetz zum Heilberufsgesetz vom 16. Oktober 2006 in Ansehung von Art. 72 Abs. 1 GG von seiner Regelungskompetenz Gebrauch gemacht.
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Die Unterwerfung der Ärzte aus anderen EU-Mitgliedstaaten, die temporär in Hessen als „Dienstleister“ tätig sind, unter die Regeln der Berufsordnung, wie auch die im Heilberufsgesetz selbst statuierten Berufspflichten, greifen in das Grundrecht aus Art. 12 GG ein, auf das sich auch der Beschuldigte als EU-Ausländer berufen kann (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 9. Auflage, Art. 12, Rdnr. 10). Der Eingriff findet auf der Ebene der Berufsausübung statt, so dass der Gesetzesvorbehalt gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG greift. Die Verfassung gebietet nicht, dass Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit ausschließlich durch den staatlichen Gesetzgeber angeordnet werden müssen. Vielmehr sind auch mit Autonomie ausgestattete Körperschaften, wie die Landesärztekammer Hessen (vgl. § 1 HeilBG), innerhalb bestimmter Grenzen zum Erlass von Eingriffsregelungen durch Satzungsrecht befugt (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14.07.1987 – 1 BvR 537/81 -, juris). Mit der gesetzlichen Regelung in § 3 HeilBG hat der Landesgesetzgeber die Geltung des durch die Kammer gesetzten Rechts auf ärztliche „Dienstleister“ aus anderen Mitgliedstaaten erstreckt.
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Der damit verbundene Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit ist gerechtfertigt, soweit die damit verfolgten Schutzziele (Patientenschutz, freie Arztwahl etc.) den Eingriff in das Grundrecht rechtfertigen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen wird. Die Rechtfertigungsprüfung auf der Ebene des nationalen Verfassungsrechts unterscheidet sich damit nicht wesentlich von der Rechtfertigungsprüfung bei Eingriffen in europarechtliche Freiheitsgarantien. Ist die berufsgerichtliche Sanktionierung geeignet, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten und geht sie nicht über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist und ist die Maßnahme geeignet, das heißt besteht eine logische Kohärenz zwischen der Maßnahme und den Zielen, so ist auch der Eingriff europarechtlich gerechtfertigt.
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Der sechste Abschnitt des Heilberufsgesetzes gilt in Bezug auf die Person des Beschuldigten nicht unmittelbar. Nach § 49 HeilBG werden Verstöße von Kammerangehörigen gegen ihre Berufspflichten im berufsgerichtlichen Verfahren geahndet, womit die Berufsgerichtsbarkeit nur für Kammerangehörige statuiert ist. Nur vorübergehend tätige Dienstleister im Sinne von Art. 57 AEUV bzw. Art. 50 EGV gehören hingegen gemäß § 3 Abs. 1 HeilBG den Kammern nicht an, solange sie, wie vorliegend der Beschuldigte, in einem anderen Mitgliedstaat beruflich niedergelassen sind. § 3 Heilberufsgesetz wurde durch Art. 1 Ziffer 2 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Heilberufsgesetzes vom 16. Oktober 2006 durch den hessischen Gesetzgeber eingeführt, wobei das Gesetz ausdrücklich der Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (Amtsblatt der EG Nr. L 255 S. 22) dient (GVBl I S. 519, Fußnote 1).
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Mit der Bestimmung in § 3 Abs. 3 Satz 2 HeilBG wird die Anwendung der Normen der Berufsordnung auf Berufsangehörige nach § 3 Abs. 1 HeilBG wie den Beschuldigten erstreckt und auch die Sanktionierungsmöglichkeit durch die Berufsgerichtsbarkeit vorgesehen. Wie im Vorabentscheidungsersuchen zutreffend ausgeführt ist, unterliegen danach grundsätzlich alle Verstöße gegen Berufspflichten der Ahndung im berufsgerichtlichen Verfahren (§ 49 Abs. 1 Satz 1 HeilBG). Entgegen den im Vorabentscheidungsersuchen geäußerten Bedenken der pauschalen Inkraftsetzung des Disziplinarrechts für die Dienstleister und der nicht vorgesehenen unterschiedlichen Gewichtung in der gesetzlichen Ermöglichung disziplinarischen Einschreitens hat der Europäische Gerichtshof in der Erstreckung an sich keine Problematik gesehen, jedoch die Forderung gestellt, unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die jeweiligen Sanktionierungsmöglichkeiten und Verbotsvorschriften am Maßstab von Art. 56 AEUV zu überprüfen. Es sei Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob die jeweiligen disziplinarischen Regelungen eine Beschränkung im Sinne von Art. 56 AEUV darstellten und – wenn ja – ob mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt werde, ob sie geeignet seien, dessen Erreichung zu gewährleisten und ob sie nicht über das hinausgingen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich sei (EuGH, a.a.O., Rdnr. 53).
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Was die Bestimmung in § 12 Abs. 1 Berufsordnung betrifft, die Vorgaben für die Honorarbemessung macht, so hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass allein daraus, dass sich Ärzte, die in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland niedergelassen seien, bei der Bemessung ihrer Honorare für in Hessen erbrachte Leistungen den dort geltenden Regeln unterwerfen müssten, nicht auf das Vorliegen einer Beschränkung im Sinne des Vertrages geschlossen werden könne. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats nicht allein deshalb eine Beschränkung im Sinne des AEU-Vertrages darstellt, weil andere Mitgliedstaaten, die in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Erbringer gleichartiger Dienstleistungen weniger strengen oder wirtschaftlich interessanteren Vorschriften unterwerfen (EuGH, a.a.O., Rdnr. 47 unter Hinweis auf Urteil Kommission/Italien, Rdnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
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Der Gerichtshof fährt dann aber fort, dass in den Fällen, in denen der in Rede stehenden Regelung jegliche Flexibilität fehle, was durch das nationale Gericht zu beurteilen sei, die Anwendung solcher Regeln, die auf Ärzte aus anderen Mitgliedstaaten abschreckend wirken könnten, eine Beschränkung im Sinne des Vertrages darstelle. Solche, die Grundfreiheiten beschränkenden Regelungen seien nach gefestigter Rechtsprechung nur dann gerechtfertigt und könnten nur dann zugelassen werden, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt werde.
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VI.
Aus den dargestellten Vorgaben des Europarechts und des Verfassungsrechts folgt, dass sowohl § 12 BO als auch § 27 BO vom Grundsatz her auf den Beschuldigten Anwendung finden können. Allerdings vermag das Gericht im konkreten Fall bei europarechtskonformer Anwendung nur in Bezug auf § 27 Abs. 3 BO einen sanktionswürdigen Verstoß festzustellen.
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Hierbei ist festzuhalten, dass die oben unter II. wiedergegebenen Sachverhalte zur Werbung im Internet und zur Honorarabrechnung durch den Beschuldigten aufgrund der in den Ermittlungsakten enthaltenen Unterlagen und nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung feststehen.
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Der Vorwurf in Bezug auf die Abrechnung zielte vor allem darauf, dass neben der abgerechneten Analogziffer zur Operation, die – was selbst nicht beanstandet wurde – mit wesentlich erhöhten Steigerungssätzen angesetzt wurde, auch noch Einzelschritte der Operation mit jeweils gesonderten Steigerungssätzen abgerechnet wurden. Das Problem hierzu – und hier bewegt sich das Gericht auf der Linie der Erwägungen in dem Beschluss zum Vorabentscheidungsersuchen vom 2. August 2011 (21 K 1604/10.GI.B) – liegt darin, dass die GOÄ, deren Anwendung § 12 Berufsordnung vorschreibt, für die konkrete ärztliche Dienstleistung keine Abrechnungsziffer vorhält. Mangels einschlägiger Gebührenziffer hat der Beschuldigte auf der Grundlage von § 6 Abs. 2 GOÄ abgerechnet und als Analogziffer Nr. 2089 GOÄ herangezogen, weil er, wie er im Ermittlungsverfahren darlegte, bei der Operation der Dupuytre´schen Kontraktur die größte Vergleichbarkeit aller verfügbaren Gebührenziffern mit der Operation der induratio penis plastica annahm.
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Ist grundsätzlich eine die Vorschriften der GOÄ nicht beachtende Abrechnung geeignet, einen Verstoß gegen die Berufspflichten zu begründen, so stellt aber nicht jede Abweichung von einer bestmöglichen Handhabung der Abrechnungsvorschriften einen Verstoß gegen die dem Arzt obliegende Berufspflicht dar (vgl. Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. September 2010 – 6t E 1060/08.T -, juris Rdnr. 56). Bei einer europarechtskonformen Anwendung von § 12 BO auf den Dienstleister führt das Fehlen einer einschlägigen Gebührenziffer in der geltenden Gebührenordnung für Ärzte dazu, dass eine berufsgerichtliche Sanktion wegen unangemessener Honorarrechnung für die von ihm durchgeführte Operation nicht verhängt werden darf. Dabei ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nach dem Maßstab des Europarechts schon die tatbestandliche Verwirklichung zu verneinen, jedenfalls hat aber unter dem Gesichtspunkt des mangelnden Verschuldens eine Sanktionierung zu unterbleiben, denn die Erforderlichkeit der Maßnahme ist zu verneinen. Die Erforderlichkeit ist dabei aus der Sicht eines grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringers und nicht aus der Sicht eines im Aufnahmestaat niedergelassenen Dienstleisters zu prüfen. Wenn ein gewisser Spielraum für die Bestimmung des Preises der Dienstleistung besteht – so der Generalanwalt Cruz Villalon in seinen Schlussanträgen in dieser Sache – und es sich um eine hochspezialisierte Leistung handelt, die von einem Berufsangehörigen aus einem anderen Mitgliedstaat erbracht wird, muss gewährleistet sein, dass solche Dienstleistungserbringer, die sich im Rahmen des ihnen von den Vorschriften der Kammer eingeräumten Ermessens bewegen, keinen Verfahren ausgesetzt werden, die für sie nachteilig sind und ihre Rechte beschränken und sie letztendlich davon abhalten, sich in den Aufnahmestaat zu begeben (Schlussanträge in der Rechtssache C-475/11, Rdnr. 48). Es handelt sich damit um eine die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Maßnahme, deren Verhältnismäßigkeit deshalb zu verneinen ist, weil es in solchen Fällen ausreichend erscheint, auf die zivilrechtliche Einklagbarkeit bezüglich der Honorarangemessenheit zu verweisen.
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Der Beschuldigte hat sich aber eines Verstoßes gegen das Berufsrecht insoweit schuldig gemacht, als er gegen das Verbot berufswidriger Werbung verstoßen hat.
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Nach § 27 Abs. 3 BO ist dem Arzt berufswidrige Werbung untersagt, insbesondere eine nach dem Inhalt oder der Form anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. Wie der Europäische Gerichtshof hierzu zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich nicht um ein vollständiges Verbot von Werbung oder einer bestimmten Form von Werbung. Die Vorschrift verbietet nicht die Werbung für ärztliche Dienstleistungen an sich, sondern verlangt, dass der Inhalt einer solchen Werbung nicht berufswidrig ist (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 12. September 2013 - C-475/11 -, amtlicher Umdruck, Rdnr. 55). Wie der Mitgliedstaat Spanien in seiner Stellungnahme zu dem Vorabentscheidungsersuchen ausgeführt hat, gehört die Freiheit der Arztwahl zu den wesentlichen Patientenrechten und –freiheiten, das heißt das Recht des Patienten oder Verbrauchers frei und nach seinem Belieben zwischen verschiedenen Ärzten zu wählen. Diese Freiheit hat jedoch eine wichtige Voraussetzung, nämlich das Informationsrecht, damit das Wahlrecht in der Praxis frei und beliebig ausgeübt werden kann. Deshalb – so die Stellungnahme – müssen die Informationen, die der Patient vom Arzt erhält, zutreffend und klar sein, denn anderenfalls werde die Freiheit der Arztwahl ernsthaft gefährdet (Erklärungen des Königreichs Spanien – Rechtssache C-475/11, Randnr. 36).
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Die irreführende Werbung im Sinne des § 27 Abs. 3 BO mit der Website www.m...-klinik.com liegt darin, dass der Beschuldigte weder Klinikbetreiber noch Inhaber eines Praxissitzes ist. Dies täuschte darüber, dass er vorübergehend und gelegentlich seine Operationen ausführte ohne Infrastruktur einer Klinik und ohne gegebenenfalls notwendig werdende klinische Nachsorge durch ihn selbst. Ebenso irreführend im Sinne des § 27 BO ist die dann später verwendete Bezeichnung „Institut“ als Organisationsrahmen, innerhalb dessen er seine urogenitalen rekonstruktiven Operationen ausführt. Der Verstoß gegen das Verbot berufswidriger Werbung stützt sich darauf, dass der beschuldigte Arzt in seinem Internetauftritt seine private und freiberufliche Tätigkeit unter den Begriffen „Deutsches Institut“ und „Europäisches Institut“ beworben hat, obwohl mit diesen Begriffen der Eindruck erweckt wird, die ärztliche Tätigkeit werde zu wissenschaftlichen Zwecken von einer öffentlichen oder unter öffentlicher Aufsicht stehenden Einrichtung erbracht. „Institut“ weist auf die Einrichtung einer Universität oder eines Wissenschaftsbetriebs hin, wo unter anderem Forschung betrieben wird. Eine solche irreführende Werbung darf ein Arzt auch nicht durch Andere veranlassen und er darf nicht dulden, dass auf diese Weise für seine Tätigkeit geworben wird.
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Die vom Beschuldigten begangene berufsrechtliche Verfehlung erfolgte auch vorsätzlich. Schuldausschließungs- oder Schuldminderungsgründe sind nicht ersichtlich.
29
VII.
Bei der Bemessung der Höhe der berufsgerichtlichen Sanktion war zunächst davon auszugehen, dass für das berufsgerichtliche Verfahren – ebenso wie im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren – der Grundsatz der „Einheit des Berufsvergehens“ gilt. Dies macht es in der Regel erforderlich, auch unterschiedliche Verstöße gegen ärztliche Pflichten, die in einem einheitlichen Zeitraum bis zur Einleitung des berufsgerichtlichen Verfahrens erfolgt sind, einer einheitlichen Würdigung zu unterziehen. Die zu verhängenden Maßnahmen im Urteilsausspruch sind demzufolge nicht nach einzelnen Verstößen aufzugliedern (ständige Rechtsprechung; vgl. Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 27.07.1994 – LBG 2078/89 – mit weiteren Nachweisen; Berufsgericht für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht Gießen, Urteil vom 09.06.2009 – 21 K 4481/08.GI.B -; Urteil vom 16.11.2009 - 21 K 1220/09.GI.B -).
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Bei der Auswahl und Bemessung der berufsgerichtlichen Maßnahmen auf der Grundlage des § 50 HeilBG ist grundsätzlich das Gewicht der Verfehlung des Beschuldigten, seine Persönlichkeit, das Ausmaß seiner Schuld, aber auch die Notwendigkeit zu berücksichtigen, das Ansehen der Angehörigen der Heilberufe zu wahren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und Zuverlässigkeit der Berufsangehörigen, hier des Ärztestandes, zu sichern, um so die Funktionsfähigkeit des Berufsstandes zu gewährleisten (ständige Rechtsprechung; vgl. Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 27.08.2008 – 25 A 141/08.B – m.w.N.).
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Das ärztliche Berufsrecht ist als Teil des staatlichen Disziplinarrechts – anders als das Strafrecht – nicht repressiv und damit nicht tatbezogen. Daher ist vorrangig das Gesamtverhalten und die Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten zu würdigen, um im Hinblick auf die sich aus dem gezeigten Verhalten ergebenden Zweifel an der Zuverlässigkeit der Berufsausübung auszuräumen; dabei steht die individuelle Pflichtenmahnung im Vordergrund. Neben dem Gewicht des Berufsvergehens ist die Prognose des künftigen Verhaltens des Beschuldigten entscheidend, also die Frage, in welchem Umfang er einer pflichtenmahnenden Einwirkung bedarf, um ein berufsrechtliches Fehlverhalten zukünftig zu unterlassen. Nach der Rechtsprechung des Landesberufsgerichts für Heilberufe bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, der das erkennende Gericht folgt, ist dabei vom Grundsatz einer stufenweisen Steigerung von Disziplinarmaßnahmen auszugehen, wonach zugunsten einer gerechten und sinnvollen Einwirkung schwerere Maßnahmen erst eingesetzt werden sollen, wenn leichtere versagt haben (Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 27.08.2008, a.a.O.). Diese Gesichtspunkte zur Zumessung einer Sanktion tragen auch den europarechtlichen Vorgaben ausreichend Rechnung.
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In Anwendung dieser Grundsätze hielt es das Gericht hier für geboten, aber auch ausreichend, durch Ausspruch eines Verweises die berufsrechtliche Missbilligung der Vorgehensweise des Beschuldigten zum Ausdruck zu bringen. Diese Maßnahme stellt eine angemessene Sanktion dar, um das Fehlverhalten des Beschuldigten zu ahnden und ihn dazu anzuhalten, irreführende Werbung für seine ärztlichen Leistungen zukünftig zu unterlassen.
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VIII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 HeilBG. Danach hat der Beschuldigte die Kosten zu tragen, weil er verurteilt worden ist (§ 74 Abs. 4 Satz 1 HeilBG).
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Die Festsetzung der Verfahrensgebühr beruht auf § 78 Abs. 2 Satz 1 HeilBG.