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  • 29.09.2017 · IWW-Abrufnummer 196820

    Sozialgericht München: Urteil vom 24.05.2017 – S 38 KA 205/16

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Sozialgericht München

    Urt. v. 24.05.2017

    Az.: S 38 KA 205/16

    Tenor:

    I. Die Klage wird abgewiesen.
    II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

    Tatbestand

    Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Bescheid des beklagten Berufungsausschusses (Sitzung vom 03.12.2015), mit dem die Entscheidung des Zulassungsausschusses vom 31.08.2015 bestätigt wurde. Dem Kläger wurde wegen fehlender Fortbildung die vertragsärztliche Zulassung entzogen.

    Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Der am XX.XX.1940 geborene Kläger ist seit 24.03.1980 als Frauenarzt in A-Stadt tätig. Für ihn bestand vom 01.04.2004 bis 30.06.2009 eine Fortbildungsverpflichtung. Wegen Erreichen der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Altersgrenze ruhte seine Tätigkeit vom 01.04.2008 bis 05.10.2008. Der Kläger erklärte dann die Wiederaufnahme seiner vertragsärztlichen Tätigkeit, nachdem die für Ärzte geltende Altersgrenze aufgehoben wurde. Die Frist zur Einreichung der Fortbildungsnachweise endete am 30.09.2011 und wurde bis zum 30.09.2013 um weitere zwei Jahre verlängert. Die Beigeladene zu 1 erinnerte mehrfach (fünf Erinnerungsschreiben: Daten 27.03.2009, 10.06.2009, 25.06.2009, 19.04.2011, 08.08.2011) an die Fortbildungsverpflichtung und die Notwendigkeit, entsprechende Fortbildungsnachweise vorzulegen. Außerdem wurde über die Fortbildungsverpflichtung in den Mitgliedermagazinen der Beigeladenen zu 1 " Profund" und "KVB-Forum" informiert. Ein weiteres Erinnerungsschreiben erging am 16.10.2014. Der Kläger reagierte darauf am 07.11.2014. Vom Quartal 4/11 bis einschließlich Quartal 3/13 fanden wegen fehlender Fortbildungsnachweise Honorarkürzungen von 10 % bis 25 % statt. Der Kläger teilte mit, ihm sei nicht bewusst gewesen, Fortbildungspunkte sammeln zu müssen. Er sei seit 35 Jahren zugelassen und habe stets an Seminaren, Vorträgen und Diskussionen teilgenommen.

    Die Beigeladene zu 1 stellte beim Zulassungsausschuss den Antrag auf Entzug der Zulassung. In rechtlicher Hinsicht führte der Beklagte aus, der Kläger sei zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ungeeignet (§ 21 Ärzte-ZV). Es liege eine gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor. Hierbei handle es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Lichte von Art. 12 Grundgesetz (GG) und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszulegen sei. Der Kläger sei für eine Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung untragbar geworden.

    Denn er sei mehrfach auf die Fortbildungspflicht hingewiesen worden. Es liege eine vorsätzliche Missachtung vertragsärztlicher Pflichten vor. Der Entzug der vertragsärztlichen Zulassung sei auch nicht unverhältnismäßig. Er sei im Hinblick auf den Sachverhalt als ultima ratio anzusehen. In dem Zusammenhang sei auch auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 11.02.2015, Az. B 6 KA 37/14 B) hinzuweisen.

    An der rechtlichen Beurteilung ändere sich nichts dadurch, dass mit Schreiben vom 28.02.2017 Fortbildungspunkte und Nachweise vom Prozessbevollmächtigten des Klägers eingereicht wurden.

    In der Klagebegründung führte der Prozessbevollmächtigte aus, der Kläger habe am 07.11.2014 bei der Beigeladenen zu 1 angefragt, habe aber darauf keine Antwort erhalten. So habe er angenommen, dass seine Argumente entsprechend gewürdigt worden seien und er nunmehr die Fortbildungspunkte sammeln und einreichen könne.

    Der Bescheid des Beklagten sei formell rechtswidrig. Es liege ein Begründungsmangel nach § 35 SGB X vor. Insbesondere habe es keinerlei nachvollziehbare Abwägung im Sinne einer Ermessensentscheidung gegeben, insbesondere zur Frage, warum der Zulassungsentzug als ultima ratio anzusehen sei und kein anderes Mittel genügt hätte.

    Der Bescheid des Beklagten sei aber auch materiell rechtswidrig. Der Pflichtverstoß könne zwar nicht in Abrede gestellt werden. Damit sei aber keine Qualitätseinbuße verbunden. Der Kläger habe sich stets fortgebildet durch Besuch von Seminaren, Lesen von medizinischen Zeitschriften und Teilnahme an Diskussionen. Eine gröbliche Pflichtverletzung liege nicht vor. Vielmehr hätte eine Gesamtbeurteilung vorgenommen werden müssen.

    In dem Zusammenhang müsse gewürdigt werden, dass der Kläger in den 35 Jahren seiner Berufstätigkeit nie Auffälligkeiten gezeigt habe. Es habe auch niemals ein Disziplinarverfahren stattgefunden. Aus diesem Grund sei ein Disziplinarverfahren ausreichend gewesen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers führte weiter aus, gegen den Zulassungsentzug sprächen auch verfassungsrechtliche Bedenken. Die Zulassungserziehung sei hier nur geeignet, die Tätigkeit des Klägers faktisch zu beenden. Die Möglichkeit des Praxisverkaufs und ein geordneter Übergang seien in diesem Fall nicht mehr gegeben. Berücksichtigt werden müssten auch die zwischenzeitlich erfolgten Fortbildungsmaßnahmen.

    Insgesamt sei die Zulassungsbeziehung als unverhältnismäßig anzusehen. Zusammenfassend gelangte der Prozessbevollmächtigte zu folgendem Ergebnis:

    "Das ultima-ratio-Prinzip ist unter keinen Umständen gewahrt, wenn auf eine solche Vergangenheit sofort mit dem Entzug der Zulassung reagiert wird. Die Einleitung des Disziplinarverfahrens wäre mehr als ausreichend gewesen, zumal dies auch die erste disziplinarrechtliche Ahndung darstellen würde. Der Beklagte missachtet somit grundlegend die im Zulassungsrecht geltende Verhältnismäßigkeit."

    In seiner Erwiderung trug der Beklagte vor, die Vorschrift des § 95d Abs. 3 S. 6 SGB V zeige, dass allein die Nichterfüllung der Fortbildungsverpflichtung ein Grund für den Zulassungsentzug darstelle. Bei dem vorliegenden Sachverhalt mussten die Ermessenserwägungen zu Ungunsten des Klägers ausfallen. Die vom Kläger erbrachten Fortbildungsnachweise könnten nur für spätere Zeiträume berücksichtigt werden.

    Denn bei der Frist in § 95d die SGB V handle es sich um eine Ausschlussfrist. Die pauschalen Honorarkürzungen hätten die Funktion von Disziplinarmaßnahmen. Selbst diese hätten den Kläger nicht dazu bewegen können, Fortbildungsnachweise zu erbringen. Insofern sei die Entziehung der Zulassung als ultima-ratio anzusehen.

    In der mündlichen Verhandlung am 24.05.2017 waren weder der Kläger, noch sein Prozessbevollmächtigter anwesend.

    Die Anträge der Klägerseite ergeben sich aus dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 16.09.2016.

    Die anwesenden Beteiligten stellten übereinstimmend den Antrag,

    die Klage abzuweisen.

    Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 24.05.2015 verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Gegenstand der Klage ist nicht der Ausgangsbescheid des Zulassungsausschusses, sondern der Bescheid des Berufungsausschusses, da dieser seinerseits die Voraussetzungen für den Zulassungsentzug umfassend zu überprüfen hat.

    Rechtsgrundlage für die Entziehung der Zulassung ist § 95 Abs. 6 SGB V i.V.m. § 27 Ärzte-ZV. Danach ist die Zulassung zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt.

    Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat eingeräumt, dass eine Pflichtverletzung seines Mandanten vorliegt. Diese besteht darin, dass der Kläger im Zeitraum vom 01.04.2004 bis 30.06.2009 keine Fortbildungspunkte sammelte und dementsprechend auch keine Fortbildungsnachweise vorlegen konnte. Eine Nachreichung von Fortbildungspunkten ist nicht möglich, da es sich bei § 95d Abs. 3 S. 4 SGB V um eine gesetzliche Ausschlussfrist handelt (vgl. BSG, Beschluss vom 11.02.2015, Az. B 6 KA 37/14 B; BayLSG, Urteil vom 11.03.2015, Az. L 12 KA 56/14). Eine nachträgliche Berücksichtigung würde nämlich der gesetzlichen Regelung des § 95d SGB V zuwiderlaufen. Außerdem ist der Kläger nicht mit dem Argument zu hören, er habe wiederholt an Seminaren und Diskussionen teilgenommen und sich durch Lesen medizinischer Zeitschriften fortgebildet. Abgesehen davon, dass es sich hierbei um einen pauschalen Hinweis handelt, der nicht zu verifizieren ist, können diese Aspekte nicht die in § 95d SGB V gesetzlich vorgeschriebene Fortbildungsverpflichtung ersetzen und ausfüllen. Es obliegt nicht dem Arzt, selbst zu bestimmen, was als Fortbildung mit wieviel Fortbildungspunkten anzuerkennen ist.

    Die Fortbildungspflicht des Vertragsarztes gehört zu den Grundpflichten vertragsärztlicher Tätigkeit. Ziel der Fortbildungspflicht ist, die Qualität ärztlicher Leistungen zu sichern und zu erhöhen sowie eine Behandlung der Patienten nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse zu gewährleisten.

    Gröblich ist eine Pflichtverletzung i.S.v. § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V dann, wenn die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung durch das Verhalten des Arztes in erheblichem Maße verletzt wird und das Vertrauensverhältnis zu den vertragsärztlichen Institutionen tiefgreifend und nachhaltig gestört ist, so dass Ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann (stRSP des BSG; vgl. BSG, Beschluss vom 28.10.2015, Az. B 6 KA 36/15 B). Die Tatsache, dass der Gesetzgeber in § 95d SGB V die Fortbildungspflicht so detailliert geregelt hat, spricht für den hohen Stellenwert der Fortbildungspflicht. Dieser findet insbesondere seinen Ausdruck in § 95d Abs. 3 Satz 6 SGB V, wonach die Kassenärztliche Vereinigung unverzüglich gegenüber dem Zulassungsausschuss einen Antrag auf Entziehung der Zulassung stellen soll, wenn ein Vertragsarzt den Fortbildungsnachweis nicht spätestens zwei Jahre nach Ablauf des Fünfjahreszeitraums erbringt. Daraus folgt zwangsläufig, dass ein Verstoß gegen die gesetzlich geregelte Fortbildungspflicht als gröblich anzusehen ist.

    Die Entziehung der Zulassung nach § 95 Abs. 6 SGB V stellt eine schwerwiegende Sanktion und einen Eingriff in Art. 12 GG dar, der nur dann zulässig ist, wenn die Grundsätze der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gewahrt sind. Das Bundessozialgericht vertritt in seiner Entscheidung vom 11.02.2015 (BSG, Beschluss vom 11.02.2015, Az. B 6 KA 37/15 B) die Auffassung, es komme darauf an, ob der Entzug der Zulassung bei Abwägung des vom Vertragsarzt gesetzten Eingriffsanlasses im Verhältnis zur Eingriffstiefe angemessen ist. Unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung zum GMG (aaO S 111 zu § 95 Abs. 3 SGB V) sei eine auf die Verletzung der Fortbildungspflicht gestützte Zulassungsentziehung dann unverhältnismäßig, wenn die vorgegebene Nachweispflicht nur wenige Stunden verfehlt werde. Dies ist hier eindeutig nicht der Fall. An diesem Beispiel wird deutlich, dass nur in eng begrenzten Fällen eine Unverhältnismäßigkeit anzunehmen ist, wobei es sich allerdings jeweils um eine Einzelfallentscheidung handelt.

    Grundsätzlich ist vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das gesamte Verhalten des Vertragsarztes außerhalb des Pflichtverstoßes mit zu reflektieren. Bezogen auf das streitgegenständliche Verfahren ist festzustellen, dass selbst unter Würdigung der Gesamtumstände, wie langjährige vertragsärztliche Tätigkeit, ohne disziplinarisch in Erscheinung zu treten, die Umstände im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen die Fortbildungspflicht so schwer wiegen, dass eine Disziplinarmaßnahme nicht mehr als ausreichend erscheint und daher als ultima-ratio-Maßnahme nur der Zulassungsentzug nach § 95 Abs. 6 SGB V in Betracht kommt. Der Kläger hat nicht nur insgesamt fünf Erinnerungsschreiben der Beigeladenen zu 1 ignoriert, sondern er hat auch Kürzungen seines Honorars in mehreren Quartalen in Höhe von 10-25 % akzeptiert. Bei den Honorarkürzungen nach § 95d Abs. 3 s. 3 SGB V handelt es sich zwar nicht um Disziplinarmaßnahmen im engeren Sinn (§ 81 Abs. 5 SGB V). Die Auswirkung ähnelt aber der von Geldbußen, die als Disziplinarmaßnahmen vorgesehen sind. Insofern lassen sich die Honorarkürzungen als Disziplinarmaßnahmen im weiteren Sinn verstehen, so dass nur der Zulassungsentzug als ultima ratio übrig bleibt. Wer in diesem Maße Warnhinweise missachtet, signalisiert, dass er nicht gewillt ist, seiner Fortbildungspflicht nachzukommen.

    Dagegen kann nicht eingewandt werden, der Kläger habe durch die Zulassungsentziehung nicht mehr die Möglichkeit eines Praxisverkaufs oder eines geordneten Übergangs seiner Praxis auf einen Praxisnachfolger. Hierzu ist zu bemerken, dass auch bei Entziehung der Zulassung die Praxis ausgeschrieben und durch einen Nachfolger weitergeführt werden kann (§ 103 Abs. 3a, 4 SGB V). Soweit geltend gemacht wird, durch den Entzug der Zulassung werde dem Kläger seine Existenzgrundlage entzogen, erscheint dies unwahrscheinlich. Denn laut den in der mündlichen Verhandlung eingesehenen Honorarbescheiden liegen die Patientenzahlen GKV-Versicherter mit weit unter 100 und damit die Honorareinkünfte in einem Bereich, mit dem die Unkosten der Praxis, die sich in einer absoluten Münchner Toplage befindet, nicht annähernd zu decken sind. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger Leistungen außerhalb der GKV anbietet und hieraus nicht unerhebliche Einkünfte erzielt, so dass ihn die Entziehung der Zulassung nicht wesentlich tangieren dürfte. Außerdem geht das Gericht davon aus, dass sich die Sanktion "Entziehung der Zulassung" bei einem Arzt, der sich noch mitten in seinem Berufsleben befindet, ungleich schwerer auswirkt als bei einem Arzt - wie dem Kläger- , der sich am Ende seiner beruflichen Laufbahn befindet ... Deshalb ist die Entziehung der Zulassung als geeignet, erforderlich und verhältnismäßig anzusehen.

    Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.