02.11.2023 · IWW-Abrufnummer 238090
Bundesfinanzhof: Urteil vom 17.08.2023 – V R 12/22
Bei Überweisungen liegt eine Vereinnahmung des Entgelts im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG auch dann erst im Zeitpunkt der Gutschrift auf dem Girokonto des Zahlungsempfängers vor, wenn die Wertstellung (Valutierung) bereits zu einem früheren Zeitpunkt wirksam wird.
Tenor:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 17.05.2022 - 5 K 5133/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Gründe
I.
1
Streitig ist, ob die Vereinnahmung eines Entgelts erst am Tag der Gutschrift des Überweisungsbetrags oder bereits zuvor am Tag der rückwirkenden Wertstellung (Valutierung) vorliegt.
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Beim Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), dem die Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten ( § 20 des Umsatzsteuergesetzes —UStG—) zumindest konkludent bewilligt worden war, fand im Juli 2020 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für das zweite Halbjahr 2019 statt. In Auswertung des Prüfungsberichts berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) im Umsatzsteuer-Jahresbescheid für das Jahr 2019 (Streitjahr) Entgelte für steuerbare Umsätze in Höhe von … €. Obwohl dieser Betrag erst am 02.01.2020 auf dem Girokonto des Klägers gebucht worden sei, sei er bereits aufgrund einer rückwirkenden Wertstellung zum 31.12.2019 —und damit im Streitjahr— im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG vereinnahmt worden.
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Der Einspruch gegen den Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2019, den das FA zuletzt aus hier nicht streitigen Gründen am 18.05.2021 änderte, hatte keinen Erfolg. Der hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2023, 590 veröffentlichten Urteil statt. Bei Überweisungen sei ein Entgelt nicht im Zeitpunkt der "Gutschrift (Datum der Wertstellung)" auf dem Konto des Empfängers vereinnahmt, sondern im "Zeitpunkt der Buchung", da das Geld davor faktisch noch nicht verfügbar sei.
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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG . Das FG habe zu Unrecht angenommen, der Kläger habe das Entgelt im Streitjahr noch nicht vereinnahmt. Nach § 675t des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und Art. 87 Abs. 1 und 2 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG , 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 337 vom 23.12.2015, S. 35) —Richtlinie (EU) 2015/2366— müssten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass das Datum der Wertstellung einer Gutschrift spätestens der Geschäftstag sei, an dem der Betrag dem Konto des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers gutgeschrieben worden sei. Dementsprechend sei das Entgelt bereits am Wertstellungstag verfügbar gewesen. Nicht erforderlich sei, dass der Empfänger über den gutgeschriebenen Betrag frei verfügen könne. Während die Buchung nur ein Verwaltungsvorgang sei, müsse das Geld zur Wertstellung bei der Bank auch vorhanden sein. Somit sei das Entgelt am 31.12.2019 und damit noch im Streitjahr vereinnahmt worden.
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Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Bis zur Verbuchung und Gutschrift des Entgelts am 02.01.2020 habe der Kläger nicht über den Betrag verfügen können. Da es auf die tatsächliche Verfügungsmacht ankomme, könne die Vereinnahmung nicht durch die rückwirkende Wertstellung zum 31.12.2019 fingiert werden. Art. 87 der Richtlinie (EU) 2015/2366 und § 675t Abs. 1 Satz 2 BGB stünden dem nicht entgegen, weil darin ebenfalls zwischen Wertstellung und Verfügbarkeit unterschieden werde.
II.
8
Die Revision des FA ist nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unbegründet und daher zurückzuweisen. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger das Entgelt nicht im Streitjahr vereinnahmt hat.
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1. Bei Überweisungen liegt eine Vereinnahmung des Entgelts im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG auch dann erst im Zeitpunkt der Gutschrift auf dem Girokonto des Zahlungsempfängers vor, wenn die Wertstellung (Valutierung) bereits zu einem früheren Zeitpunkt wirksam wird.
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a) Die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen entsteht bei der im Streitfall vorliegenden Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind. Diese Vorschrift beruht unionsrechtlich auf der Ermächtigung in Art. 66 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, nach der die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze spätestens bei der Vereinnahmung des Preises entsteht.
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b) Die Vereinnahmung im Sinne von § 13 UStG erfordert, dass der Unternehmer über die Gegenleistung für seine Leistung wirtschaftlich verfügen kann (Urteile des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 29.01.1987 - V R 53/76 , BFHE 149, 295, BStBl II 1987, 516, unter II.1.d; vom 22.06.2021 - V R 16/20 , BFHE 272, 563, Rz 22; Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 152 Rz 21; Herbert inHartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 13 Rz 152; Leipold in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 13 Rz 103; Michel inOfferhaus/Söhn/Lange, § 20 UStG Rz 167; Nieskens inRau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 13 Rz 627). Bei Überweisungen kommt es daher zur Vereinnahmung im Zeitpunkt der Gutschrift auf dem Girokonto des Zahlungsempfängers (vgl. BFH-Urteil vom 29.11.2022 - XI R 2/22 , BFHE 279, 306, BStBl II 2023, 731, Rz 23; BeckOK UStG/Hannisch, 35. Ed. [21.12.2022], UStG § 13 Rz 39.2; Herbert inHartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 13 Rz 153; Hundt-Eßwein inOfferhaus/Söhn/Lange, § 13 UStG Rz 54; Leipold in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 13 Rz 105; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 13 Rz 35; Wäger in Wäger, UStG, 2. Aufl., § 13 Rz 69).
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c) Für das Vorliegen der Gutschrift ist es unerheblich, ob die Wertstellung (Valutierung) bereits zu einem früheren Zeitpunkt wirksam wird.
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aa) Bei Überweisungen auf ein Girokonto wie im Streitfall ist zwischen dem Anspruch auf Gutschrift, dem Anspruch auf Wertstellung (Valutierung) und dem Anspruch aus der Gutschrift zu unterscheiden (MüKoBGB/Jungmann, 9. Aufl., § 675t Rz 1; Grüneberg/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 82. Aufl., § 675t Rz 4). Die Wertstellung (Valutierung) gibt dabei den Zeitpunkt an, zu dem der gebuchte Betrag zinswirksam wird (Grüneberg/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 82. Aufl., § 675t Rz 8). Sie ist eine von der Gutschrift unabhängige Buchung ( Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 24.02.2021 - 31 U 140/19 , juris, Rz 138).
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bb) Erfolgt —wie im Streitfall— die Wertstellung vor dem Tag der Buchung der Gutschrift, steht der Betrag dem Kontoinhaber gleichwohl erst mit der Buchung der Gutschrift zur Verfügung, da er erst ab diesem Zeitpunkt über den Betrag verfügen kann. Die zeitlich mit Rückwirkung vorgenommene Valutierung ist für die Vereinnahmung im Sinne von § 13 UStG unbeachtlich. Denn maßgeblich ist, dass über die Gegenleistung (als den zu vereinnahmenden Betrag) wirtschaftlich verfügt werden kann ( BFH-Urteil vom 22.06.2021 - V R 16/20 , BFHE 272, 563, Rz 22). Dies erfordert die Verfügungsmöglichkeit über den gutgeschriebenen Betrag und nicht nur eine auf die Zinswirksamkeit bezogene Wertstellung.
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2. Danach hat das FG die Vereinnahmung des erst am 02.01.2020 gutgeschriebenen, aber bereits zum 31.12.2019 valutierten Entgelts im Streitjahr zutreffend verneint. Es hat zutreffend auf den Zeitpunkt abgestellt, zu dem der überwiesene Betrag für den Leistungsempfänger auf seinem Konto faktisch verfügbar ist. Dass es dabei den maßgeblichen Anspruch aus der Gutschrift "als Zeitpunkt der Buchung" umschrieben hat, ist im Hinblick hierauf unbeachtlich, zumal das FG das "Datum der Wertstellung" zutreffend als nicht maßgeblich angesehen hat.
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3. Die Einwendungen des FA hiergegen greifen nicht durch. Dem Verständnis des FA von Art. 87 Abs. 1 und 2 der Richtlinie (EU) 2015/2366 und § 675t Abs. 1 BGB liegt die Annahme zugrunde, dass diese Vorschriften keine Wertstellung erlaubten, die vor dem Zeitpunkt der Gutschrift liege. Tatsächlich steht im Streitfall die Abwicklung der Überweisung im Einklang mit § 675t Abs. 1 BGB . Danach muss zwar die Wertstellung zu dem Geschäftstag erfolgen, an welchem der Betrag dem Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wurde. Die Gutschrift darf jedoch am folgenden Geschäftstag auf dem Konto des Überweisungsempfängers gebucht werden, so dass auch dann erst der Anspruch aus der Gutschrift zu seinen Gunsten entsteht ( § 675t Abs. 1 Satz 2 BGB ; vgl. auch BTDrucks 16/11643, S. 112 "valutarische Gutschrift").
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .