18.01.2024 · IWW-Abrufnummer 239202
Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 21.12.2023 – 21 W 91/23
1. Ein Verstoß gegen § 32 BO-Ä führt nicht zur Nichtigkeit eines Testaments zugunsten des behandelnden Arztes.
2. Zwar stellen die Regelungen in den §§ 30 ff. der Berufsordnungen der Ärztekammern Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB dar. Ein Verstoß des Arztes führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit einer offenen Testierung eines Dritten, da dies eine unverhältnismäßige Einschränkung einer Testierfreiheit begründen würde.
OLG Frankfurt 21. Zivilsenat
Tenor
Auf die befristete Beschwerde des Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Nachlassgerichts Kassel vom 24.05.2023 abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die für die Erteilung des von den Beteiligten zu 2), 3) und 5) beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen werden für festgestellt erachtet.
Das Nachlassgericht wird angewiesen, den Beteiligten zu 2), 3) und 5) einen Erbschein entsprechend des Antrags vom 06.11.2022 zu erteilen.
Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten zu 2), 3) und 5) tragen die Hälfte der gerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens als Gesamtschuldner, der Beteiligte zu 1) die weitere Hälfte der Gerichtskosten. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Erblasserin war verwitwet und kinderlos. Die einzige Schwester der Erblasserin verstarb im November 2016. Bei den Beteiligten zu 1) und 4) handelt es sich um Cousins der Erblasserin, die Beteiligte zu 6) ist die Ehefrau des Beteiligten zu 1). Der Beteiligte zu 2) war seit 1997 der Hausarzt der Erblasserin. Diese hatte dem Beteiligten zu 2) im Jahr 2017 eine Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht erteilt (Bl. 251 R d.A.). Der Beteiligte zu 3) ist ein Nachbar der Erblasserin, dessen Tochter die Erblasserin pflegerisch unterstützt hatte. Die Beteiligte zu 5) ist eine Freundin der Erblasserin, die sich in den letzten Monaten um die Erblasserin gekümmert hatte.
Die Erblasserin hatte verschiedene handschriftliche Testamente errichtet.
Ein mit ihrem vorverstorbenen Ehemann errichtetes gemeinschaftliches Testament vom 20.05.2011 enthielt keine Regelungen für den Tod des Längstlebenden (Bl. 17 d. Beiakte)
Nach dem Tod ihrer noch im Testament vom 08.12.2014 (Bl. 177 d.A.) als Erbin vorgesehenen Schwester hatte die Erblasserin mit Testament vom 30.06.2017 u.a. die Beteiligten zu 1), 4) und 6) in Höhe von 20 % und den Beteiligten zu 2) in Höhe von 10 % als Erben berücksichtigt. Wegen der Verfügungen im Einzelnen wird auf das Testament (Bl. 41,112 d.A.) Bezug genommen, welches nur noch in Kopie vorliegt und nicht eröffnet wurde (Bl. 113 R d.A.).
Ein in Kopie vorliegendes Testaments vom 09.09.2018 enthielt Verfügungen zugunsten von 5 Miterben zu jeweils 20 %, darunter die Beteiligten zu 1), 2), 4) und 6) (Bl. 168, 321 d.A.). Ein privatschriftliches Testament vom 31.07.2019 wurde am 12.10.2021 aus der amtlichen Verwahrung genommen (Bl. 7,8 d.A.) und liegt noch in Kopie vor (Bl. 169 d.A.). Darin waren die Beteiligten zu 1) und 4) als Miterben zu 30 % sowie die Beteiligten zu 2) und 5) als Miterben zu 20 % vorgesehen.
In dem den Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens bildenden Testament vom 20.09.2021 hatte die Erblasserin die Beteiligten zu 1) bis 5) jeweils zu Erben in Höhe von 20 % eingesetzt. Auf dem Testament hatte der Beteiligte zu 2) bestätigt, dass die Erblasserin das Testament im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte angefertigt hat (Bl. 60 d.A.). Dieses Testament hatte die Erblasserin in amtliche Verwahrung gegeben (Bl. 4, 61 d.A.) und es wurde am 04.10.2022 eröffnet (Bl. 59 d.A.). Der Beteiligte zu 1) war im Besitz einer weiteren Version des Testaments vom 20.09.2021 ohne den Bestätigungsvermerk und einer Korrektur des Datums, welches in Kopie vorliegt (Bl. 40 d.A.).
Desweiteren hatte die Erblasserin am 16.07.2018 dem Beteiligten zu 2) mit der Bezeichnung als Betreuer eine Vollmacht über ihr Barvermögen erteilt und Anordnungen für die Verteilung verbliebenen Geldes nach ihrem Tode getroffen (Bl. 153 d.A.), worauf in dem Testament vom 20.09.2021 Bezug genommen wurde.
Noch vor dem Tod der Erblasserin hatte der Beteiligte zu 5) in einer seiner Tochter übergebenen Erklärung vom 15.07.2022 ausgeführt, auf ein Erbe nach der Erblasserin zugunsten seiner Tochter zu verzichten (Bl. 24 d.A.).
Der Beteiligte zu 1) erklärte mit Schreiben vom 13.09.2022 (Bl. 37 d.A.) die Anfechtung des Testaments vom 20.09.2021 und beantragte einen Erbschein über 50 %. Hierbei hat er Zweifel an der Testierfähigkeit der Erblasserin geäußert und die Auffassung vertreten, dass Betreuer kein Erbe antreten dürften. Die Erblasserin sei zunehmend verwirrt gewesen und habe sich bestohlen gefühlt und Angst gehabt, vergiftet zu werden. Zudem würde es zwei Testamente vom 20.09.2021 geben, eines mit den Zusätzen des Arztes und ohne durchgestrichenem Tag und eines ohne Zusätze des Arztes aber mit durchgestrichenem Tag. Des Weiteren läge hinsichtlich der Einsetzung des Beteiligten zu 2) ein Verstoß gegen § 32 der ärztlichen Berufsordnung (BO-Ä) vor.
Sodann beantragte der Beteiligte zu 1) mit notarieller Urkunde vom 24.10.2022 (Bl. 85 ff d.A.) die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins auf der Grundlage des Testaments vom 30.06.2017 unter Hinweis auf seine erklärte Anfechtung des Testaments vom 20.09.2021.
Die Beteiligten zu 2), 3) und 5) beantragten ihrerseits mit notarieller Urkunde vom 06.11.2022 (Bl. 137 d.A.) die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins auf der Grundlage des Testaments vom 20.09.2021. Der Beteiligte zu 2) hat geltend gemacht, der körperliche und geistige Gesundheitszustand der Erblasserin sei bis März 2022 altersentsprechend gewesen und sie habe erst nach einem Krankenhausaufenthalt im April 2022 im A-Krankenhaus abgebaut. Daraufhin sei sie in ein Altenheim zur Kurzzeitpflege gebracht worden. Nach Erholung sei sie ihrem Wunsch entsprechend in die Wohnung zurückgekehrt, wo die Tochter des Beteiligten zu 3) diese unter Einbeziehung eines Pflegedienstes betreut habe. Ende Juli 2022 sei sie im Anschluss an eine Corona Erkrankung erneut in ein Pflegeheim verbracht worden. Bei dem Termin vor der Rechtspflegerin am 12.10.2021 habe diese nach einem Gespräch keinen Zweifel an der Testierfähigkeit gehabt.
Nach wechselseitigen Widersprüchen und einem Hinweis des Nachlassgerichts zu den Erfolgsaussichten der Erbscheinsanträge mit Verfügung vom 12.12.2022 (Bl. 181 d.A.) hat das Nachlassgericht mit dem angefochtenen Beschluss beide Erbscheinsanträge zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Testament aus dem Jahr 2017 sei durch das Testament aus dem Jahr 2021 wirksam widerrufen worden. Hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit der Erblasserin, die Anlass zu Ermittlungen von Amts wegen geben würden, lägen nicht vor. Das Testament aus dem Jahr 2021 sei allerdings teilweise unwirksam, da die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) gemäß § 32 Berufsordnung der Ärzte i.V.m. §§ 17,19 Hessisches Heilberufsgesetz gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB verstoßen würde. Hinsichtlich der Auslegung des § 32 der Berufsordnung der Ärzte seien die zu § 14 HeimG entwickelten Grundsätze anzuwenden. Dem Beteiligten zu 2) sei seine Erbeinsetzung bekannt gewesen. Die Teilunwirksamkeit führe gemäß § 2085 BGB nicht zur Unwirksamkeit des Testaments im Übrigen, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass die Erblasserin die übrigen Verfügungen ohne die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) nicht getroffen haben würde. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Beschluss vom 24.05.2023 (Bl. 293 d.A.) Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss, der dem Beteiligten zu 2) am 12.06.2023 zugestellt worden ist (Bl. 302 d.A.), hat dieser am 12.07.2023 Beschwerde eingelegt (Bl. 308,309 ff d.A.). Er macht geltend, es sei schon zweifelhaft, ob der Berufsordnung Gesetzesqualität i.S.d. § 134 BGB zukomme. Keinesfalls habe er jedoch den Eindruck erweckt, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinträchtigt werde. Eine Beeinflussung der Erblasserin sei nicht erfolgt, diese sei von sich aus bei ihm mit dem Testament vorstellig geworden und habe um Bestätigung gebeten. Er sei für die Erblasserin eine wichtige Vertrauensperson und insoweit bereits im Testament aus dem Jahr 2018 bedacht gewesen. Dass durch den Zusatz auf dem Testament im Jahr 2021 die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst werde, sei daher bereits abwegig. Des Weiteren hat er die Betreuungsverfügung vom 28.11.2017 (Bl. 324 d.A.) sowie einen - verschlüsselten - Ausdruck der Patientenakte der Erblasserin vorgelegt.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 24.07.2023 nicht abgeholfen, sondern das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 327 d.A.). Zur Begründung hat es ausgeführt, es komme nicht darauf an, ob es tatsächlich zu einer Beeinflussung gekommen sei.
Der Beteiligte zu 1) ist der Beschwerde entgegengetreten. Er ist der Auffassung, diese setze sich schon nicht mit der Entscheidung auseinander, welches zur Unzulässigkeit führe. Der Beteiligte zu 2) habe standeswidrig gehandelt.
Nach einem Hinweis der Berichterstatterin vom 28.08.2023 zu den Erfolgsaussichten der Beschwerde (Bl. 339 ff d.A.) hat der Beteiligte zu 2) einen unverschlüsselten Ausdruck der Patientenakte für die Jahre 2021 und 2022 vorgelegt.
Der Beteiligte zu 1) hat die Vollständigkeit der Patientenakte wegen vorgenommener Filterungen angezweifelt. Zudem wäre der Befund des A-Krankenhaus vom 28.01.2022 nicht vorgelegt worden, aus dem hervorgehe, dass der Erblasserin eine häusliche Versorgung empfohlen worden sei.
II.
Auf die zulässige Beschwerde war der Beschluss des Nachlassgerichts abzuändern.
Die Erbfolge richtet sich nach dem Testament vom 20.09.2021, so dass dem Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2), 3) und 5) zu entsprechen war.
1. Die gemäß § 58 FamFG statthafte Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist zulässig und insbesondere fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses beim Nachlassgericht eingegangen, § 63 FamFG. Zudem ist der Beteiligte zu 2) als Mit-Antragsteller und Erbprätendent beschwerdebefugt (vgl. Sternal/Jokisch, FamFG, 2023, § 59 Rn 79).
2. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
a) Das Testament vom 20.09.2021 ist von der Erblasserin wirksam errichtet worden. Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments testierunfähig i.S.d. § 2229 BGB gewesen war.
Von einer Testierunfähigkeit ist nach § 2229 Abs. 4 BGB auszugehen, wenn der Erblasser wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, ist ein Erblasser unabhängig vom Alter bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen. Daher muss die Testierunfähigkeit zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen (Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Auflage 2023, § 2229, Rn. 11).
Konkrete Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit begründen zunächst nur die Notwendigkeit von Ermittlungen von Amts wegen und gegebenenfalls zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, soweit hinreichend belastbare medizinische Erkenntnisse vorliegen (Grüneberg/Weidlich, BGB, 2023, § 2229, Rn. 12). Für die Feststellung der Testierunfähigkeit ist auch nicht allein die Diagnose einer krankhaften Störung ausreichend, sondern es ist darüberhinausgehend erforderlich, dass aufgrund der krankhaften Störung eine Einsichtsfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Insbesondere begründet die Diagnose einer Demenz als solcher keinen Beweis für eine Testierunfähigkeit. Regelmäßig kommt auch bei einer gesicherten Diagnose einer Demenz die Annahme einer Testierunfähigkeit erst in Betracht, wenn der Erblasser konkrete Verhaltensauffälligkeiten aufweist, die den sicheren Schluss auf eine mangelnde Einsichtsfähigkeit zulassen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 23.01.2018 - 20 W 4/16, juris Rn. 42; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.04.2014, 3 Wx 115/12, juris Rn. 9). Zwar kann aus dokumentierten Befunden und Verhaltensbeobachtungen vor und nach der Testamentserrichtung das Vorliegen einer Testierunfähigkeit bei Demenzerkrankungen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung abgeleitet werden. Erforderlich hierfür ist jedoch, dass mindestens für einen Zeitpunkt vor und mindestens einen Zeitpunkt nach der fraglichen Testamentserrichtung krankheitswertige Zustände belegt sein müssen, bei denen die Voraussetzungen für eine freie Willensbildung nicht mehr gegeben waren (OLG Hamburg, Beschluss vom 20.02.2018 - 20 W 63/17, juris Rn. 38; Cording, ZEV 2010, 115, 120).
Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen vorliegend schon keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung im September 2021 unter einer die Einsichtsfähigkeit beeinträchtigenden krankhaften Störung der Geistestätigkeit i.S.d. § 2229 Abs. 4 BGB gelitten hatte. Eine entsprechende Diagnose, etwa einer dementiellen Entwicklung, ist nicht dokumentiert. Die Erblasserin wird in den vorgelegten ärztlichen Befundberichten jeweils als „orientiert“ beschrieben. Die zeitlich nach der Testamentserrichtung liegenden Befunde des A-Krankenhauses vom 23.03.2022 sowie vom 11.04.2022 bieten keine konkreten Anhaltspunkte für eine etwaige Veränderung der kognitiven Fähigkeiten der Erblasserin. Vielmehr wird in beiden Befunden ein Gespräch mit der Erblasserin betreffend die häusliche Pflegesituation dargestellt, ohne dass in diesem Zusammenhang Zweifel an dem Erfassen der Situation angeführt worden wären. Der Befund des Klinikums Stadt1 vom 01.06.2022 beschreibt die Erblasserin weiterhin als „orientierte Patientin“. Der von dem Beteiligten zu 1) vorgelegte Befund des A-Krankenhauses vom 28.01.2022 enthält ebenfalls die Angabe „orientiert“. Der Umstand, dass der schwer herzkranken Erblasserin eine häusliche Pflege empfohlen wurde, ist ohne weiteres nachvollziehbar und bietet keinen Anlass für Zweifel an den geistigen Fähigkeiten der Erblasserin. Aus der Patientenakte der Erblasserin für die Jahre 2021 und 2022 lassen sich keine Anhaltspunkte für neurologische Defizite oder in diesem Zusammenhang veranlasste Untersuchungen entnehmen. Dabei hat der Senat keine Zweifel daran, dass es sich bei dem Ausdruck um die vollständige Patientenakte handelt, welche einmal gefiltert nach Dauerdiagnosen und einmal gefiltert nach sonstigen Diagnosen vorgelegt wurde.
Die Rechtspflegerin bei dem Nachlassgericht hatte anlässlich des Termins am 12.10.2021 nur 3 Wochen nach der Testamentserrichtung keinen Anlass zu Zweifeln an der Testierfähigkeit gesehen, auch wenn den Wahrnehmungen medizinischer Laien nur eine begrenzte Aussagekraft zukommt. Der Inhalt und die Ausgestaltung des Testamentes bieten ebenfalls keinen Anlass, Zweifel aufkommen zu lassen. Dieses entspricht im Kern den vorangegangenen Testamenten, mit denen jeweils einzelne Miterben sowie Erbquoten verändert wurden, ohne dass sich die Testierung insgesamt wesentlich verändert hätte. Konkrete Verhaltensauffälligkeiten der Erblasserin im September 2021 werden von dem Beteiligten zu 1) schon nicht vorgetragen. Soweit einzelne Episoden aus der Vergangenheit geschildert wurden, bei denen die Erblasserin sich bestohlen gefühlt hatte oder durch den Tod der Schwester psychisch belastet war, sind solche singulären Ereignisse nicht geeignet, eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit i.S.d. § 2229 Abs. 4 BGB im Zeitpunkt der Testamentserrichtung begründen zu können.
Vor diesem Hintergrund bestehen schon keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen einer geistigen Beeinträchtigung der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Weitere Ermittlungen von Amts in diesem Zusammenhang sind nicht veranlasst.
b) Das Testament vom 20.09.2021 ist entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts insgesamt wirksam und nicht gemäß § 134 BGB i.V.m. § 32 der Berufsordnung der hessischen Ärztekammer (BO-Ä) betreffend die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) teilnichtig. Zwar ist § 32 BO-Ä als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB anzusehen. Allerdings ergibt eine verfassungskonforme Auslegung, dass ein etwaiger Verstoß des Arztes nicht die Nichtigkeit der Testierung durch den Erblasser nach sich zieht.
aa) Gemäß § 32 Abs. 1 BO-Ä ist es „Ärztinnen und Ärzten nicht gestattet, von Patientinnen und Patienten (…) Geschenke oder andere Vorteile (…) sich versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird“.
Dabei ist eine testamentarische Zuwendung - entsprechend der zu § 14 HeimG entwickelten Grundsätze - als „anderer Vorteil“ anzusehen, wobei die Zuwendung dann einen Verstoß darstellen kann, wenn diese dem Arzt bekannt und er mit dieser einverstanden war (BerufsG Berlin, BeckRS 2015,54659; Plantzholz/Rochon, FamRZ 2001, 270, Ziff. III 2).
bb) § 32 BO-Ä ist in Übereinstimmung mit dem Nachlassgericht als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB anzusehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können auch Vorschriften berufsständischer Satzungen von Selbstverwaltungskörperschaften Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB sein. Dies hat der Bundesgerichtshof für die Regelung in § 31 der BO der Ärztekammer Westfalen-Lippe (BGH NJW-RR 2003,1175, zit. nach juris Rn. 8) und § 8 Abs. 5 der BO für die bayerischen Zahnärzte (BGH NJW-RR 2022, 336) bejaht. Dabei beruhen die landesgesetzlichen Regelungen jeweils auf einer einheitlichen Musterordnung, so dass diese in den Ländern im Wesentlichen inhaltlich übereinstimmen. Entsprechend ist auch § 32 BO-Ä als Verbotsgesetz einzustufen, da die §§ 31,32 BO-Ä beide Konkretisierungen der allgemeinen Vorschrift des § 30 BO-Ä darstellen, die auf die Sicherung der Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung gerichtet sind.
Gemäß § 30 BO-Ä sind Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, in allen vertraglichen und sonstigen beruflichen Beziehungen zu Dritten ihre ärztliche Unabhängigkeit für die Behandlung der Patientinnen und Patienten zu wahren. Nach § 31 BO-Ä ist die Zuweisung von Patienten gegen Gewährung von Vorteilen untersagt. Schutzzweck dieser Vorschrift ist, dass sich der Arzt in seiner Entscheidung, welchem anderen Arzt er Patienten zuweist, nicht von vornherein gegen Entgelt bindet, sondern diese Entscheidung allein aufgrund medizinischer Erwägungen im Interesse des Patienten trifft (BGH NJW 1986, 2360). Schutzgut der Regelung in § 32 BO-Ä ist ebenfalls das auf die Ärzteschaft allgemein bezogene Vertrauen in die Freiheit und Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen und damit auch das Ansehen und die Integrität der Ärzteschaft im Allgemeinen (Ärztegerichtshof des Saarlandes, MedR 2011,752, zit. nach juris Rn. 21; Spickhoff/Scholz, Medizinrecht, 4. Aufl. 2022, MBO-Ä 1997 § 32 Rn. 1).
cc) Es kann dahinstehen, ob dem Beteiligten zu 2) ein standesrechtlicher Verstoß gegen § 32 BO-Ä vorzuwerfen wäre. Zwar hatte er Kenntnis von der Erbeinsetzung, da er auf dem Testament die Testierfähigkeit der Erblasserin auf deren Wunsch hin bestätigt hatte. Darin ist auch zugleich die Erklärung seines Einverständnisses zu sehen, so dass er sich einen Vorteil hat „versprechen lassen“. Ob die Zuwendung geeignet war, den Eindruck zu erwecken, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird, kann vorliegend indes offenbleiben.
dd) Denn ein Verstoß des Beteiligten zu 2) gegen § 32 BO-Ä würde nicht zur Nichtigkeit des Testaments führen. § 32 BO-Ä kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass dieses ein auch an den Testierenden gerichtetes Testierverbot enthält. Eine solche Auslegung würde einen unangemessenen Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Testierfreiheit darstellen.
Ob der Verstoß gegen das Verbotsgesetz die Nichtigkeitsfolge auslöst, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei dem Normzweck eine entscheidende Rolle zukommt (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 2023, § 134 Rn. 6; BeckOGK/Vossler, Stand 01.06.2023, § 134 Rn. 51).
Für den Bereich der Heimpflege ist anerkannt, dass § 14 HeimG aF und ihm folgend die entsprechenden landesgesetzlichen Regelungen - für Hessen derzeit § 6 HBPG - Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB darstellen und ein Verstoß die Nichtigkeitsfolge auslösen kann. So hat das Bundesverfassungsgericht das in § 14 HeimG enthaltene Testierverbot bzw. das Verbot der testamentarischen Vorteilsnahme als verhältnismäßige Einschränkung der Testierfreiheit bestätigt (BVerfG, NJW 1998, 2964, juris Rn. 7). Dies hat es zum einen mit dem Schutzzweck des § 14 HeimG begründet, welcher gerade auch die Testierfreiheit selbst schützen soll. Denn mit diesem solle verhindert werden, dass die Hilf- oder Arglosigkeit alter und pflegebedürftiger Menschen in finanzieller Hinsicht ausgenutzt wird und das Recht auf freie Verfügung von Todes wegen durch offenen oder versteckten Druck faktisch gefährdet wird. Zudem solle der Heimfriede geschützt werden (BVerfG, aaO, Rn. 8). Desweiteren hat das Bundesverfassungsgericht die Regelung auch deshalb als verhältnismäßig im engeren Sinne angesehen, weil es zum einen einer „stillen“ Anordnung nicht entgegensteht zum anderen aber für den Fall, dass der Testierende seinen Willen mitteilen möchte, eine Erlaubnis der Zuwendung beantragt werden kann. Da der Betroffene einen Anspruch auf Genehmigung habe, wenn seine Zuwendung nicht dem Zweck des § 14 HeimG widerspricht, stelle die Durchführung eines solchen vorherigen Erlaubnisverfahrens keine unzumutbare Belastung dar, zumal die Einschaltung der Heimaufsichtsbehörde auch der Überprüfung der Freiwilligkeit des Testierentschlusses diene (BVerfG, aaO, Rn. 10).
Diese zur Heimpflege entwickelten Grundsätze sind auf die Auslegung der standesrechtlichen Vorschriften der Ärztekammer jedoch nicht in gleichen Umfang übertragbar. Der Schutzzweck des § 14 HeimG berührt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Testierfreiheit selbst. § 32 BO-Ä richtet sich an den Arzt und soll dessen Beeinflussung durch den Patienten - oder Dritte - ausschließen und gewährleisten, dass der Arzt sich bei seinen Entscheidungen von medizinischen und nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt. Damit zielt er in erster Linie auf das Verbot der Annahme durch den Arzt ab.
Die mögliche Nichtigkeitsfolge bei einem zweiseitigen Rechtsgeschäft hängt auch davon ab, ob sich ein gesetzliches Verbot gegen beide Vertragsparteien oder gegen nur einen der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten richtet. Soweit beide Vertragsteile Adressat der Verbotsnorm sind, ist grundsätzlich von der Nichtigkeit auszugehen, während bei einem einseitigen Verstoß die Wirksamkeit in der Regel unberührt bleiben soll (BGH NJW 2014, 3568). Überträgt man diesen Grundsatz auf die Testamentserrichtung im Einvernehmen mit dem Erben, so ist ausgehend von der Adressierung der berufsständischen Regelungen an die Ärzte als Mitglieder der Ärztekammer, eine Nichtigkeit der Testierung nicht zu rechtfertigen. Insoweit besteht auch keine Vergleichbarkeit mit den Regelungen in § 14 HeimG a.F. bzw. § 6 HBPG, von deren Schutzzweck auch die Testierenden erfasst werden und insoweit Adressat der Regelungen sind. Eine Berufsordnung ist nicht geeignet, einen Eingriff in die Testierfreiheit außenstehender Dritter zu begründen.
Würde man § 32 BO-Ä auch als gegenüber dem Testierenden wirkendes Testierverbot auslegen, dann würde diesem zudem die Möglichkeit, ein offenes Testament zu errichten, versagt werden. Eine Genehmigung der Zuwendung durch die Aufsichtsbehörde ist nicht vorgesehen. Dann wäre nur eine stille Testierung zulässig. Dies würde bereits eine unverhältnismäßige Einschränkung der Testierfreiheit begründen (vgl. zur etwaigen Verfassungswidrigkeit landesgesetzlicher Heimgesetzregelungen ohne Genehmigungsvorbehalt: Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht, 2. Aufl. 2019, § 14 HeimG, Rn. 7 mwN).
§ 32 BO-Ä ist daher verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass dieses kein Testierverbot gegenüber der ein Testament errichtenden Person enthält und ein Verstoß des Arztes nicht zur Nichtigkeit des Testaments führt (ebenso Plantzolz/Rochon, FamRZ 2001, 270, 272; für Testamente Spickhoff/Scholz, aaO, Rn. 2 - anders bei Erbvertrag als zweiseitiges Rechtsgeschäft).
dd) Die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) ist auch nicht als sittenwidrig i.S.d. § 138 BGB anzusehen. Dies kann bereits nur in besonderen Ausnahmefällen angenommen werden. Hierfür reicht ein etwaiges standeswidriges Verhalten nicht aus. Es bestehen darüber hinaus keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte zu 2) eine Zwangslage, die Unerfahrenheit oder eine Willensschwäche der Erblasserin ausgenutzt und diese zu der entsprechenden Testierung veranlasst hätte. Hiergegen spricht, dass die Erblasserin den Beteiligten zu 2) als Vertrauten angesehen hat, wie sich aus den ihm bereits seit vielen Jahren erteilten Vollmachten ergibt. Hiervon ausgehend hat die Erblasserin den Beteiligten zu 2) nicht in erster Linie in seiner Rolle als Arzt, sondern als Vertrauten zum Erben eingesetzt. Dies spiegelt sich auch darin wieder, dass der Beteiligten zu 2) bereits seit dem Testament vom 30.06.2017 als Erbe eingesetzt war, ohne hiervon Kenntnis erlangt zu haben.
c) Die Erbfolge richtet sich daher insgesamt nach dem wirksamen Testament vom 20.09.2021. Der Beteiligte zu 3) hat, wie bereits das Nachlassgericht zutreffend ausgeführt hat, mit seiner handschriftlichen Erklärung nicht wirksam auf seinen Erbanteil verzichtet.
Es liegen auch nicht zwei verschiedene, sondern zwei inhaltsgleiche Testamente vom 20.09.2021 vor. Das Originaltestament ist erkennbar das von dem Beteiligten zu 2) bestätigte Testament. Dieses wollte die Erblasserin als ihren letzten Willen ansehen. Die weitere Ausfertigung, die sich im Besitz des Beteiligten zu 1) befunden hat, ist zudem inhaltlich identisch, so dass sich aus dieser nichts anderes ergibt.
Da die Erteilung des Erbscheins dem Nachlassgericht obliegt, war dieses entsprechend anzuweisen.
Der hiervon abweichende Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) war danach zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht für beide Instanzen auf § 81 Abs. 1 und 2 FamFG.
Danach entspricht es billigem Ermessen, die erstinstanzlich entstandenen gerichtlichen Kosten zu teilen. Die Beteiligten zu 2), 3) und 5) haben als Antragsteller die für die Erteilung des Erbscheins entstehenden gerichtlichen Kosten als Gesamtschuldner zu tragen (§§ 22,32 GNotKG), während der Beteiligte zu 1) mit der Zurückweisung seines Erbscheinsantrag unterlegen ist. Angesichts des Erfolgs der Beschwerde war von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren abzusehen. Im Übrigen entspricht es billigem Ermessen, dass die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen. Dabei war in beiden Instanzen zu berücksichtigen, dass es sich im vorliegenden Verfahren um eine offene Rechtsfrage gehandelt hat und der Ausgang des Verfahrens für alle Beteiligten ungewiss war.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. Die Frage, ob ein Verstoß des Arztes gegen § 32 BO-Ä zur Nichtigkeit einer testamentarischen Erbeinsetzung führt, hat grundsätzliche Bedeutung für eine Vielzahl von Verfahren. Sie ist bislang obergerichtlich noch nicht entschieden worden (offengelassen für einen Erbvertrag: OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2021 - 10 W 125/19, juris Rn. 81).
Die Festsetzung eines Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren ist nicht veranlasst.
21.12.2023
Tenor
Auf die befristete Beschwerde des Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Nachlassgerichts Kassel vom 24.05.2023 abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die für die Erteilung des von den Beteiligten zu 2), 3) und 5) beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen werden für festgestellt erachtet.
Das Nachlassgericht wird angewiesen, den Beteiligten zu 2), 3) und 5) einen Erbschein entsprechend des Antrags vom 06.11.2022 zu erteilen.
Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten zu 2), 3) und 5) tragen die Hälfte der gerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens als Gesamtschuldner, der Beteiligte zu 1) die weitere Hälfte der Gerichtskosten. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Erblasserin war verwitwet und kinderlos. Die einzige Schwester der Erblasserin verstarb im November 2016. Bei den Beteiligten zu 1) und 4) handelt es sich um Cousins der Erblasserin, die Beteiligte zu 6) ist die Ehefrau des Beteiligten zu 1). Der Beteiligte zu 2) war seit 1997 der Hausarzt der Erblasserin. Diese hatte dem Beteiligten zu 2) im Jahr 2017 eine Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht erteilt (Bl. 251 R d.A.). Der Beteiligte zu 3) ist ein Nachbar der Erblasserin, dessen Tochter die Erblasserin pflegerisch unterstützt hatte. Die Beteiligte zu 5) ist eine Freundin der Erblasserin, die sich in den letzten Monaten um die Erblasserin gekümmert hatte.
Die Erblasserin hatte verschiedene handschriftliche Testamente errichtet.
Ein mit ihrem vorverstorbenen Ehemann errichtetes gemeinschaftliches Testament vom 20.05.2011 enthielt keine Regelungen für den Tod des Längstlebenden (Bl. 17 d. Beiakte)
Nach dem Tod ihrer noch im Testament vom 08.12.2014 (Bl. 177 d.A.) als Erbin vorgesehenen Schwester hatte die Erblasserin mit Testament vom 30.06.2017 u.a. die Beteiligten zu 1), 4) und 6) in Höhe von 20 % und den Beteiligten zu 2) in Höhe von 10 % als Erben berücksichtigt. Wegen der Verfügungen im Einzelnen wird auf das Testament (Bl. 41,112 d.A.) Bezug genommen, welches nur noch in Kopie vorliegt und nicht eröffnet wurde (Bl. 113 R d.A.).
Ein in Kopie vorliegendes Testaments vom 09.09.2018 enthielt Verfügungen zugunsten von 5 Miterben zu jeweils 20 %, darunter die Beteiligten zu 1), 2), 4) und 6) (Bl. 168, 321 d.A.). Ein privatschriftliches Testament vom 31.07.2019 wurde am 12.10.2021 aus der amtlichen Verwahrung genommen (Bl. 7,8 d.A.) und liegt noch in Kopie vor (Bl. 169 d.A.). Darin waren die Beteiligten zu 1) und 4) als Miterben zu 30 % sowie die Beteiligten zu 2) und 5) als Miterben zu 20 % vorgesehen.
In dem den Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens bildenden Testament vom 20.09.2021 hatte die Erblasserin die Beteiligten zu 1) bis 5) jeweils zu Erben in Höhe von 20 % eingesetzt. Auf dem Testament hatte der Beteiligte zu 2) bestätigt, dass die Erblasserin das Testament im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte angefertigt hat (Bl. 60 d.A.). Dieses Testament hatte die Erblasserin in amtliche Verwahrung gegeben (Bl. 4, 61 d.A.) und es wurde am 04.10.2022 eröffnet (Bl. 59 d.A.). Der Beteiligte zu 1) war im Besitz einer weiteren Version des Testaments vom 20.09.2021 ohne den Bestätigungsvermerk und einer Korrektur des Datums, welches in Kopie vorliegt (Bl. 40 d.A.).
Desweiteren hatte die Erblasserin am 16.07.2018 dem Beteiligten zu 2) mit der Bezeichnung als Betreuer eine Vollmacht über ihr Barvermögen erteilt und Anordnungen für die Verteilung verbliebenen Geldes nach ihrem Tode getroffen (Bl. 153 d.A.), worauf in dem Testament vom 20.09.2021 Bezug genommen wurde.
Noch vor dem Tod der Erblasserin hatte der Beteiligte zu 5) in einer seiner Tochter übergebenen Erklärung vom 15.07.2022 ausgeführt, auf ein Erbe nach der Erblasserin zugunsten seiner Tochter zu verzichten (Bl. 24 d.A.).
Der Beteiligte zu 1) erklärte mit Schreiben vom 13.09.2022 (Bl. 37 d.A.) die Anfechtung des Testaments vom 20.09.2021 und beantragte einen Erbschein über 50 %. Hierbei hat er Zweifel an der Testierfähigkeit der Erblasserin geäußert und die Auffassung vertreten, dass Betreuer kein Erbe antreten dürften. Die Erblasserin sei zunehmend verwirrt gewesen und habe sich bestohlen gefühlt und Angst gehabt, vergiftet zu werden. Zudem würde es zwei Testamente vom 20.09.2021 geben, eines mit den Zusätzen des Arztes und ohne durchgestrichenem Tag und eines ohne Zusätze des Arztes aber mit durchgestrichenem Tag. Des Weiteren läge hinsichtlich der Einsetzung des Beteiligten zu 2) ein Verstoß gegen § 32 der ärztlichen Berufsordnung (BO-Ä) vor.
Sodann beantragte der Beteiligte zu 1) mit notarieller Urkunde vom 24.10.2022 (Bl. 85 ff d.A.) die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins auf der Grundlage des Testaments vom 30.06.2017 unter Hinweis auf seine erklärte Anfechtung des Testaments vom 20.09.2021.
Die Beteiligten zu 2), 3) und 5) beantragten ihrerseits mit notarieller Urkunde vom 06.11.2022 (Bl. 137 d.A.) die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins auf der Grundlage des Testaments vom 20.09.2021. Der Beteiligte zu 2) hat geltend gemacht, der körperliche und geistige Gesundheitszustand der Erblasserin sei bis März 2022 altersentsprechend gewesen und sie habe erst nach einem Krankenhausaufenthalt im April 2022 im A-Krankenhaus abgebaut. Daraufhin sei sie in ein Altenheim zur Kurzzeitpflege gebracht worden. Nach Erholung sei sie ihrem Wunsch entsprechend in die Wohnung zurückgekehrt, wo die Tochter des Beteiligten zu 3) diese unter Einbeziehung eines Pflegedienstes betreut habe. Ende Juli 2022 sei sie im Anschluss an eine Corona Erkrankung erneut in ein Pflegeheim verbracht worden. Bei dem Termin vor der Rechtspflegerin am 12.10.2021 habe diese nach einem Gespräch keinen Zweifel an der Testierfähigkeit gehabt.
Nach wechselseitigen Widersprüchen und einem Hinweis des Nachlassgerichts zu den Erfolgsaussichten der Erbscheinsanträge mit Verfügung vom 12.12.2022 (Bl. 181 d.A.) hat das Nachlassgericht mit dem angefochtenen Beschluss beide Erbscheinsanträge zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Testament aus dem Jahr 2017 sei durch das Testament aus dem Jahr 2021 wirksam widerrufen worden. Hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit der Erblasserin, die Anlass zu Ermittlungen von Amts wegen geben würden, lägen nicht vor. Das Testament aus dem Jahr 2021 sei allerdings teilweise unwirksam, da die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) gemäß § 32 Berufsordnung der Ärzte i.V.m. §§ 17,19 Hessisches Heilberufsgesetz gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB verstoßen würde. Hinsichtlich der Auslegung des § 32 der Berufsordnung der Ärzte seien die zu § 14 HeimG entwickelten Grundsätze anzuwenden. Dem Beteiligten zu 2) sei seine Erbeinsetzung bekannt gewesen. Die Teilunwirksamkeit führe gemäß § 2085 BGB nicht zur Unwirksamkeit des Testaments im Übrigen, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass die Erblasserin die übrigen Verfügungen ohne die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) nicht getroffen haben würde. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Beschluss vom 24.05.2023 (Bl. 293 d.A.) Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss, der dem Beteiligten zu 2) am 12.06.2023 zugestellt worden ist (Bl. 302 d.A.), hat dieser am 12.07.2023 Beschwerde eingelegt (Bl. 308,309 ff d.A.). Er macht geltend, es sei schon zweifelhaft, ob der Berufsordnung Gesetzesqualität i.S.d. § 134 BGB zukomme. Keinesfalls habe er jedoch den Eindruck erweckt, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinträchtigt werde. Eine Beeinflussung der Erblasserin sei nicht erfolgt, diese sei von sich aus bei ihm mit dem Testament vorstellig geworden und habe um Bestätigung gebeten. Er sei für die Erblasserin eine wichtige Vertrauensperson und insoweit bereits im Testament aus dem Jahr 2018 bedacht gewesen. Dass durch den Zusatz auf dem Testament im Jahr 2021 die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst werde, sei daher bereits abwegig. Des Weiteren hat er die Betreuungsverfügung vom 28.11.2017 (Bl. 324 d.A.) sowie einen - verschlüsselten - Ausdruck der Patientenakte der Erblasserin vorgelegt.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 24.07.2023 nicht abgeholfen, sondern das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 327 d.A.). Zur Begründung hat es ausgeführt, es komme nicht darauf an, ob es tatsächlich zu einer Beeinflussung gekommen sei.
Der Beteiligte zu 1) ist der Beschwerde entgegengetreten. Er ist der Auffassung, diese setze sich schon nicht mit der Entscheidung auseinander, welches zur Unzulässigkeit führe. Der Beteiligte zu 2) habe standeswidrig gehandelt.
Nach einem Hinweis der Berichterstatterin vom 28.08.2023 zu den Erfolgsaussichten der Beschwerde (Bl. 339 ff d.A.) hat der Beteiligte zu 2) einen unverschlüsselten Ausdruck der Patientenakte für die Jahre 2021 und 2022 vorgelegt.
Der Beteiligte zu 1) hat die Vollständigkeit der Patientenakte wegen vorgenommener Filterungen angezweifelt. Zudem wäre der Befund des A-Krankenhaus vom 28.01.2022 nicht vorgelegt worden, aus dem hervorgehe, dass der Erblasserin eine häusliche Versorgung empfohlen worden sei.
Wegen des weiteren Vorbringens im Beschwerdeverfahren wird auf die eingereichten Schriftsätze verwiesen.
II.
Auf die zulässige Beschwerde war der Beschluss des Nachlassgerichts abzuändern.
Die Erbfolge richtet sich nach dem Testament vom 20.09.2021, so dass dem Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2), 3) und 5) zu entsprechen war.
1. Die gemäß § 58 FamFG statthafte Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist zulässig und insbesondere fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses beim Nachlassgericht eingegangen, § 63 FamFG. Zudem ist der Beteiligte zu 2) als Mit-Antragsteller und Erbprätendent beschwerdebefugt (vgl. Sternal/Jokisch, FamFG, 2023, § 59 Rn 79).
2. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
a) Das Testament vom 20.09.2021 ist von der Erblasserin wirksam errichtet worden. Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments testierunfähig i.S.d. § 2229 BGB gewesen war.
Von einer Testierunfähigkeit ist nach § 2229 Abs. 4 BGB auszugehen, wenn der Erblasser wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, ist ein Erblasser unabhängig vom Alter bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen. Daher muss die Testierunfähigkeit zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen (Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Auflage 2023, § 2229, Rn. 11).
Konkrete Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit begründen zunächst nur die Notwendigkeit von Ermittlungen von Amts wegen und gegebenenfalls zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, soweit hinreichend belastbare medizinische Erkenntnisse vorliegen (Grüneberg/Weidlich, BGB, 2023, § 2229, Rn. 12). Für die Feststellung der Testierunfähigkeit ist auch nicht allein die Diagnose einer krankhaften Störung ausreichend, sondern es ist darüberhinausgehend erforderlich, dass aufgrund der krankhaften Störung eine Einsichtsfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Insbesondere begründet die Diagnose einer Demenz als solcher keinen Beweis für eine Testierunfähigkeit. Regelmäßig kommt auch bei einer gesicherten Diagnose einer Demenz die Annahme einer Testierunfähigkeit erst in Betracht, wenn der Erblasser konkrete Verhaltensauffälligkeiten aufweist, die den sicheren Schluss auf eine mangelnde Einsichtsfähigkeit zulassen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 23.01.2018 - 20 W 4/16, juris Rn. 42; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.04.2014, 3 Wx 115/12, juris Rn. 9). Zwar kann aus dokumentierten Befunden und Verhaltensbeobachtungen vor und nach der Testamentserrichtung das Vorliegen einer Testierunfähigkeit bei Demenzerkrankungen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung abgeleitet werden. Erforderlich hierfür ist jedoch, dass mindestens für einen Zeitpunkt vor und mindestens einen Zeitpunkt nach der fraglichen Testamentserrichtung krankheitswertige Zustände belegt sein müssen, bei denen die Voraussetzungen für eine freie Willensbildung nicht mehr gegeben waren (OLG Hamburg, Beschluss vom 20.02.2018 - 20 W 63/17, juris Rn. 38; Cording, ZEV 2010, 115, 120).
Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen vorliegend schon keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung im September 2021 unter einer die Einsichtsfähigkeit beeinträchtigenden krankhaften Störung der Geistestätigkeit i.S.d. § 2229 Abs. 4 BGB gelitten hatte. Eine entsprechende Diagnose, etwa einer dementiellen Entwicklung, ist nicht dokumentiert. Die Erblasserin wird in den vorgelegten ärztlichen Befundberichten jeweils als „orientiert“ beschrieben. Die zeitlich nach der Testamentserrichtung liegenden Befunde des A-Krankenhauses vom 23.03.2022 sowie vom 11.04.2022 bieten keine konkreten Anhaltspunkte für eine etwaige Veränderung der kognitiven Fähigkeiten der Erblasserin. Vielmehr wird in beiden Befunden ein Gespräch mit der Erblasserin betreffend die häusliche Pflegesituation dargestellt, ohne dass in diesem Zusammenhang Zweifel an dem Erfassen der Situation angeführt worden wären. Der Befund des Klinikums Stadt1 vom 01.06.2022 beschreibt die Erblasserin weiterhin als „orientierte Patientin“. Der von dem Beteiligten zu 1) vorgelegte Befund des A-Krankenhauses vom 28.01.2022 enthält ebenfalls die Angabe „orientiert“. Der Umstand, dass der schwer herzkranken Erblasserin eine häusliche Pflege empfohlen wurde, ist ohne weiteres nachvollziehbar und bietet keinen Anlass für Zweifel an den geistigen Fähigkeiten der Erblasserin. Aus der Patientenakte der Erblasserin für die Jahre 2021 und 2022 lassen sich keine Anhaltspunkte für neurologische Defizite oder in diesem Zusammenhang veranlasste Untersuchungen entnehmen. Dabei hat der Senat keine Zweifel daran, dass es sich bei dem Ausdruck um die vollständige Patientenakte handelt, welche einmal gefiltert nach Dauerdiagnosen und einmal gefiltert nach sonstigen Diagnosen vorgelegt wurde.
Die Rechtspflegerin bei dem Nachlassgericht hatte anlässlich des Termins am 12.10.2021 nur 3 Wochen nach der Testamentserrichtung keinen Anlass zu Zweifeln an der Testierfähigkeit gesehen, auch wenn den Wahrnehmungen medizinischer Laien nur eine begrenzte Aussagekraft zukommt. Der Inhalt und die Ausgestaltung des Testamentes bieten ebenfalls keinen Anlass, Zweifel aufkommen zu lassen. Dieses entspricht im Kern den vorangegangenen Testamenten, mit denen jeweils einzelne Miterben sowie Erbquoten verändert wurden, ohne dass sich die Testierung insgesamt wesentlich verändert hätte. Konkrete Verhaltensauffälligkeiten der Erblasserin im September 2021 werden von dem Beteiligten zu 1) schon nicht vorgetragen. Soweit einzelne Episoden aus der Vergangenheit geschildert wurden, bei denen die Erblasserin sich bestohlen gefühlt hatte oder durch den Tod der Schwester psychisch belastet war, sind solche singulären Ereignisse nicht geeignet, eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit i.S.d. § 2229 Abs. 4 BGB im Zeitpunkt der Testamentserrichtung begründen zu können.
Vor diesem Hintergrund bestehen schon keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen einer geistigen Beeinträchtigung der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Weitere Ermittlungen von Amts in diesem Zusammenhang sind nicht veranlasst.
b) Das Testament vom 20.09.2021 ist entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts insgesamt wirksam und nicht gemäß § 134 BGB i.V.m. § 32 der Berufsordnung der hessischen Ärztekammer (BO-Ä) betreffend die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) teilnichtig. Zwar ist § 32 BO-Ä als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB anzusehen. Allerdings ergibt eine verfassungskonforme Auslegung, dass ein etwaiger Verstoß des Arztes nicht die Nichtigkeit der Testierung durch den Erblasser nach sich zieht.
aa) Gemäß § 32 Abs. 1 BO-Ä ist es „Ärztinnen und Ärzten nicht gestattet, von Patientinnen und Patienten (…) Geschenke oder andere Vorteile (…) sich versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird“.
Dabei ist eine testamentarische Zuwendung - entsprechend der zu § 14 HeimG entwickelten Grundsätze - als „anderer Vorteil“ anzusehen, wobei die Zuwendung dann einen Verstoß darstellen kann, wenn diese dem Arzt bekannt und er mit dieser einverstanden war (BerufsG Berlin, BeckRS 2015,54659; Plantzholz/Rochon, FamRZ 2001, 270, Ziff. III 2).
bb) § 32 BO-Ä ist in Übereinstimmung mit dem Nachlassgericht als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB anzusehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können auch Vorschriften berufsständischer Satzungen von Selbstverwaltungskörperschaften Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB sein. Dies hat der Bundesgerichtshof für die Regelung in § 31 der BO der Ärztekammer Westfalen-Lippe (BGH NJW-RR 2003,1175, zit. nach juris Rn. 8) und § 8 Abs. 5 der BO für die bayerischen Zahnärzte (BGH NJW-RR 2022, 336) bejaht. Dabei beruhen die landesgesetzlichen Regelungen jeweils auf einer einheitlichen Musterordnung, so dass diese in den Ländern im Wesentlichen inhaltlich übereinstimmen. Entsprechend ist auch § 32 BO-Ä als Verbotsgesetz einzustufen, da die §§ 31,32 BO-Ä beide Konkretisierungen der allgemeinen Vorschrift des § 30 BO-Ä darstellen, die auf die Sicherung der Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung gerichtet sind.
Gemäß § 30 BO-Ä sind Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, in allen vertraglichen und sonstigen beruflichen Beziehungen zu Dritten ihre ärztliche Unabhängigkeit für die Behandlung der Patientinnen und Patienten zu wahren. Nach § 31 BO-Ä ist die Zuweisung von Patienten gegen Gewährung von Vorteilen untersagt. Schutzzweck dieser Vorschrift ist, dass sich der Arzt in seiner Entscheidung, welchem anderen Arzt er Patienten zuweist, nicht von vornherein gegen Entgelt bindet, sondern diese Entscheidung allein aufgrund medizinischer Erwägungen im Interesse des Patienten trifft (BGH NJW 1986, 2360). Schutzgut der Regelung in § 32 BO-Ä ist ebenfalls das auf die Ärzteschaft allgemein bezogene Vertrauen in die Freiheit und Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen und damit auch das Ansehen und die Integrität der Ärzteschaft im Allgemeinen (Ärztegerichtshof des Saarlandes, MedR 2011,752, zit. nach juris Rn. 21; Spickhoff/Scholz, Medizinrecht, 4. Aufl. 2022, MBO-Ä 1997 § 32 Rn. 1).
cc) Es kann dahinstehen, ob dem Beteiligten zu 2) ein standesrechtlicher Verstoß gegen § 32 BO-Ä vorzuwerfen wäre. Zwar hatte er Kenntnis von der Erbeinsetzung, da er auf dem Testament die Testierfähigkeit der Erblasserin auf deren Wunsch hin bestätigt hatte. Darin ist auch zugleich die Erklärung seines Einverständnisses zu sehen, so dass er sich einen Vorteil hat „versprechen lassen“. Ob die Zuwendung geeignet war, den Eindruck zu erwecken, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird, kann vorliegend indes offenbleiben.
dd) Denn ein Verstoß des Beteiligten zu 2) gegen § 32 BO-Ä würde nicht zur Nichtigkeit des Testaments führen. § 32 BO-Ä kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass dieses ein auch an den Testierenden gerichtetes Testierverbot enthält. Eine solche Auslegung würde einen unangemessenen Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Testierfreiheit darstellen.
Ob der Verstoß gegen das Verbotsgesetz die Nichtigkeitsfolge auslöst, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei dem Normzweck eine entscheidende Rolle zukommt (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 2023, § 134 Rn. 6; BeckOGK/Vossler, Stand 01.06.2023, § 134 Rn. 51).
Für den Bereich der Heimpflege ist anerkannt, dass § 14 HeimG aF und ihm folgend die entsprechenden landesgesetzlichen Regelungen - für Hessen derzeit § 6 HBPG - Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB darstellen und ein Verstoß die Nichtigkeitsfolge auslösen kann. So hat das Bundesverfassungsgericht das in § 14 HeimG enthaltene Testierverbot bzw. das Verbot der testamentarischen Vorteilsnahme als verhältnismäßige Einschränkung der Testierfreiheit bestätigt (BVerfG, NJW 1998, 2964, juris Rn. 7). Dies hat es zum einen mit dem Schutzzweck des § 14 HeimG begründet, welcher gerade auch die Testierfreiheit selbst schützen soll. Denn mit diesem solle verhindert werden, dass die Hilf- oder Arglosigkeit alter und pflegebedürftiger Menschen in finanzieller Hinsicht ausgenutzt wird und das Recht auf freie Verfügung von Todes wegen durch offenen oder versteckten Druck faktisch gefährdet wird. Zudem solle der Heimfriede geschützt werden (BVerfG, aaO, Rn. 8). Desweiteren hat das Bundesverfassungsgericht die Regelung auch deshalb als verhältnismäßig im engeren Sinne angesehen, weil es zum einen einer „stillen“ Anordnung nicht entgegensteht zum anderen aber für den Fall, dass der Testierende seinen Willen mitteilen möchte, eine Erlaubnis der Zuwendung beantragt werden kann. Da der Betroffene einen Anspruch auf Genehmigung habe, wenn seine Zuwendung nicht dem Zweck des § 14 HeimG widerspricht, stelle die Durchführung eines solchen vorherigen Erlaubnisverfahrens keine unzumutbare Belastung dar, zumal die Einschaltung der Heimaufsichtsbehörde auch der Überprüfung der Freiwilligkeit des Testierentschlusses diene (BVerfG, aaO, Rn. 10).
Diese zur Heimpflege entwickelten Grundsätze sind auf die Auslegung der standesrechtlichen Vorschriften der Ärztekammer jedoch nicht in gleichen Umfang übertragbar. Der Schutzzweck des § 14 HeimG berührt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Testierfreiheit selbst. § 32 BO-Ä richtet sich an den Arzt und soll dessen Beeinflussung durch den Patienten - oder Dritte - ausschließen und gewährleisten, dass der Arzt sich bei seinen Entscheidungen von medizinischen und nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt. Damit zielt er in erster Linie auf das Verbot der Annahme durch den Arzt ab.
Die mögliche Nichtigkeitsfolge bei einem zweiseitigen Rechtsgeschäft hängt auch davon ab, ob sich ein gesetzliches Verbot gegen beide Vertragsparteien oder gegen nur einen der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten richtet. Soweit beide Vertragsteile Adressat der Verbotsnorm sind, ist grundsätzlich von der Nichtigkeit auszugehen, während bei einem einseitigen Verstoß die Wirksamkeit in der Regel unberührt bleiben soll (BGH NJW 2014, 3568). Überträgt man diesen Grundsatz auf die Testamentserrichtung im Einvernehmen mit dem Erben, so ist ausgehend von der Adressierung der berufsständischen Regelungen an die Ärzte als Mitglieder der Ärztekammer, eine Nichtigkeit der Testierung nicht zu rechtfertigen. Insoweit besteht auch keine Vergleichbarkeit mit den Regelungen in § 14 HeimG a.F. bzw. § 6 HBPG, von deren Schutzzweck auch die Testierenden erfasst werden und insoweit Adressat der Regelungen sind. Eine Berufsordnung ist nicht geeignet, einen Eingriff in die Testierfreiheit außenstehender Dritter zu begründen.
Würde man § 32 BO-Ä auch als gegenüber dem Testierenden wirkendes Testierverbot auslegen, dann würde diesem zudem die Möglichkeit, ein offenes Testament zu errichten, versagt werden. Eine Genehmigung der Zuwendung durch die Aufsichtsbehörde ist nicht vorgesehen. Dann wäre nur eine stille Testierung zulässig. Dies würde bereits eine unverhältnismäßige Einschränkung der Testierfreiheit begründen (vgl. zur etwaigen Verfassungswidrigkeit landesgesetzlicher Heimgesetzregelungen ohne Genehmigungsvorbehalt: Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht, 2. Aufl. 2019, § 14 HeimG, Rn. 7 mwN).
§ 32 BO-Ä ist daher verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass dieses kein Testierverbot gegenüber der ein Testament errichtenden Person enthält und ein Verstoß des Arztes nicht zur Nichtigkeit des Testaments führt (ebenso Plantzolz/Rochon, FamRZ 2001, 270, 272; für Testamente Spickhoff/Scholz, aaO, Rn. 2 - anders bei Erbvertrag als zweiseitiges Rechtsgeschäft).
dd) Die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) ist auch nicht als sittenwidrig i.S.d. § 138 BGB anzusehen. Dies kann bereits nur in besonderen Ausnahmefällen angenommen werden. Hierfür reicht ein etwaiges standeswidriges Verhalten nicht aus. Es bestehen darüber hinaus keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte zu 2) eine Zwangslage, die Unerfahrenheit oder eine Willensschwäche der Erblasserin ausgenutzt und diese zu der entsprechenden Testierung veranlasst hätte. Hiergegen spricht, dass die Erblasserin den Beteiligten zu 2) als Vertrauten angesehen hat, wie sich aus den ihm bereits seit vielen Jahren erteilten Vollmachten ergibt. Hiervon ausgehend hat die Erblasserin den Beteiligten zu 2) nicht in erster Linie in seiner Rolle als Arzt, sondern als Vertrauten zum Erben eingesetzt. Dies spiegelt sich auch darin wieder, dass der Beteiligten zu 2) bereits seit dem Testament vom 30.06.2017 als Erbe eingesetzt war, ohne hiervon Kenntnis erlangt zu haben.
c) Die Erbfolge richtet sich daher insgesamt nach dem wirksamen Testament vom 20.09.2021. Der Beteiligte zu 3) hat, wie bereits das Nachlassgericht zutreffend ausgeführt hat, mit seiner handschriftlichen Erklärung nicht wirksam auf seinen Erbanteil verzichtet.
Es liegen auch nicht zwei verschiedene, sondern zwei inhaltsgleiche Testamente vom 20.09.2021 vor. Das Originaltestament ist erkennbar das von dem Beteiligten zu 2) bestätigte Testament. Dieses wollte die Erblasserin als ihren letzten Willen ansehen. Die weitere Ausfertigung, die sich im Besitz des Beteiligten zu 1) befunden hat, ist zudem inhaltlich identisch, so dass sich aus dieser nichts anderes ergibt.
Da die Erteilung des Erbscheins dem Nachlassgericht obliegt, war dieses entsprechend anzuweisen.
Der hiervon abweichende Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) war danach zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht für beide Instanzen auf § 81 Abs. 1 und 2 FamFG.
Danach entspricht es billigem Ermessen, die erstinstanzlich entstandenen gerichtlichen Kosten zu teilen. Die Beteiligten zu 2), 3) und 5) haben als Antragsteller die für die Erteilung des Erbscheins entstehenden gerichtlichen Kosten als Gesamtschuldner zu tragen (§§ 22,32 GNotKG), während der Beteiligte zu 1) mit der Zurückweisung seines Erbscheinsantrag unterlegen ist. Angesichts des Erfolgs der Beschwerde war von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren abzusehen. Im Übrigen entspricht es billigem Ermessen, dass die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen. Dabei war in beiden Instanzen zu berücksichtigen, dass es sich im vorliegenden Verfahren um eine offene Rechtsfrage gehandelt hat und der Ausgang des Verfahrens für alle Beteiligten ungewiss war.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. Die Frage, ob ein Verstoß des Arztes gegen § 32 BO-Ä zur Nichtigkeit einer testamentarischen Erbeinsetzung führt, hat grundsätzliche Bedeutung für eine Vielzahl von Verfahren. Sie ist bislang obergerichtlich noch nicht entschieden worden (offengelassen für einen Erbvertrag: OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2021 - 10 W 125/19, juris Rn. 81).
Die Festsetzung eines Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren ist nicht veranlasst.