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  • 09.04.2024 · IWW-Abrufnummer 240755

    Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Urteil vom 09.11.2023 – 6 U 82/23

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    OLG Frankfurt 6. Zivilsenat

    09.11.2023


    Tenor

    Das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 03.03.2023 - 3-10 O 4/23 - wird abgeändert:

    Der Beschluss - einstweilige Verfügung - vom 17.01.2023 wird aufgehoben und der Antrag auf seinen Erlass wird zurückgewiesen.

    Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

    Das Urteil ist rechtskräftig.

    Gründe

    I.

    Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung, das Verbot, ärztliche Leistungen mit Rabatten oder Sonderpreisen zu bewerben.

    Die Antragsgegnerin ist ein Unternehmen, das über eine von ihr entwickelte Plattform ärztliche Behandlungsleistungen im Zusammenhang mit der Behandlung mittels medizinischem Cannabis an Patienten vermittelt.

    Ihre Tätigkeit bewarb sie mit der Aufforderung: „Buche jetzt deine Termine und spare 20 %“ gemäß Anlage AST 3:

    Abbildung

    Im Rahmen dieser Werbeaktion übermittelten die Kooperationsärzte nach der Behandlung an die Antragsgegnerin die jeweilige Rechnung über ihre Gebührenforderung. Die Antragsgegnerin zog sodann im Rahmen der Rabattaktion von den betreffenden Gebührenforderungen 20 % ab und stellte den jeweiligen Kunden sodann die Rechnung im Namen der Kooperationsärzte aus.

    Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

    Ergänzend ist festzustellen, dass die Antragstellerin als beim Bundesamt der Justiz eingetragener qualifizierter Wirtschaftsverband nicht nur über 2000 Mitglieder, darunter circa 800 Verbände verfügt, sondern dass ihr außerdem neben der Bundesärztekammer, die Landesärztekammer Hessen und zahlreiche weitere Ärztekammern angehören.

    Das Landgericht hat der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Beschlussverfügung bei Meidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel verboten,

    geschäftlich handeln ärztliche Leistungen mit Rabatten oder Sonderpreisen zu bewerben, wenn dies geschieht wie in der Anlage AST 3:

    Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin hat das Landgericht die einstweilige Verfügung mit Urteil vom 03.03.2023 bestätigt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Rabattaktion sei eine unlautere Handlung in Form des Rechtsbruchtatbestandes, weil sie gegen §§ 1, 5 Abs. 2 und Abs. 1 GOÄ verstoße. Die Vorschriften der Gebührenordnung für Ärzte verfolgten im Interesse der Marktteilnehmer den Zweck, das Abrechnungsverhalten der Ärzte zu regeln und einen Preiswettbewerb unter den Ärzten zu verhindern. Nach den Vorschriften müssten Ärzte ihre ärztlichen Leistungen entsprechend den Kriterien der Gebührenordnung abrechnen und sich an der individuellen Leistung im jeweiligen Einzelfall orientieren. Eine pauschale Reduzierung der Gebühren vor der Erbringung der ärztlichen Behandlungsleistungen sei verboten.

    Das Urteil ist der Antragsgegnerin am 08.05.2023 zugestellt worden. Dagegen hat sie am 31.05.2023 Berufung eingelegt, die sie nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 28.07.2023 begründet hat.

    Die Antragsgegnerin behauptet, sie agiere wie eine privatärztliche Abrechnungsstelle. Sie lasse sich die Forderungen des jeweiligen Kooperationsarztes aus seinem Behandlungsvertrag abtreten. Sie zahle dem Arzt den vollen Rechnungsbetrag. Dem Patienten stelle sie im Auftrag des Arztes den um 20% verminderten Betrag in Rechnung. Die beworbenen 20% trage sie letztendlich selbst.

    Die Antragsgegnerin führt zur Begründung ihrer Berufung außerdem aus, dass sie in Ihrem Recht auf prozessuale Waffengleichheit verletzt worden sei. Durch die unzureichende Beteiligung vor Erlass der einstweiligen Verfügung habe sie ihre Verteidigung nicht von Anfang an auf die fehlende Aktivlegitimation der Antragstellerin stützen können. Zudem sei ihr entgangen, dass die Antragstellerin kein konkretes Datum der Kenntniserlangung der angegriffenen Handlung vorgetragen habe. Deshalb müsse sie diese Aspekte noch rügen können. Das Landgericht habe die Aktivlegitimation der Antragstellerin allein deshalb bejaht, weil diese in die Liste der klagebefugten Wirtschaftsverbände eingetragen sei. Die Antragstellerin müsse aber auch in erheblicher Zahl über Mitbewerber als Mitglieder verfügen, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art anböten. Dies werde mit Nichtwissen bestritten. Die Antragsgegnerin habe hierzu weder vorgetragen noch haben sie dies glaubhaft gemacht.

    Die Annahme des Landgerichts, dass ein Verstoß gegen die Gebührenordnung für Ärzte vorliege sei falsch. Das Landgericht habe übersehen, dass die nach der Rabattaktion in Rechnung gestellten Gebühren immer noch innerhalb des Gebührenrahmens lägen, den die Gebührenordnung festlege. Das Gericht übersehe auch, dass es gemäß § 2 GOÄ durch Vereinbarung möglich sei, eine abweichende Gebührenhöhe festzulegen. Aus diesem Grund könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Rabattaktion zu einem ruinösen Preiswettbewerb führen könne, der allein die Aktion wettbewerbswidrig machen könne. Das Urteil sei aber auch schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil die Gebührenordnung für Ärzte gar nicht auf die Antragsgegnerin anwendbar sei, weil sie keine Ärztegesellschaft sei.

    II.

    Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist begründet.

    Es kann dahinstehen, ob die Antragsgegnerin bei Erlass der einstweiligen Beschlussverfügung in ihrem Recht auf prozessuale Waffengleichheit verletzt worden ist. Jedenfalls im Rahmen des Widerspruchs- und des Berufungsverfahrens ist der Antragsgegnerin das notwendige rechtliches Gehör gewährt worden und sie hatte in gleicher Weise wie die Antragstellerin Gelegenheit, auf die richterliche Entscheidung Einfluss zu nehmen.

    Dem Erlass der einstweiligen Verfügung fehlt die notwendige Eilbedürftigkeit nicht. Für eine sog. Selbstwiderlegung durch zu langes Zuwarten der Antragstellerin zwischen Kenntniserlangung vom beanstandeten Wettbewerbsverstoß bis zur Antragseinreichung besteht kein Anhaltspunkt. Nach § 12 Abs. 1 UWG wird die Eilbedürftigkeit vermutet. Die Antragstellerin ist deshalb grundsätzlich nicht gehalten, von sich aus vorzutragen, zu welchem Zeitpunkt sie von dem angegriffenen Verhalten der Antragsgegnerin Kenntnis erlangt hat. Vortrag der Antragsgegnerin zur Frage der Dringlichkeit, der ausnahmsweise eine substantiierte Erwiderung der Antragstellerin notwendig machen könnte, fehlt. Die Antragsgegnerin verweist lediglich auf das Datum des Ausdrucks der Werbeanzeige in Anlage AST 3. Das ist der 30.12.2022. Der Eilantrag ist nach Abmahnung unter dem 02.01.2023 bereits am 13.01.2023 bei Gericht eingegangen und damit weit innerhalb der sechswöchigen Frist, ab der an eine Selbstwiderlegung zu denken ist.

    Die Antragstellerin ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt.

    Die Antragstellerin ist nicht nur in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände beim Bundesamt für Justiz eingetragen. Ihr gehört außerdem eine mehr als erhebliche Zahl von Unternehmen an, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Im vorliegenden Fall sind ärztliche Behandlungsleistungen betroffen. Der Antragstellerin gehören über die Bundesärztekammer mittelbar alle Ärzte in Deutschland an. Davon ist als unstreitig auszugehen. Die Antragsgegnerin hat zwar in der Berufungsschrift die Feststellung der Aktivlegitimation des Landgerichts in Frage gestellt. Dem daraufhin erfolgten Sachvortrag der Antragstellerin über die Mitgliedschaft der Ärztekammern ist sie jedoch nicht entgegengetreten.

    Der Eilantrag ist jedoch unbegründet.

    Das Landgericht hat allerdings mit zutreffender Begründung angenommen, dass ein pauschaler Nachlass auf die ärztlichen Behandlungskosten ohne persönliche Absprache zwischen Arzt und Patient wegen Verstoßes gegen §§ 1, 5 GOÄ verboten und gleichzeitig nach § 3a UWG wettbewerbswidrig ist, weil damit gesetzlichen Vorschriften zuwidergehandelt wird, die auch dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, das Interesse spürbar zu beeinträchtigen. Zutreffend hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Vorschriften der GOÄ bezwecken, das Abrechnungsverhalten der Ärzte im Interesse der Patienten zu regeln und einem ruinösen Preiswettbewerb der Ärzte im Interesse eines funktionierenden Gesundheitswesens entgegenzuwirken.

    Dem kann die Antragsgegnerin nicht entgegenhalten, dass sich die Honorarforderungen ihrer Kooperationsärzte trotz Pauschalrabatts noch innerhalb des von der GOÄ nach § 5 Abs. 1 (1) vorgesehenen Gebührenrahmens bewegt hätten. Entscheidend ist nur, dass die GOÄ die Ärzte sowohl bei der Bemessung ihres gesetzlichen Honorars als auch bei der Gebührenvereinbarung an den jeweiligen Einzelfall und an die persönliche Absprache mit dem Patienten bindet und damit jede Pauschalierung der ärztlichen Vergütung vor der Kontaktaufnahme mit dem Patienten ausscheidet. Damit wird jegliche Gebührenbemessung, die unabhängig von Behandlungsgeschehen und Patientenkontakt auf rein wirtschaftlichen Marketingerwägungen beruht, ausgeschlossen.

    Die Antragsgegnerin kann auch nicht damit gehört werden, dass der Preiswettbewerb, der aus ihrem Werbeangebot entstehen könnte, nicht ruinös sein könne, weil sie den möglichen Gebührenrahmen nicht unterschreite. Denn Zweck der GOÄ ist nicht, einen Preiswettbewerb erst zu verhindern, wenn er ruinös geworden ist, sondern ihn durch die Reglementierung des Abrechnungsverhaltens der Ärzte gar nicht erst entstehen zu lassen.

    Dem Unterlassungsanspruch steht jedoch entgegen, dass die Antragsgegnerin selbst den Regelungen der GOÄ nicht unterliegt.

    Wie der Senat bereits entschieden hat, sind Adressaten der GOÄ ausschließlich Ärzte als Vertragspartner der Patienten aus dem Behandlungsvertrag. Deshalb können Gesellschaften - wie eine Ärzte-GmbH - Preise frei vereinbaren, wenn sie den Behandlungsvertrag mit dem Patienten schließen und die geschuldete Behandlungsleistung durch einen angestellten Arzt oder einen Honorararzt erbringen, den nicht der Patient, sondern die Gesellschaft bezahlt (Beschl. v. 21.09.2023, 6 W 69/23).

    So liegt auch der vorliegende Fall.

    In Ergänzung und Vervollständigung des vom Landgericht festgestellten Sachverhalts ist in der Berufungsinstanz davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin nicht nur den jeweiligen Kooperationsarzt an den Patienten vermittelt und die Behandlung dem Patienten nach Abzug des 20%igen Rabatts im Auftrag - nicht im Namen - des Arztes in Rechnung stellt, sondern auch, dass die Antragsgegnerin den Arzt vollständig entsprechend den Regelungen der GOÄ bezahlt und den Rabatt selbst trägt. Den Vortrag hat die Antragsgegnerin durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung ihres Prokuristen vom 09.11.2023 glaubhaft gemacht. Umstände, die Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Versicherung oder der Glaubwürdigkeit des Prokuristen begründen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

    Der Umstand, dass - in Abweichung von der vom Bundesgerichtshof und vom Senat bereits entschiedenen Fallkonstellation - die Antragsgegnerin den Behandlungsvertrag mit den Patienten nicht selbst schließt, sondern der Behandlungsvertrag auf Vermittlung der Antragsgegnerin zwischen Kooperationsarzt und Patient zustande kommt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Entscheidend ist nur, dass der jeweilige Kooperationsarzt den von ihm nach der GOÄ korrekt in Rechnung gestellten Betrag vollständig erhält und folglich selbst nicht gegen die Vergütungsregelungen verstößt. Denn nur die Kooperationsärzte unterliegen den Vorschriften der GOÄ. Das bedeutet, dass die Antragsgegnerin selbst allein, mit einem anderen oder durch einen anderen den objektiven Tatbestand einer Zuwiderhandlung nicht verwirklichen kann, weil ihr die Täterqualifikation der Zugehörigkeit zum ärztlichen Berufsstand fehlt. Das folgt aus dem Umstand, dass sich die Frage, ob sich jemand als Täter, Mittäter, Anstifter oder Gehilfe in einer die zivilrechtliche Haftung begründenden Weise an einer deliktischen Handlung eines Dritten beteiligt hat, nach den im Strafrecht entwickelten Rechtsgrundsätzen beurteilt (vgl. BGH NJW 1975, 49; NJW 1984, 1226; GRUR 2011, 152 Rn. 30 - Kinderhochstühle im Internet I; GRUR 2011, 1018 Rn. 24 - Automobil-Onlinebörse; Urt. v. 18.06.2014, I ZR 242/12, Rn.13 - Geschäftsführerhaftung). Ein Unterlassungsanspruch wegen des angegriffenen wettbewerbswidrigen Verhaltens käme gegen die Antragsgegnerin deshalb nur unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen Teilnahme an einer von einem anderen vorsätzlich begangenen Haupttat in Betracht. Dass besondere persönliche Merkmale - hier die Zugehörigkeit zum Arztberuf - fehlen, schließt die Teilnahme nämlich nicht aus, wie aus § 28 Abs. 1 StGB folgt (vgl. auch Weidemann in: v. Heintschel-Heinegg, BeckOK StGB, 58. Edition, § 203 Rn. 62). Da aber die Kooperationsärzte der Antragsgegnerin ordnungsgemäß nach der Gebührenordnung für Ärzte abrechnen und das in Rechnung gestellte Behandlungshonorar vollständig erhalten, fehlt es an einer vorsätzlich begangenen Haupttat, so dass auch eine Haftung der Antragsgegnerin als Teilnehmerin ausscheidet.

    Dem allen kann nicht entgegengehalten werden, dass der Zweck der GOÄ, das Abrechnungsverhalten so zu regulieren, dass ruinöser Preiswettbewerb unter Ärzten verhindert wird, gebieten würde, die Vorschriften auch auf die Antragsgegnerin anzuwenden.

    Selbst wenn es sich bei der angegriffenen Rabattaktion nicht um eine bloß vorübergehende Marketingmaßnahme handeln sollte, ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung durch qualifizierte Ärzte in Gefahr geraten könnte, falls sich Unternehmen wie die Antragsgegnerin einem ruinösen Preiswettbewerb ausgesetzt sähen.

    Eine Intention der Gebührenordnung, zu verhindern, dass die Gebührenbemessung losgelöst von Behandlungsgeschehen und Patientenkontakt auf der Grundlage rein wirtschaftlicher Marketingerwägungen erfolgt und so möglicherweise dem Ansehen des Arztberufes geschadet wird, gebietet ebenfalls keine Ausdehnung ihres Anwendungsbereichs auf Unternehmen wie das der Antragsgegnerin. Sie könnte allenfalls eine Klarstellung gebieten, dass nicht der jeweilige Arzt, sondern allein die Antragsgegnerin den Rabatt gewährt, was allerdings nicht Streitgegenstand ist.

    Als unterlegene Partei hat gemäß § 91 ZPO die Antragstellerin die Kosten des Eilverfahrens zu tragen.

    RechtsgebietMedizinrechtVorschriften§§ 1, 5 GOÄ