30.03.2012 · IWW-Abrufnummer 120986
Sozialgericht Stuttgart: Urteil vom 20.12.2011 – S 10 KA 4968/10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Verkündet am 20.12.2011
Im Namen des Volkes
Urteil
in dem Rechtsstreit XXX
Die 10. Kammer des Sozialgerichts Stuttgart
hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2011 durch
XXX
für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird unter Abänderung der Honorarbescheide für die Quartale II/2009 und III/2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.07.2010 verurteilt, über die Honoraransprüche der Klägerin für die Quartale II/2009 und III/2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Im Streit stehen Honorarkürzungen auf Grundlage der sogenannten Konvergenzvereinbarung in den Quartalen II/2009 und III/2009.
Die Klägerin ist als Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin in K. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Für das Quartal II/2009 setzte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg das Honorar der Klägerin in Höhe von insgesamt xxx € fest. Dabei wurde ein Regelleistungsvolumen (RLV) in Höhe von xxx € anerkannt, zzgl. eines Fallwertzuschlags für Sonographie, Psychosomatik und Kleinchirurgie in Höhe von xxx €. Das RLV überschritt die Klägerin um einen Betrag in Höhe von 6.759,26 €. Insoweit stand der Klägerin laut Honorarabrechnung eine Vergütung mit abgestaffelten Preisen in Höhe von insgesamt 1.385,65 € zu. Neben den Leistungen innerhalb und außerhalb des RLV wurden freie Leistungen und Einzelleistungen vergütet. Von dem so errechneten Gesamthonoraranspruch zog die Beklagte sodann einen Betrag in Höhe von 6.077,92 € ab. Diesen Betrag errechnete die Beklagte aus der Differenz zwischen dem Honorar der Klägerin für das Quartal II/2008 (abzüglich Laborleistungen, Kosten, Wegegebühren, Leistungen genehmigungspflichtiger Psychotherapie, Einzelleistungen, HzV-Bereinigungsbetrag) und dem sogenannten Grenzwert für den Honorarzuwachs. Letzterer wurde aus einer Multiplikation des Fallwertes im Quartal II/2008 mit der Fallzahl im Quartal II/2009 ermittelt, zuzüglich 5 % Honorarzuwachstoleranz.
Für das Quartal III/2009 setzte die Beklagte das Honorar der Klägerin in Höhe von insgesamt xxx € fest. Das RLV wurde in Höhe von xxx € ausgewiesen, zzgl. eines Fallwertzuschlags für Sonographie, Psychosomatik und Kleinchirurgie in Höhe von xxx €. Das RLV überschritt die Klägerin um einen Betrag in Höhe von 5.019,64 €. Insoweit stand der Klägerin laut Honorarabrechnung eine Vergütung mit abgestaffelten Preisen in Höhe von insgesamt 1.147,73 € zu. Neben den Leistungen innerhalb und außerhalb des RLV wurden freie Leistungen und Einzelleistungen vergütet. Von dem Gesamthonoraranspruch zog die Beklagte einen Betrag in Höhe von 6.754,72 € ab. Diesen Betrag errechnete die Beklagte aus der Differenz zwischen dem Honorar der Klägerin für das Quartal III/2008 (abzüglich Laborleistungen, Kosten, Wegegebühren, Leistungen genehmigungspflichtiger Psychotherapie, Einzelleistungen, HzV-Bereinigungsbetrag) und dem Grenzwert für den Honorarzuwachs. Letzterer wurde aus einer Multiplikation des Fallwertes im Quartal III/2008 mit der Fallzahl im Quartal III/2009 ermittelt, zuzüglich 5 % Honorarzuwachstoleranz.
Die Honorarkürzungen stützte die Beklagte auf die am 09.11.2009 mit Wirkung zum 01.01.2009 zwischen der Beklagten und den Krankenkassen abgeschlossene „Vereinbarung über Verfahrensregelungen zur Vermeidung von überproportionalen Honorarverlusten, bedingt durch die Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung in 2009 (Konvergenzvereinbarung)“. Nach § 2 Ziff. 1 der Konvergenzvereinbarung erfolgt eine Ausgleichszahlung, wenn sich das Honorar einer Arztpraxis und das Honorar je Fall für ambulant erbrachte Leistungen der Morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (
„Die Ausgleichszahlung nach 2. wird quartalsweise unter Berücksichtigung der nachfolgenden Bestimmungen durch die KVBW im Rahmen der Honorarverteilung sichergestellt:
a) Zur Finanzierung der Ausgleichszahlungen nach 2. werden die Honorarumsätze derjenigen Praxen einer Quotierung zugeführt, deren Honorarumsätze für Leistungen der Morbiditätsorientierten Gesamtvergütung (ohne Laborleistungen und -kosten des Kapitels 32 EBM, Kosten und Wegegebühren, Leistungen nach Kap. 35.2 EBM) im aktuellen Abrechnungsquartal um 5 % über den entsprechenden Vorjahreshonorarumsätzen liegen. Verluste im Bereich der Leistungen außerhalb der MGV - bezogen auf die im entsprechenden Quartal des Jahres 2009 gültige Definition der Leistungsbereiche - sowie der Leistungen des Kap. 35.2 EBM werden hierbei berücksichtigt.
b) Die Ausgleichszahlungen nach 2. werden aus dem jeweiligen Versorgungsbereich unter Verwendung sämtlicher im Rahmen der Honorarverteilung nicht ausgeschöpfter Finanzmittel geleistet.“
Gegen die Honorarbescheide für die Quartale II/2009 und III/2009 legte die Klägerin mit Schreiben vom 13.01.2010 und 03.02.2010 jeweils Widerspruch ein. Zur Begründung wurde u. a. vorgetragen, die Konvergenzregelungen begründeten einen Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip. Insbesondere Praxen in der Aufbauphase würden durch die Anknüpfung an Vorjahresquartale aufgrund steigender Umsätze benachteiligt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.2010 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Der Erweiterte Bewertungsausschuss habe Vorgaben zur Honorarverteilung gemacht, die im Honorarverteilungsvertrag (HVV) für 2009 umgesetzt worden seien. § 12 HVV lasse Ausgleichszahlungen bei Honorarverlusten zu. Da nach § 12 Abs. 3 HVV die nähere Regelung der KVBW zugewiesen sei, habe die Beklagte mit ihren Vertragspartnern eine Konvergenzvereinbarung geschlossen. Zur Finanzierung der darin geregelten Ausgleichszahlungen sei eine Quotierung für positive Honorarveränderungen vereinbart worden. Die Quotierung stelle keine Bestrafung dar, sondern sei notwendige Voraussetzung, um das Solidargefüge der Vertragsärzte aufrechtzuerhalten. Die Stützung im Rahmen der Konvergenz müsse von den Vertragsärzten getragen werden, da die Krankenkassen keiner Nachschusspflicht unterlägen. Zur Rechtfertigung dieses Solidarbeitrags werde sichergestellt, dass eine Stützung ausschließlich in den Fällen greife, in denen der Honorarverlust aufgrund der Systematik der Leistungssteuerung verursacht worden sei und nicht auf von der Praxis selbst zu verantwortenden Gründen beruhe. Darüber hinaus sei trotz Quotierung ein Wachstum möglich, da die Wachstumstoleranzgrenze bei 105 % des Vorjahresquartals angesetzt worden sei. Der Rückgriff auf das Vorjahresquartal sei bindend, um die nötige Vergleichbarkeit gewährleisten zu können. Die Anwendung der Konvergenzvereinbarung und die damit verbundenen Honorarabzüge auch bei Praxen in der Aufbauphase, widerspreche nicht dem Gleichheitsprinzip. Dies deshalb, weil die Zugrundelegung der tatsächlichen Fallzahlen im Rahmen der RLV-Bemessung bereits zu einer Verringerung des jeweiligen konvergenzbedingten Abzugs führe. Zudem werde nur der Betrag in Abzug gebracht, mit dem der Fallwert des Vorjahresquartals um mehr als 5 % überstritten werde.
Am 12.08.2010 erhob die Klägerin zum Sozialgericht Stuttgart Klage. Zu Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, es fehle eine Ermächtigungsgrundlage für die vorgenommenen Honorarkürzungen. Weder das Gesetz noch die Beschlüsse des Erweiterten Bewertungsausschusses ließen es zu, Honorarzuwächse von über 5 % nicht zu vergüten. Zur Finanzierung der Ausgleichszahlungen hätte die Beklagte Rückstellungen vornehmen müssen. Dies ginge aus den Beschlüssen des Erweiterten Bewertungsausschusses hervor. Eine Kompensation der Honorarverluste durch Abschöpfen der Umsatzzuwächse sei nicht zulässig.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung der Honorarbescheide für die Quartale II/2009 und III/2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.07.2010 zu verurteilen, über die Honoraransprüche der Klägerin für die Quartale II/2009 und III/2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte erwidert im Wesentlichen, die Honorarkürzungen im Rahmen der Konvergenz seien nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht liege nicht vor. Die Konvergenzvereinbarung basiere auf Beschlüssen des Erweiterten Bewertungsausschusses. Dem (Erweiterten) Bewertungsausschuss stünde ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Daher habe er in der Umstellungsphase auf das völlig neue Vergütungssystem entsprechende Regelungen treffen dürfen. Der Erweiterte Bewertungsausschuss habe die - zeitlich befristete - Konvergenzphase als Phase zur schrittweisen Anpassung der Regelleistungsvolumen bezeichnet. Er habe damit ausdrücklich geregelt, dass die überproportionalen Honorarverluste nicht über Rückstellungen, sondern über Honorarzuwächse bei sogenannten Gewinnerpraxen zu finanzieren seien. Dies werde auch daran deutlich, dass nach den Vorgaben des Erweiterten Bewertungsausschusses die Auswirkungen der Konvergenzphase bei der Bildung von Rückstellungen und bei den Vorwegabzügen zum Zwecke der Vermeidung von Unterdeckungen zu berücksichtigen seien. Dass die Beklagte zur Abschöpfung der Gewinne ermächtigt sei, ergebe sich zudem daraus, dass der Erweiterte Bewertungsausschuss in seinem Beschluss vom 15.01.2009 im Plural von „Grenzwerten“ spreche. Aus der dazu gehörigen Protokollnotiz ergebe sich weiter, dass der GKV-Spitzenverband von Grenzwerten für 2009 in Höhe von „80 % bzw. 120 %“ und für 2010 von Grenzwerten von „70 % bzw. 130 %“ ausgehe. Dies zeige, dass nach dem Willen der Vertragspartner eine Finanzierung nicht bzw. nur subsidiär durch Rückstellungen zu erfolgen habe. Entsprechendes sei auch einem Rundschreiben der KBV vom 16.01.2009 zu entnehmen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere des Beteiligtenvortrages, wird auf die Sozialgerichtsakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2011 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Stuttgart erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Honorarbescheide für die Quartale II/2009 und III/2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.07.2010 sind hinsichtlich der Honorarkürzungen zur Finanzierung der Ausgleichszahlungen nach der Konvergenzvereinbarung rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
I. Die vorgenommenen Honorarkürzungen basieren auf § 2 Ziff. 7 a) der Konvergenzvereinbarung zwischen der Beklagten und den Krankenkassen vom 09.11.2009. Diese Regelung ist unwirksam, da sie nicht mit höherrangigem Recht vereinbar ist.
Gemäß § 87b Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) werden ab dem 1. Januar 2009 (abweichend von § 85 SGB V) die vertragsärztlichen Leistungen von der Beklagten auf der Grundlage der regional geltenden Euro-Gebührenordnung nach § 87a Abs. 2 SGB V vergütet. Zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Arztes und der Arztpraxis sind nach § 87b Abs. 2 Satz 1 SGB V arzt- und praxisbezogene RLV festzulegen. Ein RLV ist die von einem Arzt oder der Arztpraxis in einem bestimmten Zeitraum abrechenbare Menge der vertragsärztlichen Leistungen, die mit den in der Euro-Gebührenordnung gemäß § 87a Abs. 2 SGB V enthaltenen und für den Arzt oder die Arztpraxis geltenden Preisen zu vergüten ist (§ 87b Abs. 2 Satz 2 SGB V). Abweichend hiervon ist gemäß § 87b Abs. 2 Satz 3 SGB V die das RLV überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Preisen zu vergüten. Die Werte für die RLV sind morbiditätsgewichtet und differenziert nach Arztgruppen und nach Versorgungsgraden sowie unter Berücksichtigung der Besonderheiten kooperativer Versorgungsformen festzulegen (§ 87b Abs. 3 Satz 1 SGB V). Der Bewertungsausschuss bestimmt erstmalig bis zum 31. August 2008 das Verfahren zur Berechnung und zur Anpassung der RLV (§ 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V).
Der (Erweiterte) Bewertungsausschuss hat mit Beschluss in seiner 7. Sitzung am 27. und 28.08.2008 (Teil F) detailliert Vorgaben zur Berechnung und zur Anpassung von arzt- und praxisbezogenen RLV nach § 87b Abs. 2 und Abs. 3 SGB V gemacht. Die Beklagte ist hieran gebunden. Dies ergibt sich aus § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V, wonach die Zuständigkeit für die Bestimmung des Verfahrens zur Berechnung und Anpassung der RLV dem Bewertungsausschuss zugewiesen ist. Die Beklagte stellt zwar mit den Krankenkassen unter Verwendung der erforderlichen regionalen Daten die für die Zuweisung der RLV konkret anzuwendende Berechnungsformel fest, ist dabei aber an die Vorgaben des Bewertungsausschusses gebunden (§ 87b Abs. 4 Satz 3 SGB V).
Der Gesetzgeber hat mit diesen Regelungen das Ziel verfolgt, die regional unterschiedlichen Kriterien der Honorarverteilung zu beseitigen. Die Vergütung der Ärzte sollte künftig in allen Regionen nach bundeseinheitlichen Regelungen des Bewertungsausschusses erfolgen (vgl. Gesetzentwurf zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, BT-Drucks. 16/3100, S. 126). Von diesen Bestimmungen darf daher durch die Partner der Honorarverteilungsverträge nicht ohne normative Grundlage auf Bundesebene abgewichen werden.
Die Beklagte ist mit den Bestimmungen der Konvergenzvereinbarung zur Honorarkürzung bei den sogenannten „Gewinnerpraxen“ von den Vorgaben des Bundesgesetzgebers und des (Erweiterten) Bewertungsausschusses abgewichen. Sie hat unter Anwendung des § 2 Ziff. 7 der Konvergenzvereinbarung einen Teil der von der Klägerin erbrachten Leistungen entgegen der bundesrechtlichen Vorgaben nicht vergütet. Dabei hat sich die Beklagte im Ergebnis weder an die Bestimmung zur abgestaffelten Vergütung der Leistungsmenge, die das RLV überschreitet, noch an die Regelungen zur Vergütung der innerhalb des RLV liegenden Leistungsmenge gehalten. Die streitgegenständlichen Honorarkürzungen umfassten betragsmäßig jeweils die gesamte abgestaffelte Vergütung sowie einen Teil des zugewiesenen RLV. Der Klägerin wurden damit realiter ein Teil ihres RLV sowie die gesamte abgestaffelte Vergütung für Leistungen, die über das RLV hinausgingen, vorenthalten. Mit dieser Vorgehensweise haben die Vertragspartner der Konvergenzvereinbarung die Anwendung der bundeseinheitlich vorgegebenen Regelungen zu den RLV faktisch ausgesetzt. Zwar sieht der Honorarverteilungsvertrag für den Bezirk der Beklagten (gültig ab 01.01.2009) in Erfüllung der gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben Bestimmungen zum RLV vor. Die Beklagte hat diese Regelungen laut Honorarbescheid auch zunächst zur Anwendung gebracht. Dadurch, dass die Beklagte aber im Anschluss eine Kürzung des Honorars nach der Konvergenzvereinbarung vorgenommen hat, konterkarierte sie die Regelungen zum RLV. Anstelle einer Vergütung auf Grundlage von RLV erfolgte tatsächlich eine Vergütung in Orientierung an den Honorarumsätzen der Vorjahresquartale. Damit hat die Beklagte eine praxisindividuelle Budgetierung zum Ansatz gebracht, die mit den für die Zeit ab 01.01.2009 geltenden normativen Vorgaben nicht vereinbar war.
Eine Ermächtigungsgrundlage für diese Vorgehensweise existierte auf Bundesebene nicht. Die Beklagte kann sich zur Rechtfertigung insbesondere nicht auf Beschlüsse des (Erweiterten) Bewertungsausschusses berufen.
Der Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses in seiner 9. Sitzung am 15.01.2009 (Teil A) kann bereits deshalb keine Grundlage für die Konvergenzvereinbarung bilden, da er noch vor Abschluss der Vereinbarung zwischen der Beklagten und den Krankenkassen durch Beschluss in der 10. Sitzung des Erweiterten Bewertungsausschusses am 27.02.2009 umfassend abgeändert wurde. Die Bestimmungen im Beschluss vom 15.01.2009, auf welche die Beklagte ihre Auslegung stützt, haben dadurch ihre Gültigkeit verloren.
Der Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses in seiner 10. Sitzung am 27.02.2009 (Teil A - Konvergenzphase für die Steuerung der Auswirkungen der Umsetzung des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses zur Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung) bildet ebenfalls keine hinreichende normative Grundlage für die streitgegenständlichen Honorarkürzungen.
Nach Ziff. 1 des Beschlusses können die Partner der Gesamtverträge einvernehmlich zur Vermeidung von überproportionalen Honorarverlusten und zur Sicherung der flächendeckenden Versorgung „ein Verfahren zur schrittweisen Anpassung der Steuerung der vertragsärztlichen Leistungen, insbesondere der arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen (Konvergenzverfahren)“ beschließen, sofern die Honorarverluste durch die Umstellung der Steuerung auf die neue Systematik begründet sind. Das Konvergenzverfahren dient mithin den Zielen, reformbedingte Honorarverluste in größerem Umfang und Versorgungsdefizite abzuwenden. Honorarsteigerungen infolge der Neuordnung der Vergütung werden im Beschluss nicht thematisiert. Eine Regelung zur Vornahme von Honorarkürzungen existiert nicht.
Die Befugnis zur Vornahme von pauschalen Honorarkürzungen bei sog. „Gewinnerpraxen“ lässt sich auch nicht durch Auslegung der Regelungen ermitteln. Insbesondere kann eine Ermächtigung - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht Ziff. 8 des Beschlusses entnommen werden. Nach dieser Bestimmung lösen die Konvergenzregelungen keine Nachschusspflicht der Krankenkassen aus. Die Konvergenzregelungen sind stattdessen bei der Bildung von Rückstellungen zur Vermeidung von Unterdeckungen zu berücksichtigen. Hieraus kann nicht geschlossen werden, dass die Beklagte zur Finanzierung der Ausgleichszahlungen Honorarkürzungen bei „Gewinnerpraxen“ vornehmen darf. Der Beklagten wird vielmehr aufgegeben, zur Finanzierung des Konvergenzverfahrens ausreichende R ückstellungen zu bilden.
Eine Ermächtigungsgrundlage für die vorgenommenen Honorarkürzungen ergibt sich auch nicht aus den übrigen Regelungen des Beschlusses. Die Bestimmungen zeigen vielmehr auf, dass auch in der Konvergenzphase die Vergütung nach RLV zu erfolgen hat. Nach Ziff. 2 des Beschlusses wird das Konvergenzverfahren „mit dem Ziel einer schrittweisen Anpassung der Steuerung der vertragsärztlichen Leistungen, insbesondere der arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen an die sich aus der Beschlussfassung des Erweiterten Bewertungsausschusses zur Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung ergebenden Vorgaben“ ausgestaltet. „Bestehende Differenzen zwischen der sich aus der jeweiligen Beschlussfassung des Erweiterten Bewertungsausschusses ergebenden Steuerung der vertragsärztlichen Leistungen insbesondere der arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen und der aus dem regionalen Verfahren nach 1. ergebenden Steuerung der vertragsärztlichen Leistungen insbesondere der arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen“ sind nach Ziff. 5 des Beschlusses bis zum 31.12.2010 vollständig aufzuheben. Demnach darf zwar von Vorgaben des (Erweiterten) Bewertungsausschusses für eine Übergangszeit abgewichen werden, hinsichtlich der RLV jedoch nur insoweit, als dass eine „schrittweise Anpassung“ an die normativen Vorgaben vorgenommen werden darf (vgl. BSG, Urt. v. 18.08.2010, B 6 KA 27/09 R, SozR 4-2500 § 85 Nr. 58, juris-Rd. 43). Die (faktische) Aussetzung der Vergütung nach RLV wird nicht gestattet. Lediglich von den Vorgaben zur Berechnungsweise der RLV darf abgewichen werden (vgl. Ziff. 3 und 4 des Beschlusses vom 27.02.2009), nicht aber von der ab 2009 gültigen und vom Gesetzgeber vorgegebenen Grundstruktur des Honorarverteilungssystems. Zu entsprechenden Regelungen wäre der (Erweitere) Bewertungsausschuss auch nicht ermächtigt gewesen. Ihm steht zwar ein Gestaltungspielraum bei den von ihm zu treffenden Regelungen zu (BSG, Urt. v. 17.03.2010, B 6 KA 43/08 R, BSGE 106, 56). Insoweit ist er auch berechtigt Übergangsregelungen zu erlassen, wonach aus Gründen der Kontinuität des Honorierungsumfangs und der Verwaltungspraktikabilität für eine bestimmte Zeit noch Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben toleriert werden (BSG, Urt. v. 17.03.2010, B 6 KA 43/08 R, a. a. O.; Urt. v. 18.08.2010, B 6 KA 27/09 R, a. a. O.). Die weitgehende Suspendierung zwingender gesetzlicher Vorgaben ist dagegen vom Gestaltungsspielraum des (Erweiterten) Bewertungsausschusses nicht umfasst (vgl. BSG, Urt. v. 14.12.2011, B 6 KA 3/11 R, veröffentlicht bislang nur im Terminbericht Nr. 65/11). Wie oben aufgezeigt, entsprach die Vorgehensweise der Beklagten faktisch einer Aussetzung der Vergütung nach RLV. Die Höhe des dem Vertragsarzt zustehenden Honorars bestimmte sich im Ergebnis nicht nach arztgruppenspezifischen RLV, sondern nach dem praxisindividuellen Honorarumsatz im Referenzquartal.
Die Beklagte kann sich zur Rechtfertigung der Honorarkürzungen auch nicht darauf berufen, dass die Ausgleichszahlungen an diejenigen Praxen, die infolge der Honorarreform Honorareinbußen hinnehmen mussten, finanziert werden mussten. Die Beklagte ist gehalten, die für einen Ausgleich benötigten Geldmittel in rechtlich zulässiger Form zu beschaffen (BSG, Urt. v. 18.08.2010, B 6 KA 27/09 R, SozR 4-2500 § 85 Nr. 58). Eine Art "Schicksalsgemeinschaft" der von den RLV besonders begünstigten und besonders belasteten Praxen besteht nicht (BSG, Urt. v. 18.08.2010, B 6 KA 27/09 R, a. a. O.). Das von der Beklagten angeführte Solidargefüge der Vertragsärzte zeichnet sich vielmehr durch eine gleichmäßige Belastung aller an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte aus. Es ist kein Grund ersichtlich, nur die sogenannten „Gewinnerpraxen“ in die Pflicht zu nehmen. Dem steht sowohl das in § 85 Abs. 4 Satz 3 SGB V angesprochene Gebot der leistungsproportionalen Verteilung der Gesamtvergütung als auch der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit (Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) entgegen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die „Gewinnerpraxen“ - wie vorliegend - einer pauschalen Kürzung unterzogen werden, ohne die Gründe für den Zuwachs zu berücksichtigen. Honorarzuwächse in der Aufbauphase einer Anfängerpraxis oder aufgrund einer Praxisneuausrichtung stehen in keinerlei Korrelation zu reformbedingten Honorarverlusten bei den sogenannten „Verliererpraxen“. Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass deutliche Honorarzuwächse einzelner Arztgruppen oder Praxen infolge der Honorarreform vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt waren, z. B. weil bestimmte Vergütungsanreize gesetzt werden sollten oder das bisherige Honorarniveau als unzureichend angesehen wurde (zur Honorarreform im Jahr 2005: BSG, Urt. v. 18.08.2010, B 6 KA 27/09 R, a. a. O.). Eine pauschale Inanspruchnahme aller "Gewinnerpraxen" zur Finanzierung der Ausgleichszahlungen an die „Verliererpraxen“ ist deshalb nicht zulässig (zur Konvergenzregelung im HVV der KV Hessen für das Quartal IV/2005 so auch: BSG, Urt. v. 18.08.2010, B 6 KA 27/09 R, a. a. O.). Die zur Finanzierung erforderlichen Geldmittel müssen vielmehr aus der Gesamtvergütung - also zu Lasten aller Vertragsärzte - aufgebracht werden (zur Konvergenzregelung im HVV der KV Hessen für das Quartal IV/2005 so auch: BSG, Urt. v. 18.08.2010, B 6 KA 27/09 R, a. a. O.). Hierfür sind gegebenenfalls Rückstellungen zu bilden. Dementsprechend sieht Ziff. 8 des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses in seiner 10. Sitzung vom 27.02.2009 (Teil A) vor, dass bei der Bildung von Rückstellungen die Auswirkungen der Konvergenzphase zum Zwecke der Vermeidung von Unterdeckungen zu berücksichtigen sind (zur Bildung von Rückstellungen zum Ausgleich von überproportionalen Honorarverlusten vgl. auch: Teil G des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses in seiner 7. Sitzung vom 27. und 28.08.2008 sowie § 12 i. V. m. Anlage 3b zu Teil B des HVV).
Eine Rechtfertigung der Vorgehensweise der Beklagten ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung. Denn eine den rechtlichen Vorgaben von vornherein zuwiderlaufende Regelung kann auch nicht für eine Übergangszeit toleriert werden (BSG, Urt. v. 18.08.2010, B 6 KA 27/09 R, a. a. O.).
Der Klage war daher stattzugeben.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz in Verbindung mit § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil hat die Kosten zu tragen.
Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstraße 5, 70190 Stuttgart, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Stuttgart, Theodor-Heuss-Str. 2, 70174 Stuttgart, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.