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  • · Fachbeitrag · Abrechnungsprüfung

    Vorsicht bei der Vertretung des Praxisgemeinschaftspartners

    von Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht Julia Godemann, LL.M., Kanzlei Dierks + Bohle Rechtsanwälte, Düsseldorf (www.db-law.de)

    | Auch Vertragsärzte in einer Praxisgemeinschaft dürfen sich grundsätzlich gegenseitig vertreten. Eine Einschränkung kann im Einzelfall jedoch dann bestehen, wenn die Praxisgemeinschaftspartner unter dem Deckmantel der Vertreterfälle missbräuchlich zusammenarbeiten. Von einer solchen missbräuchlichen Zusammenarbeit ging das Sozialgericht (SG) Marburg jüngst etwa bei häufigen, kurzen Urlaubszeiten aus ( Urteil vom 2.4.2014, Az. S 12 KA 634/12 ). Das Gericht hob außerdem hervor, dass eine nur stundenweise Abwesenheit keinen Vertretungsfall begründen könne. |

    Der Fall

    In dem vom SG Marburg entschiedenen Fall war der klagende Hausarzt in die Plausibilitätsprüfung geraten, weil er mit seinem Praxisgemeinschaftspartner über mehrere Quartale einen Anteil identischer Patienten an der Gesamtfallzahl zwischen 31,6 bis 48,5 Prozent aufwies. Die zuständige KV nahm daraufhin eine Abrechnungsprüfung vor und stellte fest, dass ein Großteil der Vertretungsscheine auf eine nur stundenweise Abwesenheit des Praxisgemeinschaftspartners entfiel. Hinzu kamen häufige, kurze Urlaubszeiten des Praxisgemeinschaftspartners. Im Ergebnis ging die KV von einer missbräuchlichen Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft aus und nahm eine Honorarrückforderung vor. Hiergegen erhob der Arzt Widerspruch und anschließend Klage.

     

    MERKE | Schon eine Patientenidentität von 20 Prozent kann bei gebietsgleichen Praxisgemeinschaften zur Einleitung einer Plausibilitäts- und Abrechnungsprüfung führen. Bei gebietsübergreifenden Praxisgemeinschaften liegt das Aufgreifkriterium bei 30 Prozent Patientenidentität.

     

    Die Entscheidung

    Das SG bestätigte die Entscheidung der KV: Behandeln Praxisgemeinschaftspartner die Patienten zu einem hohen Anteil gemeinschaftlich, so liege in der Regel ein Missbrauch der Kooperationsform vor. Zwar seien berechtigte Vertretungsfälle zur berücksichtigen, ein solcher könne jedoch nur dann angenommen werden, wenn der Vertragsarzt aus einem besonderen Grund an der Ausübung seiner Praxis verhindert und die Praxis insgesamt geschlossen sei. Eine nur stundenweise Abwesenheit könne keinen Vertretungsfall begründen.

     

    Aber auch der grundsätzlich anerkannte Vertretungsfall des Urlaubs könne auf eine missbräuchliche Bedienung der Praxisgemeinschaft hindeuten, wenn es sich um häufige, kurze Urlaubszeiten handeln würde. So war der Praxisgemeinschaftspartner von 13 Wochen eines Quartals nur vier Wochen ohne einen Fehltag tätig. In den übrigen neun Wochen habe er zwischen einem und fünf Tagen gefehlt. Dies würde darauf hindeuten, dass die Urlaubszeiten wie in einer Berufsausübungsgemeinschaft gelegt werden, bei der eine wechselseitige Weiterbehandlung der Patienten möglich sei. Demgegenüber dürfe eine Praxisgemeinschaft gerade nicht der gemeinsamen, jederzeit austauschbaren ärztlichen Behandlung an gemeinsamen Patienten dienen.

     

    Im Vertretungsfall habe der Arzt außerdem die Aufgabe, die Behandlung des Patienten abzulehnen und auf die bereits bei dem Praxisgemeinschaftspartner begonnene Behandlung hinzuweisen, wenn nicht ein Notfall vorliegt. Im Fall der Notfallvertretungsbehandlung müsse sich der Arzt dann aber auf die notwendige, das heißt unaufschiebbare Behandlung beschränken.

    Bedeutung für die vertragsärztliche Praxis

    Dem Gericht ist zuzustimmen, dass eine nur stundenweise Abwesenheit eines Praxisgemeinschaftspartners grundsätzlich keinen Vertretungsfall begründet. Nachvollziehbar ist auch, dass Praxisgemeinschaftspartner nicht durch systematische Urlaubsplanungen gezielt Vertreterfälle generieren und dadurch in großem Umfang Doppelbehandlungen produzieren dürfen. Allerdings bleiben einige Fragen offen:

     

    • Das SG Marburg geht selbst bei zulässigen Vertreterfällen davon aus, dass diese auf Behandlungen in Notfällen beschränkt seien. Dem kann aus mehreren Gründen nicht gefolgt werden:
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      • Zunächst ist in der Ärzte-Zulassungsverordnung klar geregelt, dass sich Vertragsärzte u.a. bei Urlaub vertreten lassen können. Eine generelle Einschränkung auf Notfälle ist nicht vorgesehen.
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      • Die Einschränkung auf Notfälle in hausärztlichen Praxisgemeinschaften lässt sich auch nicht mit der Regelung des § 76 Abs. 3 SGB V begründen. Danach sollen die Patienten ihren Vertragsarzt innerhalb eines Quartals nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes wechseln. Der Patient hat einen Hausarzt zu wählen. In einem Vertretungsfall wechselt der Patient seinen Hausarzt aber durch die Inanspruchnahme des Vertreters gerade nicht. Der Vertreter wird vielmehr für den abwesenden Kollegen tätig.
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      • Last but not least darf der Vertreter die Behandlung des Patienten nicht einfach ablehnen. Insbesondere dann nicht, wenn der Patient auf eine Behandlung besteht.

     

    • Die vom SG Marburg geforderte Beschränkung auf Notfallbehandlungen während der Vertreterzeit würde den Vertreter in der Praxis außerdem vor ein Dilemma stellen: Einem Patienten steht nicht immer auf die Stirn geschrieben, dass er ein Notfall ist. Häufig lässt sich erst durch eine ärztliche Untersuchung beurteilen, ob ein Notfall vorliegt. Stellt der Vertreter aber bei der Untersuchung fest, dass es sich nicht um einen Notfall handelt, hätte er diesen Patienten nach Auffassung des SG Marburg nicht behandeln dürfen, weil es sich nicht um eine berechtigte Vertretung handelt. In der Folge dürfte er diese Leistungen auch nicht abrechnen. Während einer solchen Untersuchung wäre somit nicht klar, ob die Leistung rechtmäßig oder rechtswidrig erbracht wird. Dies würde sich erst im Ergebnis der Untersuchung herausstellen. Das aus diesem Paradoxon folgende Risiko dürfte einem Vertragsarzt nicht zuzumuten sein.
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    • Selbst wenn man also der Auffassung des SG Marburg folgen würde, so müsste für die Beurteilung, ob eine notfallmäßige Behandlung notwendig ist, zumindest auf den im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des Vertreters abgestellt werden. Geht der Vertreter zu diesem Zeitpunkt unter Würdigung der ihm zur Verfügung stehenden Informationen zu Recht von einer notfallmäßigen Behandlungsbedürftigkeit aus, so muss er die erforderlichen Leistungen auch erbringen und entsprechend abrechnen dürfen. Eine ex-post-Beurteilung verbietet sich. Denn lehnt der Vertreter die Behandlung des Patienten von vornherein ab, weil er vermutet, dass es sich nicht um einen Notfall handelt und daher nach Auffassung des SG Marburg zur Leistungserbringung nicht berechtigt ist, wird er zumindest ein haftungsrechtliches Problem bekommen, wenn sich herausstellt, dass es sich doch um einen Notfall gehandelt hat.

     

    FAZIT | Im Ergebnis kann nur gelten, dass Urlaubsvertretungen nicht per se auf Notfallbehandlungen beschränkt sind. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass die Praxisgemeinschafspartner ihren Urlaub gezielt aufeinander abgestimmt haben, um eine möglichst hohe Zahl von Vertreterfällen abrechnen zu können. Stundenweise Abwesenheitszeiten stellen grundsätzlich keinen zulässigen Vertreterfall dar.

     

    Es gilt, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, dass eine Praxisgemeinschaft - im Gegensatz zur Berufsausübungsgemeinschaft - gerade nicht der gemeinsamen, jederzeit austauschbaren ärztlichen Behandlung an gemeinsamen Patienten dienen darf. Im Hinblick auf den zunächst drohenden Vorwurf des Gestaltungsmissbrauchs bei zu hoher Patientenidentität sollte der Praxisgemeinschaftspartner daher auch seine Vertreterfälle genauestens dokumentieren. Insbesondere sollte dokumentiert werden, dass die Behandlung nicht erst nach Rückkehr des Praxisgemeinschaftspartners erfolgen konnte bzw. der Patienten ausdrücklich auf die sofortige Behandlung bestand.

     

    Weiterführende Hinweise

    Quelle: Ausgabe 10 / 2014 | Seite 11 | ID 42964538