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  • · Fachbeitrag · Vertragsarztrecht

    3 Minuten BSG* - das Wichtigste aus der Sitzung vom 3. August 2016

    von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Thomas Willaschek, DIERKS + BOHLE Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin, www.db-law.de

    | Der Vertragsarztrechts-Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in seiner Sitzung vom 3. August 2016 über einige praxisrelevante Rechtsfragen entschieden. Die folgende Zusammenfassung basiert auf dem aktuellen Terminbericht. |

    Landespolitik darf Praxisverlegung verhindern

    Zunächst entschied das BSG, dass eine Praxissitzverlegung aus einem Stadtbezirk in einen statistisch deutlich besser versorgten Nachbarbezirk in aller Regel abzulehnen ist, weil Versorgungsgründe entgegenstehen (Az. B 6 KA 31/15 R).

     

    Ein Arzt oder Psychotherapeut kann seine Sitzverlegung innerhalb des Planungsbereichs beanspruchen, außer es stehen Gründe der vertragsärztlichen Versorgung entgegen. Damit soll verhindert werden, dass sich die Versorgung in Teilen von eigentlich gut versorgten großen Planungsbereichen durch Praxissitzverlegungen verschlechtert. Ob solche Gründe vorliegen, beurteilen die Zulassungsgremien.

     

    Zum Fall: Berlin ist ein Planungsbereich, politisch aber in zwölf Bezirke aufgeteilt. KV, Krankenkassen und Gesundheitssenator unterzeichneten einen sog. „Letter of Intent“ zur Versorgungssteuerung, für den auf Bezirksebene Versorgungsgrade ermittelt wurden. Damit sollen den Zulassungsgremien „Kriterien an die Hand gegeben werden, die die Ausschüsse bei ihrem Prüfauftrag unterstützen“.

     

    Ein Berliner Psychotherapeut wollte seine Praxis von einem Bezirk (Versorgungsgrad: 83,7 %) in den Nachbarbezirk (344 %) verlegen, was der Berufungsausschuss genehmigte und das Sozialgericht bestätigte.

     

    Das BSG aber gab nun der KV Berlin Recht. Angesichts der „extrem unterschiedlichen Versorgung“ stünden einer Verlegung des Praxissitzes vom schlechter zum deutlich besser versorgten Bezirk auch bei einer Gruppe wie den Psychotherapeuten „in aller Regel Versorgungsgesichtspunkte“ entgegen. Weil nicht ganz ausgeschlossen werden könne, dass sich die Versorgungslage mit Blick auf die konkreten Praxisstandorte anders darstelle, als nach den allgemeinen Versorgungsgraden in den Bezirken anzunehmen sei, müsse der Berufungsausschuss in seiner erneuten Entscheidung nähere Feststellungen treffen.

     

    FAZIT | Das BSG entscheidet für den landespolitischen Willen nach statistisch gleichmäßiger Verteilung von Ärzten und Psychotherapeuten auf Verwaltungsbezirke. Nicht nur die Freiheit der Leistungserbringer, sondern auch Versorgungsrealitäten und -bedürfnisse werden hintan gestellt. Gerade in Berlin sind aber - nach veröffentlichten Erkenntnissen der KV - zentrale Bezirke und die dort Niedergelassenen Anlaufstellen nicht nur für dort arbeitende Pendler. Ein gut ausgebauter ÖPNV tut sein Übriges. Die irgendwann erreichte zahlenmäßig gleichmäßige Versorgung lässt sich evtl. politisch gut verkaufen, hilft aber den Patienten nicht.

     

    Es gilt nicht, was hinten rauskommt

    In einer zweiten Entscheidung hat das BSG zur Dialyse entschieden und dabei einen wichtigen allgemeingültigen Grundsatz betont: „Eine Entscheidung, die nicht hätte erteilt werden dürfen, bleibt rechtswidrig und ist (…) aufzuheben“ (Az. B 6 KA 20/15 R).

     

    Die Revision einer saarländischen Dialysepraxis, die zuvor in allen Instanzen unterlegen gewesen war, hatte Erfolg. Die Praxis hatte sich dagegen gewehrt, dass die KV bereits 2005 einer konkurrierenden Praxis einen weiteren Versorgungsauftrag zugesichert hatte, obwohl sie selbst noch über Kapazitäten verfügte. Eine Zusicherung darf aber nur erteilt werden, wenn alle existierenden Dialysepraxen zu mehr als 90 % ausgelastet sind; und zwar sowohl im Zeitpunkt der Entscheidung als auch in Zukunft prognostisch. Die klagende Praxis war aber nur in einigen Quartalen des Jahres 2008 über 90 % ausgelastet.

     

    Das BSG betont, dass die rechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit nicht davon abhängen kann, ob die Voraussetzungen einer Entscheidung irgendwann im Laufe eines dazu geführten Rechtsstreits erfüllt waren. Es komme nämlich allein auf den Zeitpunkt der Entscheidung an.

     

    FAZIT | Die Entscheidung überzeugt nicht nur, sie macht auch Hoffnung. Gerade in Zulassungssachen (aber auch im Honorarbereich) gilt bisher häufig: Es werden Fakten geschaffen, und nach jahrelangem Rechtstreit interessiert auch die Gerichte häufig nur noch die aktuelle und nicht die damalige Situation. Das Signal des BSG stützt also diejenigen, die im Recht sind, und diszipliniert hoffentlich die Entscheidungsträger.

     

    Wer darf den EBM ändern? Nicht nur der Bewertungsausschuss!

    Im dritten Verfahren hat das BSG entschieden, dass in besonderen Fällen die Partner der Bundesmantelverträge zur Streichung von zyto- und molekulargenetischen aus dem EBM berechtigt waren. Das hatten Sozialgericht und Landessozialgericht noch anders gesehen (Az. B 6 KA 42/15 R).

     

    Nicht allein der Bewertungsausschuss war danach berechtigt, zum 1. April 2006 die bis dahin unter Ziffer 32.3.13 EBM-Ä aufgeführten Leistungen und deren Vergütung zu festen Euro-Beträgen zu streichen. Zur Begründung führt das BSG aus, bis zum Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG) im Juli 2015 sei streitig gewesen, ob der Bewertungsausschuss überhaupt berechtigt war, Leistungen in Euro-Beträgen zu bewerten. Aus diesem Grund seien entsprechende Regelungen stets durch die Partner der Bundesmantelverträge vereinbart und dann in den EBM-Ä integriert worden. Auch deshalb dürften die Partner dieser Verträge die Leistungen wieder streichen.

     

    FAZIT | Der Rechtsstreit hatte noch eine zweite, für alle Ärzte interessante Ebene. Die betrifft die Frage, ob die durch die Streichung der Leistungen entstandenen Honorarverluste auf regionaler Ebene im Honorarverteilungsmaßstab wieder ausgeglichen werden mussten. Jedenfalls in voller Höhe sieht das BSG hierzu keine Verpflichtung. Ob die KV auf einen Verfall des Punktwerts zu reagieren hatte, wird aber in den Verfahren zu entscheiden sein, in denen die Honorarbescheide für die einzelnen Quartale angefochten sind.

     

    Zum Autor

    Herr DR. JUR. THOMAS WILLASCHEK (Jahrgang 1975) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht. Seit 2004 berät er ausschließlich Leistungserbringer im Gesundheitswesen. Er ist seit 2013 Partner der DIERKS + BOHLE Rechtsanwälte Partnerschaft mbB mit Büros in Berlin, Düsseldorf und Brüssel.

     

    Sein Schwerpunkt ist das Vertragsarztrecht, in dem er bei Kooperationen (insbes. Berufsausübungsgemeinschaften, MVZ, Ärzte-Krankenhäuser, ASV) sowie der Gründung und Übernahme, dem (Anteils-)Verkauf sowie der strategischen Entwicklung von MVZ und Praxen berät. Als Experte im Bereich ärztlicher Vergütung (Honorarverteilung, Abrechnungs- und Plausibilitätsprüfung) schreibt er seit langem für das IWW Institut.

     

    Herr Dr. Willaschek lehrt in den Masterstudiengängen Medizinrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und an der Dresden International University.

     

    * Ein durchschnittlicher, geübter Leser kann etwa 200 bis 300 Wörter pro Minute (WpM) erfassen, sofern der zu lesende Text nicht übermäßig kompliziert ist (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Lesegeschwindigkeit)

    Quelle: ID 44233071