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  • · Fachbeitrag · Vertragsarztrecht

    Darf's ein bisschen weniger sein? Unvollständige Leistungserbringung mit schwerwiegenden Folgen

    von RA, FA MedR und FA StrafR Dr. Maximilian Warntjen, D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin, db-law.de

    | Verstöße gegen das Gebot der vollständigen Leistungserbringung können schwerwiegende Folgen haben. Im Fall eines Vertragsarztes macht das Verwaltungsgericht (VG) Hamburg bei seiner Entscheidung allerdings deutlich, dass ein Approbationswiderruf in derartigen Konstellationen überzogen ist (Urteil vom 09.10.2018, Az. 17 K 6716/17). |

    Sachverhalt

    Ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Orthopäde mit Behandlungsschwerpunkt Schmerztherapie rechnete über insgesamt 14 Quartale Plexusanalgesien nach EBM-Nr. 30731 mit einem Honorar von knapp 250.000 Euro ab. Zum obligatorischen Leistungsinhalt zählt neben

    • der eigentlichen Injektion
    • ein kontinuierliches EKG-Monitoring,
    • eine kontinuierliche Pulsoxymetrie und
    • eine anschließende Überwachung.

     

    Der Arzt verfügte zwar über die entsprechenden Geräte, hielt diese begleitenden Maßnahmen aber aus medizinischer Sicht für überflüssig und verzichtete darauf. Aufgrund einer anonymen Strafanzeige wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des Abrechnungsbetrugs eingeleitet, wobei dem Arzt zusätzlich Verstöße gegen die GOÄ angelastet wurden.

     

    Das Verfahren mündete in eine Hauptverhandlung vor dem Strafgericht: Obwohl er den gesamten Schaden durch entsprechende Zahlungen an die KV bzw. die Privatpatienten wieder gutmachte und ein Geständnis ablegte, entkam der Orthopäde mit einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren plus einer Geldstrafe von über 100.000 Euro gerade noch einer „nicht mehr aussetzungsfähigen Strafe“, sprich dem Gefängnis. Das Landgericht verurteilte den Arzt wegen gewerbsmäßigen Betrugs und hielt ihm mit Blick auf die Plexusanalgesien vor, er habe mit seiner Abrechnung wahrheitswidrig behauptet, die abgerechneten Leistungen vollständig erbracht zu haben. Dies ergibt sich aus den Allgemeinen Bestimmungen des EBM.

     

    • 2.1 Allgemeine Bestimmungen EBM

    „Eine Gebührenordnungsposition ist nur berechnungsfähig, wenn der Leistungsinhalt vollständig erbracht worden ist.“

     

    Der Einwand des Arztes, er habe die Leistungen nicht aus Bereicherungsabsicht unvollständig erbracht, sondern um die Patienten nicht unnötig zu beunruhigen, blieb ungehört.

     

    Wie angesichts der Verurteilung nicht anders zu erwarten, befasste sich anschließend die Approbationsbehörde mit dem Fall. Sie hielt den Arzt aufgrund der Abrechnungsverstöße für unwürdig und entzog ihm die Approbation. Gegen diese Entscheidung klagte der Orthopäde vor dem VG Hamburg ‒ und bekam recht.

    Entscheidungsgründe

    Das VG Hamburg hielt den Arzt ungeachtet der strafrechtlichen Verfehlungen nach wie vor für berufswürdig. Das Gericht betont, dass ein Approbationswiderruf als massiver Grundrechtseingriff an hohe Voraussetzungen geknüpft ist. Der Widerruf darf regelmäßig nur bei einem schwerwiegenden Fehlverhalten erfolgen, welches mit dem Berufsbild des Arztes und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes nicht zu vereinbaren ist.

     

    Dabei unterliege ein approbierter Arzt nicht per se überhöhten moralischen Anforderungen und müsse nicht gleichsam ein „besserer Mensch“ als der Durchschnittsbürger sein. Anders noch als das Strafgericht nahm das VG dem Arzt ab, dass er nicht aus finanziellen Motiven die von der Leistungslegende geforderten Begleitmaßnahmen nicht durchführte, sondern sie für medizinisch nicht indiziert hielt.

     

    Dass er sich damit über bindende vergütungsrechtliche Bestimmungen hinweggesetzt habe, wertete das Gericht zwar als nicht hinnehmbare „Selbstherrlichkeit und Überheblichkeit“, was aber angesichts der vom Orthopäden vorgebrachten fachlichen Gründe für die Nichterbringung der vorgeschriebenen Leistungsbestandteile nicht den Approbationswiderruf rechtfertige.

     

    FAZIT | Der Fall macht deutlich, dass eigenmächtige Abrechnungspraktiken erhebliche (straf-)rechtliche Risiken bergen. Mit Blick auf den Vertragsarzt betont die sozialgerichtliche Rechtsprechung immer wieder, dass dieser zur „peinlich genauen“ Abrechnung verpflichtet ist.

     

    Insbesondere das Gebot der vollständigen Leistungserbringung spielt in der Praxis eine große Rolle, wobei sich Streit und Honorarregresse häufig an den „Gesprächsziffern“ entzünden (z. B. EBM-Nr. 03230). Der Vorwurf lautet dann typischerweise, dass die vom Arzt abgerechneten Leistungen nicht plausibel sind, da der Zeitaufwand im Tages- oder Quartalsprofil die einschlägigen Grenzen überschreitet (mindestens 3 Tage mit mehr als 12 Stunden bzw. 780 Stunden im Quartal).

     

    Ebenso darf nicht übersehen werden, dass nach den allgemeinen Bestimmungen des EBM (Ziffer 2.1. Satz 5 EBM) die vollständige Leistungserbringung voraussetzt, dass „die in den Präambeln, Leistungslegenden und Anmerkungen aufgeführten Dokumentationspflichten“ erfüllt wurden. Auch eine nachlässige Dokumentation kann so Anknüpfungspunkt für den Vorwurf der Falschabrechnung sein.

     

    Erfreulich ist die Entscheidung des VG Hamburg, den Approbationswiderruf in derartigen Fällen als überzogen einzustufen, denn viele Verwaltungsgerichte verfolgen nach wie vor eine strengere Linie und bestätigen in Abrechnungsbetrugskonstellationen meist den Widerruf der Approbation.

     
    Quelle: Ausgabe 09 / 2019 | Seite 15 | ID 46082598