· Fachbeitrag · Vertragsarztrecht
Die 11 wichtigsten Regeln zur Abwehr von Honorarkürzungen (Teil 1)
von RA, FA MedR Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Dortmund, und RAin, FAin MedR Dr. Anna Kirchhefer-Lauber, LL.M., Münster, kanzlei-am-aerztehaus.de
| Seit der Gesetzgeber 2017 die Prüfverfahren wieder in die Hände der regionalen Vertragspartner gelegt hat, ist ein relativ bunter Flickenteppich an Prüfmethoden entstanden, der nicht nur die Anwälte herausfordert, sondern auch für den einzelnen Arzt manchmal unüberschaubar erscheint. Darüber hinaus halten sich die Prüfgremien vielerorts nicht immer an das aktuelle Prüfrecht und beachten auch nicht immer die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Mit der nachfolgenden Liste (Teil 1, mit den Regeln Nr. 1 bis Nr. 5) geben wir Ihnen eine erste Handhabe, um Honorarkürzungen zu vermeiden, indem Sie Ihre Rechte im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung kennen und vor allem wissen, wie diese wahrzunehmen sind. |
Regel Nr. 1: Wirtschaftlichkeitsprüfung oder sachlich-rechnerische Richtigstellung/Plausibilitätsprüfung?
Zuerst sollten Sie sich vergewissern, um welche Art der Prüfung es sich handelt. Das Recht der Wirtschaftlichkeitsprüfungen sieht als Maßnahmen für ein nicht vertrags- bzw. gesetzeskonformes Verhalten von Vertragsärzten deren
- Beratung sowie
- die Festsetzung von Regressen vor.
MERKE | Wirtschaftlichkeitsprüfungen werden von der Prüfungsstelle bzw. im Widerspruchsverfahren von dem Beschwerdeausschuss (§ 106c SGB V; dieser besteht aus der gleichen Zahl von Vertretern der Krankenkassen und der kassenärztlichen Vereinigung (KV) sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden) durchgeführt. Die KV hat keine Befugnis zur Wirtschaftlichkeitsprüfung. |
Vom Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch Prüfstelle und Beschwerdeausschuss zu unterscheiden ist
- die sachlich-rechnerische Richtigstellung einerseits
- bzw. die Plausibilitätsprüfung andererseits.
In diesen Verfahren wird nicht „die Wirtschaftlichkeit“, sondern die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen überprüft. Dazu gehört die rechtlich ordnungsgemäße Leistungserbringung und die formalrichtige Abrechnung der erbrachten Leistungen und der geltend gemachten Sachkosten. Für diese Verfahren ist die KV zuständig.
Regel Nr. 2: Rechtzeitige Bescheidung eines Prüfverfahrens?
Regresse für ärztliche Leistungen (z. B. aufgrund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung des Honorars) müssen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheids festgesetzt werden. Bei Regressen für ärztlich verordnete Leistungen (z. B. Heilmittelverordnungen) muss dieses innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahrs erfolgen, in dem die Verordnung vorgenommen wurde. Der entsprechende Bescheid hat dem Arzt innerhalb dieser Zwei-Jahres-Frist zuzugehen. Achten Sie deshalb auf das Eingangsdatum des Bescheids.
Allerdings gelten die Zwei-Jahres-Fristen erst seit dem Inkrafttreten des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) im Jahr 2019. Für ältere Prüfverfahren greift noch das ältere Fristenregime von i. d. R. vier Jahren.
Für das Jahr 2019 müssen die Bescheide der Prüfungsstelle demnach nach der hier vertretenen Auffassung für ärztlich verordnete Leistungen bis zum 31.12.2021 zugegangen sein. Für ärztliche Leistungen ist auf die Zustellung des Honorarbescheids abzustellen, sodass ein Regress für das Quartal II/2019 binnen zwei Jahren ab der Zustellung des Abrechnungsbescheids für das Quartal II/2019 ‒ i. d. R. erfolgt dies Ende Oktober 2019 ‒ festgesetzt werden muss, somit bis Ende Oktober 2021. Für die Prüfung nach Durchschnittswerten gilt die gleiche Zwei-Jahres-Vorgabe.
MERKE | Sollte der Regressbescheid nach Ablauf der dargestellten Fristen zugehen, kann der Arzt einen sogenannten Einwand der Verjährung erheben. |
Regel Nr. 3: Prüfantrag sorgfältig analysieren
Mit dem Schreiben der Prüfungsstelle erhalten Sie Kenntnis von der Einleitung des Prüfverfahrens. Gleichzeitig wird Ihnen rechtliches Gehör gewährt, d. h. Sie werden aufgefordert, zu den „Vorwürfen“ binnen einer bestimmten Frist Stellung zu nehmen.
Hat Ihnen die Geschäftsstelle eine als zu kurz empfundene Stellungnahmefrist gesetzt, sollten Sie umgehend eine angemessene Fristverlängerung beantragen. Im Rahmen des ordnungsgemäßen Anhörungsrechts steht Ihnen eine ausreichend lange Stellungnahmefrist zu, die sich im Einzelfall am Prüfungsumfang zu orientieren hat. Die neuen Rahmenvorgaben für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen (Stand: 05.10.2020) sieht insoweit eine Fristeinräumung von mindestens sechs Wochen vor.
PRAXISTIPP | Ist ein erheblicher Prüfaufwand absehbar, droht eine nicht unerhebliche Honorarkürzung. Liegt eine Aneinanderreihung von Prüfverfahren verschiedener Quartale vor, sollten Sie einen versierten Rechtsanwalt hinzuziehen, damit grundlegende Fehler von vornherein vermieden werden. |
Regel Nr. 4: Praxisindividuelle Stellungnahme vorbereiten
Die häufigste Prüfmethode ist die Prüfung nach Durchschnittswerten, auch statistische Vergleichsprüfung genannt. Im Rahmen dieser Prüfmethode werden die Praxisabrechnungswerte bestimmten KV-Vergleichspraxen gegenübergestellt. Zu unterscheiden sind Vergleiche
- der Praxisabrechnungswerte insgesamt (Fallwertvergleich),
- der einzelnen Leistungsgruppen (Spartenvergleich) oder
- der einzelnen Leistungsziffern (Ziffernvergleich).
Von besonderer Bedeutung für die Rechtfertigung der eigenen Abrechnungswerte sind bestehende Praxisbesonderheiten. Einige der Praxisbesonderheiten lassen sich mithilfe der Abrechnungsstatistik belegen oder begründen zumindest eine Anscheinsvermutung. Dabei kann man auch die Vor- und Nachquartale mit in die Untersuchung einbeziehen, die einen Schwerpunkt ggf. drastischer aufzeigen als das eigentliche Quartal.
Das Ermitteln einer Praxisbesonderheit gelingt meist über die akribische Prüfung aller zur Verfügung stehenden Statistiken. Vielleicht ist Ihnen aber auch bekannt, dass Sie ein vom Durchschnitt der Fachgruppe abweichendes Patientenklientel betreuen, z. B. sehr viele bettlägerige Patienten mit offenen Wunden bzw. Dekubituserkrankungen. Dann müssen Sie umfängliche Ausführungen zu der sich aus der Atypik der Zusammensetzung des Patientenklientels ergebenden Verordnungsnotwendigkeiten am Einzelfall machen (beachten Sie dazu Regel 4).
Regel Nr. 5: Praxisbesonderheiten vortragen und nachweisen
Leider hat die Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen an die Darlegung von Praxisbesonderheiten aufgestellt. So müssen Ärzte im Verfahren der Richtgrößenprüfung Arznei- oder Heilmittel u. a. vortragen (vgl. hierzu Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 05.03.2014, Az. L 3 KA 14/12):
- „Bei wie vielen Patienten genau“: Fallzahlen und Anteil an gesamten Patienten in der Praxis in Prozent vortragen.
- „Aufgrund welchen Erfordernisses im Einzelnen“: Die Patienten anhand ihrer ICD-klassifizierten Diagnose zu einer Gruppe zusammenfassen. Diese Gruppe stellt dann logischerweise gleichzeitig im Einzelfall den Grund für die Therapie dar.
- „Welche Medikamente benötigt wurden“: Bei dem Vortrag, welche Medikamente benötigt wurden, kann anstelle der Präparatsnamen mit der anatomisch-therapeutisch-chemischen (ATC) Klassifikation gearbeitet werden, damit alle Präparate, die zur Therapie der besonderen Gesundheitsstörung benötigt werden ‒ unabhängig vom Hersteller ‒ erfasst werden können.
- „Aus welchen Gründen sich dann insoweit Abweichungen, nämlich eine besondere Patientenstruktur im Vergleich zu den Praxen seiner Fachgruppe, ergeben“: Vergleich des Anteils der Patienten mit bestimmten Gesundheitsstörungen in der Praxis mit dem durchschnittlichen Anteil der Patienten mit dieser Gesundheitsstörung in den Praxen der Fachgruppe. Die Abweichungen sind prozentual angegeben.
PRAXISTIPP | Einwände, die der Arzt erst im gerichtlichen Verfahren vorbringt, obwohl es ihm oblegen hätte, diese schon den Prüfgremien gegenüber zu erheben, können unberücksichtigt bleiben, weil der Arzt nicht berechtigt ist, das Prüfverfahren zu unterlaufen und die den Prüfgremien vorbehaltene Prüfung in das gerichtliche Verfahren zu verlagern. Das bedeutet, dass Sie bereits im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren Ihre Argumente besonders sorgfältig zusammentragen sollten, weil sie u. U. später nicht mehr damit gehört werden. |