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  • · Fachbeitrag · Vertragsarztrecht

    Erwarten Sie vom „Wohlverhalten“ nicht zu viel, wenn es um Ihre Zulassung geht

    von RA Tim Hesse und Rechtsreferendarin Lea Maria Sommerfeld, Kanzlei am Ärztehaus, Münster, kanzlei-am-aerztehaus.de

    | Begehrt ein ehemaliger Vertragsarzt nach der Zulassungsentziehung eine Wiederzulassung, setzt dies ein Wohlverhalten voraus, an das hohe Anforderungen zu stellen sind. So liegt Wohlverhalten nicht bereits dann vor, wenn sich der Arzt lediglich an die allgemeinen Anforderungen hält, sondern es setzt eine aktive Mitwirkung an der Aufklärung und Schadensbeseitigung nach einem Pflichtverstoß voraus. Für die zuvor erfolgte Zulassungsentziehung bringt ein Wohlverhalten nichts (Sozialgericht [SG] Marburg, Gerichtsbescheid vom 06.04.2021, Az. S 12 KA 116/19). |

    Der Fall

    Ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Facharzt für Allgemeinmedizin reichte Honorarabrechnungen über den Ärztlichen Bereitschaftsdienst ein und rechnete dabei einen Betrag von insgesamt mehr als einer Million Euro implausibel ab. Daraufhin wurde ihm die Zulassung als Vertragsarzt entzogen. Nach erfolglosem Widerspruch klagte der Arzt darauf, die Entziehung aufzuheben.

    Die Entscheidung

    Das SG wies die Klage ab. Die Zulassungsentziehung sei rechtmäßig gewesen, da die implausible Honorarabrechnung eine gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Grundpflichten darstelle. Bei der Bezifferung der zu vergütenden Leistung gelte für Vertragsärzte das Gebot peinlich genauer Abrechnung. Mit Abgabe der Abrechnungs- und Sammlungserklärung garantiere der Vertragsarzt, dass seine Angaben zutreffend seien.

     

    Das Gericht hielt dabei insbesondere den Einwand des Arztes, er habe den finanziellen Schaden ausgeglichen und sich auch im Übrigen seit dem Zeitpunkt der Zulassungsentziehung im Jahr 2018 stets einwandfrei verhalten, für unerheblich.

     

    MERKE | Die rechtlichen Anforderungen an ein Wohlverhalten eines Arztes im Rahmen eines Wiederzulassungsverfahrens (siehe auch Hintergrund-Kasten) sind allein durch regelkonformes Verhalten nicht erfüllt.

     

    Zur Anerkennung eines Wohlverhaltens in einem solchen Verfahren müssten betroffene Ärzte aktiv an der Aufklärung ihrer Verfehlungen mitwirken und sich an der Schadensbegrenzung und -regulierung beteiligen. Bleibe hingegen schlicht den Zulassungs- und Prüfgremien sowie der KV überlassen, Schäden allein im Wege der Amtsermittlung festzustellen, so reiche dies für ein Wohlverhalten nicht aus.

     

    • Hintergrund: Die Bedeutung des ärztlichen Wohlverhaltens

    Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG; Urteil vom 17.10.2012, Az. B 6 KA 49/11 R) ist ein Wohlverhalten bei der Entscheidung über die Zulassungsentziehung nicht zu berücksichtigen. Bedeutung kann ein Wohlverhalten vielmehr nur im sogenannten Wiederzulassungsverfahren haben, in dem über eine erneute Zulassung als Vertragsarzt entschieden wird.

     

    Nach ständiger Rechtsprechung kommt bei einem Abrechnungsbetrug eine Wiederzulassung allerdings erst nach dem Verstreichen einer Bewährungszeit von fünf Jahren in Betracht, so das BSG. Zudem muss zweifelsfrei prognostiziert werden können, dass sich der entsprechende Arzt in Zukunft rechtmäßig verhalten wird. An diese Prognoseentscheidung sind hohe Anforderungen zu stellen: Jeder ernstliche Zweifel an der Besserung des Verhaltens führt zu einer Ablehnung des Wohlverhaltens (BSG, Beschluss vom 27.06.2007, Az. B 6 KA 20/07 B).

     

    Im Übrigen kann sich ein Arzt nur dann mit Erfolg auf ein Wohlverhalten berufen, wenn er zur Aufklärung und Beseitigung des Schadens aktiv beiträgt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass sich Betroffene nach einer gröblichen Verletzung vertragsärztlicher Regeln nicht allein durch fehlerloses Folgeverhalten „freikaufen“ können sollen (siehe auch SG München, Urteil vom 24.10.2019, Az. S 38 KA 240/18).

     

    Unabhängigkeit von der strafrechtlichen Entscheidung

    Wie das SG zudem deutlich machte, erfolgt die Entscheidung über die Zulassungsentziehung unabhängig vom Ausgang eventuell laufender strafrechtlicher Ermittlungsverfahren. Grund dafür seien die unterschiedlichen Zielrichtungen der Verfahren. So komme es für die Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung (anders als im Strafrecht) insbesondere auf Schuldfragen nicht an ‒ schon eine objektiv gegebene Pflichtverletzung könne eine Zulassungsentziehung rechtfertigen.

     

    Soweit ein Vertragsarzt im Hinblick auf ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren in die Situation gerate, sich selbst beschuldigen zu müssen, um die Anforderungen an das Wohlverhalten zu erfüllen, obliege es seiner freien Entscheidung, ob und in welchem Umfang er an der Aufklärung und Beseitigung entstandener Schäden mitwirke, so das SG.

     

    FAZIT | Die Klage des betroffenen Arztes hatte keine Aussicht auf Erfolg. Zum einen deshalb, weil ärztliches Wohlverhalten im Zusammenhang mit der Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung bereits seit einigen Jahren keine Rolle mehr spielt. Und zum anderen, weil der betroffene Arzt selbst nichts zur Aufklärung seiner Verfehlungen oder zur Schadensbegrenzung und -regulierung beigetragen hat. Die Entscheidung zeigt: Bei einer groben Verletzung vertragsärztlicher Pflichten können Betroffene durch anschließendes Wohlverhalten allein weder die Zulassungsentziehung verhindern, noch eine Wiedererteilung der Zulassung bewirken. Sie können jedoch durch unmittelbare aktive Teilnahme an der Aufklärung ihres Fehlverhaltens sowie an der Ermittlung und Beseitigung dadurch entstandener Schäden die Weichen dafür stellen, dass die Bewertung ihres Verhaltens zu einem späteren Zeitpunkt (ggf. erst nach Jahren) positiv ausfällt und dadurch die Chancen für die Wiedererteilung aktiv erhöhen.

     
    Quelle: Ausgabe 09 / 2021 | Seite 13 | ID 47563537