· Fachbeitrag · Videosprechstunde
Arzt im Homeoffice: Ist eine ärztliche Beratung „von zu Hause“ zulässig?
von RA Dr. Alexander Kopf, D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin, db-law.de
| In vielen Bereichen war und ist die Coronapandemie Beschleuniger von Entwicklungen, besonders auch an der Schnittstelle zwischen Digitalisierung und flexiblem Arbeiten. Sowohl die Nutzung und Akzeptanz der Tätigkeit im Homeoffice als auch damit verbunden die Verbreitung telematischer Kommunikation steigen. Speziell im Bereich der ärztlichen Versorgung betrifft dies die Behandlung mittels Videosprechstunde. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und unter welchen Bedingungen der Arzt aus dem Homeoffice Videosprechstunden erbringen und abrechnen kann. |
Rechtliche Rahmenbedingungen der Videosprechstunde
Mit Änderung der MBO-Ä wurde 2018 das Fernbehandlungsrecht liberalisiert. § 7 Abs. 4 MBO-Ä bietet seither die rechtliche Grundlage für Videosprechstunden unter den dort genannten Voraussetzungen. Dabei gilt weiterhin der Grundsatz, dass der Arzt die Patienten in erster Linie im persönlichen Kontakt behandeln soll. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist nur im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird.
Grundsatz der Leistungserbringung am Vertragsarztsitz
Die Möglichkeit der Videosprechstunde bedeutet in der Konsequenz, dass Arzt und Patient für die ärztliche Behandlung nicht mehr am selben Ort anwesend sein müssen. Hieraus folgt aber für den Arzt nicht automatisch, dass er an einem beliebigen Ort sein darf. Aus dem Zusammenspiel von § 24 Abs. 2 Ärzte-ZV sowie § 17 Abs. 1 MBO-Ä ergibt sich, dass der Vertragsarzt grundsätzlich nur an seinem Vertragsarztsitz (Ort der Niederlassung) tätig werden darf. Der „Ort der Niederlassung“ ist dabei eng zu verstehen und meint die tatsächliche Praxisanschrift. In der Ärzte-ZV sind als Ausnahmen insbesondere die genehmigungsbedürftige Zweigpraxis (§ 24 Abs. 4 Ärzte-ZV) und die lediglich anzeigepflichtige ausgelagerte Praxisstätte (§ 24 Abs. 5 Ärzte-ZV) vorgesehen.
Als Lösung für die Zulässigkeit der Videosprechstunde aus dem Homeoffice kommt auf den ersten Blick die Anzeige der eigenen Wohnung als ausgelagerte Praxisstätte in Betracht. Nach dem Wortlaut des Gesetzes dient sie der Erbringung spezieller Untersuchungs- und Behandlungsleistungen. Sie darf dagegen nicht zur Abhaltung von Sprechstunden genutzt werden. Die Nutzung der eigenen Wohnung als ausgelagerte Praxisstätte würde damit aber voraussetzen, dass man die Videosprechstunde als spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistung einordnet (und nicht als Sprechstunde). Dies ist jedoch nicht überzeugend. Hinzu kommt, dass auch eine gewisse räumliche Nähe zum Vertragsarztsitz gegeben sein muss, was je nach Entfernung des Wohnorts des Arztes ebenfalls gegen eine Anwendbarkeit sprechen kann. Da es an einer wirklich überzeugenden Lösung im Gesetz fehlt, kann man das Homeoffice hinsichtlich telemedizinischer Leistungen auch schlicht als „Verlängerung“ des bestehenden Vertragsarztsitzes einordnen. Hierfür spricht, dass bei Durchführung der Videosprechstunde aus dem Homeoffice der mit der gesetzlichen Regelung verbundene Schutzzweck nicht beeinträchtigt wird.
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Die Bindung an den Vertragsarztsitz soll sicherstellen, dass der Arzt seine Tätigkeit nicht ohne feste Niederlassung ausübt. Dies hat eine Reihe von offensichtlichen Gründen. Neben der Versorgungsplanung und einer verlässlichen Versorgungsstruktur soll der Patient eine feste Anlaufstelle haben. Darüber hinaus soll die Nutzung von Praxisräumlichkeiten für die erforderlichen Rahmenbedingungen, insbesondere Hygiene, Privatsphäre und technisch-medizinische Ausstattung sorgen. Dieser Zweck bleibt bei Durchführung der Videosprechstunde unter Berücksichtigung der Vorgaben der insoweit maßgeblichen Anlage 31 b BMV-Ä allerdings auch im Homeoffice gewahrt. |
Auch die Formulierung des § 3 S. 2 der Anlage 31 b BMV-Ä lässt eine solche Interpretation durchaus zu: Hiernach hat die Videosprechstunde zur Gewährleistung der Datensicherheit und des störungsfreien Verlaufs in geschlossenen Räumen zu erfolgen, die eine angemessene Privatsphäre sicherstellen. An dieser Stelle hätte auch schlicht ein Verweis auf die Praxisräumlichkeiten bzw. den Vertragsarztsitz verwendet werden können. Die Tatsache, dass dies nicht erfolgt ist, deutet darauf hin, dass zumindest die KBV sowie der GKV-Spitzenverband die Durchführung der Videosprechstunden nicht auf den Vertragsarztsitz bzw. die Praxisräume begrenzen wollten.
Votum der Kassenärztlichen Vereinigungen
Dementsprechend haben sich bereits einige Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) positiv über die Zulässigkeit der Videosprechstunde im Homeoffice geäußert. So hat etwa die KV Nordrhein festgelegt, dass während der Coronapandemie Videosprechstunden bis auf Weiteres auch aus dem Homeoffice durchgeführt werden können. Im Mitteilungsblatt der KV Schleswig-Holstein wird darauf hingewiesen, dass Ärzte nicht mehr an Ort und Zeit gebunden seien und durch die Videosprechstunden ihre Behandlungszeiten individueller gestalten könnten (Nordlicht aktuell, 07/2020, Seite 17). Hieraus lässt sich schließen, dass die KV die Zulässigkeit der Videosprechstunde aus dem Homeoffice bejaht. Andere KVen wählen den Weg über einzelfallbezogene Genehmigungen.
FAZIT | Aktuell besteht hinsichtlich der Zulässigkeit noch weitgehend Rechtsunsicherheit, sodass die Entscheidungspraxis der unterschiedlichen KVen stark voneinander abweichen kann. Soweit sich einzelne KVen positioniert haben, war dies jedoch ‒ soweit ersichtlich ‒ im Sinne einer Zulässigkeit der Videosprechstunde im Homeoffice. Es bleibt abzuwarten, ob diese positive Sicht auch nach dem Ende der pandemiebedingten Einschränkungen des persönlichen Kontakts anhalten wird. Dies wird wohl maßgeblich davon abhängen, wie effizient oder missbrauchsanfällig sich die Durchführung von Videosprechstunden in der ärztlichen Praxis rückblickend gestaltet. Denkbar ist dann auch, dass der Gesetzgeber mit einer klaren Regelung reagieren wird. Bis dahin sollte ein entsprechendes Vorhaben im Vorfeld mit der zuständigen KV abgestimmt werden. |