· Fachbeitrag · Wirtschaftlichkeitsprüfung
Regress: Pauschalabzüge bei Praxisbesonderheiten rechtswidrig
von Rechtsanwalt Tim Hesse, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund
| Mit seinem Beschluss vom 18. August 2011 (Az: L 3 KA 29/11 B ER) kippte das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen die gängige „50-Prozent-Praxis“ der dortigen Beschwerdeausschüsse, die auch aus anderen Regionen bekannt ist. |
Chirurg behandelte bis zu 80 Prozent Sportverletzungen
Ein Facharzt für Chirurgie hatte im Jahr 2003 die Richtgrößen für Arzneimittel überschritten, was zur Einleitung einer Richtgrößenprüfung und im Weiteren zur Festsetzung eines Regresses in Höhe von knapp 29.000 Euro führte. Hiergegen wandte der Arzt ein, aus seiner Qualifikation als Sportmediziner ergebe sich ein besonderer Patientenzuschnitt. Etwa 70 bis 80 Prozent seiner Patienten behandle er wegen Sportverletzungen, sodass die Überschreitung des Richtgrößenvolumens weitestgehend durch die Verordnung einiger bestimmter Präparate bedingt sei. Der Beschwerdeausschuss erkannte diese Besonderheit an, reduzierte den Regress jedoch nur um 50 Prozent der Verordnungskosten für die in Rede stehenden Präparate, weil deren Verordnung grundsätzlich keine Besonderheit in der Fachgruppe des Arztes darstelle. Hiergegen zog der Arzt vor Gericht.
Prüfgremien müssen jeden Einzelfall gesondert behandeln
Das LSG erachtete den Regressbescheid nun im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens als offensichtlich rechtswidrig, da die vom Arzt geltend gemachte Praxisbesonderheit in unzutreffender bzw. nicht ausreichender Weise berücksichtigt worden sei. Werde die Behandlung von Sportverletzungen als Praxisbesonderheit anerkannt, sei laut LSG anschließend der hierdurch gerechtfertigte Verordnungsumfang zu quantifizieren, um zu prüfen, ob überhaupt eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens um 25 Prozent gemäß § 106 Abs. 5a SGB V vorliegt und um die Höhe des gegebenenfalls festzusetzenden Regressbetrags zu ermitteln. Wo eine genaue Berechnung des auf die Praxisbesonderheit entfallenden Verordnungsumfangs nicht möglich sei, habe der Beschwerdeausschuss ihn zu schätzen, wobei ihm als fachkundig besetztes Gremium ein Beurteilungsspielraum zukomme.
Die lediglich anteilige Anerkennung einer Praxisbesonderheit, wie sie in einer Vielzahl von Fällen etwa mit der Begründung geschehe, die Verordnung bestimmter Präparate stelle grundsätzlich keine Besonderheit in der Fachgruppe des betroffenen Arztes dar, bezeichnete das Gericht als undifferenziert und damit rechtswidrig. Dabei werde keine einzelfallbezogene Schätzung vorgenommen, sondern ein genereller Grundsatz angewandt. Ihr Beurteilungsspielraum gestatte es den Prüfgremien aber nicht, eine sachgerechte Aufbereitung des Sach- und Streitstands und konkrete Tatsachenermittlungen durch allgemeine Erwägungen zu ersetzen. Der Beschwerdeausschuss musste folglich die Besonderheit in vollem Umfang anrechnen.