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  • · Fachbeitrag · Genehmigungsfiktion

    Schwerfällige Krankenkassen-Bürokratie zum Wohle des Patienten ‒ das gibt es wirklich!

    von RA, FA für MedR, Wirtschaftsmediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann und RA Benedikt Büchling, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

    | Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat eine gesetzliche Krankenkasse dazu verpflichtet, die Kosten für 56 g Cannabisblüten zur Schmerztherapie zu tragen, wenn sie über einen entsprechenden Leistungsantrag des Versicherten verspätet entscheidet. Die Krankenkasse hatte auf den Antrag des Patienten nicht innerhalb der gesetzlichen 5-Wochenfrist des § 13 Abs. 3a SGB V entschieden und auch nicht die Gründe hierfür rechtzeitig schriftlich mitgeteilt, sodass die beantragte Leistung als genehmigt gilt (Az. S 8 KR 435/14). |

     

    • Hintergrund

    Cannabis ist die meistkonsumierte illegale Droge in Deutschland. Den beiden Hauptwirkstoffen Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) wird allerdings eine krampflösende und schmerzlindernde Wirkung zugeschrieben. Ferner könnten Cannabinoidmedikamente beispielsweise bei multipler Sklerose (MS) oder dem Tourette-Syndrom Anwendung finden.

     

    Der Konsum von Cannabis fällt in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Der Strafrahmen steht in Abhängigkeit von der Menge und der Begehungsform. Die Straftatbestände sind abschließend in den §§ 29 - 30b BtMG geregelt, wobei § 29 BtMG die strafrechtlichen Grundtatbestände enthält. Strafrahmen ist hier eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren oder Geldstrafe. Allerdings ist der Selbstkonsum von Betäubungsmitteln straflos. Diese Strafbarkeitsausnahme ist die einzige im Umgang mit Betäubungsmitteln.

     

    Der medizinische Einsatz von Cannabis ist nach wie vor ein umstrittenes Thema. Grund dafür ist vor allem die Tatsache, dass keine ausreichenden Studien vorliegen. Es besteht jedoch die Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung für den legalen Konsum bei der Bundesopiumstelle zu beantragen. Sie wird aber nur bei Vorliegen eines entsprechenden Krankheitsbildes ausgesprochen. 2014 erlaubte z. B. das Verwaltungsgericht Köln drei versicherten Patienten mit chronischen Schmerzen, als „Notlösung“ in ihrer Wohnung Hanf anzubauen (Urteile vom 22.7.2014, Az. 7 K 4447/11; 7 K 4450/11 und 7 K 5217/12). Im März 2015 konnten mithilfe der Ausnahmegenehmigung ca. 400 Patienten Cannabis legal als Schmerzmittel erwerben. An der Spitze lag das Bundesland Nordrhein-Westfalen mit ca. 100 Patienten.

     

    Die Frage, ob die legale Cannabisbehandlung künftig auch von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt werden muss, ist rechtlich nach wie vor ungeklärt. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen brachte am 20. März 2015 einen Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes (CannKG) in den deutschen Bundestag ein, der zum Ziel hatte, Volljährigen einen rechtmäßigen Zugang zu Cannabis als Genussmittel zu ermöglichen und zugleich dem Jugend- und Verbraucherschutz sowie der Suchtprävention zu dienen. Der Gesetzesentwurf ist aktuell zur Beratung den Ausschüssen übermittelt worden.

     

    Die gesetzliche Genehmigungsfiktion

    Bezogen auf den vorliegenden Fall stellt sich die eingangs geschilderte Rechtslage wie folgt dar: Nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistung zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Kann die Krankenkassen die Frist nicht einhalten, muss sie dies unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mitteilen. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung gemäß Satz 6 der Regelung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Genehmigungsfiktion). Beschafft sich der Versicherte nach Ablauf dieser Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse nach Satz 7 zur Erstattung der dadurch entstandenen Kosten verpflichtet.

    Der Fall und die Entscheidung

    Der nach einem Unfall an schweren chronischen Schmerzzuständen leidende und über eine betäubungsmittelrechtliche Sondergenehmigung zum Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten verfügende Versicherte stellte bei seiner gesetzlichen Krankenkasse einen Antrag auf Übernahme der Kosten für seine monatliche Versorgung mit 56 g Cannabisblüten entsprechend der Verordnung seines behandelnden Arztes. Die Krankenkasse holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) ein und lehnte die Kostenübernahme 10 Wochen nach Antragsstellung ab, weil es sich bei Cannabisblüten weder um ein Arzneimittel noch um eine Rezepturvorbereitung handele. Für den Versicherten stünden zudem geeignete analgetisch wirksame Medikamente zur Verfügung. Gegen die Ablehnung des Leistungsantrags erhob der Versicherte Klage beim SG Dortmund.

     

    Das SG Dortmund gab der Klage des Versicherten gegen seine gesetzliche Krankenkasse statt und verpflichtete die Kasse, die Kosten für die Cannabisbehandlung zur Schmerztherapie zu tragen. Die Krankenkasse habe die Vorgaben des § 13 Abs. 3 a SGB V (Details s. oben) nicht eingehalten. Eine nachträgliche inhaltliche Überprüfung laufe dem Zweck der Genehmigungsfiktion des Patientenrechtegesetzes aus dem Jahre 2013 entgegen, generalpräventiv die Zügigkeit des Verwaltungsverfahrens der Krankenkassen zu verbessern.

     

    PRAXISHINWEIS | Der Zweck des Gesetzes wird von der überwiegenden Zahl der Sozialgerichte wortlautgetreu umgesetzt. Entsprechendes entschied etwa auch das SG Augsburg (Urteil vom 27.11.2014, Az. S 12 KR 183/14), wie in AAA 04/2015, Seite 11 ausführlich berichtet. Hier finden Sie auch ein Schaubild zur Genehmigung eines Leistungsantrags nach § 13 Abs. 3a SGB V.

     

    Die Entscheidungen sind sowohl für Patienten als auch für den Vertragsarzt von erheblicher Bedeutung. Auf der Grundlage von § 13 Abs. 3a SGB V könnten beispielsweise auch in Einzelfällen regressträchtige Arzneimittelverordnungen veranlasst werden, soweit ‒ wie häufig ‒ ausreichend zeitlicher Vorlauf besteht. Die Krankenkasse wäre aufgrund der Genehmigungsfiktion mit dem Einwand, die Verordnung sei unwirtschaftlich, bei konsequenter Anwendung ausgeschlossen.

     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2016 | Seite 12 | ID 43855829