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  • · Fachbeitrag · Vertragsarztrecht

    Der Sprechstundenbedarfsregress - Hinweise für den Praxisalltag

    von Rechtsanwalt Thorsten Süß, Bergmann und Partner, Hamm

    | Sprechstundenbedarfsverordnungen können wie jede andere Arztverordnung auf ihre Wirtschaftlichkeit überprüft und regressiert werden. Dabei kommen schnell tausende von Euro im Quartal zusammen, sodass sich eine Überprüfung der Regressbescheide lohnen kann. Eine aktuelle Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Dortmund (Urteil vom 22.1.2014, Az. S 9 KA 190/11) gibt Anlass, über die Prüfmethoden der Prüfungsstellen und die Pflicht zur Amtsermittlung im Prüfungsverfahren nachzudenken. |

    Was ist Sprechstundenbedarf und wie wird er verordnet?

    Verordnet ein Arzt Arznei-, Verbands-, Hilfsmittel oder sonstige Artikel therapiebezogen für den einzelnen Patienten, erfolgt die Abrechnung aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse. Der Arzt rezeptiert, der Patient kümmert sich, die Krankenkasse zahlt.

     

    In der täglichen Praxisarbeit benötigt der Arzt aber in erheblichem Umfang Mittel, die nicht zur Therapie eines bestimmten Patienten bezogen werden, sondern die ihrer Art nach entweder zur Verwendung bei mehreren Berechtigten bestimmt sind (Kompressen, Mullbinden, Sauerstoff etc.) oder zur Behandlung von Notfällen (Antiepileptika, Corticoide etc.) vorrätig gehalten werden müssen. Weil der Arzt diese Mittel gerade nicht zur Verwendung beim Patienten zu Hause rezeptiert, sondern zum Einsatz in der Sprechstunde anfordert, bezeichnet man diese Bedarfsmittel als Sprechstundenbedarf (SSB). Im Gegensatz zu Einzelverordnungen erfolgt die Verordnung von SSB zulasten der Krankenkasse, die in der jeweiligen Sprechstundenbedarfsvereinbarung niedergelegt ist.

     

    Last but not least ist SSB aber nicht nur von therapiebezogenen Verordnungen abzugrenzen, sondern auch von Praxiskosten, die gar nicht der Therapie des Patienten dienen, sondern der Aufrechterhaltung des Praxisbetriebs.

     

    • Beispiel Desinfektionsmittel

    Bestimmte Desinfektionsmittel sind nach den Leistungskatalogen als SSB verordnungsfähig. Solche Mittel, die der Desinfektion medizinischer Apparaturen dienen, unterfallen aber häufig den allgemeinen Praxiskosten und sind nicht abrechenbar. Näheres entnehmen Sie den detaillierten Leistungskatalogen auf der Homepage Ihrer KV.

     
    Einzelverordnungen
    SSB
    Praxiskosten

    Individuelle Verordnung >

    individuelle Bezahlung

    Sammelverordnung >

    Bezahlung durch festgelegte Krankenkasse

    Betriebswirtschaftliche Ausgaben > keine Erstattung

     

    Es gibt weder einen einheitlichen Leistungskatalog von Sprechstundenbedarfsmitteln, noch laufen die Verordnungs-, Abrechnungs- und Regressverfahren überall gleich ab. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) treffen mit den teilnehmenden Krankenkassen jeweils eigene Sprechstundenbedarfsvereinbarungen, legen eigene Leistungskataloge fest und unterwerfen die Prüfverfahren ihren Prüfvereinbarungen.

     

    Der SSB ist kalendervierteljährlich als Ersatz für zulässig verbrauchtes Material zu beziehen. Daraus ergibt sich übrigens auch, dass die Erstausstattung der Praxis nicht abrechenbar ist.

    SSB-Verordnungen sind vier Jahre lang überprüfbar

    Bei SSB-Verordnungen ist das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 SGB V zu beachten. SSB-Verordnungen sind - wie jede andere ärztliche Verordnung auch - überprüfbar (§ 106 SGB V). Die Prüfgremien haben in den vergangenen Jahren von ihrer Prüfpflicht sogar verstärkt Gebrauch gemacht.

     

    Für die Überprüfung gilt eine Ausschlussfrist von vier Jahren. Das heißt, dass jeder Arzt innerhalb von vier Jahren damit rechnen muss, dass seine Verordnungsweise überprüft wird. Die Frist beginnt mit dem Ende des Abrechnungszeitraums. Das ist beim SSB entweder das Quartalsende oder das Jahresende. Beantragt die betroffene Krankenkasse eine Prüfung, so hemmt dieser Antrag die Ausschlussfrist. Das gilt aber nur, wenn der Arzt von diesem Prüfantrag Kenntnis erlangt.

     

    Gegenstand der Prüfung

    Die Überprüfung der Verordnungsweise des Arztes kann zwei Anknüpfungspunkte haben. Denkbar sind sowohl unzulässige als auch unwirtschaftliche SSB-Verordnungen.

     

    • Beispiel

    Verordnet der Arzt über den SSB Arznei- oder Hilfsmittel für Privatpatienten, für den Einzelfall oder Hilfsmittel, die von der SSB-Vereinbarung gar nicht gedeckt sind, liegt eine unzulässige Verordnung vor. Hier wird eine Überprüfung im Einzelfall durchgeführt.

     

    Davon zu unterscheiden ist eine auffällige Verordnungsweise, die durch den statistischen Vergleich mit Durchschnittswerten anderer Praxen ermittelt wird. Hier verordnet der Arzt zulässige SSB-Mittel in einem Umfang, der eine unwirtschaftliche Verordnungsweise nahelegt. Dies ist Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V.

     

    Prüfverfahren

    Die Einzelheiten des Prüfverfahrens nach § 106 SGB V sind in den SSB-Vereinbarungen geregelt. Häufig verweisen diese auf übergeordnete, gemeinsame Prüfvereinbarungen, die nicht nur für den SSB-Regress, sondern für alle Wirtschaftlichkeitsprüfungen gelten. So heißt es etwa in § 7 der SSB-Vereinbarung für Westfalen-Lippe nur, dass die Gemeinsame Prüfvereinbarung gelte.

     

    In den Prüfvereinbarungen werden die Prüfgremien bestimmt. Es ist zulässig, Rechte und Pflichten von der KV auf einzelne Gremien zu übertragen. Regelmäßig wird das Verfahren vor der Prüfungsstelle und dem Beschwerdeausschuss schriftlich und nicht öffentlich geführt. Dabei kann sich der Arzt durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, wobei der Umfang der Vertretung in den einzelnen Prüfvereinbarungen genau geregelt ist. Gemäß § 7 der Gemeinsamen Prüfvereinbarung für Westfalen-Lippe kann die Prüfstelle etwa die persönliche Anhörung des Arztes beschließen, bei der er sich nicht vertreten lassen kann.

     

    Prüfmethoden

    Auch die Methoden, nach denen eine Wirtschaftlichkeitsprüfung vorgenommen und ein Regress festgesetzt wird, können in den KV-Bezirken variieren. Es gibt auch nicht „die“ anzuwendende Prüfmethode. Häufig wird in den Gemeinsamen Prüfvereinbarungen schlicht auf die „von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze“ abgestellt. Damit ist die sogenannte „statistische Vergleichsprüfung“ angesprochen, die zwar seit 2004 eigentlich nicht mehr die gesetzliche Regelmethode darstellt, in vielen Prüfvereinbarungen aber noch als Möglichkeit geführt wird. In der Praxis kommt sie noch am häufigsten vor.

     

    MERKE | Die statistische Vergleichsprüfung erlaubt einen Vergleich der Verordnungsweise eines Arztes mit der seiner Facharztkollegen. Die Methode beruht auf der Überlegung, dass wirtschaftlich ist, was der Durchschnitt der Facharztgruppe verordnet. Verglichen wird etwa das Verordnungsvolumen des überprüften Arztes mit dem Verordnungsvolumen des Gruppendurchschnitts. Überschreitet der Arzt die Durchschnittswerte, kommt es auf die Höhe der Abweichung an. Es existieren Toleranzbereiche (bis ca. 20 Prozent), in denen die Prüfgremien die einzelnen Verordnungen auf ihre Unwirtschaftlichkeit überprüfen können. Bei einem darüber liegenden Missverhältnis (bis ca. 40 Prozent) müssen sie diese weitergehende Prüfung vornehmen. Ab einer Überschreitung von 50 Prozent wird die Unwirtschaftlichkeit vermutet.

     

    Die Prüfgremien können auch anhand von Richtgrößen prüfen. Bei beiden Methoden sind Praxisbesonderheiten des Arztes zu berücksichtigen und in Abzug zu bringen.

     

    SSB muss im „angemessen Verhältnis“ stehen

    Viele SSB-Vereinbarungen sehen ausdrücklich vor, dass das Verordnungsvolumen zur Zahl der Behandlungsfälle bzw. der einzelnen Leistungen in einem angemessenen Verhältnis stehen muss. Hieraus ergibt sich nicht nur ein zusätzlicher Prüfansatz, sondern auch eine Einbruchstelle für juristische Wertungen. Denn der Begriff des „angemessenen Verhältnisses“ ist unscharf, wie auch die eingangs genannte Entscheidung des SG Dortmund zeigt.

    Der aktuelle Fall des SG Dortmund

    Geklagt hatte ein Facharzt für Urologie, gegen den ein SSB-Regress festgesetzt wurde. Hintergrund war, dass in der Praxis des Urologen auffällig häufig bestimmte Katheter verordnet wurden, die in einem Missverhältnis zu den abgerechneten Leistungen (Katheterwechsel) standen. Der Arztwert pro Fall überschritt daher den der Vergleichsgruppe um 104 Prozent. Das Prüfgremium zog sich auf diese statistische Vergleichsprüfung zurück. Der Arzt wandte ein, er müsse besonders viele chronisch kranke und alte Patienten in Pflegeheimen versorgen. Dort stünden besonders viele Katheterwechsel an, die bei der Patientenklientel überdurchschnittlich oft erst beim dritten oder vierten Versuch gelängen. Die „misslungenen“ Katheter dürften aus Hygienegründen nicht noch einmal verwendet werden und würden daher entsorgt. Trotzdem stünde den Verordnungen nur eine abrechenbare Leistung gegenüber. Das Prüfgremium berücksichtigte die Besonderheit, indem es (willkürlich) annahm, eine bestimmte Häufigkeit sei als Toleranz zu berücksichtigen. Ansonsten meinte es, der Arzt müsse schon darlegen und nachweisen, bei welchen konkreten Behandlungen die Besonderheit jeweils aufgetreten sei.

     

    Dieser Argumentation ist das Gericht in zwei Punkten entgegengetreten und hat dem Arzt recht gegeben: Wenn dem Prüfgremium (1.) bekannt sei, dass Katheterwechsel bei älteren Patienten häufig erst im dritten oder vierten Anlauf gelängen, könne es sich nicht auf die schlichte Vergleichsprüfung zurückziehen. Außerdem habe das Prüfgremium (2.) diese Besonderheit grundsätzlich anerkannt, aber vom Arzt verlangt, vor Gericht nachzuweisen, bei welchen Patienten die misslungenen Katheterisierungen vorlagen. Das sei mit der Amtsermittlungspflicht der Prüfbehörden nicht zu vereinbaren.

    Was bleibt für den Praxisalltag?

    SSB-Verordnungen sind überprüfbar und regressfähig. Davon machen die Prüfgremien immer stärker Gebrauch. Sie gehen dabei häufig von der statistischen Vergleichsmethode aus und vergleichen einerseits die Verordnungen mit den abrechenbaren Leistungen und andererseits die Verordnungen des einzelnen Arztes mit denen der Vergleichsgruppe. Dabei dürfen sie medizinische Besonderheiten nicht außer Betracht lassen. Praxisbesonderheiten haben sie von Amts wegen zu ermitteln.

     

    • Überlegungen bei Regressforderungen
    • Wie kommt die Abweichung von der Verordnungszahl bestimmter Hilfsmittel zu den abrechenbaren Leistungen zustande? (Stichwort: Medizinische Besonderheit)
    • Wie kommt die Abweichung meiner Praxis vom Arztgruppendurchschnitt zustande? (Stichwort: Praxisbesonderheit/Patientenklientel)
    • Wie setzt sich die herangezogene Vergleichsgruppe zusammen? Gibt es überhaupt genügend Fachärzte, mit denen ich verglichen werden kann?
    • Habe ich besondere Schwerpunkt- und Zusatzbezeichnungen, die den Vergleich hinfällig werden lassen?
    • Hat der Mehraufwand an anderer Stelle sogenannte kompensatorische Einsparungen zur Folge?

    Daraus lässt sich im Einzelfall eine Verteidigung gegen den Regress aufbauen. Die Fakten sollten den Prüfgremien zeitnah zur Verfügung gestellt werden. Taktische Überlegungen besprechen Sie am besten mit Ihrem Anwalt. Immer müssen Sie Folgendes beachten:

    • Regressbescheide können bestandskräftig, das heißt unanfechtbar werden. Legen Sie zeitnah Rechtsmittel ein; wenden Sie sich am besten direkt an Ihren Anwalt.
    • Viele SSB-Vereinbarungen sehen vor, dass Regresse erst ab einer bestimmten Größe geltend gemacht werden dürfen. Prüfen Sie, ob die Prüfgremien sich daran gehalten haben.
    • Sollte der Beschwerdeausschuss Ihrem Widerspruch nicht abhelfen, bleibt nur noch die Klage vor dem Sozialgericht. Hier entstehen Kosten, die nur im Falle eines Sieges erstattet werden.
    Quelle: Ausgabe 10 / 2014 | Seite 16 | ID 42942989