· Fachbeitrag · NW-Handel
Rechtsprechungsreport: Die wichtigsten Urteile des Jahres 2015 zum NW-Handel auf einen Blick
| Die VW-Abgasaffäre hat die Gerichte zwar schon erreicht, erste Entscheidungen wird es aber frühestens Mitte 2016 geben. Doch auch ohne VW waren die Gerichte in Autokauf-Streitigkeiten im Jahr 2015 wieder sehr produktiv. Der nachfolgende Report verschafft Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Entscheidungen zum NW-Handel. |
Käuferfreundliche Entscheidungen
In den folgenden Fällen haben die Gerichte einen Sachmangel und damit einen Gewährleistungsfall bejaht:
- Aschenbecher fehlt: Der 135.000 Euro teure Lexus hatte entgegen der Bestellung vorn keinen fest installierten und beleuchteten Aschenbecher. Eine Nachrüstung war unstreitig nicht möglich. Für den Händler war das Ganze nur eine geringfügige Einschränkung des Raucherkomforts, für einen Rücktritt vom Kauf einfach zu wenig. Anders wertete dies das OLG Oldenburg. Schon die Abweichung von der Bestellung, also der Bruch einer Beschaffenheitsvereinbarung, indiziere die Erheblichkeit des Mangels. Im Übrigen sei es dem Erwerber, einem gewerblichen Leasingnehmer, auf das Raucherpaket entscheidend angekommen (OLG Oldenburg, Urteil vom 10.3.2015, Az. 13 U 73/14, Abruf-Nr. 144212).
- Nicht mehr fabrikneu bei versehentlicher Zulassung auf Dritten: Erst als sie drei Jahre nach dem Kauf des Peugeot 207 den Fahrzeugbrief bekam, stellte die Autohauskundin fest: Da steht ja noch einer drin. Im Autohaus war eine Panne passiert mit der Folge, dass der Wagen dreizehn Tage lang auf eine fremde (Privat-)Person zugelassen war, bevor die Kundin als Halterin eingetragen wurde. Für das Gericht war mit der Voreintragung die Eigenschaft „fabrikneu“ weg und der Wagen entsprechend weniger wert. Den Wertverlust setzte es mit Hilfe eines Sachverständigen auf 3.145,80 Euro fest. Das entspricht ca. 21 Prozent des Neupreises ohne Rabatt (AG München, Urteil vom 22.4.2015, Az. 242 C 17305/14, Abruf-Nr. 145622).
- Zuladungskapazität bei einem Wohnmobil: Vier Personen und dann noch Gepäck für eine längere Urlaubsfahrt - das war nach den Fahrzeugpapieren zu viel. Entweder zwei Personen mit Gepäck oder vier ohne. Das Gericht sah den Käufer in der Erwartung schutzwürdig, dass bei einem für vier Personen zugelassenen Wohnmobil wirklich vier Personen mitfahren können und zusätzlich auch noch größeres Gepäck für eine Urlaubsreise verstaut werden kann, ohne die zulässige Beladungsgrenze zu überschreiten (OLG Frankfurt, Urteil vom 2.1.2015, Az. 26 U 31/14, Abruf-Nr. 145959).
- Beweislastumkehr: Obwohl die Entscheidung des EuGH einen GW-Kauf, dazu noch in Holland, zum Gegenstand hat (ASR, Ausgabe 8/2015, Seite 4), ist sie auch für den NW-Handel höchst bedeutsam. Noch liegen aber keine Urteile deutscher Gerichte vor, die erkennen lassen, dass § 476 BGB (Beweislastumkehr) nunmehr noch verbraucherfreundlicher als bisher zu handhaben ist (EuGH, Urteil vom 4.6.2015, Rs. C-497/13, Abruf-Nr. 144656).
Händler- bzw. herstellerfreundliche Entscheidungen
In den folgenden Fällen haben die Gerichte einen Sachmangel und damit einen Gewährleistungsfall verneint:
- Geliefert wie bestellt? Diese Frage hat das Berliner Kammergericht (KG) zugunsten eines Händlers beantwortet, obwohl dessen Ausgangsposition ungünstig war. Er musste beweisen, dass der zur Übernahme angebotene Ford Transit der vereinbarten Beschaffenheit entsprach. Streitpunkt war die Form des Daches. Mitteldach wie serienmäßig oder Sondervariante Flachdach, wie vom Käufer angeblich bestellt? Das Gericht hat die Klage auf Rückabwicklung des Kaufs abgewiesen. Seiner Ansicht nach hätte der Käufer beweisen müssen, den Transit mit Flachdach bestellt zu haben (KG, Urteil vom 13.5.2015, Az. 11 U 16/14, Abruf-Nr. 144785).
- Konstruktive Besonderheit kein Mangel: Ohne Erfolg blieb die Rüge eines Porsche-Käufers. Er monierte, bei seinem 911 Turbo Cabrio funktioniere die Servolenkung bei Regennässe und nach Waschstraßenbesuchen nicht ordnungsgemäß. Nach aufwändigen Untersuchungen durch zwei Sachverständige mit Versuchen in einer Beregnungsanlage und Einholung einer Auskunft des Deutschen Wetterdienstes zum Thema Starkregen wies das OLG Hamm den Rücktritt des Käufers zurück. Nach dem gebotenen Vergleichsmaßstab, dem sogenannten herstellerübergreifenden Vergleich, sei ein Sachmangel nicht erwiesen. Eine wasserdichte Abschottung des Motorraums sei auch bei anderen Sportwagen nicht üblich. Durch die Lüftungsschlitze eindringendes Wasser dürfe allerdings kein Quietschen des Flachriemens hervorrufen und selbstverständlich müsse die Servolenkung auch bei Nässe einwandfrei funktionieren. Doch weder die eine noch die andere Störung konnten die Richter feststellen. Der bloße Verdacht genügte ihnen nicht (OLG Hamm, Urteil vom 15.10.2015, Az. I-28 U 158/12, Abruf-Nr. 145960, nicht rechtskräftig; Revision beim BGH, Az. VIII ZR 258/15).
- Tankkonstruktion und Messtechnik: In einem weiteren Porsche-Urteil des OLG Hamm ging es wieder um einen 911er Turbo. Diesmal hatte der Käufer bemängelt: Nach dem Katalog fasse der Tank 67 l, diese Menge sei aber nicht verfahrbar. Außerdem sei die Restreichweiteanzeige fehlerhaft konstruiert. Weiterer Kritikpunkt: Beim Nachtanken setze die Messtechnik erst ab einer Menge von 24 l ein. Sachverständig beraten haben beide Instanzen die Rücktrittsklage abgewiesen. Punkt für Punkt hat der auf Autosachen spezialisierte OLG-Senat die Rügen des Käufers abgearbeitet, ohne eine Abweichung von der üblichen Beschaffenheit feststellen zu können (OLG Hamm, Urteil vom 16.6.2015, Az. I-28 U 165/13, Abruf-Nr. 145961).
- Leistungsverlust und seine Ursache: Nach 15 Monaten und 31.160 km bemängelte der Käufer einen spürbaren Leistungsverlust. Als Ursache stellte ein Gutachter eine zu lang gewordene Steuerkette fest. Bei Auslieferung des Fahrzeugs (Typ unbekannt) sei jedoch alles okay gewesen. Der Käufer war mit diesem Befund nicht einverstanden und reklamierte einen Material- oder Konstruktionsfehler - ohne Erfolg (OLG Naumburg, Urteil vom 28.9.2015, Az. 1 U 74/15, Abruf-Nr. 145962).
Dauerthema Nacherfüllung
- Fristsetzung zur Nacherfüllung: Damit der Händler eine Chance hat, im zweiten Anlauf mangelfrei zu liefern, muss der Käufer grundsätzlich zunächst unter Fristsetzung Nacherfüllung verlangen, bevor er vom Kauf zurücktritt oder eine Preisminderung fordert. Das mit der Fristsetzung ist dabei nicht wörtlich zu nehmen. Auch eine Aufforderung zur Nacherfüllung mit dem Zusatz andernfalls werde man rechtliche Schritte ergreifen, reicht aus (BGH, Urteil vom 18.3.2015, Az. VIII ZR 176/14, Abruf-Nr. 176369).
- Ordnungsgemäßes Nacherfüllungsverlangen: Es genügt nicht, dass der Käufer den Händler mündlich oder schriftlich auffordert, den Mangel zu beseitigen. Er muss auch bereit sein, das Fahrzeug zur Überprüfung der Mängelrüge für eine entsprechende Untersuchung zur Verfügung zu stellen, und zwar im Betrieb des Händlers, wenn dort, wie regelmäßig, der sogenannte Erfüllungsort ist (BGH, Urteil vom 1.7.2015, Az. VIII ZR 226/14, Abruf-Nr. 178366). In derselben Entscheidung hat der BGH dem Käufer bzw. dessen Anwalt eine weitere Lehre erteilt: Es stellt kein ordnungsgemäßes Nacherfüllungsverlangen dar, wenn es im Anwaltsschreiben heißt: „Sie werden aufgefordert, innerhalb der Frist von … oder bis zum … die Bereitschaft zur Mängelbeseitigung zu erklären.“
- Ernsthafte und endgültige Verweigerung der Nacherfüllung: Wenn der Händler mit einem „ich tu nixe“ effektiv das „letzte Wort“ gesprochen hat, braucht der Käufer ihm keine Frist mehr zu setzen. Er kann direkt mit dem Rücktritt durchstarten. Doch wann ist eine Erklärung des Händlers als sein „letztes Wort“ zu verstehen? Für den Käufer muss klipp und klar sein, dass der Händler die verlangte Nacherfüllung ablehnt und sich durch eine Fristsetzung auch nicht umstimmen lassen wird. Wer nur den Mangel bestreitet, indem er sagt, bei Auslieferung sei alles okay gewesen, der hat damit noch nicht das „letzte Wort“ gesprochen, schon gar nicht, wenn er den Käufer auf die Möglichkeit einer Garantieleistung einer anderen Firma hinweist (BGH, Urteil vom 1.7.2015, Az. VIII ZR 226/14, Abruf-Nr. 178366).
Einzelheiten der Rückabwicklung nach Rücktritt des Käufers
- Brandschaden nach Rücktrittserklärung: Erleidet das Fahrzeug im Anschluss an die Rücktrittserklärung einen Brandschaden, ohne dass der Käufer dafür etwas kann, hat der Händler keinen Anspruch auf Wert- oder Schadenersatz. Was er beanspruchen kann, ist die Entschädigung aus der Teilkasko. Solange diese jedoch nicht ausgezahlt und der Versicherer auch nicht damit einverstanden ist, dass der Käufer den Entschädigungsanspruch an den Händler abtritt, ist dieser gekniffen. Er muss warten bis der Versicherer reguliert, während der Käufer den Kaufpreis für das mangelhafte Fahrzeug ohne Einschränkung zurückfordern kann (BGH, Urteil vom 25.3.2015, Az. VIII ZR 38/14, Abruf-Nr. 144211).
- Nutzungswertersatz (Gebrauchsvergütung): Nicht den vollen Bruttokaufpreis, sondern den um fünf Prozent geminderten Betrag hat das OLG Oldenburg seiner Berechnung zugrunde gelegt. Begründung: Der Erwerber des Leasing-Lexus habe während der Nutzungszeit (44.693 km) infolge des Fehlens des bestellten fest installierten und beleuchteten Aschenbechers eine erhebliche Einbuße des Raucherkomforts hinnehmen müssen. Als Gesamtlaufleistung hat das Gericht 300.000 km angesetzt, dann aber zum Nachteil des Händlers den Fehler gemacht, mit dem Faktor 0,3 statt mit 0,33 zu rechnen (OLG Oldenburg, Urteil vom 10.3.2015, Az. 13 U 73/14, Abruf-Nr. 144212).
- Ort der Rückabwicklung: Wo der Erfüllungsort ist, dort ist auch das örtlich zuständige Gericht. Kann ein Verbraucher-Käufer nach einem Rücktritt vor seinem Heimatgericht klagen oder hat er ein Auswärtsspiel?
- Mit der Mehrheit der Gerichte hat das OLG Hamm (Urteil vom 27.10.2015, Az. 28 U 91/15, Abruf-Nr. 145963) sich für „Heimspiel“ entschieden.
- Händlergünstig urteilt dagegen das LG Tübingen (Urteil vom 17.9.2015, Az. 5 O 68/15, Abruf-Nr. 145764). Es hat die Klage eines Kfz-Käufers im Gerichtsbezirk seines Wohnorts als unzulässig abgewiesen.
- Beim Verkauf an einen Profi kann der Händler aufgrund der Gerichtsstandsklausel nur vor „seinem“ Gericht verklagt werden (LG Saarbrücken, Beschluss vom 4.11.2015, Az. 6 O 230/15, Abruf-Nr. 145964).
Schadenersatz
- Hersteller lässt Garantiearbeiten nicht zügig durchführen: Der Hersteller haftet nicht auf Schadenersatz, wenn der Käufer das Fahrzeug unrepariert verkauft. Das LG Braunschweig hat eine entsprechende Klage gegen VW abgewiesen. Begründung: kein ersatzfähiger Vermögensschaden (LG Braunschweig, Urteil vom 28.4.2015, Az. 7 O 1419/14, Abruf-Nr. 145965).
- Ehefrau als Erbin haftet auf Schadenersatz: Auf der Fahrt zur Abnahme des neuen Wohnmobils war der Ehemann mit dem in Zahlung gegebenen Wohnmobil tödlich verunglückt. Ein weiteres Unglück kam hinzu: Die Ehefrau als Erbin musste die 15-prozentige Nichtabnahmepauschale zahlen. Den aus der geplatzten Vermarktung des in Zahlung genommenen Wohnmobils erzielbaren Mehrerlös konnte der Händler jedoch nicht als entgangenen Gewinn beanspruchen (OLG Hamm, Urteil vom 27.8.2015, Az. I-28 U 159/14, Abruf-Nr. 145517).
Weiterführende Hinweise
- Beitrag „Update: Berechnung der Nutzungsentschädigung bei Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrags“, ASR 9/2013, Seite 17
- Das (Excel-)Tool „Berechnung der Nutzungsentschädigung bei Rückabwicklung eines Fahrzeugkaufs“ finden Sie auf asr.iww.de unter Downloads → Rechentools.
- Die „Rechtsprechungsübersicht zur Gesamtlaufleistung von Fahrzeugen“ finden Sie auf asr.iww.de unter Downloads → Checklisten/Arbeitshilfen → Autokauf.
Quelle: Ausgabe 01 / 2016 | Seite 12 | ID 43767854