16.02.2009 | Entwicklungskosten in der Handelsbilanz
Aktivierung selbstgeschaffener immaterieller Vermögenswerte des AV nach BilMoG
von WP/StB Lothar Schulz, Reutlingen und WP/StB Klaus Weber, München
Nach dem Regierungsentwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) vom 21.5.08 soll durch die Änderung des § 248 HGB-E künftig das bisherige generelle Aktivierungsverbot für selbstgeschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens auf wenige gesetzlich bestimmte immaterielle Vermögenswerte beschränkt werden. Im Umkehrschluss ergibt sich für alle nicht ausdrücklich ausgenommenen immateriellen Vermögenswerte eine Aktivierungspflicht, da nach § 246 Abs. 1 HGB-E alle Vermögensgegenstände in den Jahresabschluss des Kaufmanns aufzunehmen sind.
1. Aktivierungspflicht durch die Reformierung des Bilanzrechts
Bisher ist es im deutschen, vom Gläubigerschutz dominierten Bilanzrecht nicht zulässig, selbstgeschaffene immaterielle Vermögenswerte des Anlagevermögens zu aktivieren. Für immaterielle Vermögenswerte des Umlaufvermögens galt dieses Aktivierungsverbot noch nie, ebenso nicht für entgeltlich erworbene immaterielle Vermögenswerte des Anlagevermögens. Die selbstgeschaffenen immateriellen Vermögensgegenstände des Anlagevermögens wurden bislang unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes nicht aktiviert, da ihr Vorhandensein und ihr Wert ohne einen entgeltlichen Erwerb nur schwer oder überhaupt nicht nachzuweisen ist. Diese Nichtbilanzierung von wesentlichen Vermögenswerten und die nicht periodengerechte Verteilung der dafür angefallenen Anschaffungs- und Herstellungskosten wurde von vielen Seiten kritisiert. Der Gesetzgeber möchte daher bei der Reformierung des Bilanzrechts zu einer Aktivierungspflicht übergehen.
Um das Gläubigerschutzprinzip, bei gleichzeitig verbesserten Informationsgehalt zu berücksichtigen, wird in § 268 Abs. 8 HGB-E eine Ausschüttungssperre für Gewinne eingeführt, die aus der Aktivierung selbstgeschaffener immaterieller Vermögensgegenstände entstanden sind. Die Änderungen des § 248 HGB-E gelten für alle bilanzierenden Kaufleute (rechtsform- und größenunabhängig).
2. Umfang der Aktivierungspflicht
Für eine Aktivierung im handelsrechtlichen Jahresabschluss müssen die immateriellen Vermögensgegenstände die Voraussetzungen des handelsrechtlichen Vermögensgegenstandsbegriffs erfüllen. Dies setzt nach dem Gläubigerschutzprinzip die Schuldendeckungsfähigkeit voraus. Es muss eine selbstständige Verwertbarkeit durch Einzelveräußerbarkeit oder Nutzungsüberlassung vorliegen. Diese Vermögensgegenstandseigenschaft ist für alle immateriellen Vermögenswerte im Einzelfall zu prüfen.
Nach § 255 Abs. 2a HGB-E sind künftig alle Entwicklungskosten eines selbstgeschaffenen immateriellen Vermögensgegenstandes des Anlageverm/ögens als Herstellungskosten zu aktivieren. Die Gesetzesbegründung macht deutlich, dass der Begriff der immateriellen Vermögenswerte weit zu verstehen ist. Darunter können Materialien, Produkte, geschützte Rechte oder auch ungeschütztes Know-how sowie Dienstleistungen fallen. Darüber hinaus ist die Vorschrift auch auf selbstentwickelte Produktions- und Herstellungsverfahren anwendbar. Jegliches immaterielles Vermögen eines Kaufmanns ist künftig zu aktivieren, wenn die Verwertbarkeit und damit die Vermögensgegenstandseigenschaft gegeben ist. Es handelt sich damit nicht nur um rechtlich geschützte immaterielle Vermögenswerte, sondern um alle Formen von Know-how eines Unternehmens, für das ein Dritter bereit wäre, einen Preis zu bezahlen (Kauf- oder Nutzungsüberlassung).
Es ist bereits jetzt vorhersehbar, dass es in der Praxis bei kleineren und mittleren Unternehmen zu Problemen bei der Identifizierung von immateriellen Vermögensgegenständen kommen wird.
Von der Aktivierungspflicht nimmt der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 248 Nr. 4 HGB-E bestimmte Vermögensgegenstände aus und belegt diese mit einem Aktivierungsverbot. Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten und vergleichbare selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, die nicht entgeltlich erworben worden sind, sind einer Aktivierung auch weiterhin nicht zugänglich, d.h. ihre Aktivierung ist verboten. Bei dieser Art von immateriellen Vermögenswerten bezweifelt der Gesetzgeber eine eindeutige Abgrenzung zu dem originären Firmenwert und ordnet daher ein Aktivierungsverbot an. Der originäre Firmenwert erfüllt nicht den handelsrechtlichen Vermögensgegenstandsbegriff und ist daher schon immer keiner Aktivierung zugänglich.
3. Zeitpunkt der Aktivierung
Dem Wortlaut des § 255 Abs. 2a HGB-E ist zu entnehmen, dass die Aktivierung der Herstellungskosten nicht erst mit der Fertigstellung erfolgt, sondern bereits ab dem Entwicklungsbeginn. Zu diesem Zeitpunkt muss nur von der künftigen Vermögensgegenstandseigenschaft ausgegangen werden können. Zum Beginn der Entwicklung ist daher eine Zukunftsprognose über die künftige Vermögensgegenstandseigenschaft abzugeben. Im Zeitpunkt der Aktivierung muss mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass ein einzeln verwertbarer immaterieller Vermögensgegenstand des Anlagevermögens zur Entstehung gelangt. Kann die Vermögensgegenstandseigenschaft nicht bejaht werden, kommt die Aktivierung der Entwicklungskosten nicht in Betracht. Im Gegensatz zu einer Rechnungslegung nach IFRS (IAS 38) werden dabei aber keine besonderen Anforderungen an die Aktivierbarkeit gestellt.
Nach IAS 38.57 werden für die Aktivierung von Entwicklungskosten insbesondere folgende Voraussetzungen gefordert:
- Technische Realisierbarkeit kann belegt werden,
- das Unternehmen hat die Absicht, die Fähigkeit und die Ressourcen, um den Vermögensgegenstand fertigzustellen und zu nutzen,
- Nachweis des künftigen wirtschaftlichen Nutzens wird erbracht,
- verlässliche Ermittlung der in der Entwicklungsphase angefallenen Kosten.
Die Prognose der künftigen Vermögensgegenstandseigenschaft ohne konkrete Kriterien wird in der Praxis, insbesondere im Rahmen von Abschlussprüfungen zu Diskussionsbedarf führen. Bei diesen Diskussionen geht es dann im Wesentlichen um technische Fragestellungen, die den künftigen Vermögensgegenstand betreffen.
4. Ermittlung der Herstellungskosten
Nach § 255 Abs. 2a HGB-E sind alle Herstellungskosten für die Entwicklung eines immateriellen Vermögensgegenstandes des Anlagevermögens zu aktivieren. Bisher galt bereits nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ein Aktivierungsverbot für Forschungskosten. In § 255 Abs. 2 S. 4 HGB-E wird dieses Aktivierungsverbot nunmehr gesetzlich geregelt. Wie bei der Herstellung aller Vermögensgegenstände muss daher auch bei der Herstellung immaterieller Vermögenswerte eine Unterteilung in eine Forschungs- und Entwicklungsphase erfolgen. Der neu eingefügte § 255 Abs. 2a HGB-E enthält hierzu eine Definition der Begriffe Forschung und Entwicklung. Forschung ist die eigenständige und planmäßige Suche nach neuen wissenschaftlichen oder technischen Erkenntnissen oder Erfahrungen allgemeiner Art, über deren technische Verwertbarkeit und wirtschaftlichen Erfolgsaussichten grundsätzlich keine Aussagen gemacht werden können. Entwicklung ist die Anwendung von Forschungsergebnissen oder von anderem Wissen für die Neuentwicklung von Gütern oder Verfahren oder die Weiterentwicklung von Gütern oder Verfahren mittels wesentlicher Änderungen. Zusätzlich wurde in § 255 Abs. 2a S. 4 HGB-E ein Aktivierungsverbot für den Fall der nicht eindeutigen Trennung von Forschung und Entwicklung aufgenommen.
Für die Aktivierung von selbstgeschaffenen immateriellen Vermögenswerten müssen in der Praxis geeignete Vorkehrungen getroffen werden, um die Forschungs- und Entwicklungskosten gesondert zu ermitteln. Darüber sind die handelsrechtlichen Vollkosten (Einzel- und Gemeinkosten nach § 255 Abs. 2 HGB-E) projektbezogen in der Kostenrechnung zu erfassen. Hierzu ist gegebenenfalls eine Kostenstelle „Forschung & Entwicklung“ einzurichten. Diese Dokumentationspflichten ergeben sich aus der Einführung der Aktivierungspflicht und gelten für alle bilanzierenden Kaufleute. Die konkrete Ausgestaltung der Herstellungskostenermittlung ist dann abhängig von der Größe und Komplexität des Unternehmens.
5. Folgebewertung
Wie alle anderen Vermögensgegenstände unterliegen auch die selbstgeschaffenen immateriellen Vermögensgegenstände der Folgebewertung am Bilanzstichtag. Nach Fertigstellung und mit Beginn der Nutzung des Vermögensgegenstandes erfolgt eine planmäßige Abschreibung über die voraussichtliche Nutzungsdauer. Die Ermittlung der voraussichtlichen Nutzungsdauer wird in der Praxis zu Schwierigkeiten führen, da in der Regel keine hohe Anzahl vergleichbarer Sachverhalte vorliegt.
Neben planmäßigen Abschreibungen sind nach § 253 Abs. 2 HGB-E bei dauerhafter Wertminderung außerplanmäßige Abschreibungen auf den niedrigeren beizulegenden Wert zwingend vorzunehmen. Bei vorübergehender Wertminderung besteht ein Abschreibungsverbot. Die Pflicht zur außerplanmäßigen Abschreibung besteht bereits in der Entwicklungsphase, falls sich herausstellt, dass die Zukunftsprognose über die Vermögensgegenstandseigenschaft unzutreffend war oder der Wert zum Bilanzstichtag nicht mehr vollumfänglich den bisher angefallenen Herstellungskosten entspricht.
6. Ausschüttungssperre
Zur Berücksichtigung des Gläubigerschutzes will der Gesetzgeber mit dem BilMoG eine Ausschüttungssperre nach § 268 Abs. 8 HGB-E für Erträge aus der Aktivierung selbstgeschaffener immaterieller Vermögenswerte einführen. Nach § 301 Abs. 1 AktG-E gilt für den Fall eines Gewinnabführungsvertrages eine Abführungssperre für diese Beträge. Für Kommanditgesellschaften ist in § 172 Abs. 4 HGB-E künftig vorgesehen, dass bei der Frage der Außenhaftung der Kommanditisten die Erträge nach § 268 Abs. 8 HGB-E nicht berücksichtigt werden.
7. Ausweis und Anhangsangaben
Die aktivierten selbstgeschaffenen immateriellen Vermögenswerte des Anlagevermögens sind künftig in einem gesonderten Bilanzposten auszuweisen. In § 266 Abs. 2 HGB-E wurde daher der Posten „A.I.1. Selbstgeschaffene gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte“ eingefügt. Dieser steht künftig an erster Stelle auf der Aktivseite, da gleichzeitig der Ausweis nicht eingeforderter ausstehender Einlagen passivisch erfolgen muss. In diesem Bilanzposten sind auch die bisher angefallenen Entwicklungskosten noch nicht fertiggestellter immaterieller Vermögenswerte auszuweisen. Insoweit erfolgt kein gesonderter Ausweis in der Bilanz wie dies beim Sachanlagevermögen unter dem Posten „geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau“ vorgesehen ist. In der Gewinn- und Verlustrechnung werden die aktivierten Herstellungskosten im Posten „andere aktivierte Eigenleistungen“ ausgewiesen. Die im Zusammenhang mit der Herstellung angefallenen Aufwendungen sind unter den verschiedenen Aufwandsposten der Gewinn- und Verlustrechnung zu erfassen und dürfen somit nicht um die aktivierten Beträge gekürzt werden.
Im Anhang sind nach § 285 Nr. 22 HGB-E der Gesamtbetrag der Forschungs- und Entwicklungskosten getrennt anzugeben. Die Erträge aus der Aktivierung der immateriellen Vermögenswerte sind nach § 285 Nr. 28 HGB-E darüber hinaus anzugeben. Auch hierfür ist erforderlich, dass die Kostenrechnung der Unternehmen diese Daten verlässlich ermittelt.
8. Zeitliche Anwendung
In Art. 66 Abs. 3 EGHGB-E ist eine spezielle Übergangsvorschrift für selbstgeschaffene immaterielle Vermögensgegenstände aufgenommen worden. Danach ist es bei der Umstellung auf BilMoG nicht notwendig, Entwicklungen vor Geltung von BilMoG retrospektiv zu bewerten. Das alte Aktivierungsverbot nach § 248 HGB gilt weiterhin für alle selbstgeschaffenen immateriellen Vermögensgegenstände des Anlagevermögens mit Entwicklungsbeginn vor dem 1.1.09.
9. Steuerliche Auswirkungen
Nach § 5 Abs. 2 EStG besteht für selbstgeschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens ein Aktivierungsverbot. Dieses Aktivierungsverbot ging bislang für bilanzierende Kaufleute ins Leere, da die Aktivierung dieser Vermögensgegenstände in der Handelsbilanz nach § 248 Abs. 2 HGB ausgeschlossen ist und daher nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG eine Aktivierung auch in der Steuerbilanz ausscheidet. Mit der geplanten Änderung des § 248 HGB-E wäre der § 5 Abs. 2 EStG nunmehr eine wichtige Vorschrift zu Vermeidung von steuerlichen Nachteilen. Die in der Handelsbilanz aktivierten immateriellen Vermögensgegenstände sind grundsätzlich nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG in die Steuerbilanz zu übernehmen. § 5 Abs. 2 EStG verbietet aber in diesem Fall den Ansatz in der Steuerbilanz (Durchbrechung der Maßgeblichkeit). Die Aktivierung der selbstgeschaffenen immateriellen Vermögenswerte in der Handelsbilanz löst somit keine Steuerbelastung aus.
Der handelsrechtliche Ansatz der immateriellen Vermögenswerte wird zukünftig höher sein als der Ansatz in der Steuerbilanz. Da es sich um eine vorübergehende Abweichung handelt, ist eine passive latente Steuer in der Handelsbilanz zu berücksichtigen.
10. Fazit
Mit der Aktivierung selbstgeschaffener immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens verabschiedet sich der Gesetzgeber in einem wesentlichen Punkt von der bisherigen strengen Gläubigerschutz-ausrichtung. Der Informationsgehalt aus betriebswirtschaftlicher Sicht wird durch die Aktivierung und vor allem durch die periodengerechtere Verteilung der Herstellungskosten unzweifelhaft verbessert. Auf der anderen Seite ergeben sich bei einem Vergleich mit der bisherigen Rechnungslegung erhebliche Auswirkungen auf die Darstellung der Vermögens- und Ertragslage der Unternehmen. Der erfahrene Bilanzleser bzw. Analysten werden diese Effekte bei ihrer Beurteilung der Unternehmen im Zeitablauf berücksichtigen. Bei anderen Adressaten des Jahresabschlusses besteht das Risiko, dass diese Schlüsse nicht gezogen werden.