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  • · Fachbeitrag · Unternehmensfinanzierung

    Finanzierungsregeln - nur Theorie oder auch Praxisnutzen?

    von Unternehmensberater Martin Dieter Herke, Eltville

    | Eine Unternehmensfinanzierung soll sicher und stabil, aber auch kostengünstig und variabel sein. Sie darf das Unternehmen in seiner Entwicklung nicht behindern und soll Spielräume für Wachstum gewähren. Kurzum, gesucht wird die Quadratur des Kreises. Also Unmögliches. Konzentrieren wir uns auf das Mögliche, zumal es dafür sogar Regeln gibt. |

    1. Regeln, ja - aber …

    Während bei den Verkehrsregeln unterschieden wird nach Pkw, Lkw, Motorrädern etc., so ist auch bei den Finanzierungsregeln zu unterscheiden. Relationen, die für einen Produktionsbetrieb sinnvoll und richtig sind, taugen nichts für einen Handels- oder Dienstleistungsbetrieb. Dann gibt es auch noch die Wunschregeln, die meist vom Bankensektor propagiert werden. Sicher kann man sich wünschen, Anlagevermögen nur mit Eigenkapital zu finanzieren, oder dass der Eigenkapitalanteil mindestens die Hälfte der Gesamtfinanzierung ausmacht. Wunderschön, auch nicht falsch, aber in der Praxis kaum durchführbar, da die meisten Unternehmen in Deutschland deutlich weniger als 20 % Eigenkapital zur Verfügung haben. Solche Regeln sind blanke Theorie! Also, wenden wir uns der Praxis zu und arbeiten heraus, wann welche Regeln einen Praxisnutzen erzeugen und deshalb Unternehmen zum Vorteil gereichen.

    2. Die besonderen Regeln der Banken: Financial Convenants

    Banken vereinbaren mit ihren Kreditnehmern manchmal sogenannte Financial Convenants. Dabei handelt es sich um Nebenbestimmungen, die spezifische Verhaltenspflichten des Kreditnehmers festlegen und diese vertraglich vereinbaren. In diesem Fall werden zur Beurteilung einer von der Bank festgelegten bestimmten Finanzlage mit dem kreditnehmenden Unternehmen Kennzahlen vereinbart, die sich bspw. auf die Eigenkapitalausstattung, Verschuldung oder die Liquiditäts- und Ertragslage des Unternehmens beziehen.

     

    Kreditnehmer haben ihrer Bank diese Finanzkennzahlen regelmäßig mitzuteilen. Sollten sich die Kennzahlen verschlechtern, führt dies zu konkreten Reaktionen seitens der Bank, zum Beispiel zu einem höheren Zinssatz, zur Verstärkung von Sicherheiten oder, im Extremfall, zur Kündigung des Kreditvertrags.

     

    Hinweis | Financial Convenants sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Leider lassen sich zukünftige Entwicklungen nicht passgenau vorhersagen, sodass Relationen, die über viele Jahre stabil waren, aus den Fugen geraten können. Wenn Sie aber vereinbart haben, bestimmte Relationen einzuhalten, kann dies unter Umständen zur Kreditkündigung führen. Falls Sie mit solchen Festlegungen konfrontiert werden, sollten Sie sie nicht einfach akzeptieren, sondern Ihren Verhandlungsspielraum bei den konkreten Relationen (Schwankungsbreiten) und der Geltungsdauer nutzen, sowie die spezielle Situation Ihres Unternehmens berücksichtigen.

    3. Die Schwächen von Finanzierungsregeln

    Ja, Regeln haben auch Schwächen, was jedoch nichts an ihrer generellen Bedeutung ändert. Wer Regeln einhält, hat gegenüber demjenigen, der sich sozusagen an „Nichts“ orientiert, Vorteile. Machen wir uns aber zunächst einmal die Schwächen von Regeln bewusst, um nicht einer fatalen Fehleinschätzung zu unterliegen und zu glauben, dass man nicht mehr in Schwierigkeiten kommen könne, weil man sich ja an die Regeln halte.

     

    Regeln sind „statisch“. Das Geschehen im Unternehmen dagegen ist „dynamisch“. Finanzierungsregeln beziehen sich meist auf Bilanzpositionen, stellen Stichtagswerte fest und beziehen sich auf die (juristische) Bindungsfrist. Das bedeutet, dass zukünftige Veränderungen (die unter Umständen sogar bereits feststehen) nicht berücksichtigt werden (können). Finanzierungsregeln haben sich zu Spielregeln zwischen Banken und Kreditnehmern entwickelt und spielen in der Kreditvergabepraxis oft eine ausschlaggebende Rolle.

     

    Trotz allem gilt: Der Unternehmer sollte sich an erprobten Finanzierungsregeln orientieren. Die Beobachtung der Entwicklung und Veränderungen sollte dabei im Fokus stehen, ohne eventuelle Besonderheiten des Unternehmens aus den Augen zu lassen. Es macht schon einen Unterschied, ob es sich um ein Handels-, Produktions- oder Dienstleistungsunternehmen handelt.

    4. Wichtige Finanzierungsregeln

    Die Betriebswirtschaft hat eine Reihe von „Regeln“ definiert, die generell zutreffend, aber im Einzelfall mehr oder weniger hilfreich sind. Worauf kommt es bei der „richtigen“ Finanzierung wirklich an?

     

    • 1. Die Liquidität muss gesichert sein.
    • 2. Die Kapitaldienstfähigkeit muss gewährleistet sein.
    • 3. Die Finanzstruktur muss „stimmen“.

     

    Damit haben wir drei wichtige Punkte definiert: Liquidität, Kapitaldienstfähigkeit und Finanzstruktur. Welche Regeln gibt es und welche sind hilfreich, um diese Positionen erfolgreich zu steuern?

     

    Betriebswirtschaftlich wird zwischen horizontalen und vertikalen Proportionsregeln und Liquiditätsregeln unterschieden. Die horizontalen Regeln setzten Kapital- und Vermögensarten in Relation zueinander. Also bspw. langfristiges Kapital zu Anlagevermögen. Die vertikalen Regeln beleuchten die Kapitalstruktur. Beispielsweise das Verhältnis Eigenkapital zu Fremdkapital. Die Liquiditätsregeln definieren die Proportionen von kurzfristigen Vermögenswerten (Umlaufvermögen) zu kurzfristigen Verbindlichkeiten.

     

    5. Liquiditätsregeln

    Liquidität ist nicht das Ziel, sondern die Voraussetzung, um ein Unternehmen sicher zu führen. Liquidität genießt somit Priorität. Wir kennen die Kennzahlen Liquidität I, II und III. Liquidität I definiert die Barliquidität, Liquidität II die Forderungsliquidität und Liquidität III, oftmals als Working Capital oder Nettoumlaufvermögen bezeichnet, definiert das Verhältnis zwischen Umlaufvermögen und kurzfristigen Verbindlichkeiten. Liquidität III ist dabei die aussagekräftigste Kennzahl.

     

    • Rechenformel

    Umlaufvermögen

    _________________________

    x 100 = Working Capital

    kurzfristige Verbindlichkeiten

     

    Ziel ist ein Wert von (deutlich) > 100 %. Sinkt das Working Capital unter 100 %, bedeutet dies, dass das Unternehmen nicht mehr in der Lage ist, seine kurzfristigen Verbindlichkeiten vollständig zu bezahlen, selbst dann nicht, wenn es sein gesamtes Umlaufvermögen veräußern und zu Geld machen würde.

     

    Zur Unterstützung kann eine zusätzliche Überlegung angestellt werden. Definieren Sie, auf den Betrieb zugeschnitten, den Bedarf an langfristigen Finanzierungsmitteln. Neben dem Anlagevermögen kann noch ein Teil des Umlaufvermögens langfristig finanziert werden. Der Grund: In der Regel besteht noch ein Bodensatz an ständigen Außenständen und es wird zusätzlich ein Mindestwaren- oder Materialbestand benötigt. Rechnen Sie diesen Teil des Umlaufvermögens, der langfristigen Charakter hat, mit in die langfristige Finanzierung. Den Umfang sollten Sie individuell festlegen. Definieren Sie den langfristigen Kapitalbedarf folgendermaßen:

     

    • Rechenformel

    Anlagevermögen + … % Umlaufvermögen = langfristiger Kapitalbedarf

     

    Stellen Sie diesem Wert das vorhandene langfristige Kapital, also das Eigenkapital + langfristiges Fremdkapital gegenüber. Das langfristige Kapital sollte den Bedarf (über)decken.

     

    Wenn Sie diese Zusatzregel einhalten, erreichen Sie ein Working Capital, das deutlich oberhalb von 100 % liegt und sichern somit die Liquidität des Unternehmens.

     

    Die Einhaltung dieser Regeln schafft zumindest eine der Grundvoraussetzungen für eine sichere Liquidität. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass dies nicht die unbedingte Garantie für eine allzeit sichere Liquidität ist. Nochmals: Kennzahlen sind statisch, die Entwicklung dagegen dynamisch. Um der Dynamik Rechnung zu tragen, empfiehlt sich die Erstellung eines Liquiditätsplans, der Zahlungsfälligkeiten berücksichtigt und deshalb besser geeignet ist, als es eine Kennzahl sein kann.

    6. Kapitaldienstfähigkeitsregel

    Kreditnehmer müssen kapitaldienstfähig sein. Das ist auf Dauer unabdingbar. Verliert das Unternehmen die Kapitaldienstfähigkeit, dann vermutet die Bank einen Ausfall der Forderung. Eine vorübergehende Schwäche toleriert die Bank, wenn nachweisbare Anstrengungen zur Wiedergewinnung der Kapitaldienstfähigkeit unternommen werden. Der Grad der Kapitaldienstfähigkeit ist übrigens einer der kritischen Ratingparameter.

     

    • Rechenformel

    Netto Cashflow

    _________________________

    x 100 = Grad der Kapitaldienstfähigkeit

    vereinbarte Kredittilgungen

     

     

    Berechnung des Netto Cashflow: 

    Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag

    + Abschreibungen

    = Brutto Cashflow

    + Einlagen

    - Ausschüttungen/Entnahmen

    = Netto Cashflow

     

    Stellen Sie dem nachhaltig erzielbaren Netto Cashflow die vereinbarten (nicht die tatsächlichen) Kredittilgungen gegenüber. Es sollte ein Grad der Kapitaldienstfähigkeit von deutlich über 100 % angestrebt werden. Neben einem ausreichenden Überschuss kommt es bei der Erfüllung der Kapitaldienstfähigkeit nicht zuletzt auch auf die Laufzeit der Finanzierungen an. (Zu) Kurze Laufzeiten verursachen hohe Tilgungen. Beachten Sie bei den Finanzierungen den Grundsatz, dass die voraussichtliche Nutzungsdauer und die Finanzierungsdauer übereinstimmen sollen. Es ist falscher Ehrgeiz, Kredite möglichst schnell zurückzuzahlen und deshalb kürzere Laufzeiten zu vereinbaren. Die Zusicherung einer außerplanmäßigen Rückzahlungsmöglichkeit erscheint sinnvoller.

    7. Finanzstrukturregel

    Die Gestaltung der Finanzstruktur sollte von zwei Aspekten geprägt sein. Dabei kommt es erstens auf das Verhältnis von Eigenkapital zu Fremdkapital und zweitens auf das Verhältnis zwischen kurz- und langfristigen Finanzierungsmitteln an. Im Zusammenhang mit der Finanzstruktur spricht man auch von der „goldenen Finanzierungsregel“, die sich in mehrere Teilbereiche aufsplittet. Zum einen wird die Fristenkongruenz, also die Übereinstimmung von Kapitalüberlassungs- und Kapitalbindungsdauer gefordert und zum anderen soll Anlagevermögen durch Eigenkapital finanziert werden. Letzteres ist oftmals wegen geringer Eigenkapitalquoten nicht darstellbar, deshalb erfährt diese Regel folgende Ergänzung: Eigenkapital und langfristiges Fremdkapital sollen Anlagevermögen und langfristiges Umlaufvermögen decken.

     

    Richten Sie Ihr Hauptaugenmerk auf die Eigenkapitalquote, denn fast immer ist die Bewertung der Eigenkapitalquote die wichtigste Ratingkennzahl fast aller Banken. Oftmals lässt sich die Eigenkapitalquote durch den (meist möglichen) Abbau von Material-/Warenbestand und Kundenforderungen positiv beeinflussen.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2013 | Seite 268 | ID 42314801