27.11.2020 · IWW-Abrufnummer 219169
Finanzgericht Münster: Urteil vom 22.10.2020 – 6 V 2806/20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
6 V 2806/20 AO
Tenor:
Der Antragsgegner wird verpflichtet, der M Bank … nach Zugang dieses Beschlusses unverzüglich mitzuteilen, dass er Verfügungen des Antragstellers über das auf dem Konto des Antragstellers mit der IBAN DE xxx bestehende Guthaben in Höhe eines Betrags von 2.731,90 € ‒ als noch auf dem Konto befindlicher Corona-Überbrückungshilfe NRW ‒ freigibt, d.h. er diesen Betrag von der Pfändungs- und Einziehungsverfügung, die der M Bank … am 18.09.2020 zugestellt wurde, einmalig freistellt.
Für den Fall, dass die M Bank … aufgrund der ihr am 18.09.2020 zugestellten Pfändungs- und Einziehungsverfügung zwischenzeitlich an den Antragsgegner einen (Teil-) Betrag aus dem am 17.09.2020 gutgeschriebenen Betrag („Corona-Überbrückungshilfe“) ausgezahlt hat, wird der Antragsgegner verpflichtet, diesen Betrag an den Antragsteller auszukehren.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe:
1
I.
2
Der verheiratete Antragsteller ist Diplom-Kaufmann und als Einzelunternehmer in der Wirtschaftsberatung tätig und bestreitet aus dieser Tätigkeit seien Lebensunterhalt. Er unterhält u.a. bei der X-bank O eG ein Girokonto, das als Pfändungsschutzkonto geführt wird und am 14.10.2020 kein Guthaben aufwies, ein Sparkonto, das am 14.10.2020 ein Guthaben von 6,63 € aufwies, sowie Geschäftsanteile in Höhe von 750,00 €. Ein weiteres Konto unterhält der Antragsteller bei der M Bank … (Kontonummer IBAN DE xxx), das ausweislich der vom Antragsteller vorgelegten Kontoauszüge am 01.09.2020 ein Guthaben in Höhe von 176,82 € aufwies. In der Zeit vom 02.09.2020 bis zum 14.09.2020 gingen auf dem Konto Zahlungen in Höhe von 90,00 € und 150,00 € ein und wurden vom Konto Beträge in Höhe von insgesamt 409,37 € abgebucht.
3
Wegen rückständiger Steuerbeträge in Höhe von 19.250,71 € (insbesondere Einkommensteuer 2017 und Umsatzsteuer 4. Quartal 2019) erließ der Antragsgegner unter dem 15.09.2020 betreffend das Konto bei der M Bank … eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung, die der Antragsteller angefochten hat. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung wurde der M Bank … mit Zustellungsurkunde am 18.09.2020 zugestellt.
4
Am 17.09.2020 wurde dem Konto des Antragstellers bei der M Bank ... ein Betrag in Höhe von 3.784,10 € gutgeschrieben. Hierbei handelt es sich um eine sog. Corona-Überbrückungshilfe, die dem Antragsteller mit Bescheid der Bezirksregierung N vom 16.09.2020 bewilligt worden war. Ausweislich des Bewilligungsbescheides der Bezirksregierung N vom 16.09.2020 wurde diese Billigkeitsleistung aufgrund der Richtlinien des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) zur Gewährung von Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen („Überbrückungshilfe-NRW 2020“) i.V.m. § 53 Landeshaushaltsordnung (LHO) bewilligt. Der Antragsteller erhielt diese Überbrückungshilfe in Höhe von insgesamt 3.784,10 € für die Monate Juni bis August 2020, davon ein Betrag in Höhe von 1.784,10 € als Bundesmittel und ein Betrag in Höhe von 2.000,00 € als Landesmittel. Eine Abtretung oder Verpfändung der Billigkeitsleistung ist laut Bescheid nicht zulässig. Im Bescheid wird u.a. weiter wie folgt ausgeführt:
5
„Die Überbrückungshilfe ist zweckgebunden und dient ausschließlich dazu, kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie Angehörigen der Freien Berufe, die durch Corona bedingte vollständige oder teilweise Schließungen oder Auflagen erhebliche Umsatzausfälle erleiden, für die Monate Juni bis August 2020 eine weitergehende Liquiditätshilfe in Form der auf den jeweiligen Vergleichsmonat bezogenen anteiligen Erstattung von betrieblichen Fixkosten zu gewähren und so zu ihrer Existenzsicherung beizutragen. Die Regelungen der Richtlinien des Landes zur Gewährung von Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen („Überbrückungshilfe-NRW 2020“) werden für verbindlich erklärt und sind Bestandteil des Bescheides.“
6
Wegen der weiteren Einzelheiten zu den Regelungen der Bezirksregierung N wird auf den Bewilligungsbescheid vom 16.09.2020 Bezug genommen.
7
Nach Eingang der Überbrückungshilfe auf dem Konto des Antragstellers bei der M Bank ... wurden bis zum 27.09.2020 weitere Beträge in Höhe von insgesamt 1.059,65 € abgebucht. Die letzte Abbuchung in Höhe von 6,00 € erfolgte am 27.09.2020 durch die M Bank … selbst. Es wurden keine weiteren Beträge auf das Konto eingezahlt. Das Guthaben zum 28.09.2020 betrug 2.731,90 €.
8
Mit Schreiben vom 23.09.2020 teilte die M Bank ... dem Antragsteller mit, dass aufgrund der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners es der Bank untersagt sei, Zahlungen an ihre Kunden zu veranlassen.
9
Über den außergerichtlichen Antrag des Antragstellers vom 23.09.2020, die Kontenpfändung betreffend das Konto bei der M Bank … einstweilen einzustellen, um die Auszahlung der Corona-Überbrückungshilfe zu ermöglichen, hat der Antragsgegner nicht entschieden.
10
Unter Berufung auf den Beschluss des Finanzgerichts (FG) Münster vom 13.05.2020 (Aktenzeichen 1 V 1286/20 AO) macht der Antragsteller im vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung geltend, dass die Corona-Überbrückungshilfe als zweckgebundener Zuschuss nicht gepfändet werden könne. Die Rechtsprechung zur Corona-Soforthilfe sei auf die Corona-Überbrückungshilfe übertragbar. Auf dem gepfändeten Konto befinde sich der bisher nicht verausgabte Teil der Überbrückungshilfe in Höhe von rund 2.700,00 €. Dieses Geld stehe durch die Pfändung nunmehr nicht mehr zur Deckung der entsprechenden betrieblichen Kosten sowie zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung. Die Vollstreckung sei vorliegend unbillig. Die Hilfe diene der Erfüllung von solchen Ansprüchen, die seit dem 01.06.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden seien. Der Antragsgegner vollstrecke jedoch wegen älterer Steuerschulden, die nicht vom Zweck der Überbrückungshilfe gedeckt seien. Vorliegend seien in der Zeit ab Juni 2020 aufgrund der Pandemie Gläubigeransprüche entstanden. Den Zuschussantrag habe er ‒ der Antragsteller ‒ gestellt, weil die pandemiebedingten Umsatzrückgänge die Existenz seines Solounternehmens bedrohten. Im Rahmen der Antragstellung seien durch den beauftragten Anwalt die Umsatzrückgänge sowie der Mittelbedarf dargelegt worden. Mittel zur Deckung der neuen Gläubigeransprüche stünden ihm aktuell nicht zur Verfügung, so dass er dringend auf den Zuschuss angewiesen sei. Die Bank habe auch angekündigt, das Guthaben binnen vier Wochen an den Antragsgegner auszuzahlen.
11
Zur Glaubhaftmachung seines Vortrags legt der Antragsteller eine Übersicht vor, aus der sich die offenen Ansprüche ergeben. Danach sei der Antragsteller mit der Zahlung von Miete für das betrieblich genutzte Objekt, Nebenkosten, betrieblichen Fahrzeug- und Telefonkosten sowie weiteren betrieblichen Rechnungsbeträgen in Höhe von insgesamt 4.960,65 € im Rückstand. Darüber hinaus bestünden private Mietschulden. Weiter legt der Antragsteller Mahnungen des Vermieters K vom 05.10.2020 bezüglich der Miete für das privat und beruflich genutzte Wohnobjekt für die Monate Juni bis Oktober 2020, der Stadtwerke E vom 13.08.2020 bezüglich der Abschläge für das Wohnobjekt für die Monate Juni bis August 2020 und vom 18.09.2020 bezüglich der Abschläge für September 2020 und der C Bank … (C Financial Services) vom 15.09.2020 sowie eine Beitragsrechnung der R Versicherung vom 25.09.2020 das Fahrzeug mit dem Kennzeichen A betreffend vor. Weiter reicht der Antragsteller eine Verfügung des Landrats des Kreises F vom 13.10.2020 ein, wonach dem Antragsteller mit sofortiger Wirkung untersagt werde, das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen A weiterhin im öffentlichen Verkehrsraum zu nutzen. Das Fahrzeug sei wegen fehlenden Versicherungsschutzes von Amts wegen stillgelegt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
12
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
13
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den bei der M Bank ... gutgeschriebenen ‒ als noch auf dem Konto befindliche Corona-Überbrückungshilfe NRW ‒ Betrag in Höhe von 2.731,90 € freizugeben.
14
Der Antragsgegner beantragt,
15
den Antrag abzulehnen.
16
Er ist der Auffassung, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht habe. Der Antragsteller habe insbesondere weder die zweckgebundene Verwendung der Corona-Überbrückungshilfe für die Zahlung von Fix-Kosten für den beruflichen Bedarf noch durch einen geeigneten Sachvortrag dezidiert dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er durch die Nichtauszahlung der Corona-Überbrückungshilfe in seiner Existenz gefährdet sei.
17
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
18
II.
19
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.
20
Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Nach § 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO) obliegt es dem Antragsteller, den Anspruch, aus dem er sein Begehren herleitet (sog. Anordnungsanspruch) und einen Grund für die zu treffende Regelung (sog. Anordnungsgrund) schlüssig darzulegen und deren tatsächliche Voraussetzungen im Sinne des § 294 ZPO glaubhaft zu machen (vgl. Bundesfinanzhof ‒ BFH ‒, Beschluss vom 22.12.2006 VII B 121/06, BFHE 216, 38, BStBl II 2009, 839, m. w. N.).
21
1. Im Streitfall ergibt sich der Anordnungsanspruch aus § 258 der Abgabenordnung (AO).
22
Wird im Vollstreckungsverfahren nach der AO als vorläufiger Rechtsschutz die Verpflichtung der Behörde zur Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung oder Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme durch ein Finanzgericht verlangt, so kommt als Rechtsgrundlage die nach § 258 AO in das Ermessen der Behörde gestellte Befugnis zur Gewährung einer vorläufigen Vollstreckungsaussetzung in Betracht (vgl. u.a. BFH, Beschluss vom 10.08.1991 VII S 40/91, BFH/NV 1992, 317). Der Senat folgt insoweit der für den Antragsteller günstigen Auffassung, wonach das Gericht befugt ist, eine einstweilige Anordnung in Ausübung eigenen Ermessens (Interimsermessen) zu treffen (vgl. u.a. Loose, in: Tipke/Kruse AO/FGO § 114 FGO Rz. 44 ff.).
23
Nach § 258 AO kann die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung, soweit sie im Einzelfall unbillig ist, einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, ist die Vollstreckung dann unbillig im Sinne des § 258 AO, wenn die Vollstreckung oder eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme dem Schuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde und dieser Nachteil durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte (vgl. u.a. BFH, Beschluss vom 21.04.2009 I B 178/08, BFH/NV 2009, 1596).
24
Übertragen auf den Streitfall bedeutet dies, dass die (auch nur teilweise) Einziehung der Corona-Überbrückungshilfe durch den Antragsgegner zu einem unangemessenen Nachteil für den Antragsteller führen würde. Solange der Antragsgegner aufgrund der von ihm erlassenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung die Vollstreckung betreibt und die Vollstreckung nicht bezogen auf die Corona-Überbrückungshilfe einschränkt, zahlt die M Bank ... ‒ wie von ihr angekündigt ‒ als Drittschuldner dem Antragsteller nicht den ihm gewährten Billigkeitszuschuss in Form der Corona-Überbrückungshilfe aus.
25
Die Corona-Überbrückungshilfe ist an den Antragsteller auszuzahlen, weil sie wegen ihrer Zweckbindung unpfändbar ist. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen der Rechtsprechung an, die bisher zur Corona-Soforthilfe im einstweiligen Rechtsschutz ergangen ist (vgl. hierzu BFH, Beschluss vom 09.07.2020 VII S 23/20 (AdV), juris, DStR 2020, 1734, vorgehend FG Münster, Beschluss vom 08.06.2020 11 V 1541/20 AO, EFG 2020, 1045; FG Münster, Beschluss vom 13.05.2020 1 V 1286/20 AO, EFG 2020, 897; FG Münster, Beschluss vom 29.05.2020 11 V 1496/20 AO, EFG 2020, 1042; FG Münster, Beschluss vom 23.07.2020 8 V 1952/20 AO, EFG 2020, 1381; FG Köln, Beschluss vom 18.06.2020 9 V 1302/20 AO, juris).
26
Im Beschluss vom 09.07.2020 (Aktenzeichen VII S 23/20 AdV) zur Corona-Soforthilfe bejaht der BFH einen Anordnungsanspruch aus § 258 AO, weil es sich bei der Corona-Soforthilfe um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO nicht pfändbare Forderung handele und demzufolge der entsprechende Betrag auf dem Konto des Berechtigten nicht pfändbar sei. Die Unpfändbarkeit der Corona-Soforthilfe leitet der BFH aus deren Zweckbindung ab. Auch soweit der Unternehmer für seinen fiktiven Unternehmerlohn 2.000,00 € ansetzen dürfe, rechtfertige dies nicht die Annahme, dass es sich bei der Corona-Soforthilfe um einen pfändbaren Lohnersatz handele, so dass die Pfändung und Einziehung der Corona-Soforthilfe zugunsten des Finanzamtes als Altgläubiger keinen rechtlichen Bedenken begegneten (vgl. hierzu die Ausführungen des BFH in DStR 2020, 1734).
27
Die zur Corona-Soforthilfe in einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangene Rechtsprechung ist nach Auffassung des erkennenden Senats auf die Corona-Überbrückungshilfe NRW übertragbar, so dass jedenfalls bei summarischer Prüfung auch der Anspruch auf die Corona-Überbrückungshilfe NRW als i. S. des § 851 Abs. 1 ZPO aufgrund der Zweckbindung nicht übertragbar und damit unpfändbar anzusehen ist, und dieser Rechtsgedanke auch auf die bereits ausgezahlten Mittel zu übertragen ist.
28
Denn auch die Überbrückungshilfe im Streitfall ist nach den Bestimmungen des dem Gericht vorliegenden Bewilligungsbescheides zweckgebunden. Danach dient die Corona-Überbrückungshilfe ausschließlich dazu, kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie Angehörigen der Freien Berufe, die durch Corona bedingte vollständige oder teilweise Schließungen oder Auflagen erhebliche Umsatzausfälle erleiden, für die Monate Juni bis August 2020 eine weitergehende Liquiditätshilfe in Form der auf den jeweiligen Vergleichsmonat bezogenen anteiligen Erstattung von betrieblichen Fixkosten zu gewähren und so zu ihrer Existenzsicherung beizutragen. Eine Abtretung oder Verpfändung der Billigkeitsleistung wird im Bescheid als nicht zulässig festgestellt.
29
Auf Grund der vom Antragsteller im Rahmen der Antragstellung gemachten Angaben ist im Streitfall die Überbrückungshilfe vorläufig auf eine anteilige Erstattung der betrieblichen Fixkosten für Juni bis August 2020 zuzüglich eines Betrages in Höhe von 2.000,00 € in Höhe von insgesamt 3.784,10 € festgesetzt worden. Sollte die Corona-Überbrückungshilfe durch den Antragsgegner nicht ‒ wie beantragt ‒ in Höhe des bisher „nicht verausgabten“ Teils freigegeben werden, könnte ihr Zweck nicht erfüllt werden.
30
2. Im Streitfall liegt auch ein Anordnungsgrund vor.
31
Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist. Die für den Erlass einer Anordnung geltend gemachten Gründe müssen jedenfalls ähnlich gewichtig und bedeutsam sein, wie die im Gesetz ausdrücklich genannten. Sie müssen so schwerwiegend sein, dass sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen. Dies gilt insbesondere, wenn ‒ wie hier ‒ nicht nur eine vorläufige Maßnahme begehrt wird, sondern die Vorwegnahme der Hauptsache. Grundsätzlich darf eine Regelungsanordnung nur eine einstweilige Regelung enthalten und das Ergebnis des Hauptprozesses nicht vorwegnehmen oder diesem endgültig vorgreifen. Etwas anderes gilt im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes dann, wenn sonst schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BFH, Beschluss vom 27.01.2016 VII B 119/15, BFH/NV 2016, 1586 m.w.N.).
32
Ein Anordnungsgrund in diesem Sinne ist vorliegend gegeben.
33
Der Antragsteller hat durch Vorlage einer Aufstellung über seine bisher nicht beglichenen Betriebsausgaben in den Monaten Juni bis August 2020 (u.a. Miete, Fahrzeugkosten und Telefonkosten), von Mahnungen und weiterer Schreiben von Gläubigern individuell-konkret dargelegt (vgl. zur individuell-konkreten Darlegung des Anordnungsgrundes: Oellerich, jurisPR-SteuerR 36/2020 Anm. 1 zu FG Münster, Beschluss vom 16.06.2020 4 V 1584/20 AO), dass er mit der Corona-Überbrückungshilfe solche Aufwendungen bezahlen will, die mit seiner beruflichen Tätigkeit in der Zeit ab Juni 2020 im Zusammenhang stehen, und dass seine wirtschaftliche Existenz bei Nichtauszahlung des beantragten Betrages unmittelbar bedroht ist. Der Antragsteller hat die bisher nicht beglichenen betrieblichen Betriebsausgaben auf insgesamt 4.960,65 € beziffert. Den offenen Betrag aus dem Darlehen bei der C Financial Services Bank das Fahrzeug mit dem Kennzeichen A betreffend hat der Antragsteller auf 1.791,03 € beziffert. Das Darlehen besteht bereits seit August 2017 und ist daher als Altschuld zu beurteilen. Der Betrag ist bereits mehrfach angemahnt worden. Dieser Umstand führt jedoch nicht zu einer Verneinung des Anordnungsgrundes. Selbst wenn man die Darlehensforderung der C Bank als Forderung eines Altgläubigers, die nicht von der Corona-Überbrückungshilfe gedeckt sein sollte, unberücksichtigt lässt, verbleiben nach der Aufstellung des Antragstellers noch weitere nicht gezahlte Betriebsausgaben in Höhe von 3.169,62 €. Der Antragsteller verfolgt damit im Ergebnis nicht die Absicht, mit der bisher nicht abgebuchten Corona-Überbrückungshilfe in Höhe rund 2.700,00 € Schulden zu begleichen, die vor dem 01.06.2020 entstanden sind.
34
Darüber hinaus hat der Antragsteller weiter substantiiert vorgetragen, dass seine Aufträge weggebrochen seien und er die laufenden Kosten wie Büromiete, Fahrzeugmiete, Fahrzeugversicherung und Telefonkosten nicht mehr bedienen könne, und auch geltend gemacht, dass die wirtschaftliche Existenz seines Geschäftsbetriebs gefährdet sei. Aus den vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass die ausstehende Miete für mehrere Monate bereits angemahnt und gestundet worden ist. Das betriebliche Fahrzeug des Antragstellers ist mangels Bezahlung der Versicherung und wegen des damit einhergehenden Wegfalls des Versicherungsschutzes stillgelegt worden. Die Aufwendungen für das beruflich genutzte Handy sind nach den Angaben des Antragstellers von einem Angehörigen, der zugleich Vermieter des Wohnhauses und Büros des Antragstellers ist, ausgelegt worden.
35
Der erkennende Senat hält die Darlegung des Antragstellers der Bedrohung seiner wirtschaftlichen Existenz unter Berücksichtigung der vorgelegten Mahnungen und Schreiben von Gläubigern auch im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache für hinreichend substantiiert. Der Vortrag des Antragstellers ist in sich schlüssig und glaubhaft. Dass er für seine berufliche Tätigkeit angemietete Räumlichkeiten, ein Fahrzeug und Kommunikationsmittel verwendet, die laufende Kosten verursachen, ist naheliegend. Wenn der Antragsteller diese Aufwendungen längerfristig nicht bezahlt, stellt dies jeweils eine Vertragsverletzung dar, die zu weiteren rechtlichen Folgen, wie z.B. weiteren Pfändungen, Schadensersatzansprüchen oder Kündigungen führen können. Diese wiederum könnten dazu führen, dass der Antragsteller seine berufliche Tätigkeit vollständig einstellen muss. In diesem Fall würde der Antragsteller seine wirtschaftliche Existenz endgültig verlieren. Im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes hält der erkennende Senat es im vorliegenden Streitfall nicht für gerechtfertigt, das Ergebnis des Hauptprozesses ‒ hier: Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung, soweit diese den Betrag aus dem Bewilligungsbescheid (Corona-Überbrückungshilfe) umfasst ‒ abzuwarten.
36
Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller langfristig auf die Einnahmen aus seiner beruflichen Tätigkeit verzichten und mit anderen Einnahmen oder privaten Hilfestellungen rechnen kann, sind nicht ersichtlich und werden vom Antragsgegner, bei dem der Antragsteller mit seiner Ehefrau steuerlich geführt wird, auch nicht behauptet.
37
3. Die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme der Corona-Überbrückungshilfe durch den Antragsteller im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 258 AO ist nicht entscheidungserheblich (vgl. zur Soforthilfe: FG Münster, Beschluss vom 08.06.2020 11 V 1541/20 AO, EFG 2020, 1045). Die Frage, ob der Antragsteller einen Anspruch auf die Corona-Überbrückungshilfe hat und, falls nicht, diese an das Land NRW zurückzuzahlen ist, kann zuvorderst von der diesen Zuschuss bewilligenden Bezirksregierung geprüft werden. Bezüglich der Finanzverwaltung ‒ und somit auch hinsichtlich des Antragsgegners ‒ wird im Bewilligungsbescheid vom 16.09.2020 ausgeführt, dass das zuständige Finanzamt über die Gewährung der Überbrückungshilfe informiert werde.
38
4. Die Corona-Überbrückungshilfe ist nicht in ihrer ursprünglich bewilligten Höhe von 3.784,10 € freizugeben. Denn der Antragsteller hat bereits teilweise über den bewilligten Betrag verfügt. Die Corona-Überbrückungshilfe ist am 17.09.2020 auf dem Konto des Antragstellers bei der M Bank ... gutgeschrieben worden. Erst Ende September 2020 hat die Bank das Konto gesperrt. Unter Berücksichtigung des Guthabens zu Beginn des Monats September, der übrigen Einzahlungen und der bis Ende September 2020 getätigten Abbuchungen verbleibt ein Guthaben aus der Bewilligung in Höhe von 2.731,90 €, das an den Antragsteller auszuzahlen ist.
39
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
40