11.08.2023 · IWW-Abrufnummer 236810
Finanzgericht Münster: Urteil vom 13.06.2023 – 2 K 310/21 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
Tenor:
Die Einkommensteuerbescheide 2014 bis 2015 vom 27.05.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.01.2021 werden nach Maßgabe der Urteilsgründe geändert.
Die Berechnung der Steuern wird dem Beklagten übertragen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leisten.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten hinsichtlich der Einkommensteuer 2014 bis 2018 (Streitjahre) über das Bestehen einer Gewinnerzielungsabsicht hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers als selbständiger Unternehmensberater und, sofern diese nicht vorliegt, über die Berücksichtigung von Aufwendungen für ein Promotionsstudium als (vorweggenommene) Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers.2
Die Kläger sind verheiratet und wurden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist nach Abschluss seines wirtschaftswissenschaftlichen Studiums Diplom-Kaufmann und Master of Arts; zudem besitzt er verschiedene weitere berufliche Qualifikationen. Der Kläger war bis zu seiner Kündigung im Jahr 2015 als Unternehmensberater für die B AG in … angestellt tätig. Dort war er im Projekt- und Prozessmanagement tätig und pflegte Kontakte zu Führungskräften. Nach seiner Kündigung unterlag der Kläger einem Wettbewerbs- bzw. Kontaktverbot hinsichtlich der von ihm beratenen Führungspersönlichkeiten. Seit dem Jahr 2014 übt er eine selbständige Tätigkeit als Unternehmensberater aus, in deren Zusammenhang er u.a. auch eine Dozententätigkeit mit dem Schwerpunkt Arbeitspsychologie an der Hochschule E ausübt. Seit dem Sommersemester 2018 ist der Kläger als Promotionsstudent der Wirtschaftswissenschaften an der Universität C immatrikuliert.3
In den Einkommensteuererklärungen 2014 bis 2018 erklärte der Kläger hinsichtlich seiner Tätigkeit als Unternehmensberater Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. -11.717€ (2014), -4.816€ (2015), -2.234€ (2016), 81€ (2017) und -1.123€ (2018); Betriebseinnahmen, die nicht auf Umsatzsteuererstattungen beruhten, erklärte er i.H.v. 2.380€ (2016), 6.676€ (2017) und 3.479€ (2018). Im Jahr 2018 machte der Kläger bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Aufwendungen für sein Promotionsstudium i.H.v. 1.399€ geltend.4
Der Beklagte nahm zunächst erklärungsgemäße Veranlagungen vor, nämlich mit Einkommensteuerbescheiden für 2014 vom 02.07.2015, 2015 vom 20.07.2016, 2016 vom 04.08.2017, 2017 vom 13.06.2018 und 2018 vom 16.04.2020; die Steuerfestsetzungen 2014 bis 2016, 2018 standen u.a. gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung; die Steuerfestsetzungen 2017 und 2018 waren u.a. gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Unternehmensberatung), weil die Gewinnerzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden könne.5
Mit auf § 164 Abs. 2 AO gestützten Änderungsbescheiden vom 06.09.2019 hob der Beklagte, nachdem er zuvor Nachfragen hinsichtlich des Bestehens einer Gewinnerzielungsabsicht an den Kläger gestellt und durch diesen beantwortet bekommen hatte, hinsichtlich der Einkommensteuer 2014 bis 2016 den Vorbehalt der Nachprüfung auf und setzte die Einkommensteuer nunmehr gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Unternehmensberatung) vorläufig fest, weil die Gewinnerzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden könne.6
Mit Schreiben vom 30.09.2019 teilte der Kläger dem Beklagte auf dessen Nachfrage mit, dass die Promotion an seine zurückliegende und gegenwärtige berufliche Tätigkeit anknüpfe; die angestrebte Höherqualifizierung eigne sich, um potenziellen Kunden/Arbeitgebern fachliche und methodische Expertise signalisieren zu können.7
Mit Schreiben vom 23.10.2019 vertrat der Beklagte die Auffassung, dass die Aufwendungen für die Promotion Betriebsausgaben und keine Werbungskosten seien, hinsichtlich der Tätigkeit als Unternehmensberater jedoch keine Gewinnerzielungsabsicht bestehe.8
Mit Schreiben vom 16.01.2020 vertrat der Kläger die Auffassung, die Aufwendungen für seine Promotion seien Werbungskosten; eine Zuordnung als Betriebsausgaben sei willkürlich. Zudem sei eine Gewinnerzielungsabsicht vorhanden; in den vergangenen Jahren habe er u.a. seine eigene sog. Corporate Identity entwickelt.9
Mit Schreiben vom 19.02.2020 vertrat der Beklagte die Auffassung, die Aufwendungen für die Promotion seien zu 30% Werbungskosten und zu 70% Betriebsausgaben.10
Mit Schreiben vom 21.04.2020 teilte der Kläger mit, die Aufwendungen für die Promotion hingen mit seinen nichtselbständigen und selbständigen Einkünften zusammen. Zudem legte er verschiedene (Werbe-)Maßnahmen, die er als Unternehmensberater ergriffen habe, dar: er habe eine Homepage erstellt, Kontakte in sozialen Netzwerke geknüpft, Veranstaltungen zum Netzwerken besucht und sei Mitgliedschaften sowie Kooperationen eingegangen.11
Am 27.05.2020 erließ der Beklagte geänderte Einkommensteuerbescheide 2014 bis 2018, mit denen er die (vornehmlich) negativen Einkünfte aus Gewerbebetrieb des Klägers als Unternehmensberater nicht mehr anerkannte, da keine Gewinnerzielungsabsicht vorhanden sei und die Aufwendungen für die Promotion zu 50%, d.h. i.H.v. 700€, als (vorweggenommene) Werbungskosten in der Form von Fortbildungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers berücksichtigte, da das Studium in erheblichen Umfang der Tätigkeit als Unternehmensberater diene. Die Änderungen stützte der Beklagte auf § 165 Abs. 2 AO, hinsichtlich des Jahres 2018 zusätzlich auf § 164 Abs. 2 AO; die Steuerfestsetzung war hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Unternehmensberatung) nicht mehr vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO.12
Am 29.06.2020 legten die Kläger gegen sämtliche Änderungsbescheide Einspruch ein. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, es läge keine Änderungsbefugnis vor, eine Gewinnerzielungsabsicht sei vorhanden und die Aufteilung der Berücksichtigung der Aufwendungen für die Promotion sei intransparent.13
Mit Einspruchsentscheidung vom 05.01.2021 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Aufteilung der Berücksichtigung der Aufwendungen für die Promotion folge bereits aus dem Vortrag des Klägers, dass ein Zusammenhang mit Einkünften aus Gewerbebetrieb und nichtselbständiger Arbeit bestehe; die konkrete Aufteilung sei im Schätzungswege erfolgt. Eine Gewinnerzielungsabsicht hinsichtlich der Tätigkeit als Unternehmensberater bestehe nicht. Die geringen Betriebseinnahmen und die Dozententätigkeit lasse darauf schließen, dass der Kläger sich seiner Tätigkeit als Unternehmensberater nicht mit der Intensität gewidmet habe, wie es von einem Gewerbetreibenden, der den Lebensunterhalt für sich und seine Familie bestreiten wolle, zu erwarten sei. Die Tätigkeit des Klägers stelle keine ernst zu nehmende Tätigkeit dar, die auf Dauer gesehen dazu geeignet und bestimmt sei, mit Gewinn zu arbeiten. Der Kläger habe die über mehrere Jahre anlaufenden Verluste in nicht unerheblicher Höhe allein durch die hohen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit seiner Ehefrau, der Klägerin, kompensieren und finanzieren können. Überdies sei davon auszugehen, dass der Kläger seine Tätigkeit als Unternehmensberater nicht mit der erforderlichen Intensität ausgeübt habe, sondern eher als nebenberufliche Teilzeittätigkeit. Eine Änderungsbefugnis habe bestanden.14
Hiergegen haben die Kläger am 08.02.2021 Klage erhoben.15
Die Kläger sind im Wesentlichen der Auffassung, die Gewinnerzielungsabsicht hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers als Unternehmensberater sei vorhanden; es lägen zu berücksichtigende Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit vor. Für die Tätigkeit des Klägers sei es erforderlich, Zugang zu Führungspersonen zu bekommen. Mithin habe er „Aushängeschilder“ für seine Tätigkeit oder „Türöffner“ benötigt. Die Führungspersonen würden einen Berater typischerweise dann anerkennen, wenn dieser eine vergleichbare Qualifikation habe. Hierfür sei allein ein wirtschaftswissenschaftliches Studium nicht ausreichend. Daher habe er ein Promotionsstudium und auch eine Dozententätigkeit aufgenommen, da beides von den Führungspersonen häufig auch selbst ausgeübt werde. In den Streitjahren habe er maßgeblich an seinem Außenauftritt gearbeitet. Hierzu habe er eine Homepage erstellt; dies habe er in Eigenarbeit geleistet, um die Kosten möglichst gering zu halten. Er habe sich in verschiedenen sozialen Netzwerken engagiert und Fach- bzw. Netzwerkveranstaltungen besucht. Insgesamt habe er versucht, sich ein Netzwerk aufzubauen, um Kontakte zu Führungspersönlichkeiten zu bekommen.16
Sofern keine Gewinnerzielungsabsicht vorliege, sei jedenfalls die Berücksichtigungsquote der Aufwendungen für seine Promotion unzutreffend; die Aufwendungen seien vollständig zu berücksichtigen.17
Die Kläger beantragen,18
die geänderten Einkommensteuerbescheide 2014 bis 2015 vom 27.05.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.01.2021 nach Maßgabe der Klagebegründung zu ändern.19
Der Beklagte beantragt,20
die Klage abzuweisen.21
Der Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, Einkünfte aus der Tätigkeit des Klägers seien zwar grundsätzlich als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit zu qualifizieren, jedoch scheide eine steuerliche Berücksichtigung mangels Gewinnerzielungsabsicht aus. Dies folge ergänzend zu den Ausführungen in der Einspruchsentscheidung daraus, dass die Tätigkeit des Klägers nicht als hauptberuflich einzustufen sei. Darüber hinaus handele es sich nicht um eine existentiell notwendige Einkunftsquelle. Aufgrund der Erwerbsgemeinschaft der verheirateten Kläger sei davon auszugehen, dass die von der Klägerin erwirtschafteten Mittel zur Bestreitung des gemeinsamen Lebensbedarfs eingesetzt worden seien, so dass der Kläger nicht vom wirtschaftlichen Erfolg seiner Betätigung abhängig gewesen sei. Das private Motiv für die Hinnahmen der Verluste über einen längeren Zeitraum sei die Minderung der Einkommensteuerschuld der Kläger gewesen.22
Auch im Falle einer Urteilsstattgabe dürften die nach dieser zu ändernden Einkommensteuerbescheide 2014 bis 2018 weiterhin vorläufig sein; im Stattgabefall bestehe die Vorläufigkeit hinsichtlich der Unternehmensberatertätigkeit nach § 165 Abs. 1 AO fort.23
Die Aufwendungen für die Promotion seien zutreffend lediglich anteilig berücksichtigt worden.24
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.25
Am 02.06.2023 hat ein Erörterungstermin vor dem zuständigen Berichterstatter stattgefunden.26
Die Beteiligten haben jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erklärt.Entscheidungsgründe
27
Die Klage, über die aufgrund der Einverständnisse der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) entschieden werden konnte, ist begründet. Die geänderten Einkommensteuerbescheide 2014 bis 2018 vom 27.05.2020 allesamt in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.01.2021 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Kläger hat in den Streitjahren seine Tätigkeit als selbständiger Unternehmensberater mit der erforderlichen Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt.28
I. Der Kläger hat in den Streitjahren aufgrund seiner Tätigkeit als Unternehmensberater Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.H.v. -11.717€ (2014), -4.816€ (2015), -2.234€ (2016), 81€ (2017) und -1.823€ (2018) erzielt. Die dafür erforderliche Gewinnerzielungsabsicht hat nach Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls vorgelegen.29
1. Gewinnerzielungsabsicht, die auch im Rahmen des § 18 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen ist (BFH, Urteil vom 14.12.2004 XI R 6/02, juris), ist das Streben nach Gewinn, d.h. nach einer Vermögensmehrung (dazu und zum Folgenden BFH, Beschluss vom 25.06.1984 GrS 4/82, juris, mit zahlreichen Nachweisen). Für das Vorliegen einer Gewinnabsicht wird darauf abgestellt, ob nach den objektiven Verhältnissen auf Dauer gesehen damit gerechnet werden kann, dass sich nachhaltig nicht nur ein Ausgleich zwischen Ausgaben und Einnahmen, sondern auch ein Überschuss (Gewinn) im Sinne eines Totalgewinns ergibt. Die Gewinnerzielungsabsicht ist eine innere Tatsache, die wie alle sich in der Vorstellung von Menschen abspielenden Vorgänge nur anhand äußerlicher Merkmale beurteilt werden kann. Aus objektiven Umständen muss auf das Vorliegen oder Fehlen der Absicht geschlossen werden, wobei einzelne Umstände einen Anscheinsbeweis liefern können.30
Ein für eine Gewinnerzielungsabsicht sprechender Anscheinsbeweis entfällt, wenn die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass im konkreten Einzelfall nicht das Streben nach einem Totalgewinn, sondern persönliche Beweggründe des Steuerpflichtigen für die Fortführung des verlustbringenden Unternehmens bestimmend waren (dazu und zum Folgenden BFH, Urteil vom 14.12.2004 XI R 6/02, juris, mit zahlreichen Nachweisen).31
Persönliche Gründe sind alle einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Motive. Hierzu zählt auch die Absicht, Steuern zu sparen. Als Indiz für die Weiterführung des Verlustbetriebs aus persönlichen Gründen kann auch der Umstand gewertet werden, dass dem Steuerpflichtigen hohe andere Einkünfte zur Verfügung stehen, die für den Ausgleich entstandener Verluste herangezogen werden können und, dass es der Steuerpflichtige trotz ständiger und nachhaltiger Verluste unterlassen hat, Maßnahmen zur Herstellung und Steigerung der Rentabilität des Betriebs zu ergreifen.32
Beweisanzeichen für das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht kann eine Betriebsführung sein, bei der der Betrieb nach seiner Wesensart und der Art seiner Bewirtschaftung auf die Dauer gesehen dazu geeignet und bestimmt ist, mit Gewinn zu arbeiten. Dies erfordert eine in die Zukunft gerichtete und langfristige Beurteilung, wofür die Verhältnisse eines bereits abgelaufenen Zeitraums wichtige Anhaltspunkte bieten können; sind die Einkünfte positiv, so ist eine Gewinnerzielungsabsicht gegeben. Für das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht trotz langjähriger Verluste kann sprechen, dass der Steuerpflichtige hierauf reagiert und Maßnahmen ergriffen hat, um die Gewinnsituation zu verbessern.33
Dauernde Verluste sind dagegen ein Indiz gegen eine Einkunftserzielungsabsicht. Daraus auf eine steuerrechtlich unbeachtliche Liebhaberei zu schließen, ist aber nur gerechtfertigt, wenn aus weiteren Beweisanzeichen die Feststellung möglich ist, dass der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit nur aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen oder Neigungen ausübt. Dies ist anzunehmen, wenn die verlustbringende Tätigkeit typischerweise dazu bestimmt und geeignet ist, der Befriedigung persönlicher Neigungen oder der Erlangung wirtschaftlicher Vorteile außerhalb der Einkunftssphäre zu dienen. Bei den Katalogberufen des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, wie im Streitfall, müssen allerdings zusätzliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Verluste aus persönlichen Gründen oder Neigungen hingenommen werden; eine Vermutung für das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht lässt sich jedenfalls nicht schon aus dem Umstand herleiten, dass eine solche Tätigkeit häufig aus Passion betrieben wird.34
Übt der Steuerpflichtige, wie im Streitfall, eine Tätigkeit aus, die nicht typischerweise in der Nähe des Hobbybereichs anzusiedeln ist, können im Falle einer längeren Verlustperiode die Reaktionen des Steuerpflichtigen auf die Verluste die Bedeutung wichtiger äußerer Beweisanzeichen erlangen (BFH, Urteil vom 20.09.2012 IV R 43/10, juris). So spricht vor allem das fehlende Bemühen, die Verlustursachen zu ermitteln und ihnen mit geeigneten Maßnahmen zu begegnen, für sich genommen schon dafür, dass langjährige Verluste aus im persönlichen Bereich liegenden Neigungen und Motiven hingenommen werden. An die Feststellung persönlicher Gründe und Motive, die den Steuerpflichtigen trotz der Verluste zur Weiterführung seines Unternehmens bewogen haben könnten, sind in einem solchen Fall keine hohen Anforderungen zu stellen.35
Bei neu gegründeten Betrieben, wie im Streitfall zu Beginn des Jahres 2014, spricht der Beweis des ersten Anscheins grundsätzlich für eine Gewinnerzielungsabsicht, es sei denn, die Art des Betriebes bzw. seine Bewirtschaftung sprechen von vornherein dagegen, weil das Unternehmen nach der Lebenserfahrung typischerweise dazu bestimmt und geeignet ist, persönlichen Neigungen der Steuerpflichtigen oder der Erlangung wirtschaftlicher Vorteile außerhalb der Einkommenssphäre zu dienen (dazu und zum Folgenden BFH, Urteil vom 25.06.1996 VII R 28/94, juris, mit zahlreichen Nachweisen).
36
Die ernsthafte Möglichkeit, dass ein jahrelang ausschließlich mit Verlusten arbeitender Betrieb nicht in der Absicht der Gewinnerzielung geführt wird, ist jedenfalls dann gegeben, wenn feststeht, dass der Betrieb nach seiner Wesensart und/oder der Art seiner Bewirtschaftung auf die Dauer gesehen nicht nachhaltig mit Gewinn, d.h. mit einem Totalgewinn, arbeiten kann. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn der Steuerpflichtige es trotz ständiger und nachhaltiger Verluste unterlässt, Maßnahmen zur Herstellung und Steigerung der Rentabilität des Betriebes zu ergreifen.
37
Verluste der Anlaufzeit können allerdings nur dann steuerrechtlich nicht anerkannt werden, wenn aufgrund der bekannten Entwicklung des Betriebes eindeutig feststeht, dass der Betrieb, so wie ihn der Steuerpflichtige betrieben hat, von vornherein nicht in der Lage war, nachhaltige Gewinne zu erzielen und deshalb nach objektiver Beurteilung von Anfang an keine Einkunftsquelle im Sinne des Einkommensteuerrechts dargestellt hat (dazu und zum Folgenden BFH, Urteil vom 25.06.1996 VII R 28/94, und Beschluss vom 10.04.2013 B 106/12, juris, mit zahlreichen Nachweisen).38
Die Anlaufzeit eines neu aufgebauten Betriebs ist je nach der Eigenart betriebsspezifisch festzulegen. Ebenso hängt es von der Eigenart des Betriebs ab, wann eine wesentliche Ausweitung der geschäftlichen Tätigkeit vorliegt und ab wann von einer Veränderung des Unternehmensgegenstandes gesprochen werden kann. Dieser Anlaufzeitraum beträgt grundsätzlich fünf Jahre (BFH, Urteil vom 15.11.1984 IV R 139/81, juris). Als betriebsspezifische Anlaufzeit bis zum Erforderlichwerden größerer Korrektur- und Umstrukturierungsmaßnahmen kommt ein Zeitraum von weniger als fünf Jahren nur im Ausnahmefall in Betracht (BFH, Urteil vom 23.05.2007 X R 33/04, juris, mit zahlreichen Nachweisen). Daneben ist die Dauer der Anlaufphase vor allem vom Gegenstand und von der Art des jeweiligen Betriebs abhängig, so dass sich der Zeitraum, innerhalb dessen das Unterbleiben einer Reaktion auf bereits eingetretene Verluste für sich betrachtet noch nicht als Beweisanzeichen für eine mangelnde Gewinnerzielungsabsicht herangezogen werden kann, nicht allgemeinverbindlich festlegen lässt.39
2. Unter Berücksichtigung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, liegt im Streitfall auch trotz der vom Kläger in den Streitjahren erzielten Verluste eine Gewinnerzielungsabsicht des Klägers hinsichtlich seiner Tätigkeit als Unternehmensberater in den Streitjahren vor.40
Der Kläger hat in den Streitjahren eine „zusammengesetzte Tätigkeit“ als Berater und Dozent ausgeübt; dies ist für das Berufsbild des Unternehmensberaters, wie für sämtliche Katalogberuf i.S.d. § 18 EStG, nicht untypisch, zumal der Kläger hierzu ausgeführt hat, dass er die Dozententätig aufgenommen habe, um „Aushängeschilder“ für seine Tätigkeit oder „Türöffner“ zu schaffen, um hierdurch Kontakt zu Führungspersonen zu erhalten.41
Der Kläger hat in den Streitjahren einen Katalogberuf i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ausgeübt, in dem er bereits zuvor verschiedene berufliche Qualifikationen gesammelt hat und jahrelang tätig gewesen ist, mithin eine Expertise mitgebracht hat.42
Der Kläger hat schriftsätzlich und in dem durchgeführten Erörterungstermin hinreichend dargelegt, wie seine berufliche Tätigkeit als selbständiger Unternehmensberater in den Streitjahren ausgesehen und welche verschiedenen Maßnahmen er ergriffen hat. Dieses Betriebskonzept ist belastbar und jedenfalls dem Grunde nach geeignet, zukünftig Gewinne zu erwirtschaften.43
Auch hat der Kläger seine Tätigkeit erst im Jahr 2014 aufgenommen bzw. neu gegründet und sich mithin in den gesamten Streitjahren in einer Anlaufphase befunden, deren Dauer mangels gegenteiliger Anhaltspunkte jedenfalls fünf Jahre, mithin den gesamten Streitzeitraum, betragen hat.44
Dabei sind dem Kläger in den Streitjahren echte Kosten und nicht rein kalkulatorische Kosten entstanden.45
Das auch der ehemalige Arbeitgeber des Klägers, die B AG in Dortmund, ernsthaft davon ausgegangen ist, dass der Kläger mit seiner selbständigen Tätigkeit als Unternehmensberater Erfolg haben könnte, zeigt das Wettbewerbs- bzw. Kontaktverbot hinsichtlich der von dem Kläger im Rahmen seiner Angestelltentätigkeit beratenen Führungspersönlichkeiten.46
Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Verluste aus persönlichen Beweggründe hingenommen worden sind; allein die Möglichkeit der Verrechnung mit anderen positiven Einkünften der Ehefrau lässt nicht Schluss zu, dass eine Tätigkeit aufgrund persönlicher Neigungen oder Gründe ausgeübt wird.47
Schlussendlich ist es dem erkennenden Senat vor dem Hintergrund der Gesamtumstände des Einzelfalls gerade nicht möglich, festzustellen, dass der klägerische Betrieb in den Streitjahren von vornherein nicht in der Lage gewesen ist, nachhaltig Gewinne zu erzielen.48
3. Die Höhe der Einkünfte aus selbständiger Arbeit hat in den Streitjahren wie folgt betragen: -11.717€ (2014), -4.816€ (2015), -2.234€ (2016), 81€ (2017) und -1.823€ (2018). In den Jahren 2014 bis 2017 ist der Kläger erklärungsgemäß zu veranlagen; vernünftige Gründe hieran zu zweifeln sind weder hinreichend qualifiziert vorgetragen worden noch aus den dem Gericht vorliegenden Akten ersichtlich. Im Jahr 2018 sind dem erklärten Verlust i.H.v. 1.123€ weiteren 700€, d.h. 50% der vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für seine Promotion i.H.v. 1.399€, von denen der Beklagte bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Jahr 2018 bereits einen Betrag i.H.v. 700€ als Werbungskosten berücksichtigt hat, hinsichtlich der Aufwendungen für das Promotionsstudium des Klägers an der Universität C hinzuzurechnen, so dass die Einkünfte insgesamt -1.823€ betragen. Insoweit ist von einer betrieblichen Veranlassung der Aufwendungen auszugehen. Dabei ist der Vortrag des Klägers, dass die Aufwendungen für die Promotion mit seinen nichtselbständigen und selbständigen Einkünften zusammenhängen, wovon ausweislich der Ausführungen in der Einspruchsentscheidung auch der Beklagte ausgeht, zugrundzulegen.49
4. Zu Recht ist zwischen den Beteiligten (nunmehr) unstreitig, dass die vom Kläger erzielten Einkünfte aus seiner Unternehmensberatertätigkeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, 2 EStG als Einkünfte aus selbständiger Arbeit zu qualifizieren sind. Der Kläger ist als beratender Betriebswirt tätig gewesen. Den Beruf des beratenden Betriebswirts übt derjenige aus, der nach entsprechenden Studium verbunden mit praktischer Erfahrung, mit den hauptsächlichen Bereichen der Betriebswirtschaft (Unternehmensführung, Leistungserstellung, Materialwirtschaft, Finanzierung, Vertrieb, Verwaltungs- und Rechnungswesen sowie Personalwesen) und nicht nur mit einzelnen Spezialgebieten vertraut ist und diese fachliche Breite seines Wissens auch bei seinen praktischen Tätigkeiten einsetzen kann und tatsächlich einsetzt (BFH, Urteil vom 19.09.2022 IV R 74/00, juris). Als Diplom-Kaufmann nach einem abgeschlossenen wirtschaftswissenschaftlichen Studium, Master of Arts und einschlägiger beruflicher Praxiserfahrung hat der Kläger in den Streitjahren Beratung in mindestens einem Hauptbereich der Betriebswirtschaftslehre ausgeübt.50
5. Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Steuerfestsetzungen der Streitjahre, insbesondere nach Verkündung des Urteils, nicht vorläufig i.S.d. § 165 Abs. 1 Satz 1 AO hinsichtlich der Einkünfte aus der Tätigkeit des Klägers als Unternehmensberater. Die folgt bereits daraus, dass die streitgegenständlichen Änderungsbescheide vom 27.05.2020 insoweit nicht vorläufig sind. Zudem liegt die für § 165 Abs. 1 Satz 1 AO erforderliche tatsächliche Ungewissheit nicht mehr vor; nach den vorstehenden Ausführungen ist insoweit in den Streitjahren von dem Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht auszugehen. Auch der Grundsatz der Rechtssicherheit in Form der Rechtskraft gerichtlicher Urteile steht dem entgegen, so dass es dem Gericht verwehrt ist, eine vorläufige Steuerfestsetzung im Streitfall vorzunehmen, zumal § 165 Abs. 1 Satz 1 AO die Finanzbehörde, und nicht das Finanzgericht, adressiert; vorläufige Entscheidung im finanzgerichtlichen Verfahren erfolgen im einstweiligen Rechtsschutz.51
II. Ebenfalls ist zu Recht zwischen den Beteiligten (nunmehr) unstreitig, dass dem Beklagten die zum Erlass der streitgegenständlichen Änderungsbescheide erforderliche Änderungsbefugnis zugestanden hat. Hinsichtlich der Gewinnerzielungsabsicht folgt diese aus § 165 Abs. 2 AO; die vormaligen Steuerfestsetzungen der Streitjahre sind hinsichtlich der Gewinnerzielungsabsicht vorläufig gewesen. Hinsichtlich der Aufwendungen für die Promotion folgt dies aus § 164 Abs. 2 AO; der ursprünglicher Einkommensteuerbescheid 2018 hat unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden.52
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Übertragung der Berechnung der Steuer folgt aus § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.53
IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.