13.05.2004 · IWW-Abrufnummer 041242
Bundesfinanzhof: Urteil vom 26.02.2004 – XI R 25/02
1. Auch nicht buchführungspflichtige Gewerbetreibende sind verpflichtet, ihre Betriebseinnahmen gemäß § 22 UStG i.V.m. §§ 63 bis 68 UStDV einzeln aufzuzeichnen.
2. Im Taxigewerbe erstellte Schichtzettel sind gemäß § 147 Abs. 1 AO 1977 aufzubewahren. Sie genügen den sich aus der Einzelaufzeichnungspflicht ergebenden Mindestanforderungen.
Gründe:
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit 1987 Taxiunternehmer. Er ermittelt seinen Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). In den Streitjahren erklärte er Gewinne in Höhe von
1990 42 776 DM,
1991 47 744 DM,
1992 44 310 DM.
Bei einer Außenprüfung wurden Mängel in der Kassenführung, Kassenfehlbeträge und das Fehlen sog. Schichtzettel festgestellt. Die Schichtzettel enthalten Angaben der jeweiligen Fahrer, des Datums der Schicht, des Schichtbeginns, des Schichtendes, der "Total- und Besetztkilometer", der Touren, des Fahrpreises, des Tachostandes, der Fahrten ohne Uhr, der Gesamteinnahme, der Lohnabzüge, der sonstigen Abzüge, der verbleibenden Resteinnahme und der an den Unternehmer abgelieferten Beträge. Unter Zugrundelegung eines Taxiumsatzes von jährlich 100 000 DM erhöhte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Gewinne im Wege der Schätzung um
1990 16 496 DM,
1991 984 DM,
1992 2 615 DM.
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2003, 45). Entgegen der Auffassung des Klägers hätten die Schichtzettel gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) aufbewahrt werden müssen. Der Verstoß gegen diese Vorschrift habe das FA zur Schätzung berechtigt. Wegen der besonderen Bedeutung der Schichtzettel sei ein nicht unerheblicher Unsicherheitszuschlag erforderlich. Das FA habe im Rahmen seiner Schätzung einen jährlichen Taxenumsatz im Zweischichtbetrieb von 100 000 DM zugrunde gelegt. Dieser Umsatzwert sei üblich. Die Schätzung liege an der untersten Grenze.
Mit der Revision trägt der Kläger vor:
1. Das FA sei dem Grunde nach nicht zur Schätzung berechtigt.
Die Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO 1977 knüpfe an die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten gemäß §§ 140, 141 AO 1977 an. Bestünden aber für den Steuerpflichtigen keine Aufzeichnungspflichten, so bedürfe es auch keiner Aufbewahrungspflicht.
Im Rahmen des § 4 Abs. 3 EStG bestünden keine allgemeinen Aufzeichnungspflichten für Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. Es bestünden auch keine anderen Aufzeichnungspflichten, die eine Pflicht zur Aufbewahrung der Schichtzettel nach sich ziehen würden.
Eine Aufzeichnungspflicht könne nicht aus § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) abgeleitet werden. Die Schichtzettel ließen nicht erkennen, wie sich die einzelnen Umsätze, getrennt nach Steuersätzen, zusammensetzten; es seien nur die Gesamteinnahmen enthalten. Im Übrigen könnte die umsatzsteuerrechtliche Aufzeichnungspflicht nicht eine einkommensteuerrechtliche Aufzeichnungspflicht nach sich ziehen; die Anwendbarkeit des § 22 UStG sei auf umsatzsteuerrechtliche Zwecke beschränkt.
Da die in den Schichtzetteln relevanten Daten in das Kassenbuch übertragen worden seien, habe keine Aufbewahrungspflicht für die Schichtzettel bestanden. Die Aufbewahrung von Einnahmeursprungsaufzeichnungen sei nicht erforderlich, wenn deren Inhalt unmittelbar nach Auszählung in ein anderes Medium, z.B. in ein Kassenbuch, übertragen werde.
Die Schichtzettel seien für die Besteuerung nicht von Bedeutung. Nach gefestigter Auffassung im Taxigewerbe dienten die Schichtzettel in erster Linie der Kontrolle der angestellten Fahrer; es handele sich um innerbetriebliche Unterlagen.
2. Die vorgenommene Schätzung sei der Höhe nach nicht ausreichend begründet. Das FG verstoße gegen die Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Schätzung zu richten seien. Es könne weder als gerichtsbekannt noch als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass ein jährlicher Taxenumsatz von 100 000 DM üblich sei. Die Schätzung sei nicht nachprüfbar. Auch sei nicht erkennbar, warum gerade von einem Zwei-Schicht-Betrieb ausgegangen worden sei.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil sowie die Einkommensteuer-Bescheide 1990 bis 1992 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
1. Das FA sei dem Grunde nach zur Schätzung befugt. Der Kläger habe keine ausreichenden Aufklärungen über die von ihm erklärten gewerblichen Einkünfte gegeben, seine gemäß § 90 Abs. 1 AO 1977 bestehende Mitwirkungspflicht verletzt und gegen Aufbewahrungspflichten verstoßen.
Entgegen der Auffassung des Klägers bestehe auch bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die Pflicht zur Aufbewahrung von Unterlagen nach § 147 AO 1977.
Im Streitfall habe der Kläger durch die Vernichtung der Schichtzettel gegen die Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO 1977 verstoßen. Die Schichtzettel enthielten steuerlich relevante Aussagen von besonderer Bedeutung. Allein die Eintragungen im Kassenbuch böten keine Gewähr für die Vollständigkeit.
2. Die Höhe der Schätzung beruhe auf bei anderen Taxibetrieben gewonnenen Erkenntnissen.
II.
Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um die Rechtmäßigkeit der vom FA übernommenen Schätzung der Höhe nach beurteilen zu können.
1. Zu Recht hat das FG die Schätzungsbefugnis des FA dem Grunde nach bejaht.
a) Der Kläger war im Rahmen der von ihm zulässigerweise nach § 4 Abs. 3 EStG vorgenommenen Gewinnermittlung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen verpflichtet. Auch die Überschussrechnung setzt voraus, dass die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben durch Belege nachgewiesen werden (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. April 1999 IV R 68/98, BFHE 188, 291, BStBl II 1999, 481; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., 2003, § 4 Rz. 374 f.).
b) Die Pflicht zur Einzelaufzeichnung ergibt sich für Unternehmen aus § 22 UStG i.V.m. §§ 63 bis 68 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV). Zwar sind umsatzsteuerrechtliche Aufzeichnungen keine Aufzeichnungen "nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen" i.S. des § 140 AO 1977. Die Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wirkt aber, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine Beschränkung aus der Natur der Sache nicht ergibt, unmittelbar auch für andere Steuergesetze, also auch für das EStG (BFH-Urteil vom 2. März 1982 VIII R 225/80, BFHE 136, 28, BStBl II 1984, 504; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr. D 52).
Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG sind u.a. auch die vereinnahmten Entgelte aufzuzeichnen. Nach § 63 Abs. 1 UStDV müssen die Aufzeichnungen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmens und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten.
c) Betriebseinnahmen sind einzeln aufzuzeichnen. Dem Grundsatz nach gilt das auch für Bareinnahmen. Der Umstand der sofortigen Bezahlung der Leistung rechtfertigt nicht, die jeweiligen Geschäftsvorfälle nicht auch einzeln aufzuzeichnen. Aus Gründen der Zumutbarkeit und Praktikabilität sind bestimmte Berufsgruppen (wie z.B. Einzelhändler) von der Pflicht zur Einzelaufzeichnung entbunden (Weber-Grellet, a.a.O., Rz. D 53). Die Situation bei Einzelhandelsunternehmen ist mit der bei Taxiunternehmen nicht vergleichbar (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom 12. Mai 1966 IV 472/60, BStBl III 1966, 371, 373). Indes genügen im Bereich des Taxigewerbes die sog. Schichtzettel in Verbindung mit den Angaben, die sich auf dem Kilometerzähler und dem Taxameter des einzelnen Taxis ablesen lassen, den sich aus der Einzelaufzeichnungspflicht ergebenden Mindestanforderungen; damit wird den branchenspezifischen Besonderheiten dieses Gewerbes ausreichend Rechnung getragen.
d) § 147 Abs. 1 AO 1977 verlangt die geordnete Aufbewahrung von Unterlagen. Diese Aufbewahrungspflicht ist akzessorisch und setzt eine Aufzeichnungspflicht voraus (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 147 AO 1977, Tz. 1). Die Aufbewahrung von Einnahmeursprungsaufzeichnungen ist nicht erforderlich, wenn deren Inhalt unmittelbar nach Auszählung der Tageskasse in das in Form aneinandergereihter Tageskassenberichte geführte Kassenbuch übertragen wird (BFH-Urteil vom 13. Juli 1971 VIII 1/65, BFHE 103, 34, BStBl II 1971, 729). Diese Voraussetzung ist im Streitfall jedoch nicht erfüllt. Es besteht keine einheitliche Tageskasse, deren Ergebnis nach Auszählung unmittelbar in ein Kassenbuch übernommen werden kann. Die Ergebnisse des Klägers setzen sich vielmehr aus den Einnahmen der einzelnen Fahrer zusammen, die erst in ihrer Summe das jeweilige Tagesergebnis ergeben.
e) Die Schichtzettel sind Einnahmeursprungsaufzeichnungen; sie enthalten Angaben, aus denen sich die Höhe der Umsätze und damit auch der Betriebseinnahmen unmittelbar ergibt. Der Kläger war insoweit aufbewahrungspflichtig; die Vernichtung der Schichtzettel bedeutete einen Verstoß gegen diese Pflicht.
Sowohl bei Verletzung der Aufbewahrungspflicht --wie im Streitfall-- als auch bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht ist das FA dem Grunde nach zur Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 und 2 AO 1977 berechtigt (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., Vor § 140 AO 1977, Tz. 23; § 147 AO 1977, Tz. 64; § 162 AO 1977, Tz. 37; Weber-Grellet, a.a.O., Rdnr. D 58).
2. Das FG-Urteil lässt sich in Bezug auf die Höhe der Schätzung nicht in der gebotenen Weise überprüfen. Zwar gehört die Schätzung in ihrer Gesamtheit, einschließlich der methodischen Überlegungen, zu den tatsächlichen Feststellungen des FG, die für das Revisionsgericht bindend sind (BFH-Beschluss vom 1. Dezember 1998 III B 78/97, BFH/NV 1999, 741; Tipke/Kruse, a.a.O., § 118 FGO, Tz. 74). Das entbindet das FG aber nicht von der Pflicht, die Umstände, die zu dieser Schätzung geführt haben, im Einzelnen darzulegen, damit der BFH im Rahmen seiner Kompetenz die Schätzung der Höhe nach überprüfen kann (vgl. BFH-Urteil vom 18. April 1991 IV R 7/89, BFHE 165, 38, BStBl II 1991, 833). Gegenstand der notwendigen Feststellungen des FG sind die entscheidungserheblichen Tatsachen, die den abstrakt formulierten gesetzlichen Tatbeständen zugrunde liegen (Tipke/Kruse, a.a.O., § 76 FGO, Tz. 21, 30).
Das FG ist --der Schätzung des FA folgend-- von einem jährlichen Taxenumsatz im Zweischichtbetrieb von 100 000 DM ausgegangen; es hält diesen Umsatzwert aufgrund von Erkenntnissen aus anderen Klageverfahren für durchaus üblich. Diese Feststellungen genügen nicht, um die Hinzuschätzungsbeträge nachvollziehen zu können.