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  • 25.02.2016 · IWW-Abrufnummer 146456

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 16.05.2013 – 2 K 3030/11

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Münster

    2 K 3030/11 E,U

    Tenor:

    Die Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide 1998 bis 2005 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.07.2011 werden nach Maßgabe der Urteilsgründe geändert. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 3/5 und der Beklagte zu 2/5.

    Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers vorläufig vollstreckbar.

    1

    T a t b e s t a n d

    2

    Zu entscheiden ist, ob bzw. inwieweit Zuschätzungen für die Jahre 1998 bis 2005 (Streitjahre) nach Durchführung einer Steuerfahndungsprüfung rechtmäßig sind.

    3

    Der am xx.xx.19xx geborene Kläger übernahm den seit mehreren Generationen bestehenden Familienbetrieb eines Fischgroß- und Einzelhandels am xx.xx.19xx von seiner Mutter. Er beschickte den Markt in D an vier Wochentagen. Hieraus erzielte er in den Streitjahren Umsätze und Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Der Kläger hat seinen Wohnsitz in den Niederlanden. Er beantragte für die Streitjahre die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht.

    4

    Der Kläger erklärte für die Jahre 1998 bis 2005 folgende Umsätze (7 %) und Gewinne (bis 2001 DM/ab 2002 EUR):

    5

    1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005
    6

    958.589 856.622 829.660 955.260 433.508 435.238 461.817 469.896
    7

    44.597 54.984 8.739 62.931 27.138 26.801 41.177 32.716

    8

    Der Kläger wurde zunächst erklärungsgemäß veranlagt.

    9

    Nach Durchführung einer Betriebsprüfung für die Jahre 1998 bis 2000 änderte der Beklagte die Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide entsprechend dem Bericht vom 10.05.2004, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Die nach § 173 und § 164 Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheide datieren vom 25.06.2004. Für die Jahre 2001 bis 2003 wurde eine Anschlussprüfung durchgeführt, deren Ergebnisse im Bericht vom 01.02.2005 dargestellt sind.

    10

    Da der Prüfer für beide Prüfungszeiträume Mängel bei der Kassenführung feststellte, verwarf er die Buchführung als nicht ordnungsgemäß. Die erklärten Rohgewinnaufschläge (37,8 %, 45,7 %, 32,6 %, 36,3 %, 40,65 % und 37,13 %) lägen weit unter den Werten laut Richtsatzsammlung (54 bis 117 %). Die erforderlichen Zuschätzungen sollten auf der Grundlage des untersten Rohgewinnaufschlagsatzes laut Richtsatzsammlung (54 %) abzüglich eines Unsicherheitsabschlags von 10 % erfolgen. Vorgesehen waren Hinzuschätzungen i.H.v. 91.900 DM, 44.000 DM, 120.000 DM, 111.400 DM, 37.000 EUR und 48.100 EUR netto.

    11

    Die zweite Prüfung führte zur Einschaltung des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N . Dieses prüfte nun die Jahre 1998 bis 2005. Nach Durchsuchungen auch in den Niederlanden und weiteren Prüfungen der Buchführung bestätigten sich die Feststellungen zu der Kassen- und Buchführung. Der Prüfer führte eine Einzelkalkulation für den Zeitraum November 2002 bis Dezember 2003 durch. Danach ergab sich schließlich ein Aufschlagsatz von 67,46 %. Außerdem bezog er sich auf eine von dem Kläger selbst erstellte Kalkulation, wonach ein Rohgewinnaufschlagsatz von 71 % ermittelt worden war. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht vom 10.09.2007 hingewiesen.

    12

    Der Beklagte änderte darauf hin die Bescheide für die Jahre 1998 bis 2000 vom 25.06.2004 nach Hinweis auf die beabsichtigte Verböserung (§ 367 Abs. 2 AO) und die Möglichkeit zur Rücknahme des hiergegen eingelegten Einspruchs (vgl. Schreiben vom 09.10.2007). Die Einsprüche wurden nicht zurückgenommen. Der Beklagte stützte die Änderungen mit Einkommen- und Umsatzsteuerbescheiden vom 11.12.2007 auf die Vorschriften der §§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 132 AO.

    13

    Die Bescheide für die Jahre 2001 bis 2005 änderte er ebenfalls entsprechend den Zuschätzungen laut Bericht vom 10.09.2007. Die nach § 164 AO geänderten Bescheide 2001 bis 2005 datieren vom 11.10.2007.

    14

    Der Einspruch hatte teilweise Erfolg. Der Beklagte nahm einen Sicherheitsabschlag von 20 % vor. Danach beliefen sich die nicht versteuerten bzw. hinzu geschätzten Nettoumsätze nun auf (bis 2001 DM/ab 2002 EUR)

    15

    1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005
    16

    75.994 110.406 183.054 184.036 70.522 81.309 66.195 85.014

    17

    Auf die Einspruchsentscheidungen vom 26.07.2011 wird verwiesen.

    18

    Mit seinen hiergegen anhängig gemachten Klagen wendet der Kläger im wesentlichen ein, dass die Zuschätzungen wegen verhältnismäßig geringer Mängel und nicht repräsentativer Einzelfeststellungen (z.B. defekte Kasse nur in 2001 an 49 Marktagen, Fehlen weniger Z-Bons (13 von 215 in 2004) schon dem Grunde nach nicht gerechtfertigt seien. Dies gelte erst recht für deren Höhe.

    19

    Wegen der fehlenden Registrierkasse in 2001 kämen allenfalls Zuschätzungen i.H.v. 6.700 EUR in Betracht. Die wenigen fehlenden Z-Bons und die sonstigen Mängel recht-fertigten überhaupt keine Zuschätzung. Die auf der CD des Klägers gefundenen Berechnungen (Rohgewinnaufschlag über 70 %) seien Planrechnungen. Die Nachkalkulation des Beklagten beziehe sich nur auf einen nicht repräsentativ kurzen Zeitraum (11/2002 bis 12/2003). Sie erfasse auch nur 2/3 des gesamten Wareneinsatzes. Schwund, Verschnitt und Verderb seien nicht vollständig ermittelt. Der Kläger habe in den Streitjahren im Durchschnitt einen Rohgewinnaufschlag von 37,8 % erklärt. Dieser werde sowohl von Werten laut NWB-Handbuch (für 1995) als auch durch die Richtwerte des BMF bestätigt. Das NWB-Handbuch weise Aufschlagsätze zwischen 40 und 50 %, durchschnittlich also 45 % aus. Für Markthändler könnten bis zu 10 % weniger aufgeschlagen werden als bei einem Ladengeschäft. Die Aufschlagsätze verringerten sich bei Sonderangeboten auch noch um bis zu 25 %. Das BMF gehe von einem Aufschlagsatzrahmen von 45 % (Anmerkung: richtig ist 54 %) bis 117 %, im Durchschnitt also von 81 % aus. Auch hier werde angenommen, dass ein Marktbeschicker einen geringeren Rohgewinnaufschlag habe.

    20

    Das Gericht hat einen gerichtseigenen Prüfer beauftragt, insbesondere Feststellungen zur Ordnungsmäßigkeit der Buchführung in den Streitjahren zu treffen. Der Prüfer kam in seiner Stellungnahme vom 18.12.2012, ergänzt mit Schreiben vom 05.04.2013 zu dem Schluss, dass die Buchführung nicht nur aus den von den Prüfungsdiensten festgestellten Gründen mangelhaft sei. Er habe in allen Streitjahren eine Vielzahl weiterer Mängel festgestellt. Es sei von einer rechnerisch geführten Kasse auszugehen. Bestände seien nicht bzw. erst nachträglich durch die steuerliche Beratung ermittelt worden. Das verwendete Thermopapier sei durch Verwitterung und Aufkleben zum großen Teil nicht mehr lesbar. Es fehlten wiederholt nachvollziehbare Buchungsbelege. Bedienungs- und Programmieranleitungen für die beiden Kassensysteme (K1 1998 bis 2001; K2 ab 2002 mit je drei Waagen) lägen nicht bzw. nicht vollständig vor. Umprogrammierungen seien nicht protokolliert. Bei der K2-Kasse seien keine Stornos ausgewiesen. Nicht nur in 2001 seien die Einnahmen wiederholt wegen einer defekten Kasse geschätzt worden. Es fehlten Z-Bons bzw. fortlaufende Nummern auf den Z-Bons. Es sei nicht auszuschließen, dass Erlöse aus nicht mit in das Netz eingebundenen Waagen nicht erfasst seien. Nach einer Auskunft der Firma K1 besteht die Möglichkeit, die Umsätze einzelner Kassenwaagen zu löschen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahmen des Gerichtsprüfers verwiesen.

    21

    Der Senat hat die Klageverfahren 2 K 3030/11 U und 2 K 3031/11 E zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen 2 K 3030/11 E, U verbunden.

    22

    Der Kläger beantragt,

    23

    die geänderten Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide 1998 - 2005 in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 26.07.2011 aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid sowie den Umsatzsteuerbescheid 2001 derart zu ändern, dass eine Gewinnzuschätzung i.H.v. 6.700 EUR vorgenommen werde;

    24

    hilfsweise die Revision zuzulassen.

    25

    Der Beklagte beantragt,

    26

    die Klage abzuweisen.

    27

    Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidungen und auf die Feststellungen der Betriebs- und Steuerfahndungsprüfungen. Ergänzend und erläuternd führt er aus, dass insbesondere die fehlenden Programmierungs- und Vernetzungsprotokolle für die eingesetzten Kassen/Waagen der Ordnungsmäßigkeit der Buch- und Kassenführung entgegen stünden. Nach Auskunft der Firma K1 könne jede Kasse/Waage einzeln genutzt werden. Deren Umsätze seien nicht in den ausgewiesenen Tagesendsummen erfasst. Der Kläger habe weder Preis- noch PLU-Listen (Verkaufspreise laut Barkassenspeicher) vollständig aufbewahrt. Hinzu komme, dass die Kassenbestände im Kassenjournal rein rechnerisch dargestellt seien. Ein Abgleich von Kassen-Soll und Kassen-Ist durch Kassensturz sei nicht möglich. Die Buchführung sei damit formell nicht ordnungsgemäß. Die sachliche Richtigkeit werde durch die Nachkalkulation widerlegt. Die Höhe der Zuschätzungen sei nicht zu beanstanden, weil sie auf einer nach eigenen Angaben des Klägers korrigierten Kalkulation beruhten. Zudem habe der Kläger eine eigene Kalkulation durchgeführt, die einen Rohgewinnsatz von 42 % ergeben habe. Dies entspreche einem Rohgewinnaufschlagsatz von 71 %. Der Unterschied sei auf Klägerseite zunächst gar nicht erkannt worden. Der Kläger habe weder eine schlüssige Erklärung für die von ihm erklärten niedrigen Rohgewinnaufschlagsätze noch dafür, dass diese stark schwankten, geben können. Er betreibe den Fischeinzelhandel in der vierten Generation und arbeite wirtschaftlich und professionell. Er habe gegenüber den deutschen Mitbewerbern sehr günstige Einkaufs- und Transportkonditionen dadurch, dass er direkt in T /NL einkaufe. Demgegenüber müssten deutsche Fischhändler sich die Ware anliefern lassen oder über Zwischenhändler besorgen. Schließlich habe der Kläger einen auf der Kalkulation der Steuerfahndung beruhenden Strafbefehl akzeptiert.

    28

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die beigezogenen Steuer- und Prüfungsakten des Beklagten sowie die Stellungnahmen des gerichtseigenen Prüfers verwiesen.

    29

    Der Senat hat am 16.05.2013 in der Sache verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird hingewiesen.

    30

    E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

    31

    Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.

    32

    Soweit der Beklagte Mehrumsätze von netto 55.000 DM (1998 und 1999), 130.000 DM (2000), 110.000 DM (2001), 45.000 EUR (2002), 55.000 EUR (2003), 40.000 EUR (2004) und 50.000 EUR (2005) erfasst hat, wird der Kläger durch die angefochtenen Bescheide nicht in seinen Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

    33

    Der Beklagte konnte die Änderung der angefochtenen Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide der Jahre 1998 bis 2000 mit Bescheiden vom 11.12.2007 auf die Vorschrift des § 172 AO stützen. Denn der Kläger hat seinen Einspruch trotz des Hinweises auf eine mögliche Verböserung nicht zurückgenommen, § 367 Abs. 2 AO. Der Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist war deshalb nach § 171 Abs. 3a AO gehemmt. Unerheblich ist, dass der Beklagte die verbösernde Änderung nicht durch Einspruchsentscheidung, sondern zunächst durch die Änderungsbescheide vom 11.12.2007 vorgenommen hat. Der Zweck des § 367 Abs. 2 AO, nämlich sicherzustellen, dem Einspruchsführer die Möglichkeit einzuräumen, einer verbösernden Entscheidung durch rechtzeitige Rücknahme des Einspruchs zuvorzukommen (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler AO/FGO § 367 AO Rz. 434), wird auch bei einer Verböserung durch Änderungsbescheide erfüllt.

    34

    Entgegen der Auffassung des Klägers waren die Voraussetzungen für Hinzuschätzungen dem Grunde nach in allen Streitjahren gegeben, denn die Buchführung und die Aufzeichnungen des Klägers konnten der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden, § 158 AO. Im Streitfall lagen nicht nur geringe, punktuell zu berichtigende Mängel vor.

    35

    Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind, § 162 Abs. 1 AO. Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können, § 162 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO. Gem. § 96 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. FGO gelten die Vorschriften der §§ 158 und 162 AO im finanzgerichtlichen Verfahren sinngemäß. Dem Gericht steht danach eine eigene Schätzungsbefugnis zu.

    36

    Nach § 158 AO können die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen der Besteuerung grundsätzlich nur dann zugrunde gelegt werden, wenn sie den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen. Dies ist hier nicht der Fall.

    37

    Der Kläger ist als Kaufmann und Gewerbetreibender nach dem Handelsgesetzbuch bzw. nach § 141 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgrund der Umsatzgröße buchführungspflichtig. Außerdem treffen ihn die Aufzeichnungspflichten gem. § 22 Umsatzsteuergesetz (UStG) i.V.m. §§ 63 bis 68 Umsatzsteuerdurchführungsverordnung (UStDV). Die Aufzeichungsverpflichtung nach § 22 UStG wirkt unmittelbar für alle Besteuerungszwecke, also auch für die Besteuerung nach dem Einkommensteuergesetz (BFH-Urteile vom 26.02.2004 XI R 25/02, BStBl. II 2004, 599 und vom 02.03.1982 VIII R 225/80, BStBl. II 1984, 504).

    38

    Nach § 145 AO muss die Buchführung so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann. Die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen. Aufzeichnungen sind so vorzunehmen, dass der Zweck, den sie für die Besteuerung erfüllen sollen, erreicht wird.

    39

    Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 AO sind die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Dazu gehört die Sammlung von Belegen. Jede Buchung muss im Zusammenhang mit einem Beleg stehen. Die Belege und empfangene Geschäftsbriefe sind aufzubewahren. Fehlen sie so ist die Buchführung nicht ordnungsgemäß (vgl. BFH-Urteil vom 24.06.1997 VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51 m.w.N.).

    40

    Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden, § 146 Abs. 1 Satz 2 AO. Bücher und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen sind im Geltungsbereich der AO zu führen und aufzubewahren. Wird eine andere als die deutsche Sprache verwendet, so kann die Finanzbehörde Übersetzungen verlangen. Bei Verwendung von Abkürzungen, Ziffern, Buchstaben oder Symbolen, muss im Einzelfall deren Bedeutung eindeutig festliegen, § 146 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AO. Eine Buchung oder Aufzeichnung darf nicht in einer Weise verändert werden, dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar ist. Auch solche Veränderungen dürfen nicht vorgenommen werden, deren Beschaffenheit es ungewiss lässt, ob sie ursprünglich oder erst später gemacht worden sind, § 146 Abs. 4 AO. Die Bücher und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen können auch in der geordneten Ablage von Belegen bestehen oder auf Datenträgern geführt werden, soweit diese Formen der Buchführung einschließlich des dabei angewandten Verfahrens den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entsprechen. Bei der Führung der Bücher und der sonst erforderlichen Aufzeichnungen auf Datenträgern muss insbesondere sichergestellt sein, dass während der Dauer der Aufbewahrungsfrist die Daten jederzeit verfügbar sind und unverzüglich lesbar gemacht werden können, § 146 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AO.

    41

    Nach § 147 Abs. 1 Nr. 1, 4 und 5 AO sind geordnet aufzubewahren die Bücher und Aufzeichnungen, Inventare, Jahresabschlüsse, Lageberichte, die Eröffnungsbilanz sowie die zu ihrem Verständnis erforderlichen Arbeitsanweisungen und sonstigen Organisationsunterlagen, ... Buchungsbelege und sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind (§ 147 Abs. 1 Nr. 1, 4 und 5 AO). Diese Unterlagen können auch als Wiedergabe auf einem Bildträger oder auf anderen Datenträgern aufbewahrt werden, wenn dies den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entspricht und sichergestellt ist, dass die Wiedergabe oder die Daten bildlich mit den anderen Unterlagen inhaltlich übereinstimmen, wenn sie lesbar gemacht werden und während der Dauer der Aufbewahrungsfrist jederzeit verfügbar sind, unverzüglich lesbar gemacht und maschinell ausgewertet werden können, § 147 Abs. 2 AO. Die in § 147 Abs. 1 AO aufgeführten Unterlagen sind zehn Jahre aufzubewahren. Die Aufbewahrungsfrist läuft jedoch nicht ab, soweit und solange die Unterlagen für Steuern von Bedeutung sind, für welche die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist, § 147 Abs. 3 Sätze 1 und 3 AO.

    42

    Nach § 22 UStG sind u.a. auch die vereinnahmten Entgelte aufzuzeichnen. Nach § 63 Abs. 1 UStDV müssen die Aufzeichnungen so beschaffen sein, dass ein jederzeitiger Kassensturz möglich ist; es muss einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit jederzeit möglich sein, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmens und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten. Er muss jederzeit in der Lage sein, den Sollbestand laut Aufzeichnungen mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu vergleichen, Kassenbuchungen sind grundsätzlich an demselben Geschäftstag vorzunehmen (BFH-Urteil vom 21.07.1974 I R 216/72, BStBl. II 1975, 96).

    43

    Betriebseinnahmen sind einzeln aufzuzeichnen. Dem Grundsatz nach gilt das auch für Bareinnahmen. Der Umstand der sofortigen Bezahlung der Leistung rechtfertigt nicht, die jeweiligen Geschäftsvorfälle nicht auch einzeln aufzuzeichnen. Jedes Bargeschäft sollte demnach aufgezeichnet werden und zwar nicht nur hinsichtlich des Betrages, sondern auch bezüglich des Geschäftsinhaltes und des Namens des Geschäftspartners. Dieser Grundsatz findet jedoch dort seine Grenze, wo eine Einzelaufzeichnungspflicht den Unternehmer über Gebühr belasten würde, weil sie praktisch und technisch unmöglich wäre. Dies ist insbesondere dort der Fall, wo Waren von geringem Wert an eine größere Anzahl nicht bekannter Personen verkauft werden (BFH-Urteile vom 26.02.2004 XI R 25/02, aaO und vom 20.06.1985 IV R 41/82, BFH/NV 1985, 12 m.w.N.). Aus Gründen der Zumutbarkeit und Praktikabilität sind deshalb bestimmte Berufsgruppen (wie z.B. Einzelhändler) von der Pflicht zur Einzelaufzeichnung entbunden (BFH-Urteil vom 26.02.2004 XI R 25/02, aaO). In diesen Fällen ist es nicht zu beanstanden, wenn die Kasseneinnahmen täglich nur in einer Summe in das Kassenbuch eingetragen werden.

    44

    Mit dieser Aufzeichnungserleichterung korrespondieren jedoch erhöhte Anforderungen an die Kassenführung. Denn das Zustandekommen dieser Summe muss durch Aufbewahrung der angefallenen Kassenstreifen, Kassenzettel und Bons oder aber die Einnahmen und Ausgaben anhand eines Kassenberichts nachgewiesen werden (vgl. BFH-Urteil vom 20.06.1985 IV R 41/82, aaO). Einnahmen und Ausgaben sind noch am Tag der Vereinnahmung und Verausgabung festzuhalten. Es muss jederzeit ein Kassensturz möglich sein (BFH-Urteile vom 31.07.1974 I R 216/72, aaO und vom 20.06.1985 IV R 41/82, aaO). Das Erfordernis größter Zeitnähe bedingt auch, dass der Steuerpflichtige das Kassenbuch bzw. den Kassenbericht selbst erstellen muss. Die Aufbewahrung von Einnahmeursprungsaufzeichnungen (z.B. Kassenrollen) ist deshalb nur dann nicht erforderlich, wenn deren Inhalt unmittelbar nach Auszählung der Tageskasse in das in Form aneinandergereihter Tageskassenberichte geführte Kassenbuch übertragen wird (vgl. BFH-Urteile vom 26.02.2004 XI R 25/02, aaO, vom 20.06.1985 IV R 41/82, aaO und vom 13.07.1971 VIII R 1/65, BStBl. II 1971, 729; BFH-Beschlüsse vom 23.12.2004 III B 1404, BFH/NV 2005, 667 und vom 07.02.2008 X B 189/97 n.v.).

    45

    Verstößt der Steuerpflichtige gegen diese Vorschriften, ist das Buchführungsergebnis zu korrigieren. Bei Mängeln geringen Umfangs kann das Ergebnis punktuell korrigiert werden. Bei unverschuldetem Verlust von Unterlagen kann nach § 163 AO darauf verzichtet werden, nachteilige steuerliche Folgen zu ziehen. Bei nicht nur geringen formellen Mängeln oder wenn den Steuerpflichtigen die Verantwortung für den Verlust aufbewahrungspflichtiger Unterlagen trifft, besteht die Befugnis zur Schätzung gem. § 162 AO. Denn in diesen Fällen geben die formellen Mängel auch Anlass an der materiellen Richtigkeit des Buchführungsergebnisses zu zweifeln. Dies gilt jedenfalls dann, wenn formelle Mängel die Kassenführung betreffen und wenn der Barkasse große Bedeutung für den Betrieb zukommt. Diese Schätzungsbefugnis besteht auch dann, wenn festgestellt wird oder nicht auszuschließen ist, dass wiederholt Fehler bei der Bedienung einer elektronischen Registrierkasse (und ihr angeschlossener Kassen/Waagen) gemacht wurden, die Anlass geben an der sachlichen Richtigkeit der Aufzeichnungen zu zweifeln. Das gleiche gilt, wenn sich nicht feststellen lässt, wie die Kasse(n) eingerichtet, programmiert und/oder umprogrammiert wurden.

    46

    Denn bei dem Einsatz von elektronischen Registrierkassen sind neben den allgemeinen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung spezielle Grundsätze ordnungsgemäßer Speicherbuchführung zu beachten (vgl. BMF-Schreiben vom 09.01.1996 IV A 8 – S 0310 – 5/95, BStBl. I 1996, 34, ersetzt durch BMF-Schreiben vom 26.11.2010 IV A 4 – S 0316/08/10004-7, BStBl. I 2010, 1342). Bei elektronischer Erfassung und Speicherung der Betriebseinnahmen handelt es sich um ein der Buchführung vorgelagertes System, mit dem Grundaufzeichnungen generiert werden. Mit der EDV-Registrierkasse lässt sich eine ordnungsgemäße wie auch eine nur scheinbar ordnungsgemäße Kasse erstellen. Aus diesem Grunde sind nicht nur die Tagesendsummenbons, sondern auch alle Dokumentationsunterlagen über die Kasseneinstellungen, Bedienerprogrammierung, Artikel- und Warengruppeneinstellungen und vor allem auch Bedienerberichte aus der Abrechnung mit dem kassierberechtigten Personal vorzulegen. Fehlen diese Unterlagen, ist nicht gewährleistet, dass die erfassten Umsätze vollständig sind. Wird zudem festgestellt, dass Z-Nummern auf den Tagesendsummenbons nicht fortlaufen, dass Stornos oder Rücknahmebuchungen unterdrückt werden etc, so kann dies sogar auf bewusste Manipulationen der Kasse mit dem Ziel einer Steuerverkürzung hindeuten (vgl. Härtl und Schieder, Ordnungsmäßigkeit digital geführter Erlösaufzeichnungen - Elektronische Registrierkassen und digitale Erlöserfassungssysteme im Brennpunkt des Steuerrisikos Erlöserkürzung, Teil I Steuerliche BP (StBP) 2011, 33 (38ff), Teil II StBP 2011, 68 und Teil III StBP 2011, 97 m.w.N.). Auch die Rechtsprechung fordert im Hinblick auf die erheblichen Manipulationsmöglichkeiten bei elektronischen Registrierkassen die Aufbewahrung der Bedienungsanleitung und der Dokumentationen über deren Programmierung (FG Münster Urteil vom 26.07.2012 4 K 2071/09 E, U, EFG 2012, 1982 m.w.N.). Liegen die erforderlichen Unterlagen nicht vor, geht dies zu Lasten des Steuerpflichtigen. Er trägt grundsätzlich die objektive Beweislast dafür, dass seine Einnahmen vollständig erfasst sind ( BFH-Urteil vom 15.04.1999 IV R 68/98, BStBl. II 1999, 481).

    47

    Im Streitfall besteht die Befugnis zur Schätzung dem Grunde nach für alle Streitjahre, weil nicht gewährleistet ist, dass die vorgelegten Kassenaufzeichnungen die getätigten Umsätze vollständig widergeben. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, ob die von den elektronischen Kassen ausgedruckten Tagesendsummenbons (Z-Bons) vollständig sind und ob die darin erfassten Umsätze vollständig und richtig in die Kassenaufzeichnungen übertragen wurden. Im Streitfall gab es wiederholt Bedienungsfehler bei der Kasse. Es ist auch nicht auszuschließen, dass der oder die Anwender bewusst in das System eingegriffen haben, um bestimmte Angaben zu unterdrücken oder zu verfälschen.

    48

    So liegen im Streitfall für beide Kassensyseme keine vollständigen Organisationsunterlagen (Betriebsanleitungen, Programmierungs-, Vernetzungsprotokolle etc) vor. Es lässt sich deshalb nicht nachvollziehen, wie die Kassen eingerichtet, programmiert und/oder umprogrammiert und welche im Verbund angeschlossen waren. Es lässt sich nicht feststellen, ob die über eine dritte Kassenwage möglicherweise getätigten Umsätze in den Tagesendsummen enthalten sind. Auch lässt sich den vorliegenden Bons nicht entnehmen, ob sie End- oder nur Zwischensummen ausweisen.

    49

    Soweit für die K1-Kasse (1998 bis 2001) eine Betriebsanleitung vorliegt, bietet dies allein noch keine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der ausgewiesenen Ergebnisse. Dass der Kläger mit dieser Kasse immer wieder „Schwierigkeiten“ hatte, zeigt sich u.a. an den Vermerken wie „Fehler“; „Fehlbon/Storno“, „Kasse kaput“, „Waage macht kein Gesamtverkauf“, etc. (vgl. Feststellungen des Gerichtsprüfers unter 8., 9., 10., 14., 15., 17., 18.). Mehrfach wurden die Betriebseinnahmen - auch mehrere Tage lang - nur mit runden Beträgen aufgezeichnet. Insoweit liegen auch keine Z-Bons vor (vgl. Feststellungen des Gerichtsprüfers unter 16., 18., 20.). Die vorliegenden Bons weisen auch nicht immer fortlaufende Nummern aus (vgl. Feststellungen des Gerichtsprüfers unter 2., 3., 13., 22.). Im letzten Quartal 2001 hat der Kläger die Einnahmen aufgrund des Ausfalls der Kasse vollständig geschätzt. Zudem wurden die Streitjahre 1999 bis 2001 auf den Kassenausdrucken mit den Jahreszahlen 1995, 1996 und 1997 bezeichnet. Aus den Bons ergibt sich, dass mehrfach nur zwei der drei Kassen/Waagen am Verbund teilgenommen haben. Dies wie auch ein geänderter Ausdruck (Feststellungen des Gerichtsprüfers unter 19.) deutet auf Programmierungen hin, für die keine (Änderungs-) Protokolle vorliegen.

    50

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Feststellungen des gerichtseigenen Prüfers unter Punkten 1. bis 22. Seite 12ff in der Stellungnahme vom 18.12.2012 verwiesen.

    51

    Für die K2-Kasse (ab 2002) liegen weder eine Betriebsanleitung noch Protokolle über die Einrichtung vor. Unklar ist deshalb, ob die vorliegenden und in holländischer Sprache ausgedruckten Bons Z- oder X-Abschläge (End- oder Zwischensummen) ausweisen. Dass der Kläger auch mit der K2-Kasse „Schwierigkeiten“ hatte, ist aus Vermerken wie „inaktief Schaal“, „Kasse defekt“, „Versuch der Steuerberater S1 und S2 “, handschriftlichen Änderungen am Datum der Bons, Änderungen bei den Jahreszahlen, fehlende/doppelte Z-Bons ersichtlich (vgl. Feststellungen des Gerichtsprüfers unter 23., 24., 26., 27., 29., 30., 31., 32., 33., 33. (doppelt), 34.). Auch hier fehlen Protokolle über nachweislich erfolgte Umprogrammierungen. Nicht ersichtlich ist auch, welche und wie viele Kassen/Waagen eingesetzt bzw. erfasst werden. Besonders fällt auf, dass jegliche Stornobuchungen auf den vorliegenden Bons fehlen. Dies deutet auf einen bewussten Eingriff in das System der Kasse hin, da ein Fehlen jeglicher Stornos nicht möglich erscheint.

    52

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Feststellungen des gerichtseigenen Prüfers unter Punkten 23. bis 36. (Punkte 31. bis 33. sind doppelt vergeben) Seite 15ff in der Stellungnahme vom 18.12.2012 verwiesen.

    53

    Wenn der Kläger sich wegen der wiederholten „Schwierigkeiten“ mit den Kassen auf sein geringes Alter oder darauf beruft, dass er eine gebrauchte Kasse - ohne Bedienungsanleitung - gekauft und dass er sich mangels eigener Kenntnisse eines Bekannten bedient habe, kann ihn dies nicht entlasten. Er muss sich die festgestellten Mängel und Fehlfunktionen als Betriebsinhaber anrechnen lassen, zumal er diese über einen langen Zeitraum hin nicht abgestellt bzw. in Kauf genommen hat. Hinzu kommt, dass der Kläger den Betrieb nicht neu aufgebaut hat, sondern in einen langjährig geführten Familienbetrieb eingetreten ist.

    54

    Unabhängig von den o.g. Mängeln der Kassenführung kommt dem Umstand, dass die auf Thermopapier ausgedruckten Bons zu einem großen Teil nicht oder nur teilweise lesbar sind, große Bedeutung für die Beurteilung der Kassenführung zu. Auch dieser Umstand ist dem Kläger anzulasten, da er diesem Mangel z.B. durch das Kopieren der Belege hätte vorbeugen können und sollen. Dass die fehlende Lesbarkeit nicht auf die Dauer der Betriebs- und Steuerfahndungsprüfung zurückzuführen ist, ergibt sich schon daraus, dass auch die Bons des Jahres 2004 durch das Aufkleben und das in dem Kleber enthaltene Lösungsmittel fast vollständig unleserlich geworden sind.

    55

    Hinzu kommt, dass der Kläger in dem Vordruck „Kasse“ nur Bargeldbewegungen festgehalten hat, ohne Kassenbestände zu ermitteln. Erst die steuerliche Beratung hat das erforderliche Kassenbuch erstellt. Zudem deuten weitere Einzelfeststellungen auf eine rechnerisch geführte Kasse ohne Kassensturzfähigkeit hin (vgl. Feststellungen des Gerichtsprüfers unter 11. und 12. in der Stellungnahme vom 18.12.2012). Bei fehlender Kassensturzfähigkeit ist die Buchführung eines Betriebes, in dem – wie im Streitfall – die Einnahmen ganz überwiegend über die Barkasse vereinnahmt werden, sowohl formell als auch materiell nicht ordnungsgemäß. Denn die fehlende Kassensturzfähigkeit stellt einen so gewichtigen Mangel dar, dass die sachliche Richtigkeit der ausgewiesenen Ergebnisse zweifelhaft ist. Gleiches gilt für den Fall, dass ein ordnungsgemäßes Kassenbuch nicht zeitgerecht durch den Steuerpflichtigen selbst, sondern - wie im Streitfall - erst durch den steuerlichen Berater erstellt wird (vgl. Stellungnahme des gerichtseigenen Prüfers vom 18.12.2012 auf Seite 7).

    56

    Diese formellen Mängel eröffnen die Schätzungsbefugnis dem Grunde nach für alle Streitjahre. Denn es handelt sich um Mängel in der Kassenführung, die angesichts der Bedeutung der Barkasse im Streitfall auch die sachliche Richtigkeit der ausgewiesenen Betriebsergebnisse entkräften. Hinzu kommen die weit unter den Richtsatzwerten liegenden und stark schwankenden Rohgewinnaufschlagsätze, für die der Kläger keine plausible Erklärung hatte. Nach den Feststellungen des gerichtseigenen Prüfers lagen die erklärten Rohgewinnaufschlagsätze in den Streitjahren sogar nur bei 36,38 %, 44,22 %, 31,26 %, 34,96 %, 39,16 %, 35,75 %, 41,99 % und 36,57 %. Dies und die Ergebnisse der - für einen eingeschränkten Zeitraum - durchgeführten Nachkalkulation der Steuerfahndung geben Anlass, an der Richtigkeit der erklärten Zahlen zu zweifeln.

    57

    Dennoch haben die Hinzuschätzungen des Beklagten der Höhe nach keinen Bestand. Dies beruht vor allem darauf, dass sie die höchsten Reingewinnsätze überschreiten. Hinzuschätzungen, die die höchsten Reingewinnsätze laut Richtsatzsammlung überschreiten, sind nur dann zulässig, wenn plausible Gründe dafür bestehen (BFH-Urteile vom 17.06.2004 IV R 45/03, BFH/NV 2004, 1618 und vom 15.01.1989 I R 289/83, BStBl. II 1989, 620). Diese sind im Streitfall nicht ersichtlich oder dargetan.

    58

    Der Senat macht daher von seiner ihm zustehenden Schätzungsbefugnis Gebrauch.

    59

    Er orientiert sich dabei - wie schon die Betriebsprüfung - an den amtlichen Richtsätzen (vgl. BFH-Urteil vom 21.02.1990 X R 54/87, BFH/NV 1990, 683). Die Rohgewinnaufschlagsätze liegen für den Fischeinzelhandel bei 54 % – 75 % – 117 %. Außerdem wird berücksichtigt, dass ein Markthändler, der keine Fischerzeugnisse verkauft, im untersten Bereich der Richtwerte für den Rohgewinnaufschlag liegen wird.

    60

    Die Reingewinnsätze liegen bei 6 % – 15 % – 22 % (1998), 3 % – 10 % – 19 % (1999 bis 2003) und 4 % – 12 % – 19 % (2003 bis 2005). Plausible Gründen dafür, dass im Streitfall der höchste Reingewinnsatz überschritten werden könnte, wie dies bei den durch Nachkalkulation ermittelten Zuschätzungen - auch nach einem Sicherheitsabschlag laut Einspruchsentscheidung - der Fall wäre, sind nicht ersichtlich.

    61

    Die Kalkulation durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung bietet keinen plausiblen Grund dafür, dass die Reingewinnsätze überschritten werden könnten. Denn sie bezieht sich nach Auffassung des erkennenden Senates auf einen nicht repräsentativen Zeitraum von nur rund einem Jahr (Nov. 2002 bis Dez. 2003). Auch erfasst sie nur 2/3 des Wareneinsatzes. Es werden zudem weder Eigenverbrauch noch Personalbeköstigung angesetzt. Hinzu kommt, dass in nur geringem Umfang Schwund, Verderb und Verschnitt berücksichtigt sind. Dies gilt vor allem angesichts der Anteils der Waren, für die überhaupt Schwund angesetzt wird. Bezogen auf den Gesamteinkauf machen diese Waren nur rund 30 % des Wareneinsatzes aus. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass die Angaben zu Schwund und fehlendem Eigenverbrauch bzw. fehlender Personalbeköstigung vom Kläger selbst stammen. Hier ist dem Kläger allerdings zuzugestehen, dass er angesichts seiner geringen Lebens- und Prüfungserfahrung möglicherweise ungenaue und unvollständige Angaben gemacht hat. Denn dass bei einer verderblichen Ware wie Fisch, auch wenn es sich um Filet handelt, in so großem Umfang überhaupt kein Verderb, Verschnitt oder Schwund und dass überhaupt kein Eigenverbrauch und/oder keine Personalverköstigung vorgelegen haben sollen, erscheint nicht realistisch.

    62

    Die eigene Kalkulation des Klägers für den - ebenfalls - nicht repräsentativen Zeitraum von Januar bis März 2004 bietet auch keine gesicherte Grundlage für die Annahme, dass die höchsten Reingewinnsätze überschritten worden sein könnten. Dabei kann dahinstehen, ob es sich überhaupt um eine reelle Kalkulation oder – wie vom Kläger behauptet – um eine Planrechnung handelte.

    63

    Der Senat orientiert sich deshalb bei seinen Zuschätzungen am untersten Rohgewinnaufschlagsatz, ohne den höchsten Reingewinnsatz zu überschreiten. Dass diese Zuschätzungen Erlöse ergeben, die deutlich über den selbst erklärten Beträgen und auch zwischen dem mittleren und dem höchsten Reingewinnsatz liegen, muss der Kläger hinnehmen. Denn es liegt im Wesen der Schätzung, dass die durch sie ermittelten Größen von den tatsächlichen Verhältnissen mehr oder minder abweichen. Bei einer Schätzung besteht daher naturgemäß ein sogenannter Schätzungsrahmen, dessen obere Grenze im Einzelfall ausgeschöpft werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 01.10.1992 IV R 34/90, BStBl. II 1993, 259 und vom 29.03.2001 IV R 67/99, BStBl. II 2001, 484).

    64

    Angesichts günstiger Einkaufs- und Transportbedingungen kann der Kläger mit seinen Betriebsergebnissen im oberen Bereich der Reingewinnsätze laut Richtsatzsammlung liegen. Denn er hat die Möglichkeit, seine Ware unmittelbar am Hauptumschlagplatz für Fisch in den Niederlanden einzukaufen und selbst mit dem Kühltransporter nach Deutschland zu bringen. Deutsche Fischhändler müssen sich den Fisch entweder aus den Niederlanden oder aus C anliefern lassen oder beziehen ihn über Zwischenhändler vom Fischgroßmarkt.

    65

    Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ermittlung der Schätzungsgrundlagen durch eine an den innerbetrieblichen Verhältnissen orientierte Nachkalkulation für die einzelnen Streitjahre. Eine detaillierte Nachkalkulation wäre schon deshalb nicht möglich, weil – und dies muss sich der Kläger anrechnen lassen – weder Preislisten noch PLU-Listen (Verkaufspreise laut Barkassenspeicher) vollständig vorliegen.

    66

    Bei den danach gebotenen Zuschätzungen von netto 55.000 DM (1998 und 1999), 130.000 (2000), 110.000 DM (2001), 45.000 EUR (2002), 55.000 EUR (2003), 40.000 EUR (2004) und 50.000 EUR (2005) ergeben sich folgende Rohgewinnaufschlagsätze 45,03 %, 53,48 %, 51,83 %, 50,50 %, 53,61 %, 52,90 %, 54,29 % und 51.11 %. Die Reingewinnsätze liegen bei 12,5 %, 12,22 % 15,38 %, 17,55 % 16,59 %, 17,95 %, 17,32 % und 16,84 %.

    67

    Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO sind weder dargetan noch ersichtlich.

    68

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs 3, § 155 FGO und 709 Zivilprozessordnung.

    Rechtsgebiet Finanz- und Abgaberecht