10.03.2017 · IWW-Abrufnummer 192426
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 13.01.2017 – 4 K 1172/16
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
FG Nürnberg, 13.01.2017 - 4 K 1172/16
In dem Rechtsstreit
Kl
- Kläger -
Prozessbev.:
Y
gegen
Finanzamt 1
- Beklagter -
wegen Einkommensteuer 2013
hat der 4. Senat des Finanzgerichts Nürnberg durch
den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht,
die Richterin am Finanzgericht und
den Richter am Finanzgericht sowie
den ehrenamtlichen Richter und
die ehrenamtliche Richterin
aufgrund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 13. Januar 2017 für Recht erkannt:
Tenor:
1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
Streitig ist die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung.
Der (geschiedene) Kläger wurde im Streitjahr 2013 einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Er betreibt seit Ende August 2010 in der Str. 1 in 1 ein Asia-Restaurant. Das Restaurant ist täglich von 17:00 Uhr bis 23:00 Uhr und sonn- und feiertags zusätzlich von 11:30 Uhr bis 14:00 Uhr geöffnet. Den Gewinn ermittelte er durch Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG).
In der Einkommensteuererklärung 2013 gab er den Gewinn aus Gewerbebetrieb mit 67.354 € an. Mit Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 14.07.2014 wurde der Kläger erklärungsgemäß veranlagt.
Im Rahmen der mit Prüfungsanordnungen vom 01.08.2014 und 21.08.2014 verfügten Außenprüfung für die Jahre 2011 bis 2013 kamen die Prüfer zu dem Ergebnis, dass der Kläger die Tageseinnahmen durch Tagesendsummenbons ermittelte und die hierzu verwendete elektronische Registrierkasse des Typs Quorion die Durchführung von Stornierungen ermöglichte, die auf den Tagesendsummenbons nicht ersichtlich waren. Eine Registrierkassenauswertung anhand eines sog. Zeitzonenberichts ergab in den Jahren 2010 bis 2014 Stornierungen von insgesamt 647.373 €, die alle außerhalb der üblichen Öffnungszeiten von 23:00 Uhr bis 17:00 Uhr vorgenommen worden waren. Da damit der Verdacht bestand, dass der Kläger seine Umsätze nicht vollständig erklärt hatte, übernahm die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts 2 die weitere Prüfung. Der Kläger räumte ein, dass er die Registrierkasse manipuliert hat, indem er mit glatten Minusbeträgen Stornierungen vorgenommen und die stornierten Beträge in bar entnommen hat. Seinen Angaben zufolge machte er die Storno-Bons mit Wasser nass, zerriss sie und warf sie in wechselnde Mülleimer. Die Storno-Höhe war von den tatsächlich erzielten Umsätzen abhängig. Im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung vom 30.09.2014 zeigte der Kläger körperlich an der Kasse exemplarisch einen Manipulationsvorgang: er wählte den Manager-Modus (MGR), drückte dann die Taste "Berichtigung", wählte einen Tisch aus (nach eigenen Angaben in der Regel Tisch 1 oder 2), gab den zu stornierenden Betrag ein, anschließend den Bereich "Getränke div." oder "Wok div.". Zum Abschluss bestätigte er den Vorgang nochmals mit dem gewählten Tisch, gab dann den Ausdruck einer Rechnung und zuletzt die Barauszahlung an. Die Höhe der stornierten Beträge wusste der Kläger nicht mehr. Er gab an, die anhand des Zeitzonenberichts vorgehaltene Größenordnung treffe nicht zu, gleichwohl strebe er eine tatsächliche Verständigung an. Zum Verbleib des Schwarzgeldes gab der Kläger an, dass er sich zur Geschäftseröffnung von einem Bekannten aus Vietnam Geld geliehen habe, das er dann nach und nach in bar im Urlaub zurückgegeben habe. Eine von der Steuerfahndung durchgeführte Kalkulation der Umsätze ergab einen geringeren Jahresfehlbetrag von ca. 100.000 €, den der Prüfer u.a. mangels konkreter und vollständiger Aufzeichnungen mit getätigten schwarzen Wareneinkäufen erklärte. Abschließend einigten sich die Parteien am 29.10.2014 im Wege einer tatsächlichen Verständigung auf eine Zuschätzung von Betriebseinnahmen von insgesamt 620.000 € (brutto), die sich auf die einzelnen Veranlagungszeiträume mit 50.000 € (2011), 200.000 € (2012 und 2013) und 170.000 € (2014) verteilten. Bei Abschluss der tatsächlichen Verständigung war neben dem Kläger auch dessen Steuerberater Z1 aus der Kanzlei Z anwesend. In der tatsächlichen Verständigung wurde von den Parteien folgender Passus aufgenommen:
"Im Bereich der Betriebsausgaben sind keine Zuschätzungen veranlasst. Der Umstand, dass sowohl im Bereich der Betriebseinnahmen als auch im Bereich der Betriebsausgaben Buchführungsmängel vorliegen, wurde summarisch bei der Findung der Zuschätzungsgrößenordnung im Bereich der Betriebseinnahmen berücksichtigt."
Auf dieser Grundlage erließ das Finanzamt am 16.04.2015 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid für 2013, in dem der Gewinn aus Gewerbetrieb auf 267.354 € erhöht wurde.
Dagegen legte der Kläger am 19.05.2015, vertreten durch seinen Steuerberater Y, Einspruch ein und beantragte die Aufhebung der Steuerbescheide wegen einer Übermaßbesteuerung. Der festgesetzte Gewinn aus Gewerbebetrieb stünde in einem unmittelbaren Verhältnis zu den umsatzsteuerpflichtigen Entgelten, die in den Umsatzsteuerbescheiden enthalten seien. Es handele sich um eine unzulässige Strafschätzung, die aufgrund der begrenzten Kapazität bei seinem Mandanten (ca. 45 Plätze) nicht erzielbar sei.
Das Einspruchsverfahren verlief erfolglos; mit Einspruchsentscheidung vom 11.08.2016 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Der Prozessbevollmächtigte hat für den Kläger Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen:
Die Zuschätzung von Betriebseinnahmen in Höhe von 50.000 € für 2011 und je 200.000 € für 2012 und 2013 stelle eine unzulässige Übermaßbesteuerung dar, die jeder wirtschaftlichen Realität widerspreche. Das gewonnene Schätzungsergebnis müsse schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Davon könne im Streitfall nicht ausgegangen werden. Bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen seien dem Finanzamt schwerwiegende materiell-rechtliche Fehler unterlaufen. Das Finanzamt habe für das Jahr 2013 einen Rohgewinnaufschlagsatz von 680,43 % bei einem Personalkostenanteil von 11,84 % ermittelt. Dies widerspreche jeglicher Realität. Bei Restaurants mit asiatischem Speiseangebot liege der Aufschlagsatz nach der amtlichen Richtsatzsammlung im Mittel bei 257 %, der Höchstwert liege bei 400 %. Außerdem habe das Finanzamt lediglich die Betriebseinnahmen um 50.000 € bzw. je 200.000 € erhöht, ohne zugleich weitere Betriebsausgaben anzusetzen. Bei einem durchschnittlichen Verkaufspreis von 10 € pro Gericht und einer durchschnittlichen Zubereitungszeit von 16 Minuten hätte der Kläger zur Erzielung eines zusätzlichen Umsatzes von 200.000 € rund 26,67 Monate benötigt. Dass dieses Ergebnis unzutreffend sei, sei offensichtlich. Vielmehr sei für das Streitjahr 2013 eine Nachkalkulation anzustellen, die zu einem Rohgewinnaufschlagsatz von 342,39 % führe. Hierzu werde auf die Anlage K1 des Schriftsatzes vom 21.08.2016 verwiesen (Blatt 18 f. FG-Akte). Demzufolge ergebe sich eine Gewinnhinzuschätzung von 70.400 €; der korrigierte Gewinn betrage somit 137.754 €.
Schließlich sei völlig unklar, wie der Ausleseprozess der Kassendaten tatsächlich abgelaufen sei und welche Dokumentation darüber vorliege. Das Finanzamt müsse im Einzelnen den Nachweis führen, wie sich die hinzugeschätzten Beträge zusammensetzten; die Bestimmtheit der Kassenauslesung werde bestritten. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestünden deshalb, weil es kein präsentes Beweismittel über eine Kassenprüfung gebe. Nicht jede Stornierung sei ein Steuerdelikt.
Die Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen im Rahmen eines Steuerstrafverfahrens sei in der Abgabenordnung nicht eindeutig geregelt. Sowohl der Betriebsprüfer als auch der Steuerfahnder könnten diesbezüglich Ermittlungen anstellen. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle 2 habe folgende verkürzte Gewinne ermittelt:
für 2011 15.000 €
für 2012 60.000 €
für 2013 60.000 €
Im Rahmen der Steuerfahndung sei jedoch ein Betrag von 200.000 € für 2013 angesetzt worden. Im Strafbefehlswege seien um 70 % geringere Werte angesetzt worden. Diese Abschläge könnten nicht ausschließlich durch strafrechtliche Erwägungen begründet sein. Es handele sich folglich um eine unzulässige Strafschätzung bzw. außerhalb der Rechtsordnung stehende Übermaßbesteuerung.
Zudem seien von der Schätzung des Finanzamtes die Kartenzahlungen abzuziehen, da sonst eine unzulässige Mehrfachbesteuerung der Kartenumsätze vorliege. Für 2013 betrage der abzuziehende Betrag 81.259,72 €.
Der Klägervertreter beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 2013 vom 14.07.2014 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 16.04.2015 und der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2016 dahin zu ändern, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb mit 137.754 € angesetzt wird.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen,
und trägt zur Begründung im Wesentlichen Folgendes vor:
Zur Behauptung des steuerlichen Vertreters des Klägers, die Umsätze von 50.000 € bzw. 200.000 € seien aus dem Nichts entstanden, werde auf den Ermittlungsbericht der Steuerfahndung hingewiesen. Der Kläger habe den zuständigen Fahndungsprüfern vor Ort gezeigt, wie man die Kasse manipulieren könne. Er habe zudem ein Geständnis abgelegt, die Kasse auch tatsächlich manipuliert zu haben. Es seien keine Umstände erkennbar, die zur Unwirksamkeit der tatsächlichen Verständigung führten. An einer zulässigen und wirksamen "tatsächlichen Verständigung" müssten sich beide Beteiligte festhalten lassen. Dies entspreche dem Grundsatz von Treu und Glauben, der im Steuerrecht als allgemeine Rechtsgrundlage uneingeschränkt anerkannt sei. Die Erhöhung der Betriebseinnahmen um 50.000 € bzw. je 200.000 € führe nicht zu einer unzulässigen Übermaßbesteuerung und folglich nicht zu einem unzutreffenden Ergebnis, welches die Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung vom 29.10.2014 entfallen lassen könnte. Die Steuerfahndung habe stornierte Beträge in Höhe von 647.373 € festgestellt. Diese Stornierungen seien im Zeitraum 2011 bis September 2014 durchgeführt worden. Die Einigung auf eine Gesamtzuschätzung für den Zeitraum 2011 bis Juni 2014 in Höhe von 620.000 € und die Verteilung auf die Streitjahre sei in Übereinstimmung mit dem damaligen Steuerberater und dem Rechtsanwalt des Klägers vorgenommen worden.
Bei den Betriebsausgaben seien keine Zuschätzungen veranlasst gewesen. Die Buchführungsmängel seien bei den Betriebseinnahmen und -ausgaben summarisch berücksichtigt worden. Es sei davon auszugehen, dass die Löhne vollständig im Rahmen der Gewinnermittlung erfasst wurden und sich somit bereits gewinnmindernd ausgewirkt hätten. Wie der Klägervertreter auf eine durchschnittliche Zubereitungszeit von 16 Minuten pro Gericht komme, sei nicht näher ausgeführt. Es bestünden Zweifel an der Dauer der veranschlagten Zubereitungszeit.
Gehe man für das Streitjahr 2013 bei der Berechnung von Rohgewinnaufschlagsatz und Rohgewinnsatz von Umsätzen in Höhe von 407.408 €, einem Wareneinsatz in Höhe von 61.438 € und einem Rohgewinn in Höhe von 345.970 € aus, betrage der Rohgewinnaufschlagsatz rund 563 % und der Rohgewinnsatz rund 85 %. Im Bereich der Gast-/ Speisewirtschaften liege der Rohgewinnsatz zwischen 65 % und 80 %. Hierbei handele es sich jedoch nicht um eine absolute Größe ("Richtsatz"); Abweichungen seien möglich.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, den Inhalt der Akten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13.01.2017 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Das Finanzamt hat die Einkommensteuer 2013 im angefochtenen Änderungsbescheid vom 16.04.2015 und der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2016 zu Recht unter Ansatz der Einkünfte aus Gewerbebetrieb laut der tatsächlichen Verständigung vom 29.10.2014 festgesetzt. Die Beteiligten sind nach Treu und Glauben an die tatsächliche Verständigung vom 29.10.2014 gebunden. Die Verständigung führt auch nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis.
1. Die von den Beteiligten in der Besprechung vom 29.10.2014 einvernehmlich vereinbarten Regelungen für den Bereich der Sachverhaltsermittlung sind steuerrechtlich zulässig.
a) In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Zulässigkeit tatsächlicher Verständigungen grundsätzlich anerkannt (vgl. BFH-Urteile vom 11.12.1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl. II 1985, 354; vom 05.10.1990 III R 19/88, BFHE 162, 211, BStBl. II 1991, 45; vom 06.02.1991 I R 13/86, BFHE 164, 168, BStBl. II 1991, 673 und vom 28.07.1993 XI R 68/92, BFH/NV 1994, 290). Zwar sind Vergleiche über Steueransprüche wegen der Gesetzmäßigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht möglich. Dagegen dient es in Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung der Förderung und Beschleunigung des Besteuerungsverfahrens und allgemein dem Rechtsfrieden, besondere Vereinbarungen über eine bestimmte (steuerliche) Behandlung von Sachverhalten (nicht aber über das anzuwendende Recht) zuzulassen. Dies gilt insbesondere in Schätzungsfällen. Derartige "tatsächliche" Verständigungen betreffen in der Regel (nur) einen - von beiden Beteiligten zu konkretisierenden - Ausschnitt aus dem gesamten jeweils zu beurteilenden Besteuerungssachverhalt und dienen dem Ziel, insoweit Unsicherheiten und Ungenauigkeiten zu beseitigen. Sie sind wirksam, sofern sie nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen (vgl. BFH-Urteil vom 11.12.1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl. II 1985, 354). Zudem ist erforderlich, dass auf Seiten der Finanzbehörde ein Amtsträger beteiligt ist, der zur Entscheidung über die Steuerfestsetzung befugt ist (vgl. BFH-Urteile vom 05.10.1990 III R 19/88, BFHE 162, 211, BStBl. II 1991, 45 und vom 28.07.1993 XI R 68/92, BFH/NV 1994, 290). Einer besonderen Form bedürfen tatsächliche Verständigungen nicht. Wenn auch - vor allem bei schwierig aufzuklärenden und zu beurteilenden Fallgestaltungen - eine schriftliche Niederlegung und die Unterzeichnung durch die Beteiligten sinnvoll erscheinen (vgl. auch v. Wedelstädt, Der Betrieb 1991, 515), ist nicht ausgeschlossen, den Nachweis des Abschlusses einer tatsächlichen Verständigung auch durch andere Beweismittel (z.B. Zeugenvernehmung) zu führen.
b) Tatsächliche Verständigungen haben ihre Grundlage in dem bestehenden, konkreten Steuerrechtsverhältnis zwischen dem Finanzamt und dem Steuerpflichtigen. Aus ihm ergeben sich die gesetzlich festgelegten Pflichten des Finanzamtes zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§§ 88 ff. AO) und die entsprechenden Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (§§ 90 ff. AO).
An einer zulässigen und wirksamen "tatsächlichen Verständigung" müssen sich die Beteiligten festhalten lassen. Dies entspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben, der im Steuerrecht als allgemeine Rechtsgrundlage uneingeschränkt anerkannt ist (vgl. BFH-Urteil vom 09.08.1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl. II 1989, 990). Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt (vgl. BFH-Urteil vom 04.11.1975 VII R 28/72, BFHE 117, 317), auf das der andere Teil vertraut und im Hinblick darauf bestimmte Dispositionen getroffen hat (vgl. BFH-Urteil vom 13.07.1994 I R 38/93, BFHE 175, 496, BStBl. II 1995, 37). Daraus ergibt sich für die Verwaltung eine Bindungswirkung aber nicht erst, wenn diese ihrerseits durch "Erlass entsprechender Bescheide disponiert" hat. Denn dies würde bedeuten, dass einer im Rahmen einer Außenprüfung getroffenen tatsächlichen Verständigung vor dem Erlass entsprechender Bescheide Bindungswirkung nicht zukommen könnte. Der Sinn des Instituts der tatsächlichen Verständigung liegt hingegen gerade darin, eine entsprechende Vereinbarung (mit Bindungswirkung) zu jedem Zeitpunkt des Besteuerungsverfahrens zu ermöglichen, wenn bestimmte Sachbehandlungen in Frage stehen und deren (endgültige) Klärung notwendig ist, um die Festsetzung der Steuer zu fördern. Dies betrifft insbesondere die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen. Eine abschließende und damit beide Beteiligte bindende Verständigung muss daher - unter der Voraussetzung der Beteiligung eines zur Entscheidung über die Steuerfestsetzung befugten Amtsträgers - auch im Rahmen einer Außenprüfung "von vornherein" erzielbar sein (vgl. BFH-Urteile vom 06.02.1991 I R 13/86, BFHE 164, 168, BStBl. II 1991, 673). Dem entspricht es, die Dispositionen der Beteiligten darin zu sehen, dass sie unter Aufgabe ihrer unterschiedlichen Ausgangspositionen einvernehmlich auf weitere Ermittlungen in Bezug auf den durch die tatsächliche Verständigung festgelegten Sachverhalt verzichten. Die gegenseitige Bindung beider Beteiligter ist einer tatsächlichen Verständigung daher immanent, ohne dass es einer entsprechenden ausdrücklichen Erklärung bedarf. Bei anderer Beurteilung wäre auch das Erfordernis der Anwesenheit eines für die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträgers nicht verständlich; denn durch sie soll eine Bindung gerade im Hinblick auf die zu erlassenden Bescheide gesetzt werden (vgl. BFH-Urteil vom 31.07.1996 XI R 78/95, BFHE 181, 103, BStBl. II 1996, 625).
2. Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für den wirksamen Abschluss einer tatsächlichen Verständigung vor. Insbesondere war die Sachverhaltsermittlung erheblich erschwert. Das Finanzamt konnte die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln, weil der Kläger wesentliche Aufzeichnungen wie Kassen-Bons und Storno-Bons vernichtet hatte. Eine Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 und 2 Satz 2 AO war dem Grunde nach geboten, weil die erstellten Aufzeichnungen über die Kasseneinnahmen und Kassenausgaben nicht vollständig und richtig waren (§ 146 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO). Wie die Auswertung der Registrierkasse ergeben hat, wurde in den Jahren 2011 bis 2014 regelmäßig in der Zeit von 23:00 Uhr bis 17:00 Uhr des Folgetages (grundsätzlich außerhalb der Öffnungszeiten) die Registrierkasse manipuliert. Dadurch wurden die Kasseneinnahmen um insgesamt 647.373 € zu niedrig ausgewiesen. Der Kläger hat diese Manipulationen dem Grunde nach eingeräumt. Die Aufzeichnungen des Klägers konnten daher nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden (§ 158 AO). Das Finanzamt hatte deshalb die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen.
3. Die aufgrund dessen am 29.10.2014 von den Beteiligten getroffene Vereinbarung über eine tatsächliche Verständigung hinsichtlich der Zuschätzung von Betriebseinnahmen ist wirksam zustande gekommen und deshalb für die Beteiligten bindend. Sie führt nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis. Eine gravierende Verletzung des materiellen Steuerrechts kann der Senat nicht feststellen. Es liegt in der Natur einer tatsächlichen Verständigung, dass ihr Gegenstand nicht bis ins Einzelne als richtig bestätigte Besteuerungsgrundlagen sind. Schätzungsunschärfen gehen zu Lasten desjenigen, der die Schätzung veranlasst hat.
a) Soweit der Kläger rügt, die Zuschätzung von Betriebseinnahmen in Höhe von 200.000 € (brutto) stelle eine unzulässige Übermaßbesteuerung dar, weil sie jeder wirtschaftlichen Realität widerspreche, kann dem der Senat nicht folgen.
Wie der tatsächlichen Verständigung vom 29.10.2014 zu entnehmen ist, wurden in den Veranlagungszeiträumen 2011 Betriebseinnahmen in Höhe von 50.000 € (brutto) und in den Veranlagungszeiträumen 2012 und 2013 Betriebseinnahmen in Höhe von je 200.000 € (brutto) zugeschätzt. Im Bereich der Betriebsausgaben sind die Beteiligten der tatsächlichen Verständigung übereinstimmend davon ausgegangen, dass hier keine Zuschätzungen veranlasst sind; es blieb damit bei dem erklärten Wareneinsatz von 61.394 € für 2013. Ausgehend von den zugeschätzten Betriebseinnahmen von 172.770 € netto für 2013 sowie einem bisherigen wirtschaftlichen Umsatz von 222.537 € netto für 2013 errechnet sich unter Ansatz des in der Gewinnermittlung ausgewiesenen Eigenverbrauchs von 3.993 € ein Rohgewinnaufschlagsatz von 588,68 % für 2013. Der Kläger geht bei seiner Berechnung hingegen von einem Eigenverbrauch von zwei Personen und einem monatlichen Pauschbetrag von 250 € für Personalverpflegung aus, ohne die Gründe für die im Vergleich zur Gewinnermittlung abweichende Handhabung darzulegen oder nachzuweisen.
Der Hinweis des Klägers auf den - nach seiner Darstellung - branchenunüblichen Rohgewinnaufschlagsatz ist nicht geeignet, die Zuschätzung von Betriebseinnahmen zu erschüttern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach Aktenlage im betreffenden Zeitraum in der Registrierkasse Betriebseinnahmen von insgesamt 647.373 € storniert und damit nicht als solche erfasst wurden. Von diesen hat das Finanzamt im Einvernehmen mit dem beratenen Kläger im Wege der Schätzung 200.000 € dem Streitjahr zugeordnet. Von einer Korrektur der Ausgaben für den Wareneinkauf im Rahmen der Schätzung wurde nach Aktenlage u.a. unter Hinweis auf die getätigten "Schwarzeinkäufe" abgesehen. Laut der Vereinbarung über die tatsächliche Verständigung vom 29.10.2014 sahen die Beteiligten auch im Hinblick auf die Feststellungslast keine Veranlassung, bei den Betriebsausgaben eine entsprechende Zuschätzung vorzunehmen. Entsprechende Hinweise auf ein Auslesen des Trainingsspeichers sind nicht sichtlich.
b) Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die der tatsächlichen Verständigung zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen, sind nicht erkennbar.
aa) Dagegen, dass die vereinbarten Einnahmeerhöhungen offensichtlich unzutreffend sind, spricht bereits, dass der steuerliche Berater des Klägers, Herr Z1, die tatsächliche Verständigung ebenfalls unterschrieben hat. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Berater einem evident unmöglichen Ergebnis zugestimmt hätte (so auch der Bundesfinanzhof im Urteil vom 01.09.2009 VIII R 78/06, BFH/NV 2010, 593).
bb) Zwar liegt der Rohgewinnaufschlagsatz mit 588 % außerhalb des von der Richtsatzsammlung ausgewiesenen Rahmens von 186 % - 400 %. Ein Abweichen der erklärten Gewinne oder Umsätze von den Richtsätzen führt nach der Rechtsprechung jedoch nicht allein dazu, dass eine formell ordnungsgemäße Buchführung zu verwerfen wäre (vgl. BFH-Urteile vom 26.10.1994 X R 114/92, BFH/NV 1995, 373 und vom 24.11.1993 X R 12/89, BFH/NV 1994, 766). Dieser Rechtsgedanke gilt sinngemäß auch für das Institut der tatsächlichen Verständigung. In Einzelfällen können die Rohgewinnaufschlagsätze auch außerhalb des von der Richtsatzsammlung ausgewiesenen Rahmens liegen, da es sich sowohl beim oberen als auch unteren Satz nicht um einen absoluten, sondern um einen gewogenen Wert handelt. Im Einzelfall können die Werte auch außerhalb des Rahmens liegen. Die Kennzahlen werden regelmäßig aus den Betriebsergebnissen von Unternehmen bis mittlerer Größe gewonnen und stellen auf die Verhältnisse eines "normalen" Richtsatzbetriebs ab. Sie sind nicht verbindlich, sondern dienen dem Finanzamt lediglich als Anhaltspunkte (vgl. Cöster, in Koenig, AO-Kommentar, 3. Aufl., § 162 Rz. 109). Mit der im Streitfall geschlossenen tatsächlichen Verständigung wurde gerade ein (einvernehmlicher) Ansatz der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben für den Einzelfall getroffen, der auch außerhalb der Richtsatzsammlung liegen kann. Die Erhöhung der Umsätze erfolgte nach dem Wortlaut der tatsächlichen Verständigung bewusst ohne Erhöhung der Betriebsausgaben. Die Beteiligten haben einvernehmlich auf weitere Ermittlungen in Bezug auf den durch die tatsächliche Verständigung festgelegten Sachverhalt verzichtet, um das Besteuerungsverfahren zu beschleunigen und Rechtsfrieden herzustellen. Der Kläger hat dabei in dem Bewusstsein gehandelt, dass die anhand des Zeitzonenberichts ermittelte Größenordnung an stornierten Umsätzen seiner Einschätzung nach zu hoch war. Mit dem Verweis auf andere Erfahrungssätze in der Richtsatzsammlung setzt sich der Kläger zu seinem eigenen früheren Verhalten daher in Widerspruch, die Unsicherheiten des Streitfalls durch die tatsächliche Verständigung abzugelten und einen verbindlichen Ansatz für den Einzelfall zu vereinbaren. Dies verstößt gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Dass sich im Ergebnis unter Ansatz der in der tatsächlichen Verständigung vereinbarten Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben ein Rohgewinnaufschlagsatz von 588 % und einen Rohgewinnsatz von 85 % errechnet, führt nach Ansicht des Senats nicht allein zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis. Zwar dürfte ein Rohgewinn- bzw. Rohgewinnaufschlagsatz in dieser Höhe eher selten sein, sie sind im Bereich asiatischer Restaurants aber durchaus noch erzielbar. Davon ist auch der durch einen Rechtsanwalt und Steuerberater vertretene Kläger im Rahmen der tatsächlichen Verständigung ausgegangen. Schließlich haben sich die Beteiligten auch nicht auf einen bestimmten Rohgewinn- bzw. Rohgewinnaufschlagsatz verständigt, sondern auf den Ansatz bestimmter Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben.
Für eine Nachkalkulation, wie vom Klägervertreter im Schriftsatz vom 21.08.2016 vorgenommen, ist aufgrund der bindenden tatsächlichen Verständigung kein Raum.
cc) Ebenso wenig vermag der Verweis auf die Kartenzahlungen die tatsächliche Verständigung erschüttern, da der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt hat, dass die Kartenzahlungen vermutlich nicht storniert wurden und in der vom damaligen Steuerberater des Klägers erstellten § 4 Abs. 3 EStG-Rechnung korrekt enthalten sind. Der Senat hat hierzu auch keine anderen Erkenntnisse gewinnen können.
dd) Schließlich vermag die Behandlung im Strafbefehlswege (Zuschätzung von lediglich 60.000 € für 2013) nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis im Rahmen des Besteuerungsverfahrens führen, da beide Verfahren rechtlich selbstständig sind und gleichwertig nebeneinander stehen, § 393 Abs. 1 Satz 1 AO. Die Vorschrift stellt insoweit den Grundsatz der Unabhängigkeit und Gleichrangigkeit beider Verfahren klar. Die Strafverfolgungsorgane und die Finanzbehörden haben über alle tatsächlichen und rechtlichen Vorfragen in eigener Verantwortung selbstständig zu entscheiden. Die Finanzgerichte sind auch nicht an die Beurteilung der Strafverfolgungsorgane oder Strafgerichte gebunden, sondern haben nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Wie bereits ausgeführt, konnte der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür finden, dass die der tatsächlichen Verständigung zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.
In dem Rechtsstreit
Kl
- Kläger -
Prozessbev.:
Y
gegen
Finanzamt 1
- Beklagter -
wegen Einkommensteuer 2013
hat der 4. Senat des Finanzgerichts Nürnberg durch
den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht,
die Richterin am Finanzgericht und
den Richter am Finanzgericht sowie
den ehrenamtlichen Richter und
die ehrenamtliche Richterin
aufgrund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 13. Januar 2017 für Recht erkannt:
Tenor:
1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
Streitig ist die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung.
Der (geschiedene) Kläger wurde im Streitjahr 2013 einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Er betreibt seit Ende August 2010 in der Str. 1 in 1 ein Asia-Restaurant. Das Restaurant ist täglich von 17:00 Uhr bis 23:00 Uhr und sonn- und feiertags zusätzlich von 11:30 Uhr bis 14:00 Uhr geöffnet. Den Gewinn ermittelte er durch Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG).
In der Einkommensteuererklärung 2013 gab er den Gewinn aus Gewerbebetrieb mit 67.354 € an. Mit Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 14.07.2014 wurde der Kläger erklärungsgemäß veranlagt.
Im Rahmen der mit Prüfungsanordnungen vom 01.08.2014 und 21.08.2014 verfügten Außenprüfung für die Jahre 2011 bis 2013 kamen die Prüfer zu dem Ergebnis, dass der Kläger die Tageseinnahmen durch Tagesendsummenbons ermittelte und die hierzu verwendete elektronische Registrierkasse des Typs Quorion die Durchführung von Stornierungen ermöglichte, die auf den Tagesendsummenbons nicht ersichtlich waren. Eine Registrierkassenauswertung anhand eines sog. Zeitzonenberichts ergab in den Jahren 2010 bis 2014 Stornierungen von insgesamt 647.373 €, die alle außerhalb der üblichen Öffnungszeiten von 23:00 Uhr bis 17:00 Uhr vorgenommen worden waren. Da damit der Verdacht bestand, dass der Kläger seine Umsätze nicht vollständig erklärt hatte, übernahm die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts 2 die weitere Prüfung. Der Kläger räumte ein, dass er die Registrierkasse manipuliert hat, indem er mit glatten Minusbeträgen Stornierungen vorgenommen und die stornierten Beträge in bar entnommen hat. Seinen Angaben zufolge machte er die Storno-Bons mit Wasser nass, zerriss sie und warf sie in wechselnde Mülleimer. Die Storno-Höhe war von den tatsächlich erzielten Umsätzen abhängig. Im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung vom 30.09.2014 zeigte der Kläger körperlich an der Kasse exemplarisch einen Manipulationsvorgang: er wählte den Manager-Modus (MGR), drückte dann die Taste "Berichtigung", wählte einen Tisch aus (nach eigenen Angaben in der Regel Tisch 1 oder 2), gab den zu stornierenden Betrag ein, anschließend den Bereich "Getränke div." oder "Wok div.". Zum Abschluss bestätigte er den Vorgang nochmals mit dem gewählten Tisch, gab dann den Ausdruck einer Rechnung und zuletzt die Barauszahlung an. Die Höhe der stornierten Beträge wusste der Kläger nicht mehr. Er gab an, die anhand des Zeitzonenberichts vorgehaltene Größenordnung treffe nicht zu, gleichwohl strebe er eine tatsächliche Verständigung an. Zum Verbleib des Schwarzgeldes gab der Kläger an, dass er sich zur Geschäftseröffnung von einem Bekannten aus Vietnam Geld geliehen habe, das er dann nach und nach in bar im Urlaub zurückgegeben habe. Eine von der Steuerfahndung durchgeführte Kalkulation der Umsätze ergab einen geringeren Jahresfehlbetrag von ca. 100.000 €, den der Prüfer u.a. mangels konkreter und vollständiger Aufzeichnungen mit getätigten schwarzen Wareneinkäufen erklärte. Abschließend einigten sich die Parteien am 29.10.2014 im Wege einer tatsächlichen Verständigung auf eine Zuschätzung von Betriebseinnahmen von insgesamt 620.000 € (brutto), die sich auf die einzelnen Veranlagungszeiträume mit 50.000 € (2011), 200.000 € (2012 und 2013) und 170.000 € (2014) verteilten. Bei Abschluss der tatsächlichen Verständigung war neben dem Kläger auch dessen Steuerberater Z1 aus der Kanzlei Z anwesend. In der tatsächlichen Verständigung wurde von den Parteien folgender Passus aufgenommen:
"Im Bereich der Betriebsausgaben sind keine Zuschätzungen veranlasst. Der Umstand, dass sowohl im Bereich der Betriebseinnahmen als auch im Bereich der Betriebsausgaben Buchführungsmängel vorliegen, wurde summarisch bei der Findung der Zuschätzungsgrößenordnung im Bereich der Betriebseinnahmen berücksichtigt."
Auf dieser Grundlage erließ das Finanzamt am 16.04.2015 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid für 2013, in dem der Gewinn aus Gewerbetrieb auf 267.354 € erhöht wurde.
Dagegen legte der Kläger am 19.05.2015, vertreten durch seinen Steuerberater Y, Einspruch ein und beantragte die Aufhebung der Steuerbescheide wegen einer Übermaßbesteuerung. Der festgesetzte Gewinn aus Gewerbebetrieb stünde in einem unmittelbaren Verhältnis zu den umsatzsteuerpflichtigen Entgelten, die in den Umsatzsteuerbescheiden enthalten seien. Es handele sich um eine unzulässige Strafschätzung, die aufgrund der begrenzten Kapazität bei seinem Mandanten (ca. 45 Plätze) nicht erzielbar sei.
Das Einspruchsverfahren verlief erfolglos; mit Einspruchsentscheidung vom 11.08.2016 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Der Prozessbevollmächtigte hat für den Kläger Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen:
Die Zuschätzung von Betriebseinnahmen in Höhe von 50.000 € für 2011 und je 200.000 € für 2012 und 2013 stelle eine unzulässige Übermaßbesteuerung dar, die jeder wirtschaftlichen Realität widerspreche. Das gewonnene Schätzungsergebnis müsse schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Davon könne im Streitfall nicht ausgegangen werden. Bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen seien dem Finanzamt schwerwiegende materiell-rechtliche Fehler unterlaufen. Das Finanzamt habe für das Jahr 2013 einen Rohgewinnaufschlagsatz von 680,43 % bei einem Personalkostenanteil von 11,84 % ermittelt. Dies widerspreche jeglicher Realität. Bei Restaurants mit asiatischem Speiseangebot liege der Aufschlagsatz nach der amtlichen Richtsatzsammlung im Mittel bei 257 %, der Höchstwert liege bei 400 %. Außerdem habe das Finanzamt lediglich die Betriebseinnahmen um 50.000 € bzw. je 200.000 € erhöht, ohne zugleich weitere Betriebsausgaben anzusetzen. Bei einem durchschnittlichen Verkaufspreis von 10 € pro Gericht und einer durchschnittlichen Zubereitungszeit von 16 Minuten hätte der Kläger zur Erzielung eines zusätzlichen Umsatzes von 200.000 € rund 26,67 Monate benötigt. Dass dieses Ergebnis unzutreffend sei, sei offensichtlich. Vielmehr sei für das Streitjahr 2013 eine Nachkalkulation anzustellen, die zu einem Rohgewinnaufschlagsatz von 342,39 % führe. Hierzu werde auf die Anlage K1 des Schriftsatzes vom 21.08.2016 verwiesen (Blatt 18 f. FG-Akte). Demzufolge ergebe sich eine Gewinnhinzuschätzung von 70.400 €; der korrigierte Gewinn betrage somit 137.754 €.
Schließlich sei völlig unklar, wie der Ausleseprozess der Kassendaten tatsächlich abgelaufen sei und welche Dokumentation darüber vorliege. Das Finanzamt müsse im Einzelnen den Nachweis führen, wie sich die hinzugeschätzten Beträge zusammensetzten; die Bestimmtheit der Kassenauslesung werde bestritten. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestünden deshalb, weil es kein präsentes Beweismittel über eine Kassenprüfung gebe. Nicht jede Stornierung sei ein Steuerdelikt.
Die Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen im Rahmen eines Steuerstrafverfahrens sei in der Abgabenordnung nicht eindeutig geregelt. Sowohl der Betriebsprüfer als auch der Steuerfahnder könnten diesbezüglich Ermittlungen anstellen. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle 2 habe folgende verkürzte Gewinne ermittelt:
für 2011 15.000 €
für 2012 60.000 €
für 2013 60.000 €
Im Rahmen der Steuerfahndung sei jedoch ein Betrag von 200.000 € für 2013 angesetzt worden. Im Strafbefehlswege seien um 70 % geringere Werte angesetzt worden. Diese Abschläge könnten nicht ausschließlich durch strafrechtliche Erwägungen begründet sein. Es handele sich folglich um eine unzulässige Strafschätzung bzw. außerhalb der Rechtsordnung stehende Übermaßbesteuerung.
Zudem seien von der Schätzung des Finanzamtes die Kartenzahlungen abzuziehen, da sonst eine unzulässige Mehrfachbesteuerung der Kartenumsätze vorliege. Für 2013 betrage der abzuziehende Betrag 81.259,72 €.
Der Klägervertreter beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 2013 vom 14.07.2014 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 16.04.2015 und der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2016 dahin zu ändern, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb mit 137.754 € angesetzt wird.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen,
und trägt zur Begründung im Wesentlichen Folgendes vor:
Zur Behauptung des steuerlichen Vertreters des Klägers, die Umsätze von 50.000 € bzw. 200.000 € seien aus dem Nichts entstanden, werde auf den Ermittlungsbericht der Steuerfahndung hingewiesen. Der Kläger habe den zuständigen Fahndungsprüfern vor Ort gezeigt, wie man die Kasse manipulieren könne. Er habe zudem ein Geständnis abgelegt, die Kasse auch tatsächlich manipuliert zu haben. Es seien keine Umstände erkennbar, die zur Unwirksamkeit der tatsächlichen Verständigung führten. An einer zulässigen und wirksamen "tatsächlichen Verständigung" müssten sich beide Beteiligte festhalten lassen. Dies entspreche dem Grundsatz von Treu und Glauben, der im Steuerrecht als allgemeine Rechtsgrundlage uneingeschränkt anerkannt sei. Die Erhöhung der Betriebseinnahmen um 50.000 € bzw. je 200.000 € führe nicht zu einer unzulässigen Übermaßbesteuerung und folglich nicht zu einem unzutreffenden Ergebnis, welches die Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung vom 29.10.2014 entfallen lassen könnte. Die Steuerfahndung habe stornierte Beträge in Höhe von 647.373 € festgestellt. Diese Stornierungen seien im Zeitraum 2011 bis September 2014 durchgeführt worden. Die Einigung auf eine Gesamtzuschätzung für den Zeitraum 2011 bis Juni 2014 in Höhe von 620.000 € und die Verteilung auf die Streitjahre sei in Übereinstimmung mit dem damaligen Steuerberater und dem Rechtsanwalt des Klägers vorgenommen worden.
Bei den Betriebsausgaben seien keine Zuschätzungen veranlasst gewesen. Die Buchführungsmängel seien bei den Betriebseinnahmen und -ausgaben summarisch berücksichtigt worden. Es sei davon auszugehen, dass die Löhne vollständig im Rahmen der Gewinnermittlung erfasst wurden und sich somit bereits gewinnmindernd ausgewirkt hätten. Wie der Klägervertreter auf eine durchschnittliche Zubereitungszeit von 16 Minuten pro Gericht komme, sei nicht näher ausgeführt. Es bestünden Zweifel an der Dauer der veranschlagten Zubereitungszeit.
Gehe man für das Streitjahr 2013 bei der Berechnung von Rohgewinnaufschlagsatz und Rohgewinnsatz von Umsätzen in Höhe von 407.408 €, einem Wareneinsatz in Höhe von 61.438 € und einem Rohgewinn in Höhe von 345.970 € aus, betrage der Rohgewinnaufschlagsatz rund 563 % und der Rohgewinnsatz rund 85 %. Im Bereich der Gast-/ Speisewirtschaften liege der Rohgewinnsatz zwischen 65 % und 80 %. Hierbei handele es sich jedoch nicht um eine absolute Größe ("Richtsatz"); Abweichungen seien möglich.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, den Inhalt der Akten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13.01.2017 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Das Finanzamt hat die Einkommensteuer 2013 im angefochtenen Änderungsbescheid vom 16.04.2015 und der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2016 zu Recht unter Ansatz der Einkünfte aus Gewerbebetrieb laut der tatsächlichen Verständigung vom 29.10.2014 festgesetzt. Die Beteiligten sind nach Treu und Glauben an die tatsächliche Verständigung vom 29.10.2014 gebunden. Die Verständigung führt auch nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis.
1. Die von den Beteiligten in der Besprechung vom 29.10.2014 einvernehmlich vereinbarten Regelungen für den Bereich der Sachverhaltsermittlung sind steuerrechtlich zulässig.
a) In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Zulässigkeit tatsächlicher Verständigungen grundsätzlich anerkannt (vgl. BFH-Urteile vom 11.12.1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl. II 1985, 354; vom 05.10.1990 III R 19/88, BFHE 162, 211, BStBl. II 1991, 45; vom 06.02.1991 I R 13/86, BFHE 164, 168, BStBl. II 1991, 673 und vom 28.07.1993 XI R 68/92, BFH/NV 1994, 290). Zwar sind Vergleiche über Steueransprüche wegen der Gesetzmäßigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht möglich. Dagegen dient es in Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung der Förderung und Beschleunigung des Besteuerungsverfahrens und allgemein dem Rechtsfrieden, besondere Vereinbarungen über eine bestimmte (steuerliche) Behandlung von Sachverhalten (nicht aber über das anzuwendende Recht) zuzulassen. Dies gilt insbesondere in Schätzungsfällen. Derartige "tatsächliche" Verständigungen betreffen in der Regel (nur) einen - von beiden Beteiligten zu konkretisierenden - Ausschnitt aus dem gesamten jeweils zu beurteilenden Besteuerungssachverhalt und dienen dem Ziel, insoweit Unsicherheiten und Ungenauigkeiten zu beseitigen. Sie sind wirksam, sofern sie nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen (vgl. BFH-Urteil vom 11.12.1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl. II 1985, 354). Zudem ist erforderlich, dass auf Seiten der Finanzbehörde ein Amtsträger beteiligt ist, der zur Entscheidung über die Steuerfestsetzung befugt ist (vgl. BFH-Urteile vom 05.10.1990 III R 19/88, BFHE 162, 211, BStBl. II 1991, 45 und vom 28.07.1993 XI R 68/92, BFH/NV 1994, 290). Einer besonderen Form bedürfen tatsächliche Verständigungen nicht. Wenn auch - vor allem bei schwierig aufzuklärenden und zu beurteilenden Fallgestaltungen - eine schriftliche Niederlegung und die Unterzeichnung durch die Beteiligten sinnvoll erscheinen (vgl. auch v. Wedelstädt, Der Betrieb 1991, 515), ist nicht ausgeschlossen, den Nachweis des Abschlusses einer tatsächlichen Verständigung auch durch andere Beweismittel (z.B. Zeugenvernehmung) zu führen.
b) Tatsächliche Verständigungen haben ihre Grundlage in dem bestehenden, konkreten Steuerrechtsverhältnis zwischen dem Finanzamt und dem Steuerpflichtigen. Aus ihm ergeben sich die gesetzlich festgelegten Pflichten des Finanzamtes zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§§ 88 ff. AO) und die entsprechenden Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (§§ 90 ff. AO).
An einer zulässigen und wirksamen "tatsächlichen Verständigung" müssen sich die Beteiligten festhalten lassen. Dies entspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben, der im Steuerrecht als allgemeine Rechtsgrundlage uneingeschränkt anerkannt ist (vgl. BFH-Urteil vom 09.08.1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl. II 1989, 990). Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt (vgl. BFH-Urteil vom 04.11.1975 VII R 28/72, BFHE 117, 317), auf das der andere Teil vertraut und im Hinblick darauf bestimmte Dispositionen getroffen hat (vgl. BFH-Urteil vom 13.07.1994 I R 38/93, BFHE 175, 496, BStBl. II 1995, 37). Daraus ergibt sich für die Verwaltung eine Bindungswirkung aber nicht erst, wenn diese ihrerseits durch "Erlass entsprechender Bescheide disponiert" hat. Denn dies würde bedeuten, dass einer im Rahmen einer Außenprüfung getroffenen tatsächlichen Verständigung vor dem Erlass entsprechender Bescheide Bindungswirkung nicht zukommen könnte. Der Sinn des Instituts der tatsächlichen Verständigung liegt hingegen gerade darin, eine entsprechende Vereinbarung (mit Bindungswirkung) zu jedem Zeitpunkt des Besteuerungsverfahrens zu ermöglichen, wenn bestimmte Sachbehandlungen in Frage stehen und deren (endgültige) Klärung notwendig ist, um die Festsetzung der Steuer zu fördern. Dies betrifft insbesondere die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen. Eine abschließende und damit beide Beteiligte bindende Verständigung muss daher - unter der Voraussetzung der Beteiligung eines zur Entscheidung über die Steuerfestsetzung befugten Amtsträgers - auch im Rahmen einer Außenprüfung "von vornherein" erzielbar sein (vgl. BFH-Urteile vom 06.02.1991 I R 13/86, BFHE 164, 168, BStBl. II 1991, 673). Dem entspricht es, die Dispositionen der Beteiligten darin zu sehen, dass sie unter Aufgabe ihrer unterschiedlichen Ausgangspositionen einvernehmlich auf weitere Ermittlungen in Bezug auf den durch die tatsächliche Verständigung festgelegten Sachverhalt verzichten. Die gegenseitige Bindung beider Beteiligter ist einer tatsächlichen Verständigung daher immanent, ohne dass es einer entsprechenden ausdrücklichen Erklärung bedarf. Bei anderer Beurteilung wäre auch das Erfordernis der Anwesenheit eines für die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträgers nicht verständlich; denn durch sie soll eine Bindung gerade im Hinblick auf die zu erlassenden Bescheide gesetzt werden (vgl. BFH-Urteil vom 31.07.1996 XI R 78/95, BFHE 181, 103, BStBl. II 1996, 625).
2. Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für den wirksamen Abschluss einer tatsächlichen Verständigung vor. Insbesondere war die Sachverhaltsermittlung erheblich erschwert. Das Finanzamt konnte die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln, weil der Kläger wesentliche Aufzeichnungen wie Kassen-Bons und Storno-Bons vernichtet hatte. Eine Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 und 2 Satz 2 AO war dem Grunde nach geboten, weil die erstellten Aufzeichnungen über die Kasseneinnahmen und Kassenausgaben nicht vollständig und richtig waren (§ 146 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO). Wie die Auswertung der Registrierkasse ergeben hat, wurde in den Jahren 2011 bis 2014 regelmäßig in der Zeit von 23:00 Uhr bis 17:00 Uhr des Folgetages (grundsätzlich außerhalb der Öffnungszeiten) die Registrierkasse manipuliert. Dadurch wurden die Kasseneinnahmen um insgesamt 647.373 € zu niedrig ausgewiesen. Der Kläger hat diese Manipulationen dem Grunde nach eingeräumt. Die Aufzeichnungen des Klägers konnten daher nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden (§ 158 AO). Das Finanzamt hatte deshalb die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen.
3. Die aufgrund dessen am 29.10.2014 von den Beteiligten getroffene Vereinbarung über eine tatsächliche Verständigung hinsichtlich der Zuschätzung von Betriebseinnahmen ist wirksam zustande gekommen und deshalb für die Beteiligten bindend. Sie führt nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis. Eine gravierende Verletzung des materiellen Steuerrechts kann der Senat nicht feststellen. Es liegt in der Natur einer tatsächlichen Verständigung, dass ihr Gegenstand nicht bis ins Einzelne als richtig bestätigte Besteuerungsgrundlagen sind. Schätzungsunschärfen gehen zu Lasten desjenigen, der die Schätzung veranlasst hat.
a) Soweit der Kläger rügt, die Zuschätzung von Betriebseinnahmen in Höhe von 200.000 € (brutto) stelle eine unzulässige Übermaßbesteuerung dar, weil sie jeder wirtschaftlichen Realität widerspreche, kann dem der Senat nicht folgen.
Wie der tatsächlichen Verständigung vom 29.10.2014 zu entnehmen ist, wurden in den Veranlagungszeiträumen 2011 Betriebseinnahmen in Höhe von 50.000 € (brutto) und in den Veranlagungszeiträumen 2012 und 2013 Betriebseinnahmen in Höhe von je 200.000 € (brutto) zugeschätzt. Im Bereich der Betriebsausgaben sind die Beteiligten der tatsächlichen Verständigung übereinstimmend davon ausgegangen, dass hier keine Zuschätzungen veranlasst sind; es blieb damit bei dem erklärten Wareneinsatz von 61.394 € für 2013. Ausgehend von den zugeschätzten Betriebseinnahmen von 172.770 € netto für 2013 sowie einem bisherigen wirtschaftlichen Umsatz von 222.537 € netto für 2013 errechnet sich unter Ansatz des in der Gewinnermittlung ausgewiesenen Eigenverbrauchs von 3.993 € ein Rohgewinnaufschlagsatz von 588,68 % für 2013. Der Kläger geht bei seiner Berechnung hingegen von einem Eigenverbrauch von zwei Personen und einem monatlichen Pauschbetrag von 250 € für Personalverpflegung aus, ohne die Gründe für die im Vergleich zur Gewinnermittlung abweichende Handhabung darzulegen oder nachzuweisen.
Der Hinweis des Klägers auf den - nach seiner Darstellung - branchenunüblichen Rohgewinnaufschlagsatz ist nicht geeignet, die Zuschätzung von Betriebseinnahmen zu erschüttern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach Aktenlage im betreffenden Zeitraum in der Registrierkasse Betriebseinnahmen von insgesamt 647.373 € storniert und damit nicht als solche erfasst wurden. Von diesen hat das Finanzamt im Einvernehmen mit dem beratenen Kläger im Wege der Schätzung 200.000 € dem Streitjahr zugeordnet. Von einer Korrektur der Ausgaben für den Wareneinkauf im Rahmen der Schätzung wurde nach Aktenlage u.a. unter Hinweis auf die getätigten "Schwarzeinkäufe" abgesehen. Laut der Vereinbarung über die tatsächliche Verständigung vom 29.10.2014 sahen die Beteiligten auch im Hinblick auf die Feststellungslast keine Veranlassung, bei den Betriebsausgaben eine entsprechende Zuschätzung vorzunehmen. Entsprechende Hinweise auf ein Auslesen des Trainingsspeichers sind nicht sichtlich.
b) Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die der tatsächlichen Verständigung zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen, sind nicht erkennbar.
aa) Dagegen, dass die vereinbarten Einnahmeerhöhungen offensichtlich unzutreffend sind, spricht bereits, dass der steuerliche Berater des Klägers, Herr Z1, die tatsächliche Verständigung ebenfalls unterschrieben hat. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Berater einem evident unmöglichen Ergebnis zugestimmt hätte (so auch der Bundesfinanzhof im Urteil vom 01.09.2009 VIII R 78/06, BFH/NV 2010, 593).
bb) Zwar liegt der Rohgewinnaufschlagsatz mit 588 % außerhalb des von der Richtsatzsammlung ausgewiesenen Rahmens von 186 % - 400 %. Ein Abweichen der erklärten Gewinne oder Umsätze von den Richtsätzen führt nach der Rechtsprechung jedoch nicht allein dazu, dass eine formell ordnungsgemäße Buchführung zu verwerfen wäre (vgl. BFH-Urteile vom 26.10.1994 X R 114/92, BFH/NV 1995, 373 und vom 24.11.1993 X R 12/89, BFH/NV 1994, 766). Dieser Rechtsgedanke gilt sinngemäß auch für das Institut der tatsächlichen Verständigung. In Einzelfällen können die Rohgewinnaufschlagsätze auch außerhalb des von der Richtsatzsammlung ausgewiesenen Rahmens liegen, da es sich sowohl beim oberen als auch unteren Satz nicht um einen absoluten, sondern um einen gewogenen Wert handelt. Im Einzelfall können die Werte auch außerhalb des Rahmens liegen. Die Kennzahlen werden regelmäßig aus den Betriebsergebnissen von Unternehmen bis mittlerer Größe gewonnen und stellen auf die Verhältnisse eines "normalen" Richtsatzbetriebs ab. Sie sind nicht verbindlich, sondern dienen dem Finanzamt lediglich als Anhaltspunkte (vgl. Cöster, in Koenig, AO-Kommentar, 3. Aufl., § 162 Rz. 109). Mit der im Streitfall geschlossenen tatsächlichen Verständigung wurde gerade ein (einvernehmlicher) Ansatz der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben für den Einzelfall getroffen, der auch außerhalb der Richtsatzsammlung liegen kann. Die Erhöhung der Umsätze erfolgte nach dem Wortlaut der tatsächlichen Verständigung bewusst ohne Erhöhung der Betriebsausgaben. Die Beteiligten haben einvernehmlich auf weitere Ermittlungen in Bezug auf den durch die tatsächliche Verständigung festgelegten Sachverhalt verzichtet, um das Besteuerungsverfahren zu beschleunigen und Rechtsfrieden herzustellen. Der Kläger hat dabei in dem Bewusstsein gehandelt, dass die anhand des Zeitzonenberichts ermittelte Größenordnung an stornierten Umsätzen seiner Einschätzung nach zu hoch war. Mit dem Verweis auf andere Erfahrungssätze in der Richtsatzsammlung setzt sich der Kläger zu seinem eigenen früheren Verhalten daher in Widerspruch, die Unsicherheiten des Streitfalls durch die tatsächliche Verständigung abzugelten und einen verbindlichen Ansatz für den Einzelfall zu vereinbaren. Dies verstößt gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Dass sich im Ergebnis unter Ansatz der in der tatsächlichen Verständigung vereinbarten Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben ein Rohgewinnaufschlagsatz von 588 % und einen Rohgewinnsatz von 85 % errechnet, führt nach Ansicht des Senats nicht allein zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis. Zwar dürfte ein Rohgewinn- bzw. Rohgewinnaufschlagsatz in dieser Höhe eher selten sein, sie sind im Bereich asiatischer Restaurants aber durchaus noch erzielbar. Davon ist auch der durch einen Rechtsanwalt und Steuerberater vertretene Kläger im Rahmen der tatsächlichen Verständigung ausgegangen. Schließlich haben sich die Beteiligten auch nicht auf einen bestimmten Rohgewinn- bzw. Rohgewinnaufschlagsatz verständigt, sondern auf den Ansatz bestimmter Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben.
Für eine Nachkalkulation, wie vom Klägervertreter im Schriftsatz vom 21.08.2016 vorgenommen, ist aufgrund der bindenden tatsächlichen Verständigung kein Raum.
cc) Ebenso wenig vermag der Verweis auf die Kartenzahlungen die tatsächliche Verständigung erschüttern, da der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt hat, dass die Kartenzahlungen vermutlich nicht storniert wurden und in der vom damaligen Steuerberater des Klägers erstellten § 4 Abs. 3 EStG-Rechnung korrekt enthalten sind. Der Senat hat hierzu auch keine anderen Erkenntnisse gewinnen können.
dd) Schließlich vermag die Behandlung im Strafbefehlswege (Zuschätzung von lediglich 60.000 € für 2013) nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis im Rahmen des Besteuerungsverfahrens führen, da beide Verfahren rechtlich selbstständig sind und gleichwertig nebeneinander stehen, § 393 Abs. 1 Satz 1 AO. Die Vorschrift stellt insoweit den Grundsatz der Unabhängigkeit und Gleichrangigkeit beider Verfahren klar. Die Strafverfolgungsorgane und die Finanzbehörden haben über alle tatsächlichen und rechtlichen Vorfragen in eigener Verantwortung selbstständig zu entscheiden. Die Finanzgerichte sind auch nicht an die Beurteilung der Strafverfolgungsorgane oder Strafgerichte gebunden, sondern haben nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Wie bereits ausgeführt, konnte der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür finden, dass die der tatsächlichen Verständigung zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.
Vorschriften§ 4 Abs. 3 EStG