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  • 11.02.2010 · IWW-Abrufnummer 100503

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 16.12.2009 – I R 102/08

    Betriebliche Verbindlichkeiten, welche beim Veräußerer aufgrund von Rückstellungsverboten (hier: für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften) in der Steuerbilanz nicht bilanziert worden sind, sind bei demjenigen Erwerber, der die Verbindlichkeit im Zuge eines Betriebserwerbs gegen Schuldfreistellung übernommen hat, keinem Passivierungsverbot unterworfen, sondern als ungewisse Verbindlichkeit auszuweisen und von ihm auch an den nachfolgenden Bilanzstichtagen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 mit ihren Anschaffungskosten oder ihrem höheren Teilwert zu bewerten.





    Gründe

    I.

    Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH mit einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr zum 30. September, die im Streitjahr 1998 ein Unternehmen zur Erbringung von interaktiven multimedialen Diensten betrieb. Sie hatte durch Kauf- und Übertragungsvertrag vom 25. September 1998 sämtliche dem Bereich "..." zuzuordnenden aktiven und passiven Wirtschaftsgüter zu einem Kaufpreis von 3.060.528 DM von einer konzernangehörigen Gesellschaft, der M-GmbH, erworben. Im Rahmen dieses Erwerbes wurden auch die Verpflichtungen aus zwei Verträgen zur Anmietung eines Satelliten sowie einer Antennenanlage von der M-GmbH gegenüber den Vermietern übernommen. Da beide Mietverträge bereits für die M-GmbH keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr versprachen, hatte diese eine entsprechende sog. Drohverlustrückstellung in Höhe von 819.015 DM gebildet. Mit der Übernahme des Geschäftsbereichs "..." durch die Klägerin hatte diese die Verlustrückstellungen im Erwerbszeitpunkt (30. September 1998 0 Uhr) passiviert und zu diesem Bilanzstichtag beibehalten. Dementsprechend wurde die Klägerin vom dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) zunächst unter Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt.

    Nach Durchführung einer Außenprüfung war das FA hingegen der Auffassung, dass die Klägerin zwar verpflichtet gewesen sei, die Drohverlustrückstellung im Zeitpunkt des Erwerbes zu bilden, der Ansatz einer solchen Verlustrückstellung in der Schlussbilanz zum 30. September 1998 jedoch nach § 5 Abs. 4a des Einkommensteuergesetzes (EStG 1997) nicht mehr zulässig sei. Die Rückstellung zum 30. September 1998 sei deswegen aufzulösen.

    Die Klage gegen die hiernach geänderten Steuerbescheide war erfolgreich; das Finanzgericht (FG) Düsseldorf gab ihr durch Urteil vom 9. September 2008 6 K 1161/04 K,F, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2009, 167, statt.

    Seine Revision stützt das FA auf Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt,

    das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Revision zurückzuweisen.

    Das dem Revisionsverfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat sich in der Sache dem FA angeschlossen, jedoch keine Anträge gestellt.

    II.

    Die Revision ist unbegründet.

    1.

    Gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 1997 hat die Klägerin in ihren Bilanzen das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisen ist. Die "handelsrechtlichen" GoB ergeben sich u.a. aus den Bestimmungen des Ersten Abschnitts des Dritten Buchs "Vorschriften für alle Kaufleute" der §§ 238 ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB). Sie werden für Kapitalgesellschaften ergänzt durch die Bestimmungen der §§ 264 ff. HGB.

    2.

    Zu den wesentlichen GoB zählt das Gebot, Gewinne nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB). Daraus folgt u.a., dass Anschaffungsvorgänge erfolgsneutral zu behandeln sind. Der Zugang von Wirtschaftsgütern zum Betriebsvermögen führt zu einer bloßen Umschichtung in der Bilanz in Höhe der Anschaffungskosten; ein unterschiedlicher Ansatz von Zu- und Abfluss ist ausgeschlossen. Eine Gewinnrealisierung kann nur aufgrund nachfolgender betrieblicher Umsatzakte erfolgen.

    Anschaffungskosten sind gemäß § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können. Dieser handelsrechtliche Begriff der Anschaffungskosten ist in Ermangelung einer abweichenden Definition im Einkommensteuergesetz auch der steuerbilanziellen Beurteilung (gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997) zugrunde zu legen (Senatsurteil vom 26. April 2006 I R 49, 50/04, BFHE 213, 374, BStBl II 2006, 656, m.w.N.). Die bei der Übernahme von Verbindlichkeiten zutreffend erhöhten Anschaffungskosten bilden die Ausgangsgröße für die weitere bilanzielle Entwicklung eines zugegangenen Wirtschaftsgutes.

    3.

    Der Grundsatz der erfolgsneutralen Behandlung von Anschaffungsvorgängen findet auch auf übernommene Passivpositionen und hierbei unabhängig davon Anwendung, ob der Ausweis dieser Passivpositionen in der Steuerbilanz einem --von der Handelsbilanz abweichenden-- Ausweisverbot ausgesetzt ist. Denn auch die Übernahme steuerrechtlich zu Recht nicht bilanzierter Verbindlichkeiten ist Teil des vom Erwerber zu entrichtenden Entgelts (vgl. Senatsurteil vom 17. Oktober 2007 I R 61/06, BFHE 219, 529, BStBl II 2008, 555, m.w.N.) und erhöht mithin dessen Anschaffungskosten. Das gilt auch für das entsprechende Verbot in § 5 Abs. 4a EStG 1997. Denn dieses Verbot will --lediglich-- am Stichtag bereits vorhandene Verluste entgegen den Vorgaben des (handels-)bilanzrechtlichen Imparitätsprinzips (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 HGB) auf künftige Veranlagungszeiträume verlagern: Steuerbilanziell wird der Verlust aus schwebenden Geschäften erst bei seiner Realisation effektuiert, nicht bereits bei seiner Entstehung. Wird der verlustbedrohte Vertrag aber entgeltlich gegen Schuldübernahme erworben, dann ist der Erwerber im Verhältnis zum Veräußerer verpflichtet, ihn von der gegenüber dem Gläubiger der Schuld weiter bestehenden Zahlungspflicht --im Streitfall die Verpflichtung zur Mietzahlung-- freizustellen. Bei dieser Freistellungsverpflichtung handelt es sich nicht um den Teil eines schwebenden Geschäfts; denn das Geschäft wurde infolge des Erwerbsvorgangs bereits erfüllt. Die Freistellungsverpflichtung ist mithin vom Erwerber sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz nach den für ungewisse Verbindlichkeiten geltenden Grundsätzen und nicht als Drohverlustrückstellung zu passivieren (zutreffend Bogenschütz, Die Unternehmensbesteuerung --Ubg-- 2008, 135, 139; im Ergebnis ebenso Ley, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2007, 589, 591 f.; Hoffmann, GmbH-Steuerberater 2009, 144, 145; Koch, Betriebs-Berater 2008, 2736). Der Bildung eines besonderen Ausgleichspostens, um die Bewertungsdifferenz anderweitig "abzufangen" (vgl. dazu Ley, DStR 2007, 589, 591; s. auch --aber aus Sicht des Erwerbers für den umgekehrten Fall einer Entgeltzuzahlung-- Senatsurteil in BFHE 213, 374, BStBl II 2006, 656), bedarf es dazu nicht.

    4.

    Den dagegen gerichteten Einwendungen des BMF und des FA ist nicht beizupflichten.

    a) Insbesondere geht es fehl, den eigentlichen Anschaffungsvorgang von der (nachfolgenden) Bilanzierung auf den Bilanzstichtag und auf diese Weise den erfolgsneutralen Anschaffungsvorgang und den rückstellungsgesperrten Bilanzansatz voneinander zu trennen. Umfang und Höhe der Anschaffungskosten werden durch tatsächliche Gegebenheiten bestimmt. In diesem Umfang und in jener Höhe, in denen sie tatsächlich entstanden sind, gehen sie erfolgsneutral in die (nachfolgende) Bilanzierung ein und darf ihr Bewertungsansatz dabei (nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997) weder über- noch unterschritten werden. Das betrifft auch "miterworbene" Schulden in Gestalt --ursprünglich-- drohender Verluste aus schwebenden Geschäften, die als solche einem steuerlichen Ausweisverbot unterworfen sind. Andernfalls würde genau jener "Erwerbsgewinn" ausgewiesen, der dem Anschaffungskostenbegriff und -verständnis fremd ist (zutreffend Bogenschütz, Ubg 2008, 135, 140).

    b)

    Ob sich ein abweichendes Ergebnis für die hier in Rede stehende Problematik ergeben könnte, wenn die Klägerin durch eine wechselseitige Vereinbarung mit der M-GmbH als Veräußerin und den Vermietern eine Vertragsübernahme in der Weise vereinbart hätte, dass die Klägerin an Stelle der Veräußerin in die Mietverträge eingetreten wäre, kann dahinstehen (vgl. dazu Ley, DStR 2007, 589, 591). Für eine solche --vom BMF erwogene-- Annahme gibt der vom FG festgestellte und den Senat bindende (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) Sachverhalt nichts her.

    5.

    Angesichts der vorstehenden Ergebnisse erübrigen sich schließlich Überlegungen dazu, ob nach den Maßstäben des sog. subjektiven Fehlerbegriffs einerseits die Klägerin sich an der gewählten und im Bilanzierungszeitpunkt "richtigen" Bilanzierung festhalten lassen muss, andererseits aber auch das FA nicht (mehr) berechtigt ist, diese Bilanzierung zu korrigieren, wenn es sie zunächst im Rahmen der Steuerveranlagung erklärungsgemäß hingenommen hat (Senatsurteil vom 5. Juni 2007 I R 47/06, BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818; vgl. dazu Werra/Rieß, Der Betrieb 2007, 2502; Rödder/Hageböke, Ubg 2008, 401; Gosch, BFH/PR 2008, 336; Pohl, Finanz-Rundschau 2009, 279).

    VorschriftenBewG § 34 Abs. 6a, Abs. 7, § 36, § 37, § 38 Abs. 1, § 41, § 51 Abs. 4 Satz 1, § 51a, § 62 Anlage 1, HGB § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1, § 255 Abs. 1 Satz 1