23.03.2001 · IWW-Abrufnummer 010431
Bundesfinanzhof: Urteil vom 29.11.2000 – I R 31/00
BUNDESFINANZHOF
1. Für rechtsverbindlich zugesagte Zuwendungen aus Anlass eines Geschäfts- oder Firmenjubiläums, die sich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit der einzelnen Mitarbeiter bemessen, muss eine Rückstellung in dem Umfang gebildet werden, in dem die Anspruchsvoraussetzungen durch die vergangene Betriebszugehörigkeit des jeweiligen Mitarbeiters erfüllt sind.
2. Die Bildung der Rückstellung für die Jubiläumszuwendungen unterfällt nicht den einschränkenden Voraussetzungen des § 5 Abs. 4 EStG.
EStG § 5 Abs. 1 und 4
HGB § 249 Abs. 1
Urteil vom 29. November 2000 - I R 31/00 -
Vorinstanz: FG Münster (EFG 2000, 478)
Gründe
I.
Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionsklägerin (Klägerin) ist eine Sparkasse. Sie beging am 20. Mai 1994 ihr 150-jähriges Geschäftsjubiläum. Aus diesem Anlass verpflichtete sie sich aufgrund eines Beschlusses ihres Verwaltungsrates durch Betriebsvereinbarung mit dem Personalrat vom 18. Dezember 1992, an alle Mitarbeiter, die zu ihr am 20. Mai 1994 in einem ungekündigten Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnis standen oder die danach, aber bis zum 1. Oktober 1994 eingestellt wurden, eine Jubiläumszuwendung zu zahlen (Nr. 2.1, 2.3. der Betriebsvereinbarung). Die Zuwendungen, die mit den Gehältern für Mai 1994 (bzw. für den der Einstellung nachfolgenden Monat) unter Anwendung der steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen ausbezahlt werden sollten (Nr. 3 der Betriebsvereinbarung), bemaßen sich ihrer Höhe nach gemäß Nr. 4.1 der Betriebsvereinbarung nach der Betriebszugehörigkeit. Sie betrugen für Vollzeitbeschäftigte bei einer Zugehörigkeit von weniger als 5 Jahren 1 000 DM, bei 5 Jahren 1 500 DM und vom 6. bis 15. Jahr jährlich um 150 DM ansteigend bis 3 000 DM, für Auszubildende pauschal 500 DM bzw. --bei Neueinstellungen-- 125 DM, bei ständigen Aushilfskräften 300 DM und bei nach dem 20. Mai 1994 neu eingestellten Mitarbeitern bei Diensteintritt bis zum 30. Juni 1994 pauschal 500 DM, bei Diensteintritt bis zum 30. September 1994 pauschal 250 DM. Für Teilzeitbeschäftigte galt jeweils Entsprechendes gemäß dem individuellen Teilzeitprozentsatz. Stichtag für die Bemessung der Betriebszugehörigkeit war der 31. Dezember 1993. Mit der Zahlung der Jubiläumszuwendungen sollten in 1994 anfallende Überstunden im Rahmen der Jubiläumsaktivitäten abgegolten sein (Nr. 5 der Betriebsvereinbarung). Mitarbeiter, die bis zum 31. Dezember 1994 aus dem Betrieb der Klägerin ausschieden oder deren Beschäftigungsverhältnis in 1994 gekündigt wurde, hatten die empfangenen Zuwendungen zurückzuzahlen. Gleiches galt für Arbeitsverhältnisse, die in 1994 befristet eingegangen wurden und in 1995 ausliefen, nicht jedoch bei Beendigung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses durch Erreichen der Altersgrenze oder infolge von Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit (Nr. 2.2 der Betriebsvereinbarung).
Die Klägerin bildete in ihrer Bilanz für das Streitjahr 1992 unter Berücksichtigung eines Fluktuationsabschlags eine Rückstellung für die künftigen Jubiläumszuwendungen in Höhe von 285 000 DM. Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) folgte dem nicht. Er hielt die Rückstellung bereits dem Grunde nach für ungerechtfertigt, da für die Zuwendungen das künftige Firmenjubiläum und nicht die von den Arbeitnehmern in der Vergangenheit erbrachten Leistungen ursächlich gewesen seien.
Im Rahmen der gegen die hiernach ergangene Körperschaftsteuerfestsetzung erhobenen Klage berechnete die Klägerin die in Rede stehende Rückstellung nunmehr auf 298 810 DM. Sie ermittelte die auf den 31. Dezember 1992 zu zahlenden Zuwendungen mit 313 347 DM, erhöhte diese um die von ihr hälftig zu zahlenden Sozialbeiträge, kürzte die Summe um einen Abschlag unter Berücksichtigung der Fluktuation in der Vergangenheit von 6,79 v.H. und zinste den verbleibenden Betrag im Hinblick auf seine Fälligkeit in 1994 mit einem Zinssatz von 5,5 v.H. ab. - Die Klage war nur teilweise erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) hielt die Rückstellung insoweit für berechtigt, als sie den über den von der Betriebszugehörigkeit unabhängigen Sockelbetrag --bei vollbeschäftigten Mitarbeitern in Höhe von 1 000 DM-- hinausgehenden variablen Teil der Zuwendung betraf. Das FG bestätigte auch den Fluktuationsabschlag und die Abzinsung. Der von der Betriebszugehörigkeit unabhängige Sockelbetrag von 1 000 DM sei noch nicht durch betriebliche Vorgänge in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht, ebenso wenig wie die entsprechenden Beträge für nicht vollbeschäftigte Mitarbeiter, die Auszubildenden, Aushilfskräfte und neu eingestellten Mitarbeiter. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 478 abgedruckt.
Seine Revision stützt das FA auf Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat Anschlussrevision eingelegt, mit der sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben, den Körperschaftsteuerbescheid 1992 zu ändern und die Rückstellung für Jubiläumszuwendungen in Höhe von 298 810 DM anzuerkennen,
hilfsweise, die Revision des FA zurückzuweisen.
II.
Sowohl die Revision als auch die Anschlussrevision sind unbegründet.
Die Klägerin hat ihren Arbeitnehmern aus Anlass ihres 150-jährigen Jubiläums rechtsverbindlich Sonderzuwendungen zugesagt, für die im Streitjahr eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden ist, der Höhe nach allerdings nur für die variablen Zuwendungen nach Maßgabe einer mehr als 5-jährigen Betriebszugehörigkeit der Zuwendungsbegünstigten. Das Urteil der Vorinstanz ist zu bestätigen.
1. Die Bildung einer Rückstellung für die Zuwendungen unterliegt nicht den einschränkenden Voraussetzungen des § 5 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Steuerreformgesetzes 1990 (EStG). Denn diese Einschränkungen erfordern Zuwendungen "anläßlich eines Dienstjubiläums", also eines Jubiläums des jeweiligen Arbeitnehmers durch Erreichen einer bestimmten Beschäftigungszugehörigkeit bei einem und demselben Arbeitgeber. Nicht um ein Dienstjubiläum in diesem Sinne handelt es sich nach dem Regelungswortlaut hingegen bei einem Arbeitgeberjubiläum (Firmen- oder Geschäftsjubiläum), und zwar auch dann nicht, wenn den Arbeitnehmern anlässlich eines derartigen Jubiläums Zuwendungen versprochen werden, die sich ihrer Höhe nach ebenfalls an der Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer ausrichten. Insoweit handelt es sich lediglich um die Bestimmung der Bemessungsgrundlage (ebenso Weber-Grellet in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl., § 5 Rz. 412, 550 Stichwort Jubiläumszuwendungen; Lambrecht in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 5 Rdnrn. E 40, E 80 Stichwort Firmenjubiläum; Plewka/ Schmidt in Lademann, Einkommensteuergesetz, § 5 Rz. 1291; Werner, Steuerberaterkongreß-Report 1989, 307, 326; anderer Ansicht Stuhrmann, Der Betrieb 1988, 1967; Höfer, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, Bd. II: Steuerrecht, 3. Aufl., Rz. 2570).
2. Für die Frage, ob und in welcher Höhe für solche Zuwendungen aus Anlass eines Firmenjubiläums eine Rückstellung gebildet werden kann, bleibt es bei der Anwendung der allgemeinen Grundsätze.
a) Deshalb ist im Streitfall eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden, wenn eine Verbindlichkeit dem Grunde nach besteht oder mit Wahrscheinlichkeit entstehen wird und hinsichtlich der Höhe dieser Verbindlichkeit Ungewissheit besteht (§ 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches; vgl. z.B. Senatsurteile vom 1. August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44; vom 28. Juni 1989 I R 86/85, BFHE 157, 416, BStBl II 1990, 550; Bundesfinanzhof --BFH--, Urteile vom 5. Februar 1987 IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845; vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848; vom 8. Juli 1992 XI R 50/89, BFHE 168, 329, BStBl II 1992, 910, m.w.N.).
Im Streitfall ist eine Verbindlichkeit dem Grunde nach durch die von der Klägerin eingegangene Betriebsvereinbarung begründet worden. In diesem Zusammenhang kann unerörtert bleiben, ob die Arbeitnehmer der Klägerin aus dieser Vereinbarung einen aufschiebend oder auflösend bedingten Anspruch erworben haben oder ob der Anspruch überhaupt erst mit dem Firmenjubiläum entstehen sollte. Denn auch für eine erst in Zukunft entstehende Verbindlichkeit muss eine Rückstellung gebildet werden (BFH-Urteile vom 23. September 1969 I R 22/66, BFHE 97, 164, BStBl II 1970, 104; vom 10. August 1972 VIII R 1/67, BFHE 107, 195, BStBl II 1973, 9).
b) Die Bildung der Rückstellung verlangt darüber hinaus, dass die ungewisse Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in der davor liegenden Zeit wirtschaftlich verursacht worden ist (BFH-Urteile in BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44; in BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848; vom 20. Januar 1983 IV R 168/81, BFHE 137, 489, BStBl II 1983, 375). Bezogen auf ein laufendes Arbeitsverhältnis ist dieses Erfordernis erfüllt, wenn eine künftige Leistung des Arbeitgebers im Hinblick auf eine schon bewirkte Leistung des Arbeitnehmers geschuldet wird. Dies ist vom BFH für rechtsverbindlich zugesagte Zuwendungen aus Anlass eines Arbeitnehmerjubiläums angenommen worden (Urteil in BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845). Der BFH geht davon aus, dass die spätere Auszahlung der Zuwendung eine Gegenleistung des Arbeitgebers für eine bereits in zurückliegenden Jahren erbrachte Leistung des Arbeitnehmers darstellt. Soweit der Arbeitnehmer seine Leistung in der Vergangenheit erbracht habe, bestehe danach auf Seiten des Arbeitgebers ein Erfüllungsrückstand, der die Bildung einer Rückstellung gebiete.
Auch diese Erfordernisse sind erfüllt. Dem FA ist zwar einzuräumen, dass es sich bei einem Firmenjubiläum um ein zukünftiges Ereignis handelt; erst der Eintritt dieses Ereignisses löst die versprochene Zuwendung aus. Hat der Arbeitgeber aber schon Jahre vor dem Firmenjubiläum Leistungen für dieses Ereignis rechtsverbindlich zugesagt und ist die Zusage an die vergangene Dienstzeit und an die Betriebstreue des einzelnen Arbeitnehmers bis zum Eintritt des Jubiläums gebunden, liegen die Dinge jedoch anders. Unter solchen Umständen unterscheidet sich eine derartige Zusage nicht von einer sonstigen dienstzeitabhängigen Jubiläumsverpflichtung. Hier wie dort orientiert sich die Zuwendung an der bisherigen Betriebszugehörigkeit und verknüpft das zukünftige Ereignis --das Jubiläum-- mit den anteilig in der Vergangenheit erbrachten Diensten des einzelnen Arbeitnehmers (ebenso z.B. Heuer in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 5 EStG Anm. 926; Höfer, a.a.O.). Infolgedessen wird ein entsprechender Erfüllungsrückstand aufgebaut, der die Bildung einer Verbindlichkeitsrückstellung rechtfertigt.
So verhält es sich auch im Streitfall. Die von der Klägerin versprochenen Zuwendungen bemessen sich nach einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit des einzelnen Arbeitnehmers und damit --jedenfalls teilweise-- nach in der Vergangenheit liegenden Vorgängen. Dass mit der Zahlung der Zuwendungen zugleich in 1994 --dem Jubiläumsjahr-- anfallende Überstunden im Rahmen der Jubiläumsaktivitäten der Klägerin abgegolten sein sollen, ändert daran nichts. Dieser Umstand kann sich allenfalls auf die Höhe der Rückstellung auswirken; es ist unstreitig, dass die künftigen Pauschalvergütungen im Streitfall nicht in die Rückstellung einbezogen worden sind.
3. Das FG hält allerdings lediglich jenen Teil der Zuwendungen für --anteilig-- rückstellungsfähig, in dem sich die Zuwendungen variabel nach der Betriebszugehörigkeit bemessen. Soweit die Zuwendung in Gestalt eines fixen Sockelbetrages (bei vollbeschäftigten Arbeitnehmern in Höhe von 1 000 DM, bei anderen Arbeitnehmern in entsprechend geringerem Umfang) zugesagt worden ist, sei dieser Betrag nicht in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht; in diesem Umfang seien die Zuwendungen vielmehr unabhängig von den vor dem Bilanzstichtag erbrachten Leistungen aus Anlass des künftigen Jubiläums zu zahlen.
Der Senat pflichtet dem bei. Zwar sollten sich die Zuwendungen ausweislich der getroffenen Betriebsvereinbarung (Nr. 4.1) auch insoweit nach einer Betriebszugehörigkeit (von bis zu 5 Jahren) bemessen. Dies gilt allerdings nur der Bezeichnung nach. Tatsächlich wurde insoweit ein pauschaler Betrag zugesagt, den jeder Arbeitnehmer erhielt, der am 20. Mai 1994 als dem für die Zuwendungsberechtigung maßgeblichen Stichtag zu der Klägerin in einem ungekündigten Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnis stand, auch dann, wenn er erst kurz zuvor in den Betrieb eingetreten war. Die individuelle Betriebszugehörigkeit wirkte sich demgegenüber nur dann aus, wenn ein Arbeitnehmer am 31. Dezember 1993 als dem hierf ür maßgeblichen Stichtag wenigstens 5 Jahre bei der Klägerin beschäftigt gewesen war. Im Hinblick auf die Zuwendungen in Höhe der Sockelbeträge wurden also keine vergangenen Dienste der betreffenden Beschäftigten abgegolten, sondern lediglich deren Betriebszugehörigkeit im Jubiläumszeitpunkt. Folglich konnte hierfür auch kein Erfüllungsrückstand ausgewiesen werden.