· Fachbeitrag · Controlling
Mit Working Capital Management die Liquidität des Unternehmens verbessern
von Prof. Dr. Rudolf Fiedler, Würzburg
| Nach § 18 InsO (Insolvenzordnung) besteht ein Insolvenzantragsgrund, wenn ein Unternehmen voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Unternehmen müssen deswegen ein besonderes Augenmerk auf ihre Liquidität richten. Ein Instrument zur Verbesserung der Liquidität ist beispielsweise das Working Capital Management. |
1. Gründe für ein Working Capital Management
Aber nicht nur § 18 InsO spricht dafür, die Liquidität zu optimieren. Viele weitere Gründe lassen sich hierfür nennen:
- Es muss genügend Kapital verfügbar sein, um den eigenen Umsatz vorfinanzieren zu können. Würde ein Unternehmen seine Kapitalbindungsdauer um 8 % reduzieren, so könnte es mit der freigesetzten Liquidität eine Umsatzsteigerung von 10 % finanzieren (Roland Berger Strategy Consultants und Creditreform (Hrsg.), Cash for Growth 2011. Wachstum finanzieren - Working Capital optimieren, München/Neuss, September 2011, S. 3).
- Banken vergeben heute Kredite zurückhaltender, um die verschärften Eigenkapitalvorschriften zu erfüllen. Zudem steigen für Kredite, mit denen risikobehaftete Investitionen getätigt werden sollen, die Finanzierungskosten.
Die Deutsche Bank fragte Finanzentscheider von 200 mittelständischen Unternehmen nach der Bedeutung des Liquiditätsmanagements (Deutsche Bank (Hrsg.), Liquiditätsmanagement, Frankfurt Juli 2009, S. 2 f.). 93 % der Unternehmen waren überzeugt, dass Liquiditätsmanagement wichtig ist. Trotzdem hat jedes fünfte Unternehmen in Deutschland kein systematisches Liquiditätsmanagement.
2. Working Capital und Working Capital Management
Ein probates Mittel, um die Liquidität zu verbessern, ist die Optimierung des sogenannten Working Capital Managements. Working Capital ist die Differenz zwischen dem Umlaufvermögen und den kurzfristigen Verbindlichkeiten. Unter Working Capital Management versteht man entsprechend das Management des Umlaufvermögens und der kurzfristigen Verbindlichkeiten eines Unternehmens. Die Stellgrößen für das Working Capital Management und ihr Einfluss auf die Kapitalrendite werden in Abb. 1 dargestellt.
Abb. 1 in Anlehnung an: Stellgrößen für das Working Capital Management (Fiedler, R., Gräf, J., Einführung in das Controlling, 3. Aufl. München 2012, S. 306)
Um weiter zu wachsen, benötigt der deutsche Mittelstand Kapital. Eine weiterhin restriktive Kreditvergabe der Finanzinstitute sorgt jedoch für ein beschränktes Liquiditätsangebot. Dabei könnte ein optimiertes Working Capital Management im deutschen Mittelstand ein ungenutztes Liquiditätspotenzial in Höhe von 115 Milliarden EUR freisetzen.
Das ist das Ergebnis der Studie „Cash for Growth“ von Roland Berger Strategy Consultants und Creditreform (a.a.O.). Die Autoren raten, das Working Capital Management gezielt zu optimieren. Das größte Potenzial zur Verbesserung des Working Capitals läge dabei in der Reduzierung der Vorräte, gefolgt von einer Optimierung des Kundenforderungsmanagements.
Die Wichtigkeit des Kundenforderungsmanagements wird durch eine weitere Studie des Beratungsunternehmens PwC untermauert. Man identifizierte eine Verringerung der gesamten Kapitalbindungsdauer bei europäischen Unternehmen von 2010 auf 2011 und führte dies vor allem auf die Reduzierung des Kundenforderungsbestands zurück (PwC (Hrsg.), Working Capital: never been better, What the top performing companies are doing differently. O.O. 2012, S. 11).
3. Prozesse und Kennzahlen des Working Capital Managements
Mit Working Capital Management kann man in Anlehnung an Abb. 1 drei Prozesse optimieren:
3.1 Prozess von der Rechnungsstellung an den Kunden bis zum Zahlungseingang
Als Kennzahl verwendet man die Days Sales Outstanding (DSO):
(Durchschnittliche Forderungen aus Lieferungen und Leistungen x 360) |
|
Nettoerlöse |
Beträgt z.B. die DSO 50, so vergehen 50 Tage von der Auslieferung bis zum Zahlungseingang. Möglichkeiten zur Verbesserung der Kennzahl sind schnelle Lieferung und Fakturierung, kurze Zahlungsziele, ein ausgefeiltes Forderungsmanagement, frühzeitige Mahnungen, der Verkauf von Forderungen oder die Reduzierung der Reklamationen.
3.2 Prozess von der Rohstofflieferung bis zur Auslieferung des Endprodukts
Ziel dieses Prozesses ist es vor allem, die Dauer der Lagerhaltung zu verringern. Als Kennzahl verwendet man die Days Inventory Outstanding (DIO):
Lagerwert x 360 |
|
Nettoerlöse |
Liegt z.B. die DIO bei 40, so befinden sich die Rohstoffe vom Wareneingang bis zur Auslieferung 40 Tage im Lager. Möglichkeiten zur Verbesserung der Kennzahl sind die Reduzierung der Sicherheitsbestände, Just-in-Time-Lieferungen, Verringerung von Ausschuss oder die Optimierung des Materialflusses.
3.3 Prozess von der Rechnungsstellung des Lieferanten bis zum Begleichen der Rechnung
Als Kennzahl verwendet man die Days Payables Outstanding (DPO):
(Durchschnittliche Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen x 360 |
|
Materialeinsatz + Fremdleistungen |
Eine DPO von 60 bedeutet, dass der Zahlungsausgang für eine Verbindlichkeit 60 Tage nach der Rechnungsstellung erfolgt. Die Kennzahl wird durch konsequente Ausnutzung der Zahlungsfristen verbessert. Dabei sind natürlich mögliche Skontoerträge gegenzurechnen.
Die drei Prozesse beeinflussen die Kapitalbindung, also den gesamten Zeitraum zwischen Mitteleinsatz und Mittelrückfluss. Rechnerisch ermittelt man diesen, indem man die durchschnittliche Dauer einer Forderung und die Dauer der Lagerhaltung addiert und vom Ergebnis die durchschnittliche Dauer einer Verbindlichkeit subtrahiert:
DSO + DIO - DPO |
Im Beispiel resultiert eine Kapitalbindungsdauer von 30 Tagen (50 + 40 - 60).
4. Anwendungsbeispiel des Working Capital Managements
Die Flitzer GmbH ist ein mittelständisches Unternehmen, das sich seit 100 Jahren im Fahrradmarkt behauptet. Die Bilanz sowie die Gewinn- und Verlustrechnung für das aktuelle Jahr sehen wie folgt aus:
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Da die Maschinen am Standort Würzburg erneuert werden sollen, geht der Vorstand von einem Rückgang der liquiden Mittel aus. Um die Liquidität zu verbessern, möchte man das Working Capital Management optimieren. Zunächst ermittelt der Controller dafür die aktuellen Kennzahlen des Working Capital Managements auf der Grundlage der aktuellen Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung.
4.1 Days Sales Outstanding (DSO)
Der Zeitraum zwischen der Rechnungsstellung an den Kunden und dem tatsächlichen Zahlungseingang des Rechnungsbetrags beträgt 107 Tage:
Forderungen aus Lieferungen und Leistungen x 360 | 7.019 x 360 | |
| = |
|
Nettoerlöse | 23.547 |
4.2 Days Inventory Outstanding (DIO)
Die Vorräte befinden sich durchschnittlich 61 Tage vom Zeitpunkt des Wareneingangs bis zum endgültigen Verkauf auf Lager:
Lagerwert x 360 | 4.000 x 360 | |
| = |
|
Nettoerlöse | 23.547 |
4.3 Days Payables Outstanding (DPO)
Die Zahlungsmoral des eigenen Unternehmens drückt sich in der Kennzahl DPO aus. Man begleicht Lieferantenrechnungen im Schnitt 35 Tage nach dem Rechnungseingang:
Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistungen x 360 | 1.000 x 360 | |
| = |
|
(Materialeinsatz + Fremdleistungen) | 10.200 |
4.4 Kapitalbindungsdauer
Anhand der vorher ermittelten Kennzahlen kann die Kapitalbindungsdauer bestimmt werden:
DSO + DIO ./. DPO = 107 + 61 ./. 35 = 133 |
Es vergehen 133 Tage bis ein in Ressourcen investierter EUR in Form von Umsatz wieder ins Unternehmen zurückfließt.
Die Auswertung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung eines wichtigen Konkurrenten ergibt folgende Kennzahlenwerte:
DSO = 66 Tage
DIO = 70 Tage
DPO = 40 Tage
Kapitalbindung = 96 Tage
Schaut man sich zudem die durchschnittlichen Daten produzierender Unternehmen in den deutschsprachigen Ländern an, so zeigen sich folgende Ergebnisse: (PwC (Hrsg.), a.a.O., S. 32 ff.)
DSO = 64 Tage
DIO = 61 Tage
DPO = 34 Tage
Kapitalbindung = 91 Tage
Es fällt sofort auf, dass die Zahlungen der Kunden des Konkurrenten bereits 66 Tage nach Rechnungsstellung eingehen. Im Durchschnitt produzierender Unternehmen in den deutschsprachigen Ländern liegt der Wert sogar nur bei 64 Tagen. Es gibt also Handlungsbedarf beim Prozess Order-to-Cash. Der Controller schlägt vor, zuerst die ausstehenden Forderungen zu reduzieren. Damit würde der Finanzierungsbedarf sinken und das Risiko eines Forderungsausfalls abnehmen. Außerdem erschwert der gegenwärtig sehr hohe Forderungsbestand die Überwachung der Zahlungseingänge. Der Controller erarbeitet folgendes Umsetzungskonzept, das von der Geschäftsführung genehmigt wird (Fiedler, R., Gräf, J., Einführung in das Controlling. 3. Aufl. München 2012, S. 307 f.)
4.4.1 Verbesserung des Forderungsmanagements
Als erste Maßnahme zur Verbesserung des Forderungsmanagements werden einheitlich definierte Kreditlimits für alle Kunden eingeführt. Das Kreditlimit soll sich am Umsatz und am Zahlungsverhalten der Kunden orientieren. Weiter wird jeder Kunde einer Risikoklasse zugeordnet (vgl. Abb. 4). So erhält z.B. ein Neukunde generell ein Kreditlimit von 5.000 EUR und wird in die Risikoklasse fünf eingruppiert. Ab einem Auftragswert von 5.000 EUR wird die Bonität geprüft. Der Controller gibt allerdings zu bedenken, dass Bonitäten i.d.R. aufgrund von historischen Daten ermittelt werden. Eine Bonitätsprüfung gilt demnach lediglich als Indikator für Verhaltensweisen der Kunden in der Zukunft. Die Kreditlimits für alle Kunden sollen künftig jährlich der dynamischen Entwicklung der Umsätze angepasst und auch die Risikoklassen sollen regelmäßig verifiziert werden.
Die Einhaltung des vorgegebenen Kreditlimits will man bei der Flitzer GmbH ab sofort konsequent überwachen. Bei einer Überschreitung wird kein weiterer Auftrag akzeptiert. Allerdings kann diese Sperre im Rahmen der Genehmigungsrichtlinie in Ausnahmefällen außer Kraft gesetzt werden.
Die Prozesse im Kreditmanagement werden klar und eindeutig dokumentiert. Die geplante Genehmigungsrichtlinie soll im Rahmen eines technischen Workflows auch im IT-System verankert werden.
Die Flitzer GmbH ordnet der jeweiligen Risikoklasse weitere Parameter zu (vgl. Abb. 4). So werden z.B. die maximal zulässige Mahnstufe sowie der maximal älteste offene Posten in die Betrachtung miteinbezogen. Ein Überschreiten dieser Parameter führt ebenfalls zu einer Sperre des Kunden.
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Risikoklasse | Verwendung für | Überprüfung Kreditlimit | Ältester überfälliger Posten in Tagen | Maximal erlaubte Mahnstufe |
1 | Inland | Ja | 45 | 3 |
2 | Ausland | Ja | 45 | 3 |
3 | Inland Risiko | Ja | 30 | 2 |
4 | Ausland Risiko | Ja | 14 | 1 |
5 | Neukunde | Ja | 14 | 1 |
6 | Dubios | Ja | 5 | 0 |
999 | Konzern | Nein | Nein | Nein |
4.4.2 Weitere Maßnahmen im Forderungsmanagement
Neben dem internen Warnsystem werden weitere Maßnahmen im Forderungsmanagement realisiert:
- Durch Gewährung von Skonti oder Rabatten werden das Zahlungsverhalten und die Geschwindigkeit der Zahlungsflüsse der Kunden gesteuert. Der Skontoabzug durch den Kunden wird strikt überwacht. Ein Skontoabzug bei Begleichung der Rechnung nach Zahlungsziel wird unterbunden.
- Vor allem bei sehr kundenspezifischen Fahrrädern, die bei kurzfristigem Ausfall des Kunden keinen Absatz mehr am Markt finden, verlangt man eine Anzahlung.
- Die Ware wird nur gegen Eigentumsvorbehalt verkauft. Dabei wird die Situation der Flitzer GmbH im Falle einer Insolvenz des Kunden verbessert.
- Die Option Lastschriftverfahren wird in den Fällen, in denen es möglich ist, genutzt.
- Der Vertriebsmitarbeiter fragt persönlich nach (telefonisch oder vor Ort), warum eine Rechnung nicht bezahlt wird. In aller Regel reagiert der Kunde darauf besser als auf eine förmliche Mahnung. Trotzdem werden die Mahnungen rechtzeitig versendet.
- Der Bankweg nimmt vor allem bei Auslandsgeschäften sehr viel Zeit in Anspruch. Daher eröffnet die Flitzer GmbH bei größeren Geschäften im Ausland ein Konto im jeweiligen Land bei einer renommierten Bank. Besonders vorteilhaft ist dies, wenn Auszahlungen und Einzahlungen in US-Dollar getätigt werden. Es werden Überweisungszeit, -spesen und Wechselkursrisiken reduziert.
- Forderungen an zahlungsunwillige Kunden werden einem Factoringunternehmen verkauft.
- Die Lieferqualität wird verbessert, damit die Zahl der Rechnungsreklamationen abnimmt. Außerdem werden alle Reklamationen umgehend bearbeitet.
- Die Schnittstelle zwischen Vertrieb und Debitorenmanagement wird optimiert.
- Für die Minimierung von Zahlungsverzug und Ausfallrisiko wird ein systematisches Vorgehen bei der Bearbeitung von Reklamationen eingeführt.
Die Flitzer GmbH möchte das Forderungsmanagement kontinuierlich weiterentwickeln. Deshalb wird künftig ein regelmäßiges Benchmarking angestrebt. Der Vergleich soll auf Basis von Kennzahlen durchgeführt werden, die man im Rahmen des bereits etablierten Berichtswesens ermittelt. Neben internen Gesellschaften im In- und Ausland wird auch ein Branchenwert in die Vergleiche einbezogen. Folgende Kennzahlen werden für die Analyse des Forderungsmanagements ausgewählt:
- Debitorenlaufzeit in Tagen
- Debitorenumschlag
- Rate überfälliger Forderungen
- Quote Forderungsausfall in Prozent
Man kümmert sich künftig bei der Flitzer GmbH nicht nur um die reine Eintreibung von Forderungen. Prozesse werden analysiert und aufeinander abgestimmt. Alle Abläufe sollen mit Disziplin eingehalten werden. Das Forderungsmanagement soll zudem von möglichst vielen Mitarbeitern aktiv betrieben werden. Deswegen will die Geschäftsführung die Mitarbeiter ausführlich informieren und sensibilisieren.
5. Fazit
Liquidität ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen. Bevor man externe Finanzierungsquellen in Anspruch nimmt, sollte das Working Capital Management optimiert werden. Unter Working Capital Management versteht man das Management des Umlaufvermögens und der kurzfristigen Verbindlichkeiten eines Unternehmens. Es beinhaltet den Prozess von der Rechnungsstellung an den Kunden bis zum Zahlungseingang, den Prozess von der Rohstofflieferung des Lieferanten bis zur Auslieferung des Endprodukts an den Kunden und den Prozess von der Rechnungsstellung des Lieferanten bis zum Begleichen der Rechnung. Die Kennzahlen DSO, DIO und DPO messen im Vergleich zu Werten des Wettbewerbers oder der Branche die Güte dieser Prozesse. Sie erlauben auch die Ermittlung der gesamten Kapitalbindungsdauer (DSO + DIO ./. DPO).
Besonders bedeutsam für die Stärkung der Liquidität ist neben der Reduzierung der Bestände eine Verbesserung des Prozesses von der Rechnungsstellung an den Kunden bis zum Zahlungseingang, insbesondere die Verbesserung des Forderungsmanagements. Maßnahmen einer Optimierung des Forderungsmanagements sind einheitlich definierte Kreditlimits für alle Kunden, eindeutige Dokumentation der Prozesse im Kreditmanagement, Steuerung des Zahlungsverhaltens durch Skonti oder Rabatte, Anzahlungen für sehr kundenspezifische Aufträge, Verkauf der Waren nur gegen Eigentumsvorbehalt, intensive Nutzung von Lastschriftverfahren, persönliche Nachfragen der Vertriebsmitarbeiter bei fehlendem Zahlungseingang, Eröffnung ausländischer Geschäftskonten, Forderungsverkauf an Factoringunternehmen, Verringerung von Rechnungsreklamationen, Verbesserung der Kommunikation zwischen Vertrieb und Debitorenmanagement und ein systematisches Vorgehen bei der Bearbeitung von Reklamationen. Nicht zuletzt hängt der Erfolg von der ausführlichen Information und Sensibilisierung der Mitarbeiter ab.