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  • · Fachbeitrag · Das Digital Transformation Model

    Digitale Transformation in der Steuerberatung ist mehr als nur Digitalisierung

    von Christian Wenzel-Hofmann, B.A., Fürth

    | Die Digitalisierung durchzieht alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft. Massiv betroffen ist auch der steuerberatende Berufsstand. Ob jüngst der Umsatzsteuerservice von Amazon oder die Steuererklärungsplattform Wundertax ‒ es gibt nahezu monatlich neue Beispiele. Unumgänglich ist es also, das eigene Geschäft auf den Prüfstand zu stellen, um dem Wandel gewappnet zu sein. Doch dabei ist zu beachten, dass Digitalisierung nicht gleich Digitale Transformation ist. Der Unterschied wird im Folgenden am Beispiel einer Kerndienstleistung der Kanzlei ‒ der Buchhaltung ‒ erläutert. |

    1. Digitalisierung

    Im engeren und ursprünglichen Sinne bezeichnet der Begriff Digitalisierung ledig die Überführung von analogen Signalen in digitale Daten. Das Ursprungsformat, wie etwa ein Papierbeleg mit Zahlen und Texten, wird zum Beispiel mittels eines Scanners abgetastet und über einen binären Code in ein digitales Format (bspw. PDF, TIFF) übertragen. Der digitalisierte Beleg kann so zwischen Steuerberater und Mandant effizienter übermittelt und ausgetauscht werden.

     

    Im weiteren Sinne beschreibt Digitalisierung ‒ und das nähert sich der Transformation an ‒ die Implementierung von digitalen Technologien in das gegenwärtige Geschäftsmodell. Tauschen Steuerkanzleien mit ihren Mandanten im Rahmen der Finanzbuchhaltung digitale Belege über eine gemeinsame Cloud-Plattform aus (= digitale Buchführung), so adaptieren die Kanzleien mit digitalen Werkzeugen ihr heutiges Geschäftsmodell.

     

    PRAXISTIPP | Laut der empirischen Studie „Digitalisierung in steuerberatenden Kanzleien“ (www.digitalekanzlei.com) haben zwar 64,6 % der befragten Steuer-kanzleien bereits eine Cloud-Plattform zum digitalen Belegtransfer mit ihren Mandanten im Einsatz. Allerdings liegt die Quote der Mandanten, mit denen diese bereits genutzt wird, im Schnitt bei ledig 10 %.

     

    2. Digitale Transformation

    Der Begriff Digitale Transformation geht über den Begriff der Digitalisierung hinaus. Digitale Transformation bezeichnet die erheblichen Veränderungsprozesse des Alltagslebens, der Wirtschaft und der Gesellschaft durch die Verwendung digitaler Technologien und Techniken. Das beinhaltet erhebliche Veränderungsprozesse. Ferner ist Digitalisierung ein „Schlagwort für die Transformation von Leistungen, die in der realen Welt erbracht werden, hin zu computer- und internet-basierten Diensten“ (Werth, Dirk; Greff, Tobias; Scheer, August-Wilhelm: Consulting 4.0 ‒ Die Digitalisierung der Unternehmensberatung, in: HMD. 53, Heft 1 [2016], 55‒ 70).

     

    Darüber hinaus geht es bei der Transformation um die Eruierung neuer Services und Geschäftsmodelle. Kurz: Die Adaption digitaler Technologien ermöglicht es, neue und innovative Geschäftsideen umzusetzen.

    3. Digitale Transformation in der Steuerberatung

    Die Bedeutung der Digitalen Transformation für das Unternehmen Steuerkanzlei lässt sich in Anlehnung an das „Digital Transformation Model“ (vgl. https://www.alainveuve.ch/digital-transformation-model) von Alain Veuve anhand von 2 Dimensionen leicht veranschaulichen (s. Abb. 1). Dabei bildet die vertikale Achse den Grad der Adaption und die horizontale Achse den zeitlichen Verlauf ab. Die wesentliche Frage des Modells ist, wann eine Technologie in der Breite durch die Kunden genutzt wird und wie die Unternehmen darauf reagieren.

     

    Seine Kernthese: „Ist eine Technologie vorhanden, wird sie früher oder später genutzt“. Innerhalb dieses Schaubilds erklärt sich die Digitale Transformation nach Veuve wie folgt:

     

     

    • 1. Technologische Entwicklung
    • Diese Kurve bildet den Verlauf des technologischen Fortschritts ab. Sie ist der Adaption durch Mandanten und Kanzleien immer vorneweg. Die Entwicklung ist dabei exponentiell. Sie wird aber durch die menschliche Wahrnehmung als linear empfunden. Dies führt dazu, dass die Möglichkeiten, die sich in den kommenden Jahren ergeben, völlig unterschätzt werden.
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    • 2. Adaption der Technologie durch die Mandanten (Gesellschaft)
    • Diese Kurve visualisiert die Adaption der Technologie durch die Mandanten. Veuve besagt, dass die neue Technologie erst ab dem Erreichen einer kritischen Masse adaptiert wird und es bis dahin typisch sei, dass sie eher zögerlich angewandt wird.

     

    • 3. Adaptionskurve der durchschnittlichen Kanzleien
    • Diese Adaptionskurve bildet abstrahiert den Grad der Adaption der durchschnittlichen Kanzleien ab. Üblicherweise folgt sie der gesellschaftlichen Adaption, also der der Mandanten, nach. Fluktuiert das Adaptionsverhalten der Mandanten, wie im gegenwärtigen digitalen Zeitalter, dann werden die Kanzleien schnell aus dem Konzept gebracht und fallen in eine Art Schockstarre und haben Aufholbedarf. Dies lässt sich aktuell beim Großteil der Steuerkanzleien feststellen.

     

    • 4. Adaptionskurve der todgeweihten Kanzleien
    • Freilich wird es immer Kanzleien geben, welche es aufgrund unterschiedlicher Ursachen nicht schaffen, sich den neuen Gegebenheiten am Markt (Adaption der Mandanten) anzupassen. Gründe hierfür können der fehlende Wille zur Veränderung, ein gescheitertes oder gar fehlendes Change-Management bis hin zum absoluten Widerstand der Kanzleimitarbeiter (das haben wir schon immer so gemacht) sein. Die Digitale Transformation wird die Branche und den Markt der Steuerberatung zwangsläufig verändern. Diese Kanzleien werden über kurz oder lang aus dem Markt ausscheiden, da die Innovationslücke unüberwindbar wird und sie die Adaption nicht schaffen.

     

    Das aufgezeigte Modell kann auf jede längst konventionelle Technologie übertragen werden. Dabei lässt sich feststellen, dass Unternehmen dabei nicht nur ins Wanken gekommen sind, sondern durch disruptive Technologien auch Schiffbruch erlitten haben.

     

    PRAXISTIPP | Disruption am Beispiel der Fotografie: Im Jahr 2012 musste der Weltkonzern Kodak Insolvenz anmelden, obwohl er über Patente der digitalen Fotografie verfügte. Ein Grund dafür war, dass Kodak zu lange an seinem alten Geschäftsmodell festgehalten hat. Zur gleichen Zeit wurde das Internetunternehmen Instagram, das eine Software (App) zum Nachbearbeiten und Publizieren digitaler Fotos anbietet, mit weniger als 20 Mitarbeitern für etwa 1 Mrd. Dollar an Facebook verkauft.

     

    4. Bedeutung am Beispiel der Buchhaltung

     

    Die technologisch bedingten Veränderungen im Kontext der Buchhaltung waren in den vergangenen Jahrzehnten eher evolutionärer statt revolutionär oder gar disruptiv. Die Entwicklung von der Lochkarte hin zu Cloud-Anwendungen erfolgte so, dass sie für jeden noch nachzuvollziehen war.

     

    Doch wie oben beschrieben, sind die Veränderungen in einer digitalen Welt unvorhersehbar, denn neue Technologien entwickeln sich immer rasanter. So ist eine automatisierte Buchführung auf Basis von künstlicher Intelligenz (KI) längst keine Science-Fiction mehr. Dazu führte die DATEV eG eine Machbarkeitsstudie durch und erlangte mit ihrem selbstlernenden Buchhaltungs-Automaten eine Trefferquote von rund 90 % hinsichtlich der korrekten Sachkontenzuordnung. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen digitalisierter Belege.

     

    Anhand dieses technologischen Fortschritts wird deutlich, dass die Frage, ob die Digitalisierung potenziell disruptiven Einfluss auf den steuerberatenden Berufsstand hat, längst beantwortet ist. Interessant ist vielmehr die Frage, welchen Steuerberatern es gelingen wird, rechtzeitig die Voraussetzungen zu schaffen, um die Rolle eines aktiven Gestalters in einer zunehmend digitalen Welt einzunehmen.

     

    Es ist lediglich eine Frage der Zeit, ehe die Mandanten (Gesellschaft) den technologischen Fortschritt der Buchhaltung adaptieren wollen, und nach entsprechenden Services Ausschau halten.

     

    Um in Zukunft die automatisierte Buchführung als Kanzlei nutzen zu können, müssen schon heute die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Nur wenn Belege digital vorliegen und die Qualität der manuellen Buchungen hoch ist, kann die Buchhaltung durch KI effektiv und effizient erledigt werden. Kanzleien sollten also heute unbedingt den Belegaustausch mit dem Mandanten digitalisieren sowie die Qualität der Buchungen auf den Prüfstand stellen, um einer drohenden Innovationslücke zu entgehen.

     

    • In drei Schritten zur erfolgreichen digitalen Buchführung

    Um die Einführung einer digitalen Buchführung erfolgreich zu gestalten, empfiehlt es sich, im ersten Schritt die eigene Kanzleibuchhaltung mittels der Online-Plattform digital abzubilden. Dies impliziert, dass alle Belege möglichst tagesaktuell digitalisiert und anschließend verbucht werden.

     

    Für diesen ersten Schritt sollten, je nach Kanzleigröße, ein bis zwei Mitarbeiter eingesetzt werden, die später als Multiplikatoren dienen. Gewinnt die Kanzlei nach einiger Zeit an Routine und ist mit der Software der Online-Plattform vertraut, wird es sich leichter feststellen lassen, welche Mandanten für eine Umstellung zuerst infrage kommen.

     

    Vor der aktiven Ansprache der geeigneten Mandanten kann die digitale Buchführung in einem zweiten Schritt zusätzlich erprobt und verankert werden, wenn für diese Mandanten im ersten Schritt die Kanzlei selbst den gesamten digitalen Buchhaltungsprozess testweise durchführt: Nach Belegübergabe des Mandanten im Pendelordner scannt die Kanzlei die Belege und übermittelt sie über die verwendete Online-Plattform an die Buchhaltungssoftware in der Kanzlei. So lässt sich zum einen weitere Routine gewinnen, und zum anderen können Besonderheiten des Mandanten im Vorfeld erkannt und im Prozess entsprechend abgebildet werden.

     

    Darüber hinaus ist es hilfreich, in der Kanzlei einen Musterarbeitsplatz bzw. eine Musterfirma für die Mandanten einzurichten. So ist es möglich, dem Mandanten vor Ort einen Praxiseinblick in die Arbeitsabläufe, beginnend beim Scannen der Belege, zu geben.

     

    Überdies können dem Mandanten aus dieser Perspektive die weiteren Programmumfänge der Online-Plattform vorgeführt werden, wie etwa das Abrufen von aktuellen Auswertungen oder die zentrale Abwicklung des Zahlungsverkehrs.

     
    Quelle: Ausgabe 10 / 2018 | Seite 273 | ID 45431699