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  • · Fachbeitrag · Neuer Fokus der Betriebsprüfung

    Zunehmende Anzahl von Betriebsprüfungen im Online-Handel und deren Schwerpunkte

    von Dr. Roger Gothmann

    | Die zunehmende ökonomische Bedeutung des Online-Handels spiegelt sich in der steigenden Anzahl von Betriebsprüfungen wider. Darüber hinaus werden aufgrund grenzüberschreitender Transaktionen häufig und/oder eines häufig starken Wachstums Risikosignale in den Veranlagungsbereichen der Finanzbehörden ausgelöst, die regelmäßig zu Umsatzsteuer-Sonderprüfungen oder -Nachschauen führen können. |

    1. Brennpunkte der aktuellen und künftigen Prüfungen

    Entsprechend der ökonomischen Bedeutung des Online-Handels rückt dieses Segment vermehrt in den Fokus von Betriebs- bzw. Umsatzsteuer-Sonderprüfungen. Dabei stellen zwei Aspekte die aktuellen und sehr wahrscheinlich auch zukünftigen Brennpunkte dar.

     

    Da der Online-Handel dank moderner Logistikstrukturen mittlerweile überwiegend auch grenzüberschreitend stattfindet, müssen sich Händler bzw. deren Steuerberater zunehmend mit umsatzsteuerlichen Themen auseinandersetzen, wie sie vor einigen Jahren überwiegend nur in den Steuerabteilungen großer Handelskonzerne auftraten.

     

    Darüber hinaus erfolgt ein Großteil der Wertschöpfung im Online-Handel über hochautomatisierte Prozesse. Das betrifft insbesondere auch jene Prozesse, die für die Steuerfindung relevant sind.

     

    Die Zeiten, in denen ein Betriebsprüfer zu Beginn seiner Prüfung den Betrieb in Augenschein nahm sowie eine Vielzahl an physischen Ordnern mit Eingangs- und Ausgangsbelegen vorfand, sind im Online-Handel überwiegend vorbei: Logistikstrukturen werden oftmals ausgelagert und Transaktionen über eine Vielzahl von Vorsystemen abgebildet und dokumentiert.

     

    Den GoBD und der darin definierten nahtlosen Dokumentation aller für die Steuerfindung relevanten Prozesse im Unternehmen (Verfahrensdokumentation) kommen somit eine erhöhte Bedeutung zu.

    2. Moderner Online-Handel und Umsatzsteuer

    Der Online-Handel findet mittlerweile überwiegend auf elektronischen Marktplätzen, wie z. B. Amazon, eBay oder Zalando statt. Die Plattformen treten dabei häufig nur noch als Vermittler auf und stellen den Händlern ihre große Reichweite zur Verfügung.

     

    Seit einigen Jahren kommt auch zunehmend das sogenannte Marktplatz-Fulfillment hinzu.

     

    Insbesondere Amazon ‒ aber auch andere Plattformen ‒ bieten neben der reinen Vermittlungsleistung auch Leistungen im Bereich der Logistik an: von der Lagerhaltung, über die Versendung an den Abnehmer, bis hin zum Retouren-Management. Dieses sogenannte Marktplatz-Fulfillment führt dazu, dass der Unternehmer nicht mehr die vollständige Hoheit über seine Transaktionen hat und erst nachgelagert wichtige Prozesse im Rahmen der Steuer-Compliance anstoßen kann.

     

    2.1 Bestimmungslandprinzip und § 14c Abs. 1 UStG

    Grenzüberschreitende Lieferungen in der EU unterliegen dem Prinzip der Besteuerung im Bestimmungsland ‒ B2C und B2B.

     

    Der Online-Handel ist noch stark von Lieferungen an Endverbraucher geprägt. Grenzüberschreitende Lieferungen innerhalb der EU sind in diesen Fällen spätestens dann im Bestimmungsland steuerbar, wenn die Lieferschwelle des Bestimmungslandes überschritten ist. Lediglich drei Mitgliedstaaten sowie Großbritannien haben noch nicht vom Wahlrecht in der MwStSystRL Gebrauch gemacht, den Wert der Lieferschwelle von standardmäßig 100.000 EUR auf 35.000 EUR (bzw. dem Äquivalent in nationaler Währung) abzusenken.

     

     

    Da ERP-Systeme und Rechnungstools oftmals über keine hinreichenden Funktionen verfügen, um Lieferschwellen möglichst tagesaktuell zu überwachen, wird dieses Risiko zunehmend auch im Rahmen von Betriebs- und Umsatzsteuer-Sonderprüfungen aufgegriffen, wie der folgende Ausschnitt aus einem Bericht zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung verdeutlicht.

     

    • Auszug aus dem Bericht zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung eines Online-Händlers

    Für 2014 wurden die Lieferschwellen für Frankreich und Italien überschritten. Die Lieferschwelle für Großbritannien wurde in 2013 und 2014 überschritten.

     

    Ich beabsichtige für die Beträge, um die die Lieferschwellen überschritten wurden, die Umsatzsteuer nach § 14c UStG geändert festzusetzen und den jeweiligen Staaten im Gemeinschaftsgebiet eine entsprechende Mitteilung über die dort zu besteuernden Beträge zu machen.

     

    Ein Minderergebnis muss die Prüferin in diesem Fall nicht fürchten, da regelmäßig automatisiert Rechnungen mit deutscher Umsatzsteuer ausgestellt worden sind, sodass eine Festsetzung der Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 1 UStG erfolgt.

     

    Die Argumentation, welche z. B. im Rahmen der Schlussbesprechung bislang in vielen Fällen Erfolg hatte, dass der § 14c Abs. 1 UStG zur Vermeidung der Gefährdung des Steueraufkommens dient und in den genannten Fällen die Abnehmer (Endverbraucher) keine Möglichkeit haben, Vorsteuern geltend zu machen, dürfte zunehmend ins Leere laufen. Der BFH hat mit Urteil vom 13.12.18 (V R 4/18) entschieden, dass eine Gefährdung des Steueraufkommens auch bei der Rechnungserteilung an Nichtunternehmer besteht.

     

    Das Landesamt für Steuern in Bayern hat dieses Urteil bzw. § 14c Abs. 1 UStG in einem internen Erlass vom 7.6.19 in den Kontext übersehener Lieferschwellenüberschreitungen gerückt, sodass zumindest Betriebs- und Umsatzsteuer-Sonderprüfer in Bayern diese Fälle vermehrt aufgreifen sollten.

     

    2.2 Grenzüberschreitende Logistikstrukturen und Verbringenstatbestände

    Insbesondere die großen Marktplätze, die mittlerweile bis zu 70 % aller Transaktionen im Online-Handel abdecken, inzentivieren Händler dazu, die marktplatzeigenen Fulfillmentstrukturen zu nutzen ‒ allen voran Amazon.

     

     

    Das führt regelmäßig zu steuerbaren Transaktionen, sogenannten innergemeinschaftlichen Verbringungen i. S. d. § 3 Abs. 1a UStG i. V. m. § 6a Abs. 2 UStG, welche im Ursprungsland grds. steuerfrei sind gem. § 4 Abs. 1 b) UStG.

     

    Regelmäßig sind diese und ähnliche Sachverhalte im Rahmen von Betriebs- und Umsatzsteuer-Sonderprüfungen strittig, da die Finanzverwaltung im Rahmen der Steuerfreiheit auch immer auf die Vollständigkeit der Buch- und Belegnachweise (§§ 17a ff. UStDV) abstellt.

     

    In der laufenden Rechtsprechung und zuletzt mit Urteil vom 20.10.16 hatte der EuGH (C-24/15) entschieden, dass Buch- und Belegnachweise (z. B. gültige UStID im Bestimmungsland) lediglich formale Kriterien und keine materiell-rechtlichen Tatbestandsmerkmale waren. Diese Argumentation sollte demnach auch weiterhin für alle Prüfungszeiträume bis 12/2019 gelten. Für Zeiträume danach steigt das Risiko erheblich.

     

    2.3 Auswirkungen der Quick Fixes auf den B2C- und B2B-Online-Handel

    Seit dem 1.1.20 wurden in den meisten Mitgliedstaaten die sogenannten Quick Fixes in nationales Umsatzsteuerrecht umgesetzt ‒ so auch in Deutschland.

     

    Im Online-Handel beinhaltet nach den Erfahrungen der Praxis die neue materiell-rechtliche Bedeutung der UStID-Nr. ‒ siehe § 6a Abs. 1 Nr. 4 UStG ‒ das mit Abstand größte Risiko und dürfte mit Sicherheit einen Schwerpunkt für Prüfungszeiträume ab 1/2020 im Online-Handel bilden.

     

    2.4 Steuerpflichtige Verbringungen im Rahmen der Amazon-Programme

    Online-Händler, welche innergemeinschaftliche Verbringungen (§ 6a Abs. 2 UStG i. V. m. § 3 Abs. 1a UStG) seit dem 1.1.20 tätigen und zum Zeitpunkt der Transaktion über keine gültige UStID-Nr. im EU-Ausland verfügen, müssen diese Transaktionen im Ursprungsland als steuerpflichtige Lieferungen versteuern ‒ unabhängig davon, dass im Bestimmungsland weiterhin ein steuer-barer und regelmäßig steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb vorliegt.

     

    Führt man sich nochmals vor Augen, dass es sich bei innergemeinschaftlichen Verbringungen um lediglich für umsatzsteuerliche Zwecke fingierte Transaktionen handelt, erkennt man das erhebliche Risikopotenzial. Im schlimmsten Fall muss Umsatzsteuer für Lieferungen abgeführt werden, für die niemals ein Entgelt vereinnahmt wurde.

     

     

    2.5 Zahlreiche ungültige UStID-Nummern im B2B-Online-Handel

    Auch innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 6a Abs. 1 UStG) gewinnen im Online-Handel zunehmend an Bedeutung. Der B2B-Marktplatz von Amazon ‒ Amazon Business ‒ wurde Ende 2017 eröffnet und verzeichnet hohe Wachstumsraten.

     

    Um die Akzeptanz für diesen jungen Marktplatz zu steigern, müssen Händler die umsatzsteuerliche Bewertung ihrer Transaktionen faktisch Amazon überlassen. Dieser sogenannte Umsatzsteuer-Berechnungsservice hat spätestens seit dem 1.1.20 jedoch eine entscheidende Schwäche: Die Gültigkeit der UStID-Nr. wird im Rahmen von innergemeinschaftlichen Lieferungen nicht geprüft.

     

    Nach unseren Auswertungen waren im April 2020 von ca. 300.000 auf Amazon Business hinterlegten UStID-Nummern ca. 8 % ungültig, sodass auch diese Transaktionen zwingend der Umsatzsteuer unterliegen und m. E. wie Lieferungen an Endverbraucher i. S. d. § 3c UStG behandelt werden müssten.

     

    Bislang wurde verdeutlicht, wie das Bestimmungslandprinzip sowie die Quick Fixes ein erhebliches Risikopotenzial im Rahmen von Betriebsprüfungen entfalten können. Im Folgenden soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass zahlreiche zum Einsatz kommende Vorsysteme im Online-Handel die gesamte Bandbreite des relevanten Umsatzsteuerrechts noch nicht automatisiert abbilden können.

     

    2.6 Massenverfahren und automatisierte Umsatzsteuer-Logik

    In der Praxis zeigt sich, dass viele Vorsysteme, über welche die Faktura stattfindet ‒ ERP-Systeme und Rechnungstools ‒ noch immer über keine hinreichende Umsatzsteuer-Logik verfügen. Der Nutzer muss bei fast allen Systemen eine komplexe Wenn-dann-Matrix selbst hinterlegen, welche somit fehleranfällig ist und spätestens bei nationalen Wahlrechten bei der Auslegung der MwStSystRL schnell an ihre Grenzen stößt.

     

     

    Nach unseren Auswertungen, die auf einer zweistelligen Milliardenanzahl von Transaktionen im Online-Handel basiert, dürften ca. 20 % aller Rechnungen im grenzüberschreitenden Online-Handel nicht rechtskonform sein.

     

    Es dürfte noch immer eine Vielzahl an Unternehmen geben, die trotz überschrittener Lieferschwellen und/oder der Verwendung grenzüberschreitender Logistikstrukturen sämtliche Transaktionen der deutschen Umsatzsteuer unterwerfen.

     

    Betriebs- und Umsatzsteuer-Sonderprüfungen, die mittels der Prüfsoftware IDEA unmittelbar auf den Rohdaten der Marktplätze aufsetzen, können derartige strukturelle Mängel schnell aufdecken.

     

    Ein Minderergebnis muss der Prüfer hierbei nicht fürchten, da in diesen Fällen häufig eine Festsetzung der Umsatzsteuer gem. § 14c Abs. 1 UStG möglich sein dürfte.

    3. (Weitere) Auswirkungen von Steuerpflichten im EU-Ausland

    In diesem Abschnitt sollen zwei Aspekte erläutert werden, mit denen viele Berater und/oder Unternehmen bislang vermutlich kaum in Berührung gekommen sind, die aber zunehmend an Bedeutung gewinnen dürften.

     

    3.1 Betriebsprüfungen im EU-Ausland

    Wie in Deutschland steht den Finanzbehörden im EU-Ausland ebenfalls das Konstrukt der Außenprüfung zur Verfügung, um sicherzustellen, dass Steuern gesetzmäßig und einheitlich festgesetzt werden ‒ auch bei nicht ansässigen Unternehmen.

     

    Aktuell sehen wir in Großbritannien und zunehmend auch in Frankreich, Polen, Spanien und Österreich sogenannte Compliance-Checks in Deutschland ansässiger Online-Händler, in deren Rahmen die lokalen Finanzbehörden die gemeldeten, im jeweiligen Inland steuerbaren und nicht steuerbaren Transaktionen prüfen.

     

    Herausfordernd sind hier oftmals die Fristen. In Großbritannien müssen bspw. im Rahmen eines sogenannten Compliance-Checks innerhalb von sieben Werktagen relevante Dokumente ‒ z. B. Transaktionsdaten, Abrechnungen der Zahlungsanbieter ‒ über einen temporär freigeschalteten Cloudzugang der britischen Finanzverwaltung (HMRC) zur Verfügung gestellt werden.

     

    Reagiert der Unternehmer in diesen Fällen nicht und lässt die Frist verstreichen, erfolgt eine Meldung der HMRC an die Marktplätze wie z. B. Amazon oder eBay. Das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass das Unternehmen durch die Marktplätze in der gesamten EU gesperrt wird und seine Existenzgrundlage verliert.

     

    Dieser Mechanismus ist der Haftung elektronischer Marktplätze für nicht abgeführte Umsatzsteuern geschuldet. Entsprechende Regelungen greifen bspw. in Großbritannien seit 2016, in Deutschland seit 2019 (§ 25e UStG) und in Frankreich seit 2020.

     

    Für viele Händler stellen Marktplätze, wie z. B. Amazon und eBay, die wichtigsten Vertriebskanäle dar, sodass selbst eine temporäre Sperrung zu einem existenziellen Risiko werden kann.

     

    3.2 Tatbestand der Steuerhinterziehung im Inland bei Verkürzung im EU-Ausland ‒ § 370 Abs. 6 AO

    Eine Norm, die nach unseren Erfahrungen bislang noch nicht sehr häufig Anwendung in den Finanzämtern gefunden hat, ist § 370 Abs. 6 S. 2 AO.

     

    Demnach kann auch dann im Inland eine Steuerverkürzung vorliegen, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat verwaltet werden. Diese Norm ist Ausfluss des konstant hohen Umsatzsteuer-betrugs mithilfe grenzüberschreitender Transaktionen ‒ sogenannter Karussellgeschäfte.

     

    In letzter Konsequenz würde das bedeuten, dass ein deutscher Betriebsprüfer, der z. B. vom Unternehmen unerkannt überschrittene Lieferschwellen aufdeckt, im schlimmsten Fall ein Strafverfahren einleiten könnte bzw. im Zweifel sogar müsste, um nicht in ein Verwertungsverbot für diese Informationen zu geraten.

    4. GoBD ‒ strukturelle Betriebsprüfungen und die Herausforderungen einer heterogenen Vorsystem-Landschaft

    Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit den verfahrensrechtlichen Risiken bei Betriebsprüfungen im Online-Handel.

     

    Immer häufiger beginnen Betriebs- und Umsatzsteuer-Sonderprüfungen mit der Aufforderung, eine sogenannte Verfahrensdokumentation i. S. d. GoBD (BMF v. 28.11.19, IV A 4 ‒ S 0316/19/10003 :001) vorzulegen.

     

    Die Verfahrensdokumentation ist aus Sicht eines Prüfers im Online-Handel deswegen so grundlegend, weil in diesem Segment häufig fast alle Prozesse mit Auswirkung auf die Steuerfindung automatisiert sind und der Prüfer sich anderweitig nur schwer einen umfassenden Einblick in angemessener Zeit, wie es die GoBD vorschreiben, verschaffen kann.

     

    Einem Prüfer wäre es aufgrund einer fehlenden Verfahrensdokumentation zwar nicht unmittelbar möglich, die Nachvollziehbarkeit, Revisionssicherheit und damit die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung anzuzweifeln und die bisherige Bemessungsgrundlage durch eine Hinzuschätzung zu erweitern. Dazu stellen die GoBD selbst kein unmittelbar geltendes Recht dar und häufig enden Prüfungen auch (nur) mit der Auflage im Prüfungsbericht, zukünftig eine Verfahrensdokumentation vorzuhalten. Allerdings sollte man sich vor Augen führen, dass ein Großteil der Vorsysteme (ERP-Systeme, Rechnungstools, …) im Online-Handel eben nicht SAP heißt. Diese Systeme lassen es häufig zu, dass Transaktionsdaten im Nachgang verändert bzw. sogar überschrieben werden können.

     

    Das kann dazu führen, die fehlende Dokumentation zum Anlass zu nehmen, die Ordnungsmäßigkeit der internen Prozesse und damit der Buchführung zu hinterfragen.

     

    Eine zusätzliche Herausforderung ist, dass die genannten Systeme ihren Nutzern häufig keine Anwendungsdokumentationen zur Verfügung stellen. Im Rahmen dieser Dokumentation ist für einen fachkundigen Dritten ‒ z. B. einem Prüfer ‒ dazulegen, wie der Datenfluss durch das jeweilige System erfolgt und wie die Daten an welchen Stellen innerhalb dieser Systeme modifiziert werden.

     

    Diese Anwendungsdokumentation ‒ für jedes im Einsatz befindliche System ‒ ist durch das Unternehmen nahtlos in die Verfahrensdokumentation einzubinden, welche letztendlich den Rahmen bildet.

     

    Es bleibt abschließend festzuhalten, dass Betriebs- und Umsatzsteuer-Sonderprüfungen schon länger keine reinen Belegprüfungen mehr sind.

     

    Es stehen zunehmend strukturelle Fragen im Raum. Der Unternehmer- bzw. sein Berater muss in der Lage sein, das sogenannte innerbetriebliche Kontrollsystem für Steuern ‒ die Einheit aller Prozesse zur Steuerfindung und deren Überwachung ‒ zu verteidigen.

     

    Das gelingt nur mit einer konsequenten Dokumentation dieser Prozesse, welche dann aber auch wie schriftlich fixiert gelebt werden muss. Das ist ‒ und hier zum Abschluss die gute Nachricht ‒ aufgrund des hohen Automatisierungsgrades im Online-Handel vergleichsweise einfach.

     

    FAZIT | Betriebs- und Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei Unternehmen im Online-Handel treffen viele Unternehmen derzeit in einer sehr verwundbaren Lage. Die korrekte umsatzsteuerliche Bewertung von vielen tausend oder gar hunderttausend Transaktionen pro Monat im Rahmen eines grenzüberschreitenden Fulfillments bringt viele Vorsysteme an ihre Grenzen.

     

    Darüber hinaus ist eine vollumfängliche Verfahrensdokumentation i. S. der GoBD, welche alle relevanten Prozesse zu Steuerfindung in einem hochautomatisierten Umfeld wie den Online-Handel lückenlos beschreiben sollte, derzeit in den wenigsten Unternehmen zu finden.

     

    Das alleine dürfte im Rahmen einer Betriebs- bzw. Umsatzsteuer-Sonderprüfung zwar noch nicht zu Hinzuschätzungen führen. Für viele versierte Prüfer dürfte es in diesen Fällen allerdings keine große Herausforderung darstellen, die aktuellen Schwächen vieler Vorsysteme zu nutzen, um eine herausfordernde Diskussion zur Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu beginnen.

     

     

    Zum Autor

    • Dr. Roger Gothmann ist Diplom-Finanzwirt (FH) und Diplom-Volkswirt. Er war viele Jahre für die Landes- und Bundesfinanzverwaltung im Bereich der nationalen und internationalen Umsatzsteuer tätig. Zuletzt leitete er die Steuerabteilung einer internationalen Forschungseinrichtung in Hamburg. Seit 2016 ist er einer von drei Mitgründern und Geschäftsführern der Taxdoo GmbH, die eine cloudbasierte Plattform zur automatisierten und digitalen Umsatzsteuer-Compliance & Finanzbuchhaltung im Onlinehandel betreibt.
    Quelle: Ausgabe 07 / 2020 | Seite 185 | ID 46586382