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21.10.2020 · IWW-Abrufnummer 218387

Hessisches Landesarbeitsgericht: Beschluss vom 14.01.2020 – 4 TaBV 5/19

Eine die Dauer von einem Monat überschreitende Zuordnung eines in einem Home Office tätigen Arbeitnehmers zu einem neuen Dienstort ist auch dann eine mitbestimmungspflichtige Versetzung, wenn der Inhalt seiner Tätigkeit, sein Arbeitsort in seinem Home Office und die Person seines Fachvorgesetzten unverändert bleiben.


Tenor:

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 31. Oktober 2018 ‒ 14 BV 285/18 ‒ abgeändert:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.



Gründe



I.



Die Beteiligten streiten über das Vorliegen von Versetzungen.



Die Arbeitgeberin ist ein IT-Dienstleister. Sie befasst sich mit der Beratung und Betreuung von Unternehmen auf den Gebieten der Unternehmensstrategie, der Personal- und Organisationsentwicklung, der Informations- und Kommunikationsstrategie, der Systemintegration und der individuellen Softwareentwicklung. Der Beteiligte zu 2) ist der auf der Grundlage einer mit dem bei der Arbeitgeberin gebildeten Gesamtbetriebsrat geschlossenen „Gesamtbetriebsvereinbarung nach §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1 b, Abs. 2, 4 und 5, 88 BetrVG über die Errichtung einer neuen Betriebsratsstruktur“ vom 11. Januar 2016 gebildete Regionalbetriebsrat Baden-Württemberg, der sich am 01. August 2017 konstituierte und in dem die bis dahin bestehenden Betriebsräte A, B, C und D aufgingen. Wegen des vollständigen Inhalts der Gesamtbetriebsvereinbarung wird auf die Anlage ASt 1 zur Antragschrift (Bl. 22 ‒ 49 d. A.) Bezug genommen.



Die Arbeitgeberin verfügte bis Ende Dezember 2016 bzw. Ende März 2017 in Baden-Württemberg über die Betriebsstätten C, E, F und D, in denen die Fachvorgesetzten der von der Arbeitgeberin eingesetzten Arbeitnehmern ansässig waren. In D befand sich auch die Betriebsleitung.



Auf der Grundlage eines mit dem Gesamtbetriebsrat unter dem 17. Februar 2017 geschlossenen Interessenausgleichs wurden unter anderem die Betriebsstätten C, E und F geschlossen und in der Betriebsstätte D zusammengeführt. Wegen des Inhalts des Interessenausgleichs wird auf die Anlage ASt 2 zur Antragschrift (Bl. 50 ‒ 57 d. A.) Bezug genommen. Die Fachvorgesetzten wechselten darauf unter Beibehaltung der Überordnungsverhältnisse in die Betriebsstätte D, die in der Folgezeit nach G verlegt wurde. 34 in den bisherigen Betriebsstätten C, E und F beschäftigte Arbeitnehmer wechselten gemäß Ziffer III 1 des Interessenausgleichs in Home Offices. Gemäß dieser Regelung ist die Arbeitgeberin berechtigt, die Arbeitnehmer mit einer Ankündigungsfrist entsprechend der jeweils geltenden Kündigungsfrist, mindestens jedoch von drei Monaten, frühestens zum 01. Januar 2018 aus ihren Home Offices zu versetzen. Weiter war vorgesehen, dass „die jeweils zuständigen Betriebsräte“ an diesen Maßnahmen gemäß §§ 99 ff BetrVG zu beteiligen sind. Neuer Dienstort der betroffenen Arbeitnehmer sollte F bzw. G sein. Dort finden inzwischen Personalgespräche, Betriebsversammlungen und Unterredungen mit dem Betriebsrat statt. Gemäß Ziffer 5.3, 5.4 einer im März 2017 geschlossenen Gesamtbetriebsvereinbarung „Home Office“ haben die in Home Offices tätigen Arbeitnehmer einen eingeschränkten Anspruch auf Fahrtkostenerstattung. Wegen des vollständigen Inhalts der Gesamtbetriebsvereinbarung wird auf die Anlage ASt 4 zur Antragschrift (Bl. 76 ‒ 80 d. A.) Bezug genommen.



Zwei im Jahr 2017 von der Arbeitgeberin bei den Arbeitsgerichten Mannheim und Frankfurt am Main anhängig gemachte Zustimmungsersetzungsverfahren nahm die Arbeitgeberin zurück. Mit Schreiben vom 10. April 2018 unterrichtete sie den Betriebsrat über die „Versetzung“ der 34 Arbeitnehmer „nach G … unter Zuweisung eines dauerhaften Home Office“. Nachdem der Betriebsrat mit Schreiben vom 20. April 2018 den Maßnahmen widersprochen hatte, leitete die Arbeitgeberin das vorliegende Verfahren ein, in dem sie als Hauptanträge Anträge gemäß §§ 99 Abs. 4, 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG stellte sowie hilfsweise die Feststellung beantragte, dass die Zuordnungen der betroffenen Mitarbeiter an neue Dienstorte nicht zustimmungsbedürftige Versetzungen im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG sind.



Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses (Bl. 184 ‒ 186 d. A.) einschließlich der mit diesem in Bezug genommenen Aktenteile verwiesen. Das Arbeitsgericht wies die Hauptanträge gemäß §§ 99 Abs. 4, 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zurück, da diese dem Bestimmtheitsgebot von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht entsprächen. Insoweit ist die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen. Auf den Hilfsantrag der Arbeitgeberin stellte das Arbeitsgericht fest, „dass es sich bei den Zuordnungen der Mitarbeiter an neue Dienstorte nicht um zustimmungspflichtige Versetzungen im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG handelt“. Wegen der Begründung wird auf die Ausführungen unter II. des angefochtenen Beschlusses (Bl. 186 ‒ 188 r d. A.) Bezug genommen.



Der Betriebsrat legte gegen am 07. Dezember 2018 zugestellten Beschluss am 03. Januar 2019 Beschwerde ein und begründete diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 07. März 2019 am 07. März 2019. Er hält an seiner Auffassung fest, dass die Zuweisung der neuen Dienstorte mitbestimmungspflichtige Versetzungen seien. Dafür sei auch relevant, dass sich die Fahrtstrecken der betroffenen Arbeitnehmer zum neuen Betriebssitz in G von bisher 5 ‒ 10 km auf zum Teil weiter mehr als 100 km erhöht haben und kein uneingeschränkter Anspruch auf Fahrtkostenerstattung besteht. Zudem sei die Gefahr der Kündigung der Home-Offices durch die Arbeitgeberin zu berücksichtigen.



Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Betriebsrats wird auf den Schriftsatz vom 07. März 2019 Bezug genommen.



Der Betriebsrat beantragt,



Die Arbeitgeberin vertritt zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags die Ansicht, die Beschwerde sei nicht zulässig. Es fehle sowohl eine ausreichende Beschwerdebegründung als auch eine Beschwer des Betriebsrats. Zudem lägen keine Versetzungen vor. Mitbestimmungspflichtige Versetzungen könnten erst in zukünftigen Rückrufen der Arbeitnehmer aus ihren Home-Offices liegen.



Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Arbeitgeberin wird auf den Schriftsatz vom 14. Mai 2019 Bezug genommen.



II.



Der Beschwerde des Betriebsrats ist stattzugeben.



1. Die Beschwerde ist zulässig.



a) Die Beschwerde ist in der gesetzlichen Form begründet worden.



Nach § 89 Abs. 2 S. 2 ArbGG muss in der Beschwerdebegründung angegeben werden, auf welche im Einzelnen anzuführenden Beschwerdegründe und auf welche neuen Tatsachen die Beschwerde gestützt wird. Die Anforderungen an die Beschwerdebegründung entsprechen im Wesentlichen denen einer Berufungsbegründung im Urteilsverfahren. Die Beschwerdebegründung muss sich mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses im Einzelnen auseinandersetzen und deutlich anführen, was gegen den Beschluss einzuwenden ist. Allgemeine formelhafte Redewendungen genügen nicht (BAG 27. November 1973 ‒ 1 ABR 5/73AP ArbGG 1953 § 89 Nr. 9, zu II 1; 30. Oktober 2012 ‒ 1 ABR 64/11 ‒ AP ArbGG 1979 § 89 Nr. 4, zu B II 1; LAG Frankfurt am Main 23. Februar 1988 ‒ 5 TaBV 18/87 ‒ LAGE ArbGG 1979 § 89 Nr. 1; Hess. LAG 21. Mai 2013 ‒ 4 TaBV 298/12 ‒ LAGE AÜG § 1 Nr. 9, zu B I).



Zweck des Begründungszwangs für ein Rechtsmittel ist auch im Beschlussverfahren eine ausreichende Vorbereitung eines Rechtsmittelverfahrens und eine Konzentration des Streitstoffs. Der Beschwerdeführer muss im Einzelnen klarmachen und konkret angeben, wie er durch die erstinstanzliche Entscheidung beschwert ist und welche Tatsachenfeststellungen und/oder welche die Entscheidung tragenden Rechtsansichten der ersten Instanz aus seiner Sicht unzutreffend sind (LAG Frankfurt am Main 23. Februar 1988 a. a. O.; Hess. LAG 21. Mai 2013 a. a. O.; entsprechend für das Berufungsverfahren etwa BAG 26. April 2000 ‒ 4 AZR 170/99AP TVG § 1 Kündigung Nr. 4, zu I 2; 06. März 2003 ‒ 2 AZR 596/02AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 32, zu II 1 a; BGH 06. Mai 1999 ‒ III ZR 265/98 ‒ LM ZPO § 519 Nr. 142, zu II 1). Dazu genügt eine Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens nicht (BAG 10. Februar 2005 ‒ 6 AZR 183/04 ‒ EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 40, zu 2 a; 30. Oktober 2012 a. a. O., zu B II 1). Der Rechtsmittelführer kann allerdings an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhalten, sofern er Gründe nennt, warum diese im Gegensatz zu den der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden richtig sein soll (BAG 24. Januar 2001 ‒ 5 AZR 132/00 ‒ Juris, zu II 2 b). Auch bedarf eine Rechtsmittelbegründung weder eines bestimmten Mindestumfangs, noch muss sie schlüssig oder rechtlich haltbar sein (BAG 25. März 2004 ‒ 2 AZR 399/03 ‒ AP BMTG-II § 54 Nr. 5, zu B I 2; BGH 06. Mai 1999 a. a. O., zu II 1).



Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung. Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin hat der Betriebsrat in dieser hinreichend deutlich ausgeführt, aus welchen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen er die Würdigung des Arbeitsgerichts für unzutreffend hält. Greifen diese Rügen durch, wäre die Entscheidung des Arbeitsgerichts abzuändern. Zu einer gegenüber der ersten Instanz völlig neuen Argumentation war der Betriebsrat nicht verpflichtet.



b) Dem Betriebsrat fehlt auch nicht die erforderliche Beschwer.



Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist und mit seinem Rechtsmittel die Beseitigung dieser Beschwer anstrebt. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter beschwert, wenn er durch die angefochtene Entscheidung nach ihrem materiellen Inhalt in seiner Rechtstellung, die seine Beteiligungsbefungnis begründet, unmittelbar betroffen ist (vgl. etwa BAG 17. April 2012 ‒ 1 ABR 5/11BAGE 141/110, zu B I 1 a). Dies ist für einen Betriebsrat der Fall, wenn ihm durch die angefochtene Entscheidung ein Mitbestimmungsrecht im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG abgesprochen wird (BAG 15. August 2012 ‒ 7 ABR 6/11 ‒ AP BPersVG § 76 Nr. 15, zu B I).



Eine solche Konstellation ist hier gegeben. Der Betriebsrat ist nach wie vor der Auffassung, ihm stehe bezüglich der Zuordnung der 34 von den erstinstanzlichen Hauptanträgen der Arbeitgeberin betroffenen Arbeitnehmer zum Dienstort G ein Mitbestimmungsrecht nach §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zu. Über die Zustimmungsersetzung ist nach der rechtskräftigen Zurückweisung der erstinstanzlichen Zustimmungsersetzungsanträge der Arbeitgeberin als unzulässig in der Sache nach wie vor keine Entscheidung ergangen. Mit dem angefochtenen Beschluss spricht das Arbeitsgericht dem Betriebsrat insoweit Beteiligungsrechte ab. Dies beschwert diesen in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Stellung.



2. Die Beschwerde ist auch begründet.



a) Der Antrag der Arbeitgeberin ist allerdings zulässig.



aa) Ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO besteht bereits deshalb, weil zwischen den Parteien die Beteiligungspflichtigkeit des Betriebsrats an der Zuordnung der von den erstinstanzlichen Hauptanträgen betroffenen Arbeitnehmer zum neuen Dienstort G weiterhin streitig ist und das Beteiligungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG nicht in materielle Rechtskraft erwachsen ist.



bb) Der Antrag ist auch hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Arbeitgeberin begehrt mit ihm die Feststellung, dass die Zuordnung der betroffenen Arbeitnehmer zu ihren neuen Dienstorten nicht mitbestimmungspflichtig ist.



b) Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Die den Anlass des vorliegenden Verfahrens bildende, die Dauer von einem Monat übersteigende Zuordnung der betroffenen Arbeitnehmer zu neuen Dienstorten ist nach §§ 99, 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG beteiligungspflichtig. Gemäß der ersten Alternative von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs eine nach diesen Normen mitbestimmungspflichtige Versetzung, wenn sie voraussichtlich die Dauer eines Monats überschreitet. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs setzt voraus, dass sich die Tätigkeit eines Arbeitnehmers für einen mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachter als eine andere anzusehen ist. Neben einer Änderung des Inhalts der Arbeitsaufgaben und der damit verbundenen Verantwortung, des Arbeitsortes oder der Art der Tätigkeit kann sich dies auch aus einer Änderung der Stellung und des Platzes des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit ergeben (BAG 10. Oktober 2012 ‒ 7 ABR 42/11 ‒ AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 51, zu B I 1 b bb (1)). So erfüllt etwa die Umsetzung einer Pflegekraft in eine andere Station auch bei inhaltlich unveränderter Tätigkeit jedenfalls dann den gesetzlichen Versetzungsbegriff, wenn die einzelnen Stationen organisatorisch selbstständig sind (BAG 29. Februar 2000 ‒ 1 ABR 5/99 ‒ AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 36, zu B II 2).



Zu einer derartigen Änderung der Position eines Arbeitnehmers in der betrieblichen Organisation führt die Zuweisung eines neuen Dienstortes auch dann, wenn wie hier der Inhalt der Tätigkeit des betroffenen Arbeitnehmers, sein Arbeitsort in seinem Home-Office und die Person des ihm übergeordneten Fachvorgesetzten unverändert bleibt. Auch dann wird der Arbeitnehmer fachlich einem anderen ‒ hier neuen ‒ Teil der Betriebsorganisation zugeordnet. Die früheren Betriebsstätten C, D, E und F waren organisatorisch selbstständige Betriebsabteilungen, da von ihnen aus die ihnen zugeordneten Arbeitnehmer durch Fachvorgesetzte angeleitet wurden. Durch die Neuzuordnung ändert sich daher für die betroffenen Arbeitnehmer die Stellung innerhalb der Betriebsorganisation.



3. Die Rechtsbeschwerde wird gemäß §§ 72 Abs. 2 Nr. 1, 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zugelassen.

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