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12.05.2021 · IWW-Abrufnummer 222320

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 16.03.2021 – 8 Sa 206/20

Praktika, die nach der Zulassungsordnung einer Hochschule verpflichtende Voraussetzung der Studienzulassung sind, unterfallen § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG und sind deshalb auch dann nicht nach diesem Gesetz zu vergüten, wenn sie aufgrund der Zulassungsordnung länger als drei Monate andauern. Der weit gefasste Begriff der "hochschulrechtlichen Bestimmung" in § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG umfasst auch die Zulassungsordnungen der Hochschulen.


In dem Rechtsstreit
A., A-Straße, A-Stadt
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte/r: Rechtsanwälte B., B-Straße, B-Stadt
gegen
Klinikum C, C.-Straße, C-Stadt
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte/r: Arbeitgeberverband D., D-Straße, D-Stadt
hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz auf die mündliche Verhandlung vom 16.03.2021 durch den Richter am Arbeitsgericht Dr. Bratz als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter Warmbier und die ehrenamtliche Richterin Breser als Beisitzer für Recht erkannt:

Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 10. Juni 2020 - 4 Ca 204/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.


2. Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten um die Zahlung von Praktikumsvergütung.



Die Klägerin beabsichtigte, sich an der privaten Universität W.-H. um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin zu bewerben. Nach den Zugangsregelungen dieser Universität war der Bewerbung der Nachweis eines sechsmonatigen Krankenpflegepraktikums, welches vor Studienbeginn absolviert sein muss, beizufügen (Bl. 9 f. d.A).



Vor diesem Hintergrund wandte sich die Klägerin an die Beklagte, die ein Klinikum in C-Stadt betreibt. Die Beklagte bot der Klägerin zunächst ein dreimonatiges unentgeltliches Praktikum an. Die Klägerin bestand jedoch auf der Absolvierung eines sechsmonatigen Praktikums mit dem Hinweis, dass nur ein solches Praktikum von der Universität W.-H. anerkannt werden würde. In der Annahme, dass Praktika über eine Dauer von drei Monaten hinaus nach dem Mindestlohngesetz vergütungspflichtig seien, wenn es sich nicht um ein Pflichtpraktikum handele, forderte die Pflegedirektion der Beklagten die Klägerin auf, einen Nachweis der Universität vorzulegen, dass es sich um ein Pflichtpraktikum für die Aufnahme des Medizinstudiums handele (Bl. 43 f. d.A).



Daraufhin legte die Klägerin der Beklagten einen dahingehenden Nachweis der Universität vom 8. Mai 2020 (Bl. 28 d.A) vor.



Auf der Grundlage einer mündlichen Vereinbarung wurde die Klägerin sodann vom 20. Mai 2019 bis zum 29. November 2019 als Praktikantin auf der Krankenpflegestation des Klinikums tätig. Eine Vergütungsvereinbarung war nicht getroffen worden. Dementsprechend waren im Personalbogen vom 15. Mai 2019, den die Klägerin ausgefüllt hat, die Eingabefelder für die Angaben zur Krankenkasse und einem Bankkonto durchgestrichen (Bl. 44 d.A).



Krankheitsbedingt fehlte die Klägerin vom 18. September bis zum 20. September 2019, was durch ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung belegt wurde.



Die Klägerin hat vorgetragen:



Sie sei täglich von 7: 45 Uhr bis 15: 48 Uhr mit zahlreichen Arbeiten nach Maßgabe ihrer Auflistung (Bl. 36 - 39 d.A) betraut worden; diese hätten für die Beklagte einen enormen wirtschaftlichen Wert gehabt. Die Klägerin habe auch die hauptberufliche Stationshilfe, die krank bzw. im Urlaub gewesen sei, für ungefähr einen Monat vertreten.



Nach dem MiLoG stehe ihr ein Lohnanspruch und nach dem BUrlG ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zu. Dabei sei das MiLoG nach der juristischen Methodenlehre auszulegen (Bl. 31 ff. d.A).



Zu Unrecht berufe sich die Beklagte deshalb auf § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG. Diese Ausnahmevorschrift spreche ausdrücklich von einem "Praktikum verpflichtend aufgrund einer [...] hochschulrechtlichen Bestimmung". Durch eine "hochschulrechtliche Bestimmung"in diesem Sinne könne man zu einem Praktikum aber nur dann verpflichtet werden, wenn man dieser Bestimmung bereits im Rahmen eines besonderen Gewaltverhältnisses oder eines Vertragsverhältnisses zwischen der Universität einerseits und dem eingeschriebenen Studenten andererseits unterliege.



Das sei bei der Klägerin aber nicht der Fall gewesen, weil das Praktikum - insoweit unstreitig - erst Voraussetzung für eine Bewerbung an der Universität gewesen sei.



Diesen Unterschied habe der Gesetzgeber auch berücksichtigt und mit der Formulierung "Praktikum [...] für die Aufnahme eines Studiums"in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG diejenigen Praktika geregelt, die man als Zugangsvoraussetzung zu einem Studium absolvieren müsse. Diese seien aber auf drei Monate begrenzt worden (Bl. 4 d.A).



§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG ("für die Aufnahme eines Studiums") hätte keinen eigenen Anwendungsbereich mehr, wenn schon § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG die Praktika regele, die Zugangsvoraussetzung zum Studium seien. Davon könne man nicht ausgehen. Nach dem Gesetzeswortlaut regele allein § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG die Praktika, die für die Aufnahme eines Studiums vorgeschrieben seien (Bl. 32 d.A).



Orientiert am Gesetzeszweck habe der Gesetzgeber die Praktika von bis zu drei Monaten (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 MiLoG) aus dem Anwendungsbereich des MiLoG ausgenommen, weil ein Praktikant zu Beginn des Praktikums erst angelernt werden müsse und daher eine Belastung für die übrigen Arbeitnehmer darstelle. Offenbar sei der Gesetzgeber der Auffassung, dass ein Praktikant, der länger als drei Monate arbeite nach dieser Anlernphase eine Entlohnung nach dem MiLoG erhalten solle. Auch könnten Praktika, die während des Studiums zu absolvieren seien, angesichts der begrenzten Semesterferien keine sechs Monate dauern, sondern längstens drei Monate, weshalb diese zeitliche Begrenzung in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG vorgesehen sei (Bl. 34 d.A).



Die Klageforderung errechne sich deshalb wie folgt:



Arbeitsvergütung für 28 Wochen x 5 Tage/Woche x 7,45 Stunden/Tag x 9,19 Euro/Stunde = 9.585,19 Euro brutto



Urlaubsabgeltung anteilig für 10 Tage x 7,45 Stunden/Tag x 9,19 Euro/Stunde = 684,66 Euro brutto



Die Klägerin hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.269,85 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2020 zu zahlen.



Die Beklagte hat beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.



Die Beklagte hat vorgetragen:



Die Klägerin habe ihre Tätigkeiten stets in Zusammenarbeit mit den Pflegekräften vorgenommen. Lediglich zwei bis drei Mal sei es vorgekommen, dass sie einer examinierten Pflegekraft unterstützend bei der Körperwaschung der Patienten zur Seite gestanden habe (Bl. 44 d.A). Es habe sich um ein normales und übliches Pflichtpraktikum ohne besonderen wirtschaftlichen Wert gehandelt.



Das Praktikum der Klägerin sei aufgrund einer "hochschulrechtlichen Bestimmung"iSd. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG geleistet worden. Dieser Begriff sei vom Gesetzgeber bewusst weiter gefasst worden als der zunächst vorgesehene Begriff der "Studienordnung". Grundlage eines solchen Pflichtpraktikums könne eine Schul-, Studien- oder Prüfungsordnung sein, daneben aber auch eine Zulassungsordnung, die bereits die Studienaufnahme von der Durchführung eines Praktikums abhängig mache (Bl. 26 d.A).



Die Klägerin verkenne, dass § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG nur für freiwillige, sog. Orientierungspraktika gelte, bei denen der Praktikant sich lediglich einen Überblick verschaffen wolle, ob er eine bestimmte Berufsausbildung oder ein Studium aufnehmen wolle. Hier gehe es nicht um vorgeschriebene Pflichtpraktika. Diese seien von § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG erfasst, wie sich auch aus der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales ergebe. Danach habe der Gesetzgeber unter "hochschulrechtlichen Bestimmungen"ausdrücklich auch Zulassungsordnungen verstanden, welche die Absolvierung eines Praktikums als Voraussetzung zur Aufnahme eines Studiums verpflichtend vorschrieben.



Mit Urteil vom 30. Januar 10. Juni 2020 - 4 Ca 204/20 - hat das Arbeitsgericht Trier die Klage abgewiesen.



Zur Begründung hat es - zusammengefasst - ausgeführt:



Vergütungs- und Urlaubsabgeltungsansprüche bestünden unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Eine Vergütung sei nicht vereinbart worden und das MiLoG finde gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG auf Pflichtpraktika keine Anwendung. Dazu gehörten auch Praktika, die aufgrund von Zulassungsordnungen abzuleisten seien. Insoweit sei der gesetzliche Begriff der "hochschulrechtlichen Bestimmung"weit auszulegen und umfasse auch Praktika, die für die Aufnahme eines Studiums vorgeschrieben seien. Demgegenüber betreffe § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG lediglich freiwillige und Orientierungspraktika. Um ein solches Praktikum handele es sich vorliegend aber nicht.



Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils Bezug genommen (Bl. 55 ff. d.A).



Gegen das ihr am 23. Juli 2020 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 28. Juli 2020, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangen am selben Tag, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 18. September 2020, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangen am selben Tag, begründet.



Hierzu trägt er im wesentlichen vor:



Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass Ausnahmevorschriften wie § 22 Abs. 1 MiLoG eng auszulegen seien. Wenngleich nach der Gesetzesbegründung auch Zulassungsordnungen unter den Begriff der "hochschulrechtlichen Bestimmung"fallen sollten, müsse vorliegend berücksichtigt werden, dass sich die Klägerin an einer Privatuniversität habe bewerben wollen. An einer solchen seien die Studenten "Kunden"und nicht "Mitglieder", wie dies an einer staatlichen Universität zB gemäß § 9 Abs. 1 NWHochschG der Fall sei, in dessen Anwendungsbereich auch die Privatuniversität W.-H. falle. Im Fall einer staatlichen Universität, die der Gesetzgeber mit dem MiLoG im Blick gehabt habe, handele es sich um die Ausübung eines öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungsrechts. Demgegenüber sei die Privatuniversität mit einem privaten Arbeitgeber zu vergleichen, der Auszubildende einstellen wolle. Deshalb seien die Zulassungsregelungen der privaten Universität W.-H. nicht als hochschulrechtliche Anforderungen anzusehen (Bl. 78 d.A).



Auch könnten die Studienbewerber an dieser Universität das notwendige sechsmonatige Pflegepraktikum in zwei Blöcke zu je drei Monaten aufspalten, um unter die Ausnahmevorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG zu fallen. Die Universität akzeptiere eine solche Aufspaltung (Bl. 78 d.A).



Die vom Arbeitsgericht zur Auslegung herangezogenen Gesetzesmaterialien kollidierten mit Wortlaut und Systematik des Gesetzes. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG kenne zwei Alternativen, nämlich ein Praktikum von bis zu drei Monaten



- zur Orientierung für eine Berufsausbildung



oder



- für die Aufnahme eines Studiums.



Wie erstinstanzlich bereits ausgeführt, werde der zweite Aspekt bereits von § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG erfasst. Es verbleibe dann aber kein Anwendungsbereich für § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG mehr (Bl. 79 d.A).



Die Klägerin beantragt:

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 10. Juni 2020 die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 10.269,85 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2020 zu zahlen.



Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.



Zur Verteidigung gegen die Berufung der Klägerin wiederholt und vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen und verteidigt im übrigen die Entscheidung des Arbeitsgerichts.



Die von der Klägerin angeführte private Trägerschaft der Universität W.-H. sei für den vorliegenden Zusammenhang unerheblich.



Ihre Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 MiLoG verkenne Wortlaut und Systematik des Gesetzes. Ein privilegiertes Orientierungspraktikum diene der Orientierung bzw. der Entschließung des Praktikanten im Hinblick auf die von ihm beabsichtigte Aufnahme einer Berufsausbildung oder eines Studiums.



Wegen des Sach- und Streitstands im übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle verwiesen.



Entscheidungsgründe



Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.



A. Die Berufung ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft. Sie ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 Abs. 1 und 2, 520 Abs. 1 und 3 ZPO iVm. § 11 Abs. 4 Satz 2 ArbGG in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.



B. Die Berufung hat in der Sache aber keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Anspruch gegen die Beklagte auf die begehrten Zahlungen hat.



I. Eine vertragliche Vergütungsvereinbarung wurde nicht getroffen.



II. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Praktikumsvergütung aus § 1 Abs. 1 MiLoG, denn die Norm ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG auf Pflichtpraktika wie das hier unstreitig vorliegende nicht anwendbar.



1. Die Klägerin ist hierzu der Auffassung, auch Pflichtpraktika von mehr als drei Monaten Dauer als Zulassungsvoraussetzung einer privaten Hochschule unterfielen der Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG und seien dementsprechend zu vergüten. Nicht einschlägig sei demgegenüber der Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG. Das ergebe sich aus der Auslegung des Gesetzes.



Für die - hier hinsichtlich der vorstehend genannten Bestimmungen vorzunehmende - Auslegung von Gesetzen ist nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen, wobei Ausgangspunkt der Auslegung der Wortlaut der Vorschrift ist (BGH 27. November 2019 - VIII ZR 285/18 - Rn. 54 mwN; BVerfG 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11 - Rn. 66 mwN). Hierbei sind zugleich die Wertungen des Grundgesetzes im Wege einer verfassungskonformen Auslegung zu berücksichtigen (vgl. auch BVerfG 10. Juni 1975 - 2 BvR 1018/74 - zu B I 3 der Gründe).



2. Gemessen an diesen Grundsätzen unterfällt das Pflichtpraktikum der Klägerin der Ausnahmeregelung in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG, denn es war "verpflichtend auf Grund [...] einer hochschulrechtlichen Bestimmung"zu absolvieren. Das hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend festgehalten. Die Angriffe der Berufung verhelfen der Klage nicht zum Erfolg.



a) Der Begriff der "hochschulrechtlichen Bestimmung"ist schon seinem Wortlaut nach weit gefasst, denn die Formulierung "Bestimmung"ist der Oberbegriff für abstrakt-generelle Regelungen, aber auch für vertragliche Vereinbarungen. Im Zusammenhang mit dem Hochschulrecht können dies Gesetze und Verordnungen ebenso sein wie Satzungen und von diesen abgeleitetes Binnenrecht (zB Zulassungsordnungen) oder auch Kooperationsverträge zwischen der Hochschule und einem Unternehmen (von Stechow in: Salamon Entgeltgestaltung Abschn. C Rn. 138; ErfKo/Franzen 20. Aufl. MiLoG § 22 Rn. 10; Greiner in BeckOK Arbeitsrecht Stand 01.12.2019 MiLoG § 22 Rn. 25). Eine Unterscheidung nach öffentlicher oder privater Trägerschaft der Hochschule lässt sich - entgegen der allgemein geäußerten Auffassung der Klägerin - dem Gesetz hierbei nicht entnehmen.



Zudem sprechen auch die Gesetzesmaterialien für ein weites Begriffsverständnis. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hat sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden, statt des engeren Begriffs der "Studienordnung"(BT-Drucks. 18/1558 S. 15) den weiter gefassten Begriff der "hochschulrechtlichen Bestimmung"in den Gesetzestext aufzunehmen, womit ausdrücklich auch Zulassungsordnungen, welche die Absolvierung eines Praktikums als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorschreiben, erfasst sein sollten (BT-Drucks. 18/2010 (neu), S. 24).



b) Demgegenüber lassen sich dem Gesetzeswortlaut keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass eine "hochschulrechtliche Bestimmung"iSd. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG nur dann vorliege, wenn man bereits als Student an der Hochschule eingeschrieben sei. Zwar kann die Klägerin hierzu auf die Wendung "verpflichtend auf Grund"verweisen. Zwingend ist das allerdings nicht, denn mit Blick auf die oben genannte Gesetzesbegründung sind auch Zulassungsordnungen für die Studienbewerber "verpflichtend", um die Zulassung zu erreichen.



c) Die systematische Auslegung bestätigt das. Regelungsüberschneidungen bestehen danach nicht. Die Klägerin liest § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG in der Weise, dass die Orientierung sich allein auf die Berufsausbildung beziehe und die zweite Fallgruppe der Norm deshalb laute "für die Aufnahme eines Studiums". Bei dieser Lesart käme es tatsächlich zu einer Überschneidung mit dem Regelungsbereich des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG, soweit dort Praktika als Zugangsvoraussetzungen geregelt sind. Weil aber im Rahmen der Auslegung nicht davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber inhaltsleere Regelungen schaffen wollte, kann der Auffassung der Klägerin hier nicht gefolgt werden.



Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG die sog. Orientierungspraktika betrifft, und zwar zur Orientierung für eine Berufsausbildung und zur Orientierung für die Aufnahme eines Studiums. Der Gesetzgeber hat sich hier offenbar für die rationellere Grammatik entschieden und das Wort "Orientierung"gleichsam vor die Klammer gezogen.



Diese bloßen Orientierungspraktika, die nicht zugleich Zulassungsvoraussetzung einer Hochschule sind, sollen zur Vermeidung von Missbrauch auf drei Monate begrenzt sein (BT-Drucks. 18/1558 S. 42; vgl. auch Müller-Glöge in: MünchKommBGB 8. Aufl. MiLoG § 1 Rn. 13). Hier mag auch die Überlegung der Klägerin zur Anlernzeit eine Rolle spielen.



Für Pflichtpraktika, die systematisch getrennt von den Orientierungspraktika geregelt wurden, gilt diese Überlegung nicht, denn diese sind für die Berufswahl des Praktikanten als Zulassungsvoraussetzung notwendig. Wollte man hier eine Vergütungspflicht für Praktika von mehr als drei Monaten Dauer sehen, so wird die Suche nach einem Praktikumsplatz und damit die Berufswahlfreiheit (vgl. dazu v. Münch/Kunig/Kämmerer 7. Aufl. GG Art. 12 Rn. 60) durch eine Vergütungspflicht nach dem MiLoG zusätzlich erschwert und auch das berechtigte Interesse der Hochschulen an geeigneten Bewerbern mit praktischen Erfahrungen beeinträchtigt. Einen solchen Regelungszweck verfolgt das MiLoG ganz offensichtlich nicht. Ganz im Gegenteil zeigt gerade § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG, dass die Berufswahlfreiheit durch das MiLoG nicht beeinträchtigt werden soll.



III. Auch aus §§ 26, 17 Abs. 1 BBiG (Vergütung) und aus §§ 2, 5 Abs. 1 Buchst. a, 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 26, 10 Abs. 2 BBiG (Urlaubsabgeltung) kann ein Zahlungsanspruch der Klägerin nicht abgeleitet werden, weil Pflichtpraktika wie das vorliegende grds. nicht unter § 26 BBiG fallen (vgl. von Stechow in: Salamon Entgeltgestaltung Abschn. C Rn. 135; ErfKo/Schlachter 20. Aufl. BBiG § 26 Rn. 4); sie sind nach der Zulassungsordnung der Hochschule vom Studienbewerber vorab selbst beizubringender Bestandteil der Ausbildung.



Zwar hat das BAG geurteilt, dass das BBiG nur dann nicht anwendbar sei, wenn auch das Praktikum durch staatliche Entscheidung anerkannt sei. Nach § 73 Abs. 3 NWHochschG seien die Prüfungsordnungen privater Hochschulen staatlicherseits dahingehend zu überprüfen, ob die Prüfungsanforderungen an privaten staatlich anerkannten Hochschulen denen an staatlichen Hochschulen entsprächen. Nur die Prüfungsordnungen unterlägen demnach der staatlichen Aufsicht. Allein dann, wenn das vorliegende Pflichtpraktikum deshalb in der Prüfungsordnung der Universität W.-H. geregelt sei, folge daraus, dass das BBiG nicht anzuwenden sei (vgl. BAG 18. November 2008 - 3 AZR 192/07 - Rn. 18). Diese Rechtsprechung wird man jedoch angesichts der gesetzgeberischen Wertung in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG nicht auf den hier vorliegenden Fall übertragen können, sondern - zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen - auch verpflichtende Zulassungspraktika vom Anwendungsbereich des § 26 BBiG ausnehmen müssen.



C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.



D. Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen, weil es eine vorliegend entscheidungserhebliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist, ob Pflichtpraktika von mehr als drei Monaten Dauer der Bestimmung in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG unterfallen und entsprechend zu vergüten sind.

Dr. Bratz
Warmbier
Breser

Verkündet am: 16.03.2021

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