· Fachbeitrag · Einkommensteuer
Verfassungswidrigkeit des Kinderfreibetrags in den VZ 2014 und Folgejahre
| Das FG Niedersachsen hat - im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Kinderfreibetrags geäußert. Das betrifft zum einen bei der Einkommensteuerfestsetzung diejenigen Steuerpflichtigen, für die der Abzug der steuerlichen Kinderfreibeträge günstiger ist als das Kindergeld (Günstigerprüfung). Bei der Festsetzung des Solidaritätszuschlags betrifft es zum anderen diejenigen mit Kindern, die Solidaritätszuschlag zahlen (FG Niedersachsen 6.2.16, 7 V 237; Beschwerde zugelassen; Einspruchsmuster).
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist es verfassungsrechtlich geboten, das Existenzminimum nicht nur der Steuerpflichtigen, sondern auch ihrer einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kinder steuerlich freizustellen. Es darf niemand Steuern auf Einkommen in einem Bereich bezahlen, in dem Bedürftige bereits einen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Für Erwachsene wurde im VZ 2014 ein Betrag von 8.354 EUR (Grundfreibetrag) steuerlich freigestellt (§ 32a EStG). Im Rahmen einer Günstigerprüfung wurden im VZ 2014 Kinderfreibeträge von insgesamt 7.008 EUR (4.368 EUR für das sächliche Existenzminimum und 2.640 EUR für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf) abgezogen. Bei der Festsetzung des Solidaritätszuschlags werden die Kinderfreibeträge immer abgezogen, also auch dann, wenn das Kindergeld günstiger ist.
Im Neunten Existenzminimumbericht vom 7.11.12 hatte die Bundesregierung das sächliche Existenzminimum eines Kindes im VZ 2014 mit jährlich 4.440 EUR festgestellt und angekündigt, zur verfassungsgerechten Besteuerung werde der Kinderfreibetrag von 4.368 EUR um 72 EUR für den VZ 2014 angehoben. Diese Ankündigung hat der Gesetzgeber jedoch nicht umgesetzt. Die Kinderfreibeträge sind vielmehr erst ab dem VZ 2015 angehoben worden. Zu dieser Problematik ist beim FG München (8 K 2426/15) auch ein Musterverfahren anhängig.
Im Übrigen hat das FG auch deshalb ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kinderfreibetrages, weil der Gesetzgeber lediglich ein durchschnittliches Existenzminimum von 258 EUR pro Monat berücksichtigt, das unter dem Sozialleistungsanspruch eines sechsjährigen Kindes (Regelsatz 2014: monatlich 261 EUR) liegt. Zudem moniert das FG, dass der Gesetzgeber keine Ermittlungen zur Höhe des Existenzminimums bei volljährigen Kindern angestellt hat.
PRAXISHINWEIS | Nach Auffassung des FG steht einem Einspruch gegen Einkommensteuerbescheide auch der in den Steuerbescheiden aufgenommene Vorläufigkeitsvermerk bzgl. der Höhe der Kinderfreibeträge nicht entgegen! Anträge auf Aussetzung der Vollziehung könnten zudem unter Hinweis auf den Beschluss des FG erfolgversprechend sein. |