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  • · Nachricht · Finanzgerichtsverfahren

    Zwei aktuelle Entscheidungen des BFH zum Rechtsschutz gegen überlange Verfahren

     

    | Seit gut zwei Jahren können Kläger die unangemessene Dauer eines finanzgerichtlichen Verfahrens rügen (Verzögerungsrüge) und Wiedergutmachung (z.B. als Geldentschädigung) verlangen (vgl. MBP 12, 48 ). Nun gibt es die ersten Sachentscheidungen des BFH, die Erkenntnisse zur Angemessenheit der Verfahrensdauer und zu den Rechtsfolgen einer Verfahrensverzögerung bringen. |

    1. Die Entscheidung BFH 17.4.13, X K 3/12

    Der BFH (17.4.13, X K 3/12, BStBl. II 13, 547; ESA online 2013) stellte eine überlange Verfahrensdauer fest. Das einfach gelagerte Klageverfahren dauerte mehr als sechs Jahre. Zwischen dem Eingang des letzten Schriftsatzes und der Anberaumung der mündlichen Verhandlung hatte das FG - abgesehen von einer Aktenanforderung und einer kurzen Anfrage an den Kläger - nichts getan. Da die Klage bereits nach dem Tatsachenvortrag des Klägers erkennbar unbegründet war, hatte das Verfahren nach Auffassung des BFH für den Kläger objektiv keine besondere Bedeutung. Wegen dieser Besonderheit ließ es der BFH hinsichtlich der Wiedergutmachung bei der Feststellung der Verfahrensverzögerung bewenden. Einer Geldentschädigung für immaterielle Nachteile bedurfte es nicht. Der Fall eignete sich daher nicht für allgemeine Leitlinien für die gerade noch hinzunehmende Dauer eines finanzgerichtlichen Verfahrens.

     

    PRAXISHINWEIS | Der BFH verneinte entgegen einzelner Literaturmeinungen im Verhältnis zwischen den Rechtsfolgen Geldentschädigung einerseits und Feststellungsausspruch andererseits einen Vorrang der Geldentschädigung sowie eine anderweitige Vermutungsregel (vgl. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 26/13 Anm. 3).

     

    2. Die Entscheidung BFH 7.11.13, X K 13/12

    Konkretere Erkenntnisse ergeben sich aus einem aktuellen Zwischenurteil (BFH 7.11.13, X K 13/12, DB 13, 2906, ESA online 12.12.13).

     

    2.1. Keine festen Fristvorgaben für Verfahrenserledigung

    Im Ausgangspunkt räumt der BFH dem FG einen erheblichen (zeitlichen) Spielraum bei der Gestaltung des Verfahrens ein. Mit zunehmender Verfahrensdauer verdichte sich allerdings die Pflicht, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen. Da die gesetzliche Regelung (§ 198 GVG) den konkreten Einzelfall in den Vordergrund stellt, sieht sich der BFH auch außerstande, feste Fristen zu bezeichnen, in denen ein Verfahren im Regelfall abschließend erledigt sein muss. Finanzgerichtliche Verfahren unterschieden sich in ihrem Schwierigkeitsgrad und der dadurch hervorgerufenen Bearbeitungsintensität und -dauer so sehr voneinander, dass eine Generalisierung der Gesamtverfahrensdauer nicht möglich sei.

     

    2.2 Angemessenheitsvermutung für einzelne Prozessphasen

    Gleichwohl hat der BFH für bestimmte Abschnitte des Verfahrens in zeitlicher Hinsicht Angemessenheitsvermutungen aufgestellt. Dabei hat der BFH das Klageverfahren in drei Abschnitte unterteilt:

     

      • Phase 1: Einreichung und Austausch vorbereitender Schriftsätze
      • Phase 2: Verfahren bleibt im Anschluss ab Phase 1 wegen anderer vorrangiger Verfahren unbearbeitet.
      • Phase 3: Gericht führt das Verfahren einer Entscheidung zu.

     

    Dauern die ersten beiden Phasen nicht länger als zwei Jahre, spricht in einem Verfahren ohne Besonderheiten eine Vermutung für die Angemessenheit der Verfahrensdauer, sofern nicht die damit begonnene „aktive“ Phase des gerichtlichen Handelns durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt. Hinsichtlich der „aktiven“ 3. Phase des Klageverfahrens hat der BFH bewusst vermieden, eine Typisierung bzw. zeitliche Konkretisierung vorzunehmen, weil diese Phase in besonderem Maße vom Schwierigkeitsgrad des Verfahrens, dem Verhalten der Beteiligten und Dritter sowie der Intensität der Bearbeitung durch die Finanzrichter abhängt.

     

    PRAXISHINWEIS | Im Streitfall, der von 2004 bis 2012 bei FG Baden-Württemberg anhängig war, hat der BFH danach eine Verfahrensverzögerung festgestellt und ausschließlich hierüber in einem Zwischenurteil entschieden. Man darf gespannt sein, wie der BFH die Rechtsfolgenseite, d.h. die Fragen um Grund und Höhe eines Entschädigungsanspruchs, beurteilen wird.

     

    3. Abschließende Hinweise für die steuerliche Praxis:

    Weiterhin gibt es keine festen zeitlichen Grenzen für die Angemessenheit der Verfahrensdauer i.S. des § 198 Abs. 1 S. 2 GVG. Es bleibt bei der Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl. hierzu EGMR 2.9.10, 46344/06, NJW 10, 3355 Rn. 41 m.w.N., „Rumpf/Deutschland“).

     

    Konkrete Anhaltspunkte für eine Verfahrensverzögerung dürften sich aber aus einer über zwei Jahre hinausgehenden Dauer der ersten beiden Phasen des finanzgerichtlichen Verfahrens und aus der Feststellung nennenswerter Zeiten der gerichtlichen Untätigkeit in der „aktiven“ Phase ergeben.

     

    Offen ist schließlich die Frage, in welchen Fällen und ggf. in welcher Höhe eine Geldentschädigung für eine Verfahrensverzögerung verlangt werden kann. Das Endurteil des BFH in dem Verfahren X R 13/12 verspricht weitere neue Erkenntnisse für diesen Bereich der Rechtsfolgen.

     

    PRAXISHINWEIS | Verschiedene Obergerichte anderer Gerichtszweige haben ebenfalls zwischenzeitlich zu Entschädigungsklagen entschieden: u.a. LSG Sachsen-Anhalt 29.11.12, L 10 SF 5/12 ÜG, ASR 13, 59; OVG Berlin-Brandenburg 27.3.12, OVG 3 A 1.12; OVG Sachsen-Anhalt 25.7.12, 7 KE 1/11, NVwZ 12, 1637, dazu Thiel, DVP 13, 2.

    Quelle: ID 42480447