· Fachbeitrag · Gesetzgebung
Modernisierung des Besteuerungsverfahrens auf der Zielgeraden
von Dipl.-Bw. (FH) StB Christian Westhoff, Datteln
| Der Bundestag hat den Gesetzentwurf zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens in der vom Finanzausschuss geänderten Fassung (BT-Drucks. 18/8434) am 12.5.16 angenommen. Im Vergleich zur ursprünglichen Version wurden hier noch zahlreiche Änderungen vorgenommen. Grund genug, den Gesetzentwurf näher zu betrachten. |
1. Automationsgestützte Bearbeitung als erklärtes Ziel
Bei der Modernisierung des Besteuerungsverfahrens ist die Verstärkung der ausschließlich automationsgestützten Bearbeitung von Steuererklärungen eine der zentralen Maßnahmen. Zur Umsetzung enthält § 88 Abs. 5 AO-E Regelungen zum Einsatz von Risikomanagementsystemen und § 155 Abs. 4 AO-E zu ausschließlich automationsgestützt erlassenen oder korrigierten Steuerbescheiden.
Nach § 88 Abs. 5 AO-E muss das Risikomanagementsystem mindestens folgende Anforderungen erfüllen:
- Die Gewährleistung, dass durch Zufallsauswahl eine hinreichende Anzahl von Fällen zur umfassenden Prüfung durch Amtsträger ausgewählt wird.
- Die Prüfung der als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte durch Amtsträger.
- Die Gewährleistung, dass Amtsträger Fälle für eine umfassende Prüfung auswählen können.
- Die regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung.
Beachten Sie | Die Finanzbehörden können beispielsweise Steuerfestsetzungen ausschließlich automationsgestützt vornehmen, soweit kein Anlass dazu besteht, den Einzelfall durch Amtsträger zu bearbeiten (§ 155 Abs. 4 AO-E). Ein Anlass zur Bearbeitung liegt insbesondere dann vor, wenn der Steuerpflichtige in einem sogenannten „qualifizierten Freitextfeld“ der Steuererklärung (vgl. § 150 Abs. 7 AO-E) weitergehende Angaben macht.
2. Ausbau der elektronischen Kommunikation
Die Bundesregierung möchte die elektronische Kommunikation ausbauen. Dies zeigt sich z. B. an folgenden Regelungen:
- Nach § 122a Abs. 1 AO-E sollen Verwaltungsakte künftig mit Einwilligung des Beteiligten oder der von ihm bevollmächtigten Person bekannt gegeben werden, indem sie zum Datenabruf durch Datenfernübertragung bereitgestellt werden. Grundsätzlich gilt ein zum Abruf bereitgestellter Verwaltungsakt am dritten Tag nach Absendung der elektronischen Benachrichtigung über die Bereitstellung der Daten an die abrufberechtigte Person als bekannt gegeben (§ 122a Abs. 4 AO-E).
- Künftig kann dem Gläubiger der Kapitalerträge eine Steuerbescheinigung elektronisch übersandt werden. Sie ist ihm aber weiterhin in Papierform zuzusenden, wenn er es verlangt (§ 45a Abs. 2 EStG-E).
Die gesetzlichen Neuregelungen sollen von zusätzlichen Maßnahmen begleitet werden. Nach der Gesetzesbegründung der Bundesregierung vom 3.2.16 (BT-Drucks. 18/7457) soll z. B. die Servicequalität von ELSTER verbessert werden. Für den „privaten“ Steuerpflichtigen soll dieser Weg zwar weiterhin nicht verbindlich sein. Es wird aber angestrebt, den Anteil der elektronischen Kommunikation auf freiwilliger Basis zu steigern. Künftig soll es möglich sein, nicht nur die Steuererklärung selbst, sondern auch die dazu gehörenden Belege und Erläuterungen elektronisch zu übermitteln.
3. Steuererklärungsfristen und Verspätungszuschlag
Durch die Änderung des § 149 Abs. 2 AO-E erhalten nicht beratende Steuerpflichtige künftig zwei Monate mehr Zeit für die Erstellung bzw. Abgabe der Steuererklärung. Das heißt, die Abgabefrist soll vom 31.5. auf den 31.7. verlängert werden. Für von einem Steuerberater angefertigte Erklärungen ist ebenfalls eine um zwei Monate verlängerte Frist vorgesehen (= Ende Februar des Zweitfolgejahres).
Beachten Sie | In bestimmten Fällen (vgl. hierzu § 149 Abs. 4 AO-E) kann das FA anordnen, dass Erklärungen vor Ende Februar des Zweitfolgejahres abzugeben sind. Die Frist für die Abgabe vorab angeforderter Steuererklärungen soll vier Monate nach Bekanntgabe der Anordnung betragen.
Die Regelungen zum Verspätungszuschlag sollen insgesamt neu gefasst werden (§ 152 AO-E). Erfreulich: Im Vergleich zum Regierungsentwurf wurde hier im Sinne der Steuerpflichtigen nachgebessert. Bei einer Steuerfestsetzung von 0 EUR oder in Erstattungsfällen bleibt es bei der bisherigen Ermessensentscheidung. Der automatische Verspätungszuschlag ist in diesen Fällen somit „vom Tisch“. Ferner wurde der Mindestverspätungszuschlag von monatlich 50 EUR auf 25 EUR reduziert.
Zudem sieht § 152 Abs. 5 S. 3 AO-E eine Billigkeitsregelung für solche Fälle vor, in denen Steuerpflichtige bis zum Zugang einer nach Ablauf der allgemeinen Erklärungsfrist versandten Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung davon ausgehen konnten, nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet zu sein. Hier soll der Verspätungszuschlag erst vom Ablauf der in der Aufforderung bezeichneten Erklärungsfrist an berechnet werden.
4. Datenübermittlung durch Dritte
Viele Daten, die Steuerpflichtige in ihrer Einkommensteuer-Erklärung angeben müssen, liegen dem FA wegen entsprechender Datenübermittlungen Dritter (z. B. Mitteilungen der Arbeitgeber und der Kranken- oder Rentenversicherung) bereits vor. Durch die Neuregelung in § 150 Abs. 7 S. 2 AO-E können Steuerpflichtige in derartigen Fällen auf eine eigenständige Deklaration dieser Daten verzichten. Die von dritter Seite übermittelten Daten gelten dann als vom Steuerpflichtigen angegebene Daten.
Stellt sich nach Erlass des Steuerbescheids heraus, dass diese Daten zuungunsten des Steuerpflichtigen falsch waren, ist der Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern (§ 175b Abs. 2 AO-E).
Beachten Sie | Die Datenübermittlungen Dritter werden dadurch aber nicht zu bindenden Grundlagenbescheiden. Dem Steuerpflichtigen steht es frei, in der Steuererklärung eigene Angaben zu machen. Weichen diese Angaben von den von dritter Seite übermittelten Daten ab, muss der Steuerfall nach § 155 Abs. 4 S. 3 AO-E durch einen Amtsträger geprüft werden.
5. Neue Korrekturvorschrift (§ 173a AO-E)
Eine offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO, die zur Korrektur eines Verwaltungsakts berechtigt, liegt u. a. dann vor, wenn das FA eine in der Steuererklärung oder dieser beigefügten Anlagen enthaltene offenbare, d. h. für das FA erkennbare Unrichtigkeit als eigene übernimmt (vgl. AEAO zu § 129 AO). Demzufolge scheitert eine Korrektur bei Schreib- oder Rechenfehlern des Steuerpflichtigen, die das FA nicht erkennen und sich somit auch nicht zu eigen machen konnte. Dies kommt insbesondere bei elektronisch übermittelten Steuererklärungen vor, wenn dem FA daneben keine ergänzenden Unterlagen übersandt werden. § 173a AO-E soll in diesen Fällen künftig eine Änderung ermöglichen.
|
Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit dem Steuerpflichtigen bei Erstellung seiner Steuererklärung Schreib- oder Rechenfehler unterlaufen sind und er deshalb der Finanzbehörde bestimmte, nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheids rechtserhebliche Tatsachen unzutreffend mitgeteilt hat. |
Beachten Sie | Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/7457) ist das schlichte Vergessen eines Übertrags selbst ermittelter Besteuerungsgrundlagen in die Steuererklärung kein Schreib- oder Rechenfehler i. S. des § 173a AO-E. In diesen Fällen liegt aber regelmäßig eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 AO vor. Dabei ist das schlichte Vergessen des Übertrags selbst ermittelter Besteuerungsgrundlagen nicht grundsätzlich grob fahrlässig. Nach Auffassung des BFH (10.2.15, IX R 18/14) zählen solche bloßen Übertragungs- oder Eingabefehler zu den Nachlässigkeiten, die üblicherweise vorkommen und mit denen immer gerechnet werden muss.
6. Aus Belegvorlage- werden Belegvorhaltepflichten
Belegvorlagepflichten sollen (weitestgehend) in Belegvorhaltepflichten mit risikoorientierter Anforderung durch die Finanzverwaltung umgewandelt werden. Dies betrifft z. B. die Änderung des § 50 EStDV-E für Spendenquittungen, wonach der Steuerpflichtige die Zuwendungsbescheinigung erst auf Anforderung der Finanzverwaltung vorlegen muss. Willigt der Steuerpflichtige ein, kann sogar auf die Belegvorhaltepflicht verzichtet werden, wenn der Zuwendungsempfänger die Zuwendung direkt elektronisch an die Finanzverwaltung meldet.
Beachten Sie | Der Bundesrat (BR-Drucks. 631/15 (B)) hatte angeregt, die vorgesehene Aufbewahrungsfrist von einem Jahr nach Bekanntgabe der Steuerfestsetzung in Anlehnung an die u. a. für Privatpersonen geltende Regelung in § 14b Abs. 1 S. 5 UStG auf zwei Jahre zu verlängern. Dieser Vorschlag wurde jedoch nicht in den Gesetzentwurf aufgenommen.
7. Aktivierungswahlrecht für Herstellungskosten
Durch den neuen § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG-E soll ein steuerliches Wahlrecht bezüglich des Umfangs der zu aktivierenden Herstellungskosten gesetzlich verankert werden. Konkret geht es um die in § 255 Abs. 2 S. 3 HGB genannten Aufwendungen (= angemessene Teile der Kosten der allgemeinen Verwal-tung sowie angemessene Aufwendungen für soziale Einrichtungen des Be-triebs, für freiwillige soziale Leistungen und für die betriebliche Altersver-sorgung). Dies entspricht der langjährigen Verwaltungspraxis, die in R 6.3 Abs. 4 EStR 2008 festgehalten ist und nach der weiterhin verfahren werden darf (BMF 25.3.13, IV C 6 - S 2133/09/10001).
Beachten Sie | Das Wahlrecht ist bei Gewinnermittlung nach § 5 EStG in Übereinstimmung mit der Handelsbilanz auszuüben.
8. Inkrafttreten
Das Gesetz muss noch den Bundesrat passieren. Dies ist für Mitte Juni vorgesehen. Weitestgehend soll das Gesetz zum 1.1.17 in Kraft treten. Allerdings sind zahlreiche Anwendungsregelungen zu beachten. So sollen z. B. die Regelungen zum Verspätungszuschlag grundsätzlich erstmals auf Steuererklärungen anzuwenden sein, die nach dem 31.12.18 einzureichen sind. Auch die verlängerten Abgabefristen nach § 149 AO sollen erstmals für Besteuerungszeiträume gelten, die nach dem 31.12.17 beginnen.