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  • · Nachricht · Kindergeld

    Ist die Regelung zum Kindergeldanspruch für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer verfassungswidrig?

    | Das FG Niedersachsen hält § 62 Abs. 2 EStG wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) für verfassungswidrig und hat seine Bedenken in mehreren Verfahren dem BVerfG vorgelegt (Aktenzeichen am Endes des Beitrags). |

     

    Das FG Niedersachsen hält die Regelung des § 62 Abs. 2 EStG, nach der ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer - abhängig von der Art seines Aufenthaltsstatus - teilweise keinen Anspruch auf Kindergeld hat, teilweise ohne weitere Voraussetzungen und teilweise nur bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen einen Anspruch auf Kindergeld hat, für verfassungswidrig. Denn § 62 Abs. 2 EStG verstößt gegen das für alle Menschen geltende Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Die vom Gesetzgeber gewählten Differenzierungskriterien des § 62 Abs. 2 EStG halten nach Auffassung des vorlegenden Gerichts einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Stellt man die gesetzlichen Differenzierungen des § 62 Abs. 2 EStG dem Zweck des Kindergeldes (§ 31 EStG: steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes und Förderung der Familie) gegenüber, ergibt sich kein zulässiger Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung i.S. des Artikel 3 Abs. 1 GG.

     

    Das BVerfG (1 BvL 2/10, 10.7.12) hat die Vorschriften zum Anspruch von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern auf Erziehungs- bzw. Elterngeld teilweise für verfassungswidrig erklärt. Seine Ausführungen gelten nach Auffassung des FG Niedersachsen nicht nur für das Erziehungs- bzw. Elterngeld. Sie gelten in gleicher Weise für die wortgleiche Vorschrift des § 62 Abs. 2 Nr. 2c i.V. mit Nr. 3b EStG für den Anspruch auf Kindergeld. Nicht nur die Verwehrung von Erziehungs- bzw. Elterngeld, sondern auch von Kindergeld berührt den nicht auf Deutsche beschränkten Schutz der Familie nach Artikel 6 Abs. 1 GG und das durch Artikel 6 Abs. 2 GG geschützte und nicht auf Deutsche beschränkte Elternrecht.

     

    Im Inland lebende ausländische Familien sind vom Bezug des Kindergeldes ausgeschlossen, wenn sie nicht den nach dem EStG erforderlichen „richtigen“ Aufenthaltsstatus haben oder die zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllen. Dies gilt auch, wenn ihre Kinder hier geboren sind und hier aufwachsen, die Familie bereits mehrere Jahre tatsächlich im Inland lebt und ihren Lebensunterhalt durch lohnsteuer- und sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ganz oder teilweise sichert.

     

    Demgegenüber haben etwa (wenn sie die allgemeinen Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld erfüllen)

     

    • ausländische Gastwissenwissenschaftler und ihre ausländischen technischen Mitarbeiter,
    • im Rahmen eines zeitlich befristeten Forschungsvorhabens tätige Ausländer,
    • ausländische Berufssportler und Trainer,
    • ausländische Fotomodelle und Dressmen,
    • ausländische Mitglieder der Besatzungen von Seeschiffen im Internationalen Verkehr und von Luftfahrzeugen

     

    einen Anspruch auf Kindergeld, auch wenn sie nur vorübergehend (mehr als sechs Monate) in Deutschland leben.

     

    Demgegenüber haben entsandte und in Deutschland nicht sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer (etwa: Saisonarbeiter, Erntehelfer) und Selbstständige aus dem EU-Ausland, die vorübergehend in Deutschland leben und deren Familie ihren Lebensmittelpunkt im EU-Ausland behält, einen Anspruch auf deutsches Kindergeld für ihre im Ausland lebenden Kinder. Das betrifft mehr als hunderttausend Kinder. Auch wenn die Lebenshaltungskosten im Ausland niedriger sind als in Deutschland, wird das Kindergeld nicht gekürzt.

     

    Des Weiteren verletzt § 62 Abs. 2 EStG das Gleichberechtigungsgebot für Männer und Frauen des Ar.t 3 Abs. 2 GG, weil Frauen aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen die in § 62 Abs. 2 EStG aufgestellten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld schwerer erfüllen können als Männer.

     

    Außerdem kann das Kindergeld auch beim Bezug von nachrangigen Sozialleistungen wirtschaftliche Bedeutung und Bedeutung für die Erlangung eines günstigeren Aufenthaltstitels haben.

     

    Nachweis der Aktenzeichen:

     

    Quelle: ID 42597454