· Fachbeitrag · Inkassodienstleister
Systemwechsel: Es ist nicht mehr erheblich, wer handelt, sondern welche Leistung erbracht wird
von VRiOLG Frank-Michael Goebel, Koblenz
| Der Deutsche Bundestag hat am 27.11.20 das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht (BT-Drucksache 19/20348) beschlossen. Nachdem der Bundesrat gegen das Gesetz keinen Einspruch eingelegt und der Bundespräsident es am 22.12.20 unterzeichnet hatte, wurde es am 30.12.20 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I, 3320). Schon zum 1.1.21 in Kraft getreten sind die allein sprachlich neu gefasste Postulationsfähigkeit der Inkassodienstleister in § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO sowie der Verzicht auf die Vorlage einer Vollmacht durch einen Inkasso-dienstleister in der Zwangsvollstreckung, wenn die Bevollmächtigung versichert wird (§ 753a ZPO). Die übrigen Regelungen treten zum 1.10.21 in Kraft. Das ist nur vermeintlich eine lange Zeit, weil die Reform aufgrund ihrer drastischen Einschnitte eine neue Kosten-/Nutzenbetrachtung unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten und infolgedessen eine Änderung der Arbeitsweise erfordert. FMP arbeitet die wichtigsten Aspekte auf. |
1. Jeder Rechtsanwalt ist betroffen
Lässt der Titel des Gesetzes vermuten, dass das Gesetz vor allem Inkasso-dienstleister betrifft, gelten die Regelungen tatsächlich für alle Inkassodienstleistungen. Solche Leistungen als Untergruppe der Rechtsdienstleistungen erbringen aber eben nicht nur Inkassodienstleister, sondern auch Rechtsanwälte.
MERKE | Nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 2 RDG liegt eine Inkassodienstleistung vor, wenn die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen als Forderungseinziehung in der Form eines eigenständigen Geschäfts betrieben wird. |
Es ist also nicht so, dass Inkassodienstleister automatisch Inkassodienstleistungen und Rechtsanwälte automatisch Rechtsdienstleistungen erbringen. Vielmehr ist maßgeblich, welche Leistung der Gläubiger ‒ als erforderlich ‒ beauftragt hat.
Es ist das formulierte Ziel des Gesetzes, die verfassungsrechtlich vorgegebene Gleichstellung von Rechtsanwälten und Inkassodienstleistern bei der Erbringung von Inkassodienstleistungen zu manifestieren. So werden die Vergütungsregelungen allesamt über das RVG geregelt, während bei den berufsrechtlichen Bestimmungen ein Gleichlauf des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) und der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) hergestellt wird.
2. Inkassodienstleistung gegen Rechtsdienstleistung
Für die Frage, ob der Rechtsdienstleister von der Reform betroffen ist, ist also zu prüfen, ob er überhaupt (nur) mit einer Inkassodienstleistung oder mit einer Rechtsdienstleistung beauftragt wurde. Eine Rechtsdienstleistung liegt nach § 2 Abs. 1 RDG immer vor, wenn die Forderungseinziehung im konkreten Einzelfall eine Rechtsprüfung erfordert. Unerheblich ist also, ob eine solche Rechtsprüfung stattfindet, sondern ob sie auch erforderlich ist.
Das wird jedenfalls der Fall sein, wenn
- der Gläubiger einen Beratungsbedarf hat, weil über die Berechtigung seiner Forderung Unsicherheit besteht;
- der Rechtsdienstleister im Einzelfall Bedenken gegen die Forderung hat und sich gehalten sieht, den Gläubiger hierauf hinzuweisen;
- das Verhalten des Schuldners, insbesondere seine Begründung für die Nichtleistung, eine Prüfung der Forderung im Einzelfall veranlasst.
Liegen diese Voraussetzungen vor, fehlt es an einer Inkassodienstleistung, sodass es bei dem bisherigen Gebührenrecht bleibt. Ist dagegen eine Rechtsprüfung (noch) nicht erforderlich, etwa weil der Schuldner sich auf die Gläubigermahnungen gar nicht gemeldet hat, liegt zunächst nur eine Inkassodienstleistung vor. Es ist abzurechnen, wie im Folgenden dargestellt.
MERKE | Das bedeutet, dass der Gläubiger eine Forderungseinziehung als umfängliche Rechtsdienstleistung beauftragen kann. Erforderlich ist mit der Erstmahnung des Inkassodienstleisters aber zunächst nur eine (kostengünstigere) Inkassodienstleistung. Im Laufe der Bearbeitung kann sich jedoch aus dem Verhalten des Schuldners ableiten, dass aus der Inkassodienstleistung aufgrund der erforderlichen Rechtsprüfung im Einzelfall eine Rechtsdienstleistung wird. |
3. Es geht den Rechtsdienstleistern ans Geld
Der Gesetzgeber regelt im RVG ein neues Gebührensystem für das Erbringen von Inkassodienstleistungen und kürzt dabei die Gebühren und in der Folge bei kleineren Forderungen auch die Auslagen ganz erheblich ‒ in der Spitze um bis zu 75 Prozent. Er kürzt die Geschäftsgebühr erheblich und führt sie bei Kleinforderungen bis 50 EUR durch einen gesetzgeberischen „Trick“ auf eine faktische 0,3-Geschäftsgebühr zurück, wenn der Schuldner auf die erste Inkassomahnung zahlt.
Beachten Sie | Der Korridor einer 1,3- bis 2,5-Geschäftsgebühr bleibt bei Inkassodienstleistungen ganz verschlossen und der Gebührenrahmen der 0,5- bis 1,3-Geschäftsgebühr wird neu geordnet.
Rechtsanwälte und Inkassodienstleister werden bei Aufträgen nach dem 1.10.21 folgende Änderungen beachten müssen:
Checkliste / Gebührenrechtliche Änderungen im Überblick |
|
|
|
|
4. Rechtsanwalt und Inkassodienstleister müssen rechnen
Es bedarf keiner großen Anstrengungen, um zu erkennen, dass man die gleiche Leistung nicht erbringen kann, wenn die Vergütung um 33 Prozent bis 75 Prozent gesenkt wird. Der Rechtsdienstleister muss also prüfen, welche Leistungen er wirtschaftlich noch für die dann zugebilligte Vergütung erbringen kann, sodass auch noch ein notwendiger Betriebsgewinn verbleibt. Der Rechtsdienstleister ist gefordert, seine Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und zu ändern.
Es wird nur noch eine kurze vorgerichtliche Forderungseinziehung und eine schnelle Titulierung und Vollstreckung geben können. Die gütliche Einigung vor Titulierung ist im Verhältnis des erforderlichen Aufwandes zum tatsächlichen Ertrag kaum zu rechtfertigen. Der Gläubiger muss gleichzeitig überlegen, wie er beim Vertragsabschluss noch strenger selektiert, um erst gar keine Forderungen entstehen zu lassen. Der wirtschaftlich beengt lebende Schuldner wird nicht mehr jede Leistung angeboten bekommen und häufiger „Vorkasse“ leisten müssen.
5. Auf gekürzte Vergütung folgen mehr Pflichten und Aufgaben
Für die Inkassodienstleister werden die Informationspflichten künftig nicht mehr in § 11a RDG, sondern in § 13a RDG geregelt sein, während es für die Rechtsanwälte bei der Regelung in § 43d BRAO verbleibt. Inkassodienstleister müssen mithin ihre Formschreiben normativ anpassen.
Checkliste / Mehr Informationen für den Schuldner |
Inhaltlich gibt es für beide Rechtsdienstleister eine Reihe von zu beachtenden Änderungen bei den Informationspflichten:
|
|
6. Erleichterung in der Zwangsvollstreckung
Während Anwälten in der Vollstreckung der Vollmachtsnachweis durch § 88 Abs. 2 ZPO faktisch erspart geblieben ist, mussten Inkassounternehmen diese bisher vorlegen. Diese Ungleichbehandlung ist seit dem 1.1.21 beseitigt. Nach § 753a ZPO muss nur noch versichert werden, dass die Vollmacht zum Betreiben der Vollstreckung vorliegt. Ausnahme ist der Haftbefehlsantrag. Dies entspricht der Verfahrensweise im gerichtlichen Mahnverfahren, § 703 ZPO.
PRAXISTIPP | Die Regelung betrifft (nur) die Vertretungsvollmacht, nicht die Geldempfangsvollmacht, die Anwälte wie Inkassodienstleister weiterhin vorlegen müssen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz keine Vorlage einer Originalvollmacht verlangt, sondern die Übersendung einer Kopie genügt, wenn nicht Zweifel an der Echtheit begründet werden können. Die Vollmacht kann wie folgt lauten: „Hiermit wird versichert, dass der Unterzeichner vom Gläubiger mit der unbeschränkten Einziehung der Forderung im Rahmen seiner Postulationsfähigkeit und damit auch im Rahmen der Mobiliarzwangsvollstreckung beauftragt ist“. |
7. Jetzt geht es los
Rechtsanwälte und Inkassodienstleister haben nun neun Monate Zeit, sich auf die Reform vorzubereiten und zu sehen, ob und welche Prozesse unwirtschaftlich sind. Von den Vereinbarungen mit Mandanten über die Art, Dauer und den Inhalt der Kommunikation mit dem Schuldner bis hin zur Frage, ob und wann noch eine gütliche Einigung unter welchen Bedingungen in Betracht kommt, müssen sie jeden Schritt auf den Prüfstand stellen.