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  • · Fachbeitrag · Bereicherungsrecht

    Nicht jede unberechtigte Überweisung muss zurückgezahlt werden

    An den gefestigten Grundsätzen der Rechtsprechung zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung in den sog. Anweisungsfällen ist auch nach der Regelung des Rechtes der Zahlungsdienste in §§ 675c ff. BGB in Umsetzung der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.07 (Zahlungsdiensterichtlinie) festzuhalten (AG Hamburg-Harburg 24.4.13, 642 C 2/13, Abruf-Nr. 133386).

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rückabwicklung einer Überweisung in Anspruch. Die Klägerin ist ein Kreditinstitut, bei der H. ein Konto unterhält. 
J. stellte ihrem seinerzeitigen Ehemann (Schuldner = S.) für dieses Konto des H. eine Vollmacht aus, zugleich erhielt S. einen eigenen Online-Zugriff auf dieses Konto mittels sog. PIN und TAN-Liste. Nachdem die Ehe gescheitert war, widerrief J. gegenüber der Klägerin die Vollmacht zugunsten des S. In der Folgezeit nahm er zunächst keine Verfügungen mehr über das Konto vor. Den Online-Zugang sperrte die Klägerin entgegen der widerrufenen Kontovollmacht jedoch nicht.

     

    Die RA-Sozietät in Hamburg (GmbH), deren Sozius der Beklagte ist, hatte aus einem Mandat gegen den S. offene Honorarforderungen von über 2.475,20 EUR. Am 8.2.10 überwies der S. unter Ausnutzung seines noch funktionierenden Online-Zugangs 2.900 EUR an die RA-Sozietät. Die Klägerin forderte sie am 22.7.10 zur Rückzahlung auf, was aber nur in Höhe der Differenz zwischen Zahlung und Forderung geschah. Die Klägerin berühmt sich eines Bereicherungsanspruchs gegen den Beklagten, der als Gesellschafter der RA-Sozietät persönlich hafte.

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Die geschilderte Situation ist in der Praxis häufig. Der in Zahlungsschwierigkeiten befindliche Schuldner will eine Lücke schließen und bedient sich entgegen den sonstigen Vereinbarungen im Innenverhältnis und gegebenenfalls sogar in strafrechtlich relevanter Weise (Untreue) am Einkommen oder Vermögen eines Dritten.

     

    Die Konstellation wirft bereicherungsrechtlich erhebliche Probleme auf. Nicht immer handeln der Dritte und die involvierte Bank - wie hier - richtig.

     

    Das AG verneint vor einem solchen Hintergrund vorliegend einen Bereicherungsanspruch des Kreditinstituts gegen die RA-Sozietät und ihren Gesellschafter nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.

     

    Damit verlagert sich das Liquiditätsrisiko vom Gläubiger auf den (vermeintlichen) Kreditgeber des Schuldners.

    Einer Rückgriffskondiktion der Klägerin gegen den Beklagten steht ein vorrangiges Leistungsverhältnis zwischen der Klägerin und J. aus dem Girovertrag einerseits (Deckungsverhältnis) und des Schuldners und der RA-Sozietät bzw. dem Beklagten aus dem Mandatsvertrag andererseits (Valutaverhältnis) entgegen, das eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung zwischen den Parteien (Zuwendungsverhältnis) ausschließt.

     

    MERKE  | Für die Praxis bleibt unerheblich, welcher Art der Vertrag zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner ist. Die Grundverhältnisse decken sich auch bei sonstigen Miet-, Kauf-, Dienst- oder Werkverträgen oder Verträgen sonstiger Art.

     

     

    In den Fällen der Leistung kraft Anweisung vollzieht sich der Bereicherungsausgleich nach ständiger Rechtsprechung des BGH grundsätzlich innerhalb des jeweiligen fehlerhaften Leistungsverhältnisses, also zum einen zwischen dem Anweisenden und dem Angewiesenen im sogenannten Deckungsverhältnis und zum anderen zwischen dem Anweisenden und dem Anweisungsempfänger im sogenannten Valutaverhältnis.

     

    Nach dem bereicherungsrechtlichen Leistungsbegriff bewirkt der Angewiesene mit seiner Zuwendung an den Anweisungsempfänger zunächst eine 
eigene Leistung an den Anweisenden und zugleich eine Leistung des Anweisenden an den Anweisungsempfänger (BGH NJW 11, 66).

     

    Wie immer: Entscheidend ist der Empfängerhorizont

    Für die Bestimmung der Leistungsverhältnisse ist nach der Lehre vom sog. objektiven Empfängerhorizont entscheidend, als wessen Leistung sich die Zuwendung bei objektiver Betrachtungsweise in den Augen des Zuwendungsempfängers darstellt. Nicht auf den inneren Willen des Leistenden, sondern auf die Erkennbarkeit der Person des Leistenden „aus der Sicht des Zuwendungsempfängers“ kommt es an (BGH WM 64, 85).

     

    Dies gilt auch, wenn mehr als drei Personen an dem Leistungsverhältnis 
beteiligt sind (BGH JZ 62, 671).

     

    Doppelzahlung als Rückzahlungsgrund

    Ein unmittelbarer Bereicherungsanspruch gegen den Zahlungsempfänger kommt allerdings in Betracht, wenn es an einer Anweisung ganz fehlt und dies dem Zahlungsempfänger bekannt ist. Dessen schutzwürdige Belange sind nicht betroffen, weil er weiß, dass es an einer Leistung seines Vertragspartners fehlt.

     

    Dies ist insbesondere bei versehentlicher Doppelausführung einer Überweisung anzunehmen (BGH NJW 11, 66; LG Hannover BKR 11, 348).

     

    Die o.g. Voraussetzungen des Rückgriffsanspruchs liegen in der genannten Konstellation nicht vor:

    Checkliste / Darum scheitert der Rückgriffsanspruch

    • Es fehlt an einer Kenntnis des Beklagten vom Fehlen einer Anweisung im Deckungsverhältnis.

     

    • Aus Sicht des Beklagten als Zuwendungsempfänger sollte durch die von der Klägerin ausgeführte Überweisung eine Leistung der J. für den S. (§ 267 BGB) an den Beklagten erbracht werden. Dies ergibt sich hinreichend deutlich aus dem Kontoauszug, in dem J. als Zahlerin und das bei den Beklagten geführte Aktenzeichen des Mandats, auf dem die Forderung gegen den S. beruht, als Verwendungszweck angegeben ist.

     

    • Wegen der eindeutigen Zweckbestimmung der Zahlung ist es unschädlich, dass der Überweisungsbetrag etwas höher ausgefallen ist als die Forderung bestand.

     

    • Der Umstand, dass der Kontoauszug J. und nicht den S. als Zahler ausweist, erlaubt nicht die Annahme, aus Sicht des Beklagten als Zahlungsempfänger sei das Fehlen einer Anweisung der Kontoinhaberin offensichtlich. Es kann dahinstehen, ob es sich bei der Zahlung um ein „übliches Geschehen im Familienverband“ handelt, woran nach Scheitern der Ehe zwischen S. und J. allerdings gewisse Zweifel bestehen. Dessen ungeachtet begründet aber die genaue Angabe der Mandatsnummer auf der Überweisung hinreichend schützenswertes Vertrauen des Beklagten darauf, dass die Überweisung von der Kontoinhaberin J. - die aus Sicht des Beklagten allein Zugriff auf ihr Konto hatte - in Kenntnis der Verbindlichkeit des S. gegenüber dem Beklagten veranlasst war.

     

    • Gründe der J., als Dritte für den S. eine Leistung an den Beklagten zu erbringen, sind unabhängig vom Fortbestand der Ehe viele denkbar. Sie zu erforschen, oblag dem Beklagten nicht.
     

     

    Kein schutzwürdiges Vertrauen des Kreditinstitutes

    Der grundsätzliche Vorrang der Leistungsverhältnisse gegenüber einer 
Direktkondiktion gegen den Zahlungsempfänger führt auch nicht zu einer unbilligen Risikoverlagerung auf die Klägerin. Fehlerhaft ist hier das 
Deckungs- und nicht das Valutaverhältnis. Unstreitig konnte der Schuldner die Überweisung nur vornehmen, weil es die Klägerin nach dem Widerruf der Kontovollmacht versäumt hatte, den Online-Zugang des Schuldners zu sperren. Da der Fehler somit im Organisationsbereich der Klägerin liegt, sind schützenswerte Belange, die eine Direktkondiktion der Klägerin gegen den Beklagten geböten, nicht gegeben (BGH NJW 11, 66).

     

    Da das Kreditinstitut es trotz des Widerrufes der Vollmacht versäumt hat, den Online-Zugang zu sperren, kommt ein Rückgriff gegen die Kontoinhaberin nicht in Betracht. Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn der Schuldner tatsächlich noch formell im Außenverhältnis der Kontoinhaberin zum Kreditinstitut Kontovollmacht hat. Dann kann sich das Kreditinstitut an der Kontoinhaberin wegen deren Versäumnisse im Deckungsverhältnis schadlos halten. Diese muss dann wiederum die veruntreuten Gelder beim Schuldner einziehen. Da der Schuldner sich meist einer Untreue oder Unterschlagung strafbar gemacht haben dürfte, ergibt sich dieser Zahlungsanspruch zumindest auch aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den strafrechtlichen Normen, was nach entsprechender Titulierung eine erleichterte Vollstreckung ermöglicht 
(§ 850f Abs. 2 BGB) und eine Teilnahme der Regressforderung an einer Restschuldbefreiung in einem Verbraucherinsolvenzverfahren nach notwendiger Forderungsanmeldung nach § 302 InsO vermeidet.

    Streitfrage: Führen Gesetzesänderungen zu anderer Sichtweise?

    An dieser Bewertung nach den gefestigten Grundsätzen der Rechtsprechung zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung in den sog. Anweisungsfällen ist nach Auffassung des AG auch nach der Regelung des Rechtes der Zahlungsdienste in §§ 675c ff. BGB in Umsetzung der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 („Zahlungsdiensterichtlinie“) zu Recht festzuhalten.

     

    Anderer Ansicht ist allerdings das LG Hannover (BKR 11, 348), wonach aufgrund des Inkrafttretens des § 675u BGB ein nicht autorisierter Zahlungsvorgang generell nicht mehr als bereicherungsrechtliche Leistung des Kontoinhabers an den Zahlungsempfänger anzusehen und deshalb eine Eingriffskondiktion der Bank gegen den Zahlungsempfänger gegeben sei. Das wird von der Literatur (Bartels, WM 10, 1828; Belling/Belling, JZ 10, 708; Winkelhaus, BKR 10, 441) teilweise geteilt.

     

    Dem von der Gegenansicht vertretenen Verständnis, wonach die Rückgriffsperre des § 675u BGB auch bereicherungsrechtliche Ansprüche erfasst, 
widerspricht bereits die Beschränkung des Wortlauts auf „Erstattung von Aufwendungen“, worunter Kondiktionen nicht zu subsumieren sind (Kiehnle, JURA 12, 895). Auch die Regierungsbegründung zu § 675u BGB (BT-Drucksache 16/11643, S. 113) gibt für einen Ausschluss bereicherungsrechtlicher Rückgriffsansprüche nichts her.

     

    Unabhängig davon ist der Regelungsumfang des § 675u BGB auf das 
Deckungsverhältnis beschränkt. Die Ausdehnung der Norm auf das bereicherungsrechtliche Haftungsregime in Anweisungsfällen insgesamt ist auch nicht aufgrund des Vollharmonisierungsgebots gemäß Art. 86 der Zahlungsdiensterichtlinie geboten, sondern würde vielmehr eine „überschießende Transformation“ der Richtlinie bedeuten (Schnauder, jurisPR-BKR 11/2011, Anm. 4). Für eine damit eintretende Verkürzung des Vertrauensschutzes des Zahlungsempfängers - dem Interna des Deckungsverhältnisses regelmäßig nicht bekannt sind und der sich demgemäß darauf verlassen können soll, er dürfe das auf seinem Konto gutgeschriebene Geld behalten - gibt die allein für das Deckungsverhältnis maßgebliche Norm nichts her (Kiehnle, a.a.O. 895).

     

    MERKE | Ganz rechtlos ist das Kreditinstitut nicht, wenn man der Ansicht des AG folgt. Es hat einen Anspruch gegen die Kontoinhaberin auf Abtretung des Erstattungsanspruchs gegen den Schuldner. Hier muss das Kreditinstitut beachten, dass es sich nicht nur den Bereicherungsanspruch abtreten lässt, sondern auch den deliktischen Anspruch (s.o.), damit die Durchsetzung wahrscheinlicher wird.

     

    Die Verweisung des Zahlungsempfängers auf den Entreicherungseinwand nach § 818 Abs. 3 BGB bietet keinen hinreichenden Grund dafür, den Zahlungsempfänger einer Direktkondiktion der Bank auszusetzen. Der Vertrauensschutz würde so von der Liquidität des Zahlungsempfängers abhängen und nur eingreifen, wenn dieser selbst in besonders beengten finanziellen Verhältnissen steht (Rademacher, NJW 11, 2169).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Neues zur formularmäßigen Einzugsermächtigung, FMP 08, 169
    Quelle: Ausgabe 11 / 2013 | Seite 184 | ID 42387448