· Fachbeitrag · Berufsrecht
Der Anwalt als Schuldner
| Auch Rechtsanwälte können in finanzielle Notlagen kommen. Wie in anderen freien Berufe bringt dies aber nicht nur die Unannehmlichkeit mit sich, der Forderungseinziehung durch einen Dritten ‒ peinlicherweise sogar einen örtlichen Kollegen ‒ ausgesetzt zu sein. Vielmehr kann die Situation auch die berufliche Existenz kosten und damit die Grundlage, um die offenen Verbindlichkeiten dauerhaft zu befriedigen. Das sollte auch der Gläubiger wissen ‒ einerseits, weil er den anwaltlichen, also freiberuflichen Schuldner schon vorgerichtlich auf diesen Umstand hinweisen und so möglicherweise gütliche Lösungsansätze fördern kann, zum anderen, weil ein zu forsches Vorgehen die tatsächliche Befriedigung der Forderung infrage stellt. Die Grundsätze der BGH-Rechtsprechung sollten daher bekannt sein. FMP hat einen exemplarischen Fall aufbereitet. Dieser ist auch auf Schuldner aus anderen freien Berufen mit entsprechenden Regelungen, wie Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Architekten usw. übertragbar. |
Entscheidungsgründe
Die o. g. Grundsätze fasst der BGH in folgendem Leitsatz prägnant zusammen.
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Die Zulassung eines Rechtsanwalts ist zu widerrufen, wenn die durch die Eintragung im Schuldnerverzeichnis begründete Vermutung des Vermögensverfalls nicht durch eine nachgewiesene Befriedigung der offenen Forderungen, eine geordnete Aufstellung von Verbindlichkeiten mit einem Schuldentilgungsplan unter Darlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse widerlegt ist oder in einem atypischen Ausnahmefall sicher ausgeschlossen werden kann, dass die weitere Tätigkeit Rechtssuchende nicht gefährdet (Abruf-Nr. 206672). |
Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtssuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet oder der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO, § 882b ZPO) eingetragen ist.
Ein Vermögensverfall liegt nach dem BGH vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, den Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind Schuldtitel und Vollstreckungsmaßnahmen, die sich gegen den Rechtsanwalt richten (BGH 8.12.10, AnwZ (B) 119/09; 20.12.13, AnwZ (Brfg) 40/13; BGHZ 190, 187). Ist der Rechtsanwalt in dem vom Vollstreckungsgericht zu führenden Verzeichnis gemäß § 882b ZPO eingetragen, wird der Vermögensverfall vermutet.
MERKE | Maßgeblich sind allein die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Widerrufsbescheids im Verfahren. Bessert sich danach die Situation, ist dies nach dem BGH allein in einem Wiederzulassungsverfahren zu prüfen (BGHZ 190, 187). |
Im Fall des BGH lagen bei der betroffenen Rechtsanwältin sogar zwei Eintragungen jeweils wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft nach § 882c Abs. 1 Nr. 1 ZPO vor. Diese waren weder ‒ wegen Zeitablaufs ‒ gelöscht, noch sonst getilgt.
MERKE | Damit bestand sogar die Gefahr, dass gegen die Rechtsanwältin nach§ 802g ZPO ein Haftbefehl ergeht. Das ist für ein selbstständiges Organ der Rechtspflege kaum tragbar. |
Relevanz für die Praxis
Der Rechtsanwalt als Schuldner hat drei Ebenen, auf denen er einen Widerruf der Zulassung vermeiden kann:
- Forderungsausgleich,
- geordnete Vermögensaufstellung und
- fehlende Gefährdung der Rechtssuchenden.
Forderungsausgleich
Der Rechtsanwalt kann die Vermutung widerlegen, wenn die Forderungen zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung getilgt sind (BGH 25.8.16, AnwZ (Brfg) 30/16, Abruf-Nr. 188971). Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit beim Rechtsanwalt als Schuldner.
PRAXISTIPP | Diese Ebene wird der Gläubiger dem Schuldner selbstverständlich empfehlen müssen. Dabei wird allerdings zu zeigen sein, wie dies gelingen kann. Die Aktivierung familiärer Hilfe oder ‒ bei angestellten Rechtsanwälten ‒ auch des Arbeitgebers kann eine Lösung sein. Aus der wirtschaftlichen Situation mögen sich auch abtretbare Steuererstattungsansprüche ergeben. Es gilt hier, mit dem Schuldner ins Gespräch zu kommen. |
Geordnete Vermögensaufstellung
Zur Widerlegung der Vermutung im Übrigen muss der Rechtsanwalt ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und dartun, dass die Vermögens- und Einkommensverhältnisse ‒ wiederum bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheides ‒ nachhaltig geordnet waren (st. Rspr.; vgl. BGH 24.3.17, AnwZ (Brfg) 60/16, Abruf-Nr. 193622). Er muss also darlegen, welche Verbindlichkeiten bestanden und wie diese ausgeglichen oder sonst zurückgeführt oder reguliert werden sollen. Es bedarf insoweit also auch einer geordneten Einnahmen- und Ausgabenübersicht.
PRAXISTIPP | Hier kann der Gläubiger als Beitrag zur Sanierung die Ratenzahlungsvereinbarung anbieten, die dann im Rahmen der geordneten Aufstellung zu präsentieren wäre. Vor dem Hintergrund der existenziellen Bedrohung des Schuldners und einer denkbaren Insolvenz muss aber ganz besonders auch an Sicherheiten gedacht werden. |
Fehlende Gefährdung der Rechtssuchenden
Ein Widerruf muss ansonsten unterbleiben, wenn eine Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden ausgeschlossen werden kann. Allerdings besteht auch hier eine entsprechende Vermutung. Mit dem Vermögensverfall ist nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers nach dem BGH grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden verbunden. Die Annahme ist regelmäßig schon im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern gerechtfertigt (st. Rspr.; BGH NJW 17, 1181).
Es obliegt dann dem Rechtsanwalt, Aspekte vorzutragen, die einer solchen Gefährdung entgegenstehen. Allein die Versicherung, Fremdgelder nicht entgegenzunehmen, genügt dafür nicht (BGH 31.3.17, AnwZ (Brfg) 58/16).
PRAXISTIPP | Diese Option hilft vom Grundsatz nur dem Schuldner, ohne dass der Gläubiger der Befriedigung seiner Forderung näher kommt. Es gilt deshalb, den Ausnahmecharakter der Option deutlich zu machen und die anderen beiden Optionen als realistischer in den Raum zu stellen. |
Um eine solche Gefährdung auszuschließen, will der BGH es etwa genügen lassen, dass die anwaltliche Tätigkeit nur noch im Rahmen einer anwaltlichen Sozietät ausgeübt wird und dabei entsprechende Sicherungsmaßnahmen vereinbart wurden. Hier müssen die Sozien allerdings die Gefahr der Mithaftung sehen, was deren Bereitschaft zu Konzessionen gering halten wird.
Der BGH hat allerdings schon früher entschieden, dass von einem Widerruf der Zulassung eines in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts nur abgesehen werden kann, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung eine sichere Prognose dahin gehend getroffen werden kann, dass sich die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden (BGH AnwBl. 10, 442). Grundlage einer solchen Prognose kann nicht allein der Abschluss eines den BGH-Entscheidungen (BGH NJW 07, 2924) nachgebildeten Anstellungsvertrags sein. Vielmehr entscheidet eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände darüber, ob die Gefährdung der Rechtssuchenden hinreichend sicher ausgeschlossen ist. Dies wird angesichts der für eine Gefährdung streitenden Vermutung nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen; die Feststellungslast hierfür trifft den Rechtsanwalt.