· Fachbeitrag · COVID-19-Pandemie
Erfüllung von Verträgen in Zeiten der Coronapandemie
| Die Bundesländer haben im Zuge der Coronapandemie viele Beschränkungen erlassen, die insbesondere im Dienstleistungsbereich zur Schließung von Einrichtungen und Betrieben geführt haben. So mussten aufgrund des Lockdowns z. B. alle Fitnessstudios schließen. Auch andere Dauerschuldverhältnisse sind davon betroffen. Solche Maßnahmen haben in den letzten Wochen auch wieder im Raum gestanden und stehen auch für 2021 im Fokus. Doch viele Fragen sind im Forderungsmanagement offen. |
1. Diese Fragen sind offen
Zu klären ist insbesondere Folgendes: Welche Auswirkungen haben die coronabedingten Beschränkungen auf den Inhalt eines Vertrags und insbesondere auf die daraus resultierenden Leistungs- und Zahlungsverpflichtungen? Die Zahl der daraus resultierenden Rechtsfragen ist vielfältig und die Antworten gleichermaßen streitig. Für den Rechtsdienstleister ist es wichtig, eine erste rechtliche Bewertung vorzunehmen. Am Beispiel des Fitnessstudiovertrags stellen wir im Folgenden die wesentlichen Grundzüge dar.
2. Basiswissen: Das Spektrum der Leistungsstörungen
Soweit eine vertraglich geschuldete Leistung nicht oder nicht ordnungsgemäß erbracht wird, spricht das BGB von „Leistungsstörungen.“ Dabei werden vier Fallkonstellationen unterschieden:
3. Unmöglichkeit der Leistung
Darf eine Leistung aufgrund einer gesetzlichen Anordnung nicht erbracht werden, handelt es sich um eine sog. rechtliche Unmöglichkeit. Ist dem Schuldner die Erbringung seiner Leistung nicht mehr möglich, ist der Anspruch des Gläubigers auf die Leistung nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.
Die Konsequenz: Muss also der Betreiber des Fitnessstudios seine Einrichtung aufgrund der länderspezifischen Corona-Verordnungen schließen, hat der Schuldner keinen Anspruch auf die vertragliche Leistung.
Der Gläubiger kann sich dann aber umgekehrt auf § 326 Abs. 1 BGB berufen. Danach entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung, wenn der Schuldner nach § 275 BGB nicht zu leisten braucht.
Der Kunde ist also während dieser Zeit von der Pflicht befreit, die geschuldeten Beiträge zu zahlen. Soweit er die Beiträge bereits entrichtet hat, kann er nach § 326 Abs. 4 BGB die Rückerstattung verlangen. Der Fitnessstudiobetreiber muss auf die staatlichen Hilfen und ggf. Ansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz zurückgreifen.
PRAXISTIPP | Nach der am 20.5.20 in Kraft getretenen Gutscheinlösung (vgl. Art. 240 EGBGB, § 5) müssen Kunden aber auch Wertgutscheine akzeptieren, soweit der Vertrag vor dem 8.3.20 abgeschlossen wurde (vgl. dazu FMP 20, 117). |
4. Ausschluss durch AGB?
Einige Betreiber haben in ihren AGB einen Haftungsausschluss für den Fall der Unmöglichkeit vereinbart. So finden sich z. B. folgende Formulierungen:
|
Wird es dem Betreiber aus Gründen, welche er nicht zu vertreten hat, unmöglich, Leistungen zu erbringen, so hat der Benutzer keinen Anspruch auf Schadenersatz, zusätzliche Trainingszeiten oder Beitragsrückerstattung. |
Solche Klauseln sind jedoch nach § 307 BGB wohl unwirksam, da sie mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren sind (LG Frankfurt 17.7.97, 2/2 O 132/96).
5. Vertragsverlängerung möglich?
Statt einer Rückerstattung bereits geleisteter Beiträge bieten die Betreiber von Fitnessstudios ihren Kunden derzeit an, den Vertrag kostenfrei um die Zeit der Schließung zu verlängern. Die Verbraucherschützer sind der Ansicht, diese Praxis sei rechtlich nicht zulässig, da Verträge nicht einseitig verändert werden dürften. Erforderlich sei jedenfalls eine Zustimmung des Kunden. Doch so einfach ist die Rechtslage nicht.
6. Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB
Eine gegenteilige Rechtsauffassung vertreten erste gerichtliche Entscheidungen. So haben das AG Torgau (20.8.20, 2 C 382/19) und das LG Würzburg (23.10.20, 1 HK 1250/20) in der coronabedingten Schließung eines Fitnessstudios eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB erkannt.
Nach § 313 Abs. 1 BGB kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätte, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen einer Vertragspartei das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Die Covid-19-Pandemie trifft nach Auffassung der Gerichte die ganze Gesellschaft und erfordere ein solidarisches Handeln aller Beteiligten. Die nachteiligen Auswirkungen der Pandemie dürften im Zuge einer Vertragsabwicklung nicht einer Partei einseitig auferlegt werden.
Vielmehr gelte es, die Lasten gerecht zu verteilen. Die Coronapandemie wirke auf die Vertragspraxis wie ein exogener Schock. Die bisherige Maxime „Verträge sind einzuhalten“ bedürfe daher einer Auflockerung (so auch: Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 20, 107).
Die Anpassung des Vertrags, die Stundung der Mitgliedsbeiträge während der coronabedingten Schließung hinzunehmen und den Vertrag um diesen Zeitrahmen von drei Monaten zu verlängern, sei den Kunden daher zumutbar. Danach sei die entsprechende Praxis als rechtlich zulässig anzusehen.
PRAXISTIPP | Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung und dem Umstand, dass eine höchstrichterliche Klärung der Frage noch lange auf sich warten lassen wird, sollte in der alltäglichen Praxis eine gütliche Einigung angestrebt und soweit wie möglich umgesetzt werden. |
7. Kündigung des Vertrags?
Kunden versuchen, die Coronapandemie auch zu nutzen, um Verträge, z. B. mit einem Fitnessstudio, vorzeitig zu kündigen. Grundsätzlich ist jedoch nur eine ordentliche fristgemäße Kündigung möglich.
Für ein Sonderkündigungsrecht gibt es keine gesetzliche Grundlage. Vereinzelt wird vertreten, nach § 313 Abs. 3 BGB sei eine Kündigung des Vertrags zulässig. Gemäß § 313 Abs. 3 BGB kann bei einem Dauerschuldverhältnis das Recht zur Kündigung begründet sein, wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist.
Das AG Emmendingen (2.9.20, 7 C 92/20) hat diese Voraussetzungen bejaht, die Begründung überzeugt jedoch nicht. Die Störung der Geschäftsgrundlage führt nämlich grundsätzlich nicht zur Auflösung durch Kündigung des Vertrags, sondern zur Anpassung seines Inhalts an die veränderten Verhältnisse. Das maßgebliche Kriterium für die Anpassung ist die Zumutbarkeit.
Die Anpassung des Vertrags, die Stundung der Mitgliedsbeiträge während der coronabedingten Schließung hinzunehmen und den Vertrag um diesen Zeitrahmen von drei Monaten zu verlängern, ist dem Kunden aber zumutbar. Daher ist die abweichende Auffassung des AG abzulehnen. Eine Kündigung aufgrund der coronabedingten Schließung des Fitnessstudios ist daher nicht zulässig.
8. Fazit: Keiner weiß sicher, wohin die Reise geht
Das Rechtsinstitut einer „Störung der Geschäftsgrundlage“ war bislang auf Fälle von Inflation, Krieg und sonstige atypische Konstellationen höherer Gewalt beschränkt. Von einer atypischen Konstellation dürfte auch mit der COVID-19-Pandemie auszugehen sein.
Solche massiven Einschnitte in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland, Europa und der Welt gab es seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die COVID-19-Pandemie wird eine Reihe neuer Fragen aufwerfen, die zum Teil auch über dieses Rechtsinstitut eine Vertragsanpassung möglich machen.
Am Ende bietet sich so die beste Möglichkeit einer ausgleichenden Lastenverteilung. FMP wird über die weitere Entwicklung in der Rechtsprechung berichten.
Weiterführende Hinweise
- Gutscheinlösung auch bei Pauschalreisen, FMP 20, 158
- Gutscheinlösung bei Veranstaltungen und Freizeiteinrichtungen: mehr Liquidität und Risiken, FMP 20, 117 - mit Musterformulierung
- Die COVID-19-Pandemie entschuldigt nicht alles, FMP 21, 1 (in dieser Ausgabe)
- COVID-19-Pandemie: Nach der Konzert-Absage ist „alles“ zurückzuerstatten, FMP 21, 1 (in dieser Ausgabe)
- „Corona-Schutzschild“: Das müssen Sie wissen, FMP 20, 59