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  • · Fachbeitrag · Der praktische Fall

    Vorgerichtliche Inkassokosten im Erkenntnisverfahren

    von VRiOLG Frank-Michael Goebel, Koblenz

    | Ein registriertes Inkassounternehmen schilderte uns folgenden Fall: Der Schuldner, ein Unternehmer, zahlt nicht und erhebt auch weder gegenüber dem Gläubiger noch dem dann beauftragten Inkassounternehmen sachliche Einwendungen. Im weiteren Verlauf kommt es ‒ was zum Zeitpunkt der Beauftragung des Inkassounternehmens nicht anzunehmen war ‒ zum streitigen Erkenntnisverfahren. Hier macht der nun beauftragte Rechtsanwalt die Hauptforderung von über 3.000 EUR und eine 1,3-Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Tätigkeit des Inkassounternehmens geltend. Das AG Ulm (23.1.19, 7 C 1919/18) hat nun im Weg des unechten Versäumnisurteils entschieden. Es hat die Hauptforderung als schlüssig zuerkannt, die Inkassokosten allerdings ausgehend von einer durchschnittlichen 1,3-Geschäftsgebühr nur zur Hälfte. Das hält unser Leser für falsch und hat Recht. |

    1. Vorbemerkung

    Inkassounternehmen dürfen aufgrund der nach § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO beschränkten Postulationsfähigkeit Gläubiger zwar im gerichtlichen Mahnverfahren vertreten, nicht aber im streitigen Erkenntnisverfahren. Wenn sich der Schuldner bei Inkassomandaten ‒ wie häufig ‒ nicht meldet oder keine sachlichen Einwendungen geltend macht, genügt auch das gerichtliche Mahnverfahren zur Sicherung der Forderung durch deren Titulierung. Die anschließende Mobiliarzwangsvollstreckung darf das Inkassounternehmen ebenfalls betreiben. Insoweit liegt ein wesentlicher Unterschied zur Rechtslage vor dem 1.7.08 und der Einführung des RDG vor.

    2. Grundsätzliche Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten

    Die Kosten einer Inkassodienstleistung sind nach dem AG Ulm ersatzfähig, wenn das Einschalten des Inkassodienstleisters zur Rechtsverfolgung notwendig war (MüKo/Ernst, BGB, 7. Aufl., § 286 Rn. 160). Eine die Sätze des RVG übersteigende Ersatzpflicht besteht nicht (Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl., § 286 Rn. 46). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, zieht das AG nicht in Zweifel.

     

    MERKE | Hat der Gläubiger seine Obliegenheiten erfüllt und den Schuldner bezüglich der fälligen Forderung gemahnt oder war eine Mahnung nach § 286 Abs. 2 oder 3 BGB entbehrlich, befindet sich der Schuldner in Verzug. Der Gläubiger darf dann einen Rechtsdienstleister beauftragen und der Schuldner muss die notwendigen Rechtsverfolgungskosten erstatten. Dass der Erstattungsanspruch auf die Höhe der vergleichbaren Kosten eines Anwalts beschränkt ist, ergibt sich unmittelbar aus § 4 Abs. 5 RDGEG. Eines Rückgriffs auf Rechtsprechung und Literatur bedarf es dafür nicht. Der Gläubiger ist frei, welchen Rechtsdienstleister er beauftragt, ein Inkassounternehmen oder einen Anwalt. Das Ermessen reduziert sich nur, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung, also aus der ex-ante-Sicht, feststeht, dass es zum streitigen Erkenntnisverfahren kommt.

     

    In diesem Ausgangspunkt ist die Entscheidung bedenkenfrei. Notwendig ist die Beauftragung eines Rechtsdienstleisters jedenfalls, wenn der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers weder zahlt noch seine Nichtzahlung erläutert. Aus der Pflichtverletzung des Schuldners, nämlich der Nichtzahlung, erwachsen dem Gläubiger keine weiteren Obliegenheiten. Das ist bereits höchstrichterlich entschieden (BGH 17.9.15, IX ZR 280/14, Abruf-Nr. 180835). Meldet sich der Schuldner nicht beim Gläubiger oder erhebt er keine sachlichen Einwendungen, die außerhalb eines gerichtlichen Klageverfahrens nicht zu klären sind, spricht nichts dagegen, einen Inkassodienstleister zu beauftragen.

     

    MERKE | Entgegen dem von einigen „schwarzen Schafen“ geprägten Ruf sind Inkassounternehmen ‒ anders als ein Rechtsanwalt ‒ darauf spezialisiert, aufgrund einer gesicherten Informationsbasis die Leistungsfähigkeit des Schuldners einzuschätzen und kooperativ mit diesem eine gütliche Erledigung zu suchen, also mithilfe von Raten- oder Teilzahlungsvereinbarungen einen sukzessiven Ausgleich der Forderung sicherzustellen. Die Probleme liegen hier meist darin, den Schuldner überhaupt zu finden, die Gründe der Nichtleistung in Erfahrung zu bringen und letztlich zu überprüfen. Die rechtliche Prüfung ist ein Teil der Aufgabe, regelmäßig aber nicht der schwierigste.

     

    3. Anzurechnen ist schwierig

    Ausgehend von der grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit der Inkassokosten erkennt das AG Ulm dem Inkassounternehmen eine vorgerichtliche 1,3-Geschäftsgebühr zu. Tiefer begründet es dies nicht.

     

    MERKE | Dies ist auch entbehrlich. Liegen keine anderen Anhaltspunkte vor, ist von einem durchschnittlichen Fall auszugehen, der innerhalb des Rahmens einer 0,5- bis 2,5-Geschäftsgebühr grundsätzlich die Mittelgebühr (1,5) auslöst. Diese ist durch die 1,3-Schwellengebühr nach Anm. zu Nr. 2300 VV RVG schon abgesenkt. Dabei wird in der Praxis immer wieder übersehen, dass der Rahmen im konkreten Einzelfall nach den Kriterien des § 14 RVG vom Rechtsdienstleister nach billigem Ermessen auszufüllen ist. Nicht entscheidend ist das Produkt (die Mahnschreiben), sondern die tatsächliche Tätigkeit (Identitätsfeststellung, Rechtsprüfung, Adressverifizierung, Adressermittlung, Ermittlung der Gründe der Leistungsfähigkeit durch Abfrage „harter Merkmale“, wie der Eintragung im Schuldnerverzeichnis, Insolvenzprüfung etc.).

     

    Das AG Ulm meint dann aber: Bei einer erfolglosen Tätigkeit des Inkassodienstleisters und anschließender Beauftragung eines Rechtsanwalts, den Prozess zu führen, könnten Inkassokosten nur in Höhe einer RVG-Geschäftsgebühr verlangt werden, soweit diese nicht auf die Verfahrensgebühr angerechnet wird, § 15a RVG. Es bezieht sich dabei auf die Ausführungen von Grüneberg (Palandt, BGB, 78. Aufl., § 286 BGB Rn. 46) und das AG Hamm (NJW-RR 12, 1216). Es ist der Auffassung, der Gläubiger hätte bei sofortiger Einschaltung eines Anwalts im Rahmen des gerichtlichen Mahnverfahrens nur eine 0,5-Verfahrensgebühr zu bezahlen, da die 1,3-Geschäftsgebühr auf diese angerechnet wird. Da der Rechtsanwalt als Klägervertreter erst im gerichtlichen Verfahren tätig geworden sei, komme es nicht zu dieser Anrechnung. Der Beklagte wäre somit mit einer 1,3-Gebühr hinsichtlich der Inkassokosten sowie einer weiteren 1,3-Gebühr aufgrund der nicht zu reduzierenden Verfahrensgebühr belastet.

    4. Anrechnung nicht im Erkenntnisverfahren

    Hier zeigt sich schon, dass das AG Ulm nicht sauber der rechtlichen Struktur folgt. Die Geschäftsgebühr gehört nicht zu den Kosten des Rechtsstreits, weil sie vorgerichtlich anfällt. Sie kann deshalb im gerichtlichen Erkenntnisverfahren in vollem Umfang geltend gemacht werden. Ist dies geschehen, ist die Gebühr im Sinne des § 15a Abs. 2 RVG tituliert und ein im Hinblick auf das Mandatsverhältnis zwischen Gläubiger und Rechtsanwalt Dritter, nämlich der Schuldner, kann sich im Erstattungsverhältnis auf die Anrechnung berufen.

     

    Ob es zur Anrechnung kommt, ist allerdings nicht im streitigen Erkenntnisverfahren zu prüfen. Wie das AG nämlich richtig herausarbeitet, wird die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr angerechnet und nicht umgekehrt. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG wird aber erst im Kostenfestsetzungsverfahren geprüft und festgesetzt, sodass erst dort über die Anrechnung zu entscheiden ist.

    5. AG versäumt die Prüfung der Schadensminderungspflicht

    Indem der Gläubiger zunächst ein Inkassounternehmen beauftragte, verstieß er nach Auffassung des AG gegen seine Schadensminderungspflicht aus § 254 BGB. Deshalb seinen die Inkassokosten „nur in Höhe einer 0,65-Gebühr entsprechend VV-RVG ersatzfähig“. Auch hier ist in formeller Hinsicht zu rügen, dass nach dem Wortlaut der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist, also letztere ‒ im Kostenfestsetzungsverfahren ‒ zu kürzen wäre, nicht aber die Geschäftsgebühr.

     

    Es handelt sich bei diesen Ausführungen aber auch inhaltlich um eine bloße Behauptung. Es fehlt eine Herleitung und Begründung. Tatsächlich stellt das AG nämlich gar keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht fest. Dafür war festzustellen, dass es für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht auf den Zeitpunkt der Beauftragung des Inkassodienstleisters ankommt. In diesem Zeitpunkt müsste also schon absehbar gewesen sein, dass die Forderung nur im streitigen Verfahren durchsetzbar sein würde, mithin eine Beauftragung eines Rechtsanwalts unausweichlich ist. Dazu fehlt es aber an allen tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts. Da der Schuldner säumig ist, konnte es dazu auch keine Feststellungen treffen.

     

    PRAXISTIPP | Gerade für die Fallkonstellation der Säumnis sollte der Gläubiger dazu vorausschauend ‒ wie folgt ‒ vortragen und darlegen, dass die Beauftragung des Inkassounternehmens keinen Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht begründet.

     

    Musterformulierung / Vortrag zur Schadensminderungspflicht

    Allein aus anwaltlicher Fürsorge ist darauf hinzuweisen, dass die vorgerichtliche Beauftragung des Inkassodienstleisters keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht darstellt. Aus der allein maßgeblichen ex-ante-Sicht im Zeitpunkt der Beauftragung hatte der Schuldner keine Einwendungen oder Einreden ‒ wie im Übrigen bis heute ‒ gegen die Forderungen erhoben. Auch hat er keine Kommunikation mit dem Gläubiger gesucht. Inkassounternehmen sind gerade darauf spezialisiert, die Gründe dafür zu klären und dann meist eine gütliche Einigung zu suchen. Für den Fall, dass der Schuldner sich weiter einer Kommunikation verschließt, konnte davon ausgegangen werden, dass eine Titulierung im gerichtlichen Mahnverfahren möglich ist. Hier ist das Inkassounternehmen postulationsfähig (§ 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO). Das ist nur wegen der erst ex-post erkennbaren Verzögerungstaktik des Schuldners gescheitert. Dabei darf darauf hingewiesen werden, dass Inkassounternehmen bei unbestrittenen Forderungen mit mehr als 95 Prozent eine Titulierung im gerichtlichen Mahnverfahren gelingt.

     

    Liegt aber kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor, kommt weder eine Kürzung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG noch eine fiktive Anrechnung auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG in Betracht.

     

     

    Checkliste / 5 Gründe für eine ungekürzte Geschäftsgebühr

    • Eine Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr erfolgt prozessual im Kostenfestsetzungsverfahren.

     

    • Eine Anrechnung setzt nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG voraus, dass der gleiche Rechtsdienstleister vorgerichtlich und im gerichtlichen Titulierungsverfahren tätig geworden ist.

     

    • Eine Kürzung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr für das Inkassounternehmen nach § 4 Abs. 5 RDGEG scheitert daran, dass vorgerichtlich der Rechtsanwalt die gleiche Gebühr erhält. Die Anrechnung muss erst im Kostenfestsetzungsverfahren erfolgen. Hier ist § 4 Abs. 5 RDGEG aber nicht anwendbar, weil er auf die außergerichtliche Tätigkeit beschränkt ist.

     

    • Eine Kürzung der Geschäftsgebühr unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht scheitert schon daran, dass auf die Verfahrensgebühr und nicht auf die Geschäftsgebühr anzurechnen ist. Wenn überhaupt, war also die Verfahrensgebühr zu kürzen.

     

    • Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht liegt nur vor, wenn der Gläubiger im Zeitpunkt der Beauftragung des Inkassounternehmens sicher davon ausgehen musste, dass ohne ein streitiges Erkenntnisverfahren die Forderung nicht zu titulieren sein wird. Daran fehlt es, wenn der Schuldner ihm gegenüber keine offensichtlich begründeten Einwendungen und Einreden erhoben bzw. sich überhaupt nicht gemeldet hat.
     

    Weiterführender Hinweis

    • Anrechnung der Geschäftsgebühr in Inkassofällen, FMP 18, 161
    Quelle: Ausgabe 04 / 2019 | Seite 61 | ID 45782874