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  • · Fachbeitrag · Energiekrise

    Wer haftet für die Energiekosten?

    | Die aktuelle Kostenexplosion bei den Energiepreisen wird sich in vielen Fällen erst mit zeitlicher Verzögerung auf die Nebenkostenabrechnung für Strom und Gas durchschlagen und hohe Nachzahlungen verursachen. Erhebliche Zahlungsausfälle sind zu befürchten, da viele Verbraucher die erhöhten Kosten neben den erhöhten Vorauszahlungen nicht werden schultern können. Für Energieversorgungsunternehmen und ihre Rechtsdienstleister wird darauf es ankommen, solche Forderungsausfälle zu vermeiden. Dabei stellt sich die Frage, wer für die Kosten der Energielieferungen haftet. Ferner ist von Interesse, wie der unbekannte Schuldner ermittelt werden kann. Der folgende Beitrag fasst die wichtigsten Grundsätze zusammen. |

    1. Wie kommt der Energielieferungsvertrag zustande?

    Im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung mit Strom, Gas, Wasser oder Fernwärme werden die angebotenen Leistungen oft ohne ausdrücklichen schriftlichen oder mündlichen Vertragsschluss in Anspruch genommen. Gleichwohl kommt nach der ständigen Rechtsprechung des BGH bereits durch die tatsächliche Inanspruchnahme, also der Entnahme von Strom, Gas, Wasser oder Fernwärme ein Vertrag zustande (BGH 27.11.19, VIII ZR 165/182; 2.7.14, VIII ZR 316/13; 22.7.14, VIII ZR 313/13; 26.1.05 VIII ZR 66/04).

     

    In dem Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens ist ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrags in Form einer sog. Realofferte zu sehen. Diese wird von dem konkludent angenommen, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt. Aus Sicht eines objektiven Empfängers stellt sich typischerweise die Vorhaltung der Energie und die Möglichkeit der Energieentnahme an den ordnungsgemäßen Entnahmevorrichtungen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als Leistungsangebot und damit als Vertragsangebot dar. Die Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen beinhaltet ‒ auch bei entgegenstehenden ausdrücklichen Äußerungen ‒ die schlüssig erklärte Annahme dieses Angebots, weil der Abnehmer weiß, dass die Lieferung nur gegen eine Gegenleistung zu erwarten ist (BGH, a. a. O.).

    2. Wer wird Vertragspartner?

    Es stellt sich gleichwohl die Frage, ob etwa der Grundstückseigentümer, der Mieter, der Pächter oder der Bewohner zum Vertragspartner wird. Kommen mehrere Adressaten des schlüssig erklärten Vertragsangebots des Versorgungsunternehmens in Betracht, ist durch Auslegung aus Sicht eines verständigen Dritten in der Position des möglichen Erklärungsempfängers zu ermitteln, an wen sich die Realofferte richtet.

     

    Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob der Grundstückseigentümer oder der Mieter, Pächter oder ein sonstiger Nutzungsberechtigter als Vertragspartner in Betracht kommen.

     

    Die Regel: Der Empfängerhoriziont des Versorgungsunternehmens ist entscheidend. Weichen der vom Erklärenden beabsichtigte Inhalt der Erklärung und das Verständnis des objektiven Empfängers voneinander ab, hat die Sicht des Energieversorgers als Erklärungsgegner Vorrang vor dem subjektiven Willen des Erklärenden. Es kommt mithin nicht auf die subjektive Sicht des Erklärenden an, sondern darauf, an wen sich nach dem objektiven Empfängerhorizont das Vertragsangebot richtet.

     

    MERKE | Empfänger der im Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens liegenden Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrags ist hiernach typischerweise der, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt. Inhaber dieser Verfügungsgewalt ist grundsätzlich der Eigentümer. Dabei kommt es nicht auf die Eigentümerstellung selbst an, sondern auf die hierdurch vermittelte Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt.

     

    Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt kann deshalb auch eine andere Person sein, etwa der Mieter oder Pächter eines Grundstücks, da diesem aufgrund des Miet- oder Pachtvertrags die tatsächliche Verfügungsgewalt über die ihm überlassene Miet- oder Pachtsache eingeräumt wird. Ob dem Energieversorger die Identität des Inhabers der tatsächlichen Verfügungsgewalt bekannt ist, er also etwa weiß, dass das zu versorgende Grundstück sich im Besitz eines Mieters oder Pächters befindet und dieser die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss ausübt, ist unerheblich. Denn bei einer am objektiven Empfängerhorizont unter Beachtung der Verkehrsauffassung und des Gebots von Treu und Glauben ausgerichteten Auslegung der Realofferte eines Energieversorgers geht dessen Wille ‒ ähnlich wie bei unternehmensbezogenen Geschäften ‒ im Zweifel dahin, den möglicherweise erst noch zu identifizierenden Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt zu berechtigen und zu verpflichten (BGH, a. a. O.).

     

    MERKE | Überlässt der Eigentümer also die Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt einem Mieter, Pächter oder sonstigen Nutzungsberechtigten, wird dieser regelmäßig Vertragspartner.

     

    3. Mehrere Nutzungsberechtigte

    Das gilt auch für mehrere gemeinschaftliche Mieter eines Objekts. Dementsprechend richtet sich mangels anderer Anhaltspunkte das Vertragsangebot des Versorgungsunternehmens i. d. R. an sämtliche Mieter. Das typischerweise an alle Mieter gerichtete Angebot des Energieversorgungsunternehmens wird von dem, der die Energie entnimmt, konkludent angenommen, und zwar sowohl für sich selbst als auch im Wege der Stellvertretung für die übrigen Mieter. Die Vertretungsmacht beruht auf den Grundsätzen der Duldungsvollmacht. Selbst wenn der Mieter nicht in die Wohnung einzieht und dem Mitmieter alleine die Wohnung überlässt, duldet er willentlich, dass der Mitmieter die Realofferte für alle Mietvertragsparteien annimmt (BGH 22.7.14, VIII ZR 313/13).

     

    Diese auf den Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss weisenden Grundsätze gelten nur nicht, wenn gegenläufige Anhaltspunkte vorhanden sind, die im Einzelfall und unübersehbar in eine andere Richtung weisen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn aus Sicht des Energieversorgungsunternehmens unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte das Angebot offensichtlich von einem anderen angenommen wird (BGH, a. a. O.; OLG Sachsen-Anhalt 6.12.05, 9 U 61/05; OLG Koblenz 2.2.06, 6 U 1179/05), so z. B., wenn es sich um eine zentrale Versorgung des Grundstücks handelt, etwa für die Stromversorgung des Außengeländes, der Aufzugsanlagen, des Eingangsbereichs oder sonstiger Gemeinschaftseinrichtungen. Dann ist ein schlüssiger Vertrag mit dem Grundstückseigentümer anzunehmen.

     

    Ebenso sind die vorstehenden Grundsätze über einen konkludenten Vertragsschluss mit dem Inhaber der tatsächlichen Gewalt abzulehnen, wenn der Abnehmer der Versorgungsleistung bereits anderweitig feststeht, weil das Versorgungsunternehmen oder der Abnehmer zuvor mit einem Dritten eine Liefervereinbarung geschlossen hat, aufgrund derer die ‒ noch einmal fließende ‒ Leistung in ein bestehendes Vertragsverhältnis eingebettet ist (BGH 22.1.14, VIII ZR 391/12; 10.12.08, VIII ZR 293/07). Schließt also z. B. der Grundstückseigentümer und Vermieter mit dem Energieversorgungsunternehmen einen ausdrücklichen Vertrag über die Lieferung von Energieleistungen und rechnet er die Kosten dann gegenüber seinen Mietern selbst ab, ist er als Vertragspartner alleiniger Schuldner.

     

    Checkliste / Wer ist Schuldner?

    Aus den vorstehenden Grundsätzen ergibt sich in der Praxis folgende Prüfungsreihenfolge:

     

    • Prüfungsstufe 1: Ausdrückliches Vertragsverhältnis?
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    • Hat das Versorgungsunternehmen für die Belieferung mit Energieleistungen einen ausdrücklichen Vertrag mit einer bestimmten Person geschlossen? In diesem Fall ist diese Person ausschließlich der Schuldner.
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    • Prüfungsstufe 2: Konkludenter Vertrag mit Mieter, Pächter oder sonstigen Nutzungsberechtigten?
    •  
    • Wurde kein ausdrücklicher Vertrag geschlossen, kommt es darauf an, wer aus Sicht des Energieversorgungsunternehmens unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte dieses Angebot durch die Entnahme von Energie annimmt und dadurch erklärt, Vertragspartner werden zu wollen. Empfänger des Vertragsangebots ist i. d. R. der, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt. Das ist regelmäßig der Mieter, Pächter oder ein sonstiger Nutzungsberechtigter.
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    • Prüfungsstufe 3: Konkludenter Vertrag mit dem Grundstückseigentümer?
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    • Ausnahmsweise kann noch ein konkludenter Vertrag mit dem Grundstückseigentümer zustande kommen, wenn Aspekte erkennbar werden, die gegen eine Verpflichtung des Mieters sprechen, z. B. bei zentraler Versorgung des Außengeländes, der Aufzugsanlagen, des Eingangsbereichs oder sonstiger Gemeinschaftseinrichtungen oder bei Bezug für mehrere Wohnungen der über einzelnen Anschluss und einzelne Messeinrichtungen erfolgt.
     

    4. Wie heißt mein Schuldner?

    Nun wird es oft der Fall sein, dass der Mieter oder Pächter als der tatsächliche Vertragspartner zu qualifizieren ist, das Versorgungsunternehmen aber die Identität seines Vertragspartners nicht kennt, da dieser den Vertragsschluss konkludent durch Inanspruchnahme der Energielieferungen begründet hat und seine Identität bislang nicht preisgeben musste. Oft wird der Mieter ‒ unter Zurücklassung von Zahlungsrückständen ‒ auch bereits wieder ausgezogen sein, was die Verfolgbarkeit des Zahlungsanspruchs umso mehr erschwert.

     

    Fraglich ist, ob der Vermieter oder Verpächter verpflichtet ist, dem Energieversorgungsunternehmen die Identität des Mieters oder Pächters preiszugeben.

    5. Auskunfts- und Schadenersatzpflicht des Vermieters und Grundstückseigentümers

    Diese Frage hat das OLG Nürnberg (23.5.14, 2 U 2401/12) entschieden. Danach hat ein Versorgungsunternehmen, das im Rahmen der Grundversorgung Elektrizität liefert, ein besonders schützenswertes rechtliches Interesse daran, zu erfahren, wer sein Kunde ist. Denn der Grundversorgungsvertrag kommt nicht durch Kommunikation der Vertragspartner, sondern regelmäßig stillschweigend zustande, indem die Realofferte des Versorgers durch sozialtypisches Verhalten (Entnahme von Strom) angenommen wird.

     

    Nach § 826 BGB kann derjenige wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung haften, der die erforderliche Mitteilung gegenüber dem Versorgungsunternehmen unterlässt, wer dessen Vertragspartner ist. Ist Eigentümerin eines Grundstücks, das im Rahmen der Grundversorgung mit Elektrizität beliefert wird, eine juristische Person, trifft die Mitteilungspflicht auch deren gesetzlichen Vertreter.

     

    Der gesetzliche Vertreter haftet jedenfalls dann persönlich, wenn er auch auf Nachfrage des Versorgungsunternehmens nicht für Aufklärung sorgt, wer dessen Vertragspartner ist, obwohl er hierzu aufgrund seiner Stellung ohne Weiteres in der Lage wäre. Die unterlassene Aufklärung genügt in diesem Fall für die Annahme eines Schädigungsvorsatzes.

     

    Beachten Sie | Kann das Versorgungsunternehmen seine berechtigten Ansprüche mangels Kenntnis seines Vertragspartners nicht durchsetzen, haftet der Mitteilungspflichtige persönlich in Höhe der angefallenen Kosten.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2022 | Seite 171 | ID 48552550