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  • · Fachbeitrag · Kostenrecht

    Kostenerstattung bei Tätigkeit in eigener Sache

    | Die Frage, ob Rechtsanwälte oder Inkassodienstleister, die in eigenen Angelegenheiten tätig werden, die Vergütung erstattet verlangen können, die sie erlangen, wenn sie einen Dritten vertreten, wird zum Teil unzutreffend verneint. Das zeigt jetzt das AG Berlin-Mitte. |

     

    Sachverhalt

    Der Rechtsanwalt wurde in einen Verkehrsunfall verwickelt und machte seinen Schaden gegenüber der gegnerischen Haftpflichtversicherung geltend. Einen Streit um die Haftung dem Grunde oder der Höhe nach gab es nicht. Teil des Schadenersatzes sollten auch die Rechtsanwaltsgebühren im Umfang einer 1,3-Geschäftsgebühr aus dem Wert des zu ersetzenden Schadens sein. Der Haftpflichtversicherer des Gegners war der Auffassung, der Rechtsanwalt als Geschädigter bedürfe in eigener Sache keiner anwaltlichen Unterstützung, sodass die Kosten nicht erstattungsfähig seien. Der geschädigte Rechtsanwalt war der Ansicht, er dürfe nicht schlechter stehen als jeder andere Geschädigte, der einen Rechtsanwalt beauftragt.

     

    Entscheidungsgründe

    Das AG folgte der Meinung des Rechtsanwalts und hat die Haftpflichtversicherung zum Ersatz der Rechtsanwaltskosten verurteilt.

     

    • Leitsatz: AG Berlin-Mitte 15.3.23, 28 C 278/22

    Der dem Geschädigten zustehende Schadenersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (Abruf-Nr. 237310).

     

    Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (NJW 17, 3588; NJW 06, 1065; NJW 05, 1112; BGHZ 127, 348) hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Auch dabei ist gemäß dem Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten zu nehmen (BGH NJW 17, 3527; NJW 12, 2194; NJW-RR 07, 856). An die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt.

     

    Ist die Verantwortlichkeit für den Schaden und damit die Haftung von vornherein nach Grund und Höhe derart klar, dass aus Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne Weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird, wird es grundsätzlich nicht erforderlich sein, schon für die erstmalige Geltendmachung des Schadens gegenüber dem Schädiger oder dessen Versicherer einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen (BGH NJW-RR 07, 856; NJW 05, 1112; BGHZ 127, 348). In derart einfach gelagerten Fällen kann der Geschädigte grundsätzlich den Schaden selbst geltend machen, sodass sich die sofortige Einschaltung eines Rechtsanwalts nur unter besonderen Voraussetzungen als erforderlich erweisen kann, etwa wenn der Geschädigte aus Mangel an geschäftlicher Gewandtheit oder sonstigen Gründen wie Krankheit oder Abwesenheit nicht in der Lage ist, den Schaden selbst anzumelden.

     

    Das Gericht teilt aber die Ansicht des BGH, dass die schadensrechtliche Abwicklung eines Verkehrsunfalls, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren, jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall darstellt (BGH NJW 20, 144). Dabei wird zu Recht darauf abgestellt, dass bei einem Fahrzeugschaden die rechtliche Beurteilung nahezu jeder Schadensposition in Rechtsprechung und Lehre seit Jahren intensiv und kontrovers diskutiert wird. Hinzu kommt, dass die umfangreiche, vielschichtige und teilweise uneinheitliche Rechtsprechung hierzu nach wie vor fortentwickelt wird und zwischen den Geschädigten und den in der Regel spezialisierten Rechtsabteilungen der Haftpflichtversicherer oft um einzelne Beträge bis in die letzte Gerichtsinstanz gestritten wird. Bei Unklarheiten im Hinblick jedenfalls auf die Höhe der Ersatzpflicht, wie sie typischerweise bei Fahrzeugschäden nach einem Verkehrsunfall bestehen, darf aber auch und gerade der mit der Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen vertraute Geschädigte vernünftige Zweifel daran haben, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer ohne Weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird. Dass der erfahrene Geschädigte durchaus in der Lage sein wird, den Unfallhergang zu schildern und ‒ ggf. unter Beifügung eines Sachverständigengutachtens ‒ die aus seiner Sicht zu ersetzenden Schadenspositionen zu beziffern, macht den Fall selbst bei Eindeutigkeit des Haftungsgrundes nicht zu einem einfach gelagerten Fall und schließt deshalb die Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht aus.

     

    Dasselbe gilt vor dem Hintergrund, dass der Kläger die Kosten seiner eigenen Beauftragung als Rechtsanwalt geltend macht: § 91 Abs. 2 S. 4 ZPO ist zwar auf den vorliegenden Fall ‒ jedenfalls unmittelbar ‒ nicht anwendbar. Er regelt einen speziellen Fall der Selbstvertretung des Anwalts, nämlich im Rechtsstreit nach der ZPO, während vorliegend die Geltendmachung von Ersatzansprüchen außerhalb des gerichtlichen Verfahrens infrage steht. Allerdings ist § 91 Abs. 2 S. 4 ZPO Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens und könnte damit einer analogen Anwendung fähig sein (AG Nürnberg AnwBl. 71, 59).

     

    Auf die Entscheidung dieser Frage kommt es jedoch nicht an, weil sich die Ersatzpflicht bereits aus den allgemeinen Grundsätzen der Schadenersatzpflicht nach §§ 249 ff. BGB ergibt. Es gibt keinen rechtlichen Gesichtspunkt, der es vertretbar erscheinen ließe, dass der Geschädigte, der Anwalt ist und seinen Schadensfall selbst bearbeitet, den Einsatz seiner beruflichen Arbeitskraft und Kenntnisse zugunsten des Schädigers umsonst leisten müsste. Unzweifelhaft könnte er, mit der sicheren Folge der Ersatzpflicht, einen anderen Anwalt mit der Bearbeitung seines Schadensfalls betrauen.

     

    Es ist ein gesicherter Grundsatz des Schadenersatzrechts, dass die besonderen persönlichen Verhältnisse, weder des zum Ersatz Verpflichteten noch des Geschädigten einen Anspruch auf Ermäßigung des Schadens begründen. So kann der Geschädigte, der selbst in der Lage ist, sein unfallgeschädigtes Kraftfahrzeug selbst zu reparieren, oder der Arzt, der seine Unfallverletzung selbst versieht, gleichwohl Ersatz der Kosten verlangen, die erforderlich wären, um die Leistung durch einen Dritten erbringen zu lassen.

     

    Dem Anspruch des Geschädigten auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ist im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadenersatzforderung entspricht. Abzustellen ist dabei auf die unstreitige Schadenshöhe von 2.583,68 EUR. Der vom Kläger geltend gemachte Betrag ergibt sich aus einer 1,3-Geschäftsgebühr in Höhe von 261,30 EUR sowie der Auslagenpauschale von 20 EUR, wobei aufgrund des Zeitpunkts der Beauftragung in eigener Sache der Rechtsstand bis 2020 zugrunde zu legen war.

    Relevanz für die Praxis

    Anspruchsgrundlage für den Ersatz der Rechtsanwaltskosten ist § 823 Abs. 1, 2 BGB, § 7 StVG i. V. m. § 249 BGB. Wer zum Schadenersatz verpflichtet ist, muss danach den Zustand herstellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

     

    Hätte sich der geschädigte Rechtsanwalt nicht um die Abwicklung seines eigenen Schadensfalls bemühen müssen, besteht eine Vermutung dahin, dass er in dieser Zeit den Fall eines Dritten hätte bearbeiten können und dann einen Vergütungsanspruch erworben hätte.

     

    MERKE | Nicht anders verhält es sich bei einem Kfz-Meister, der das beschädigte Auto selbst repariert oder dem Inkassodienstleister, der die von einem Mandanten erworbene Forderung nun selbst einzieht. Schneider (RVG prof. 23, 185) will dies nicht zuletzt aus dem Gedanken des § 1877 Abs. 3 BGB herleiten, wonach als ersatzfähige Aufwendungen eines Betreuers auch solche Dienste gelten, die zu seinem Gewerbe oder Berufe gehören.

     

    Am Ende handelt es sich aber auch hierbei um eine Ausprägung des Gedankens der Naturalrestitution i. S. d. § 249 BGB.

     

    Diese Sichtweise dürfte in der Rechtsprechung und Literatur akzeptiert sein (BGH NJW 11, 232; BAG ZIP 95, 502, Rn. 38; LG Mainz NJW 72, 161; LG Mannheim AnwBl. 75, 68; AG Münster 9.2.11, 60, C 4389/10; Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 249 Rn. 57; MüKo/Oetker, BGB, 9. Aufl., § 249 Rn. 180; Schmidt, NJW 70, 1406).

     

    PRAXISTIPP | Zu beachten ist, dass im Einzelfall für den Berufsträger keine Umsatzsteuer anfallen könnte. Diese ist dann nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB auch nicht ersatzfähig.

     
    Quelle: Ausgabe 12 / 2023 | Seite 207 | ID 49776697