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  • · Fachbeitrag · Kreditrecht

    BGH gibt Kaskadenrechtsprechung auf

    | Der Kauf von Fahrzeugen wird regelmäßig finanziert, wobei der Fahrzeugkäufer oft auch den Darlehensvertrag vermittelt. Entwickeln sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Käufers und Darlehensnehmers anders als ursprünglich erwartet, wird nicht nach Möglichkeiten gesucht, sich von dem Darlehensvertrag zu lösen. Regelmäßiger Angriffspunkt ist dabei die Widerrufsbelehrung. Hat die Widerrufsfrist wegen einer unzutreffenden Belehrung nicht zu laufen begonnen, gelingt die Lösung über den einfachen Widerruf. Im Angesicht der neueren EuGH-Rechtsprechung hat der BGH hier nun eine den Käufer begünstigende Rechtsprechung geändert. |

    Sachverhalt

    Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers im Kontext eines Fahrzeugkaufvertrags. Der Kläger erwarb im Dezember 2015 ein gebrauchtes Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 32.700,61 EUR. Zur Finanzierung des über die geleistete Anzahlung von 11.000 EUR hinausgehenden Kaufpreises schlossen die Parteien am 22.12.15 einen Darlehensvertrag über 21.700,61 EUR. Das mit einem Sollzinssatz von 2,86 % p. a. zu verzinsende Darlehen sollte in 48 gleichbleibenden Monatsraten zurückgeführt werden. Eine Anmeldung zur Restschuldversicherung beantragte der Kläger nicht.

     

    Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 5.12.18 den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. Mit seiner Klage hat er zuletzt die Feststellung begehrt, dass der Beklagten ab Zugang der Widerrufserklärung kein Anspruch mehr auf den Vertragszins sowie die vertragsgemäße Tilgung zusteht, und für den Fall des Obsiegens die (Rück-)Zahlung von 33.513,47 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des finanzierten Fahrzeugs und die Feststellung des hierauf bezogenen Annahmeverzugs verlangt. Das LG hat die Klage abgewiesen, da im Zeitpunkt der Widerrufsbelehrung die Widerrufsfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

    Entscheidungsgründe

    Der Kläger hat den streitgegenständlichen, nach § 358 Abs. 3 BGB mit einem Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug verbundenen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag nicht wirksam widerrufen. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger zwar bei Abschluss des Darlehensvertrags nach § 495 Abs. 1 i. V. m. § 355 BGB ein Widerrufsrecht zustand und die Widerrufsfrist nicht zu laufen begann, bevor der Kläger die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hatte. Dies war aber bei Abschluss des Darlehensvertrags im Dezember 2015 der Fall, sodass der Widerruf vom 5.12.18 verspätet war.

     

    • Leitsatz: BGH 15.10.24, XI ZR 39/24

    Die Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB“ (sog. Kaskadenverweisung) in einer Widerrufsinformation hindert auch bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag im Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.08 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40 und ABl. 2011, L 234, S. 46) das Anlaufen der Widerrufsfrist nicht (Abruf-Nr. 244890).

     

    Zu den Pflichtangaben gehört nach § 492 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 1 EGBGB die Erteilung einer ordnungsgemäßen Widerrufsinformation. Die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation ist, was der BGH nach den Grundsätzen der objektiven Auslegung selbst bestimmen kann (BGH 12.7.16, XI ZR 564/15), zwar fehlerhaft, ohne dass sich die Beklagte insoweit auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB in der vom 13.6.14 bis zum 20.3.16 geltenden Fassung berufen kann. Dieser Fehler steht dem Anlaufen der Widerrufsfrist nach dem BGH aber nicht mehr entgegen.

     

    Falsche Widerrufsbelehrung

    Die Beklagte kann sich nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a. F. berufen. Diese setzt voraus, dass die Widerrufsinformation dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB in der vom 13.6.14 bis zum 20.3.16 geltenden Fassung (im Folgenden: a. F.) entspricht. Vorliegend ist dies nach den konkreten Unterlagen nicht der Fall.

     

    In der Widerrufsinformation hat die Beklagte unter der Zwischenüberschrift „Besonderheiten bei weiteren Verträgen“ als mit dem Darlehensvertrag verbundenen Vertrag nicht nur den Fahrzeugkaufvertrag, sondern ‒ zu Unrecht ‒ auch eine „Anmeldung zum KSB/KSB Plus“ aufgeführt, obwohl der Kläger eine Anmeldung zu der Restschuldversicherung „KSB/KSB Plus“ nicht beantragt hat. Zwar sind optionale Bestandteile in der Widerrufsinformation zulässig, wenn hinreichend konkret angegeben ist, ob sie einschlägig sind (BGH 23.2.16, XI ZR 101/15), ohne dass dadurch die Musterkonformität infrage steht. An einer solchen Angabe fehlt es hier aber auch.

     

    Fehler hindert aber das Anlaufen der Widerrufsfrist nicht

    Die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation ist zwar fehlerhaft, weil die Belehrung über den Beginn der Widerrufsfrist eine Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB“ enthält. Dieser Fehler hindert nach der nun geänderten Rechtsprechung des BGH aber das Anlaufen der Widerrufsfrist nicht mehr.

     

    Nach der Rechtsprechung des EuGH genügt der Verweis auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB“ nicht dem Erfordernis, den Verbraucher nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.08 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40, und ABl. 2011, L 234, S. 46; im Folgenden: Verbraucherkreditrichtlinie) im Darlehensvertrag in klarer, prägnanter Form über die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren, weil der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen kann, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Angaben enthält, und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist, über die er verfügen kann, für ihn zu laufen begonnen hat (EuGH 26.3.20, C-66/19; 21.12.23, C-38/21, C-47/21 und C-232/21).

     

    Daraus hat der BGH bislang den Schluss gezogen, dass im Anwendungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie die Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB“ nicht klar und verständlich i. S. d. Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB ist und deshalb die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt, wenn die Widerrufsinformation eine solche Verweisung enthält und die Gesetzlichkeitsfiktion nicht greift (BGH 27.10.20, XI ZR 498/19; 10.11.20, XI ZR 426/19).

     

    BGH reagiert auf neuere Rechtsprechung des EuGH

    Daran kann indes im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 21.12.23 (C-38/21, C-47/21 und C-232/21) nicht festgehalten werden. Eine unvollständige oder fehlerhafte Information ist nach den Maßgaben dieser Entscheidung nur als fehlerhafte Belehrung anzusehen, wenn der Verbraucher durch sie in Bezug auf seine Rechte und Pflichten irregeführt und somit zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wird, den er möglicherweise nicht geschlossen hätte, wenn er über vollständige und inhaltlich zutreffende Informationen verfügt hätte (EuGH, a. a. O., Rn. 253, 264). Erweist sich eine dem Verbraucher gemäß Art. 10 Abs. 2 der Verbraucherkreditrichtlinie erteilte Information als unvollständig oder fehlerhaft, beginnt die Widerrufsfrist nur zu laufen, wenn die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit dieser Information nicht geeignet ist, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten aus der Richtlinie einzuschätzen, oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm ggf. die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre. Dies zu prüfen, ist Sache der nationalen Gerichte (EuGH, a. a. O., Rn. 265, 267).

     

    Kann Verbraucher seine Rechte und Pflichten trotz Fehler einschätzen?

    Wie der BGH für § 356b Abs. 2 S. 1 BGB in der seit dem 21.3.16 geltenden Fassung entschieden hat (BGH 27.2.24, XI ZR 258/22) und was gleichermaßen für die hier anzuwendende Vorgängerfassung der Norm gilt, lässt diese nationale Regelung offen, ob neben dem Fehlen der Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB auch eine unvollständige oder fehlerhafte Information das Anlaufen der Widerrufsfrist hindert. Vielmehr ist der Wortlaut auslegungsfähig, sodass bei einer richtlinienkonformen Auslegung die Widerrufsfrist bei einer unvollständigen oder fehlerhaften Information nur zu laufen beginnt, wenn die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit nicht geeignet ist, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner aus dem Darlehensvertrag herrührenden Rechte und Pflichten einzuschätzen, oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm ggf. die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre.

     

    Nach diesen Maßgaben steht die Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB“ in der Widerrufsinformation dem Beginn der Widerrufsfrist nicht entgegen. Sie ist weder geeignet, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner aus dem Darlehensvertrag herrührenden Rechte und Pflichten ‒ konkret: seines Widerrufsrechts ‒ einzuschätzen, noch auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken. Sie nimmt ihm nicht die Möglichkeit, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei vollständiger Erteilung der Information im Darlehensvertrag auszuüben.

     

    BGH: Es fehlt an der Irreführung

    Der Verbraucher wird durch die Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB“ schon nicht irregeführt. Die Formulierung der Widerrufsinformation ist inhaltlich nicht falsch und erweckt weder einen falschen Eindruck noch ist sie missverständlich oder verleitet den Verbraucher zu einer falschen Annahme. Sie benennt mit § 492 Abs. 2 BGB (zutreffend) die Norm, die mit Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB die Vorschriften bezeichnet, aus denen sich die Liste dieser Pflichtangaben ergibt. Sie ist nur insoweit unvollständig, als in der Widerrufsinformation und damit im Darlehensvertrag selbst nicht alle Pflichtangaben aufgelistet sind, von deren Erteilung der Beginn der Widerrufsfrist abhängt.

     

    Diese Unvollständigkeit der Widerrufsinformation ist nicht geeignet, sich auf die Befähigung des Darlehensnehmers, den Umfang seines Widerrufsrechts einzuschätzen, auszuwirken. Nach dem EuGH kann von einer Irreführung dann nicht ausgegangen werden, wenn der Vertrag andere Elemente enthält, die dem Verbraucher ermöglichen, die Information leicht zu ermitteln (EuGH 21.12.23, C-38/21, C-47/21 und C-232/21). Die Widerrufsinformation klärt den Darlehensnehmer unmissverständlich darüber auf, dass ihm ein Widerrufsrecht zusteht, wie es auszuüben ist und dass ihm jedenfalls eine 14-tägige Widerrufsfrist zusteht. Unvollständig ist lediglich die Angabe darüber, dass diese Widerrufsfrist möglicherweise erst später zu laufen beginnt, wenn ihm nicht alle vom Gesetz vorgegebenen Pflichtangaben erteilt worden sind.

     

    Existenz, Funktionsweise und Grenzen des Widerrufsrechts sind genannt

    Der Klammerzusatz erläutert dem Darlehensnehmer anhand von Beispielen, was solche Pflichtangaben sind. Die wesentlichen Gesichtspunkte des Widerrufsrechts ‒ seine Existenz, Funktionsweise und Grenzen sowie sein Fortbestand bei unzureichender Information des Darlehensnehmers im Zuge des Vertragsschlusses ‒ werden damit im Darlehensvertrag mitgeteilt. Der Darlehensvertrag enthält nur die Liste aller zu erteilenden Pflichtangaben nicht selbst, sondern diese Liste muss ausgehend von der in der Widerrufsinformation mitgeteilten Norm im Gesetzestext nachgeschlagen werden. Für einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher macht es aber keinen erheblichen Unterschied, ob er die Prüfung der erteilten Pflichtangaben auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit anhand einer im Darlehensvertrag enthaltenen Liste oder anhand des Gesetzes vornimmt, solange ihm der Gesetzestext ohne Weiteres zugänglich ist und unschwer eingesehen werden kann (BGH 22.11.16, XI ZR 434/15). Dies ist hier mit dem BGB und dem EGBGB der Fall. Sie sind in ihrer jeweils aktuellen Fassung kostenlos im Internet über den vom BMJ und dem Bundesamt für Justiz bereitgestellten Dienst www.gesetze-im-internet.de abrufbar. Im Handel sind Textausgaben im Taschenbuchformat erhältlich, die beide Gesetze enthalten.

    Relevanz für die Praxis

    Trotz der Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB“ bleibt es dem Verbraucher deshalb auch möglich, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, wenn die Information direkt im Darlehensvertrag vollständig erteilt worden wäre. Der mit dem Nachschlagen der Pflichtangaben im Gesetz verbundene Mehraufwand ist gering. Nur dieser Mehraufwand wird aber durch die unvollständige Information ausgelöst. Eine Auflistung der Pflichtangaben in der Widerrufsinformation würde den Verbraucher nicht von der Prüfung entbinden, ob tatsächlich alle für das Anlaufen der Widerrufsfrist erforderlichen Pflichtangaben im Vertrag aufgeführt sind und ob diese Angaben richtig und vollständig sind. Auch für diese Prüfung müsste er Einblick in die genannten Gesetze nehmen.

     

    Die Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB“ ist damit nicht geeignet, sich auf die Vertragsabschlussentscheidung des Verbrauchers auszuwirken. Die Verweisung betrifft keine den Leistungsinhalt ausgestaltende Vertragsbedingung wie die Angabe des Effektivzinssatzes oder des Gesamtbetrags der zu leistenden Zahlungen, sondern Einzelheiten des zeitlichen Fortbestands des dem Darlehensnehmer in seinen wesentlichen Eigenschaften mitgeteilten Rechts, sich nachträglich wieder von dem Vertrag zu lösen. Dass die 14-tägige Widerrufsfrist nicht anläuft, wenn der Darlehensvertrag nicht alle gesetzlich vorgeschriebenen Angaben enthält, ergibt sich zweifelsfrei auch aus der von der Beklagten verwendeten Formulierung. Die vom Darlehensnehmer im Gesetzestext nachzuschlagenden Einzelheiten werden erst und nur relevant, wenn sich nach Ablauf von 14 Tagen seit Vertragsschluss und Überlassung der Unterlage nach § 356b Abs. 1 BGB herausstellt, dass der Vertrag nicht seinen Bedürfnissen entspricht.

     

    Der BGH beschäftigt sich dann noch mit weiteren Einwendungen gegen die Widerrufsbelehrung, die er in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung aber verneint.

    Quelle: Ausgabe 01 / 2025 | Seite 11 | ID 50238207