· Fachbeitrag · Verbraucherdarlehen
Anforderungen an die Annahme der Verwirkung eines Darlehensrückzahlungsanspruchs
(OLG Nürnberg 28.7.14, 14 U 2180/13, Abruf-Nr. 143691) |
Sachverhalt
Die klagende Bank verfolgt nach der Verwertung von Sicherheiten in 2004 einen restlichen Rückzahlungsanspruch aus einem im Jahr 2000 vereinbarten und 2004 gekündigten Darlehensvertrag. Auf eine Zahlungsforderung im Oktober 2004 reagierte der Schuldner nicht, worauf die Bank im April 2011 einen gerichtlichen Mahnbescheid beantragte und nach dem rechtzeitigen Widerspruch des Schuldners im März 2012 die restlichen Gerichtskosten einzahlte und auf die gerichtliche Aufforderung vom April im Oktober 2012 den Anspruch begründete. Auf den Einwand der Verwirkung hat das LG die Klage abgewiesen.
Entscheidungsgründe/Praxishinweis
Nach dem Studium des Sachverhalts drängt sich der Verdacht auf, dass die Bank als Gläubigerin mit der Beitreibung der Forderung recht lange gewartet hat. Wie die Begründung des OLG Nürnberg zeigt, rechtfertigt dieses Zeitmoment für sich genommen aber noch nicht die Annahme der Verwirkung der unverjährten Forderung. Die Verwirkung darf nicht leichtfertig dazu genutzt werden, die gesetzlichen Verjährungsvorschriften zu unterlaufen.
Verjährung
Im konkreten Fall war die richtige Berechnung der Restforderung nicht im Streit. Im Berufungsverfahren war allein zu entscheiden, ob die Forderung verjährt oder verwirkt ist. Die Verjährung scheiterte an § 497 Abs. 3 S. 3 BGB. Danach ist die Verjährung des Anspruchs der Bank auf Darlehensrückzahlung und Zinsen vom Eintritt des Verzugs an gehemmt.
MERKE | Nach § 209 BGB wird der Zeitraum der Hemmung in die Verjährungsfrist nicht mit eingerechnet. Da der Verzug vorliegend noch nicht beendet war, endete auch der Hemmungszeitpunkt nicht, sodass die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen sein konnte. Anderes gilt erst mit Ablauf der absoluten Verjährungsgrenze von zehn Jahren nach § 497 Abs. 3 S. 3 BGB, die im konkreten Fall aber noch nicht abgelaufen war. Auch die Zinsen als regelmäßig wiederkehrende Leistungen verjähren in dieser Zeit nicht, § 497 Abs. 3 S. 4 BGB. Es kam deshalb auf die weiteren Hemmungstatbestände durch Rechtsverfolgung nach § 204 BGB nicht an. |
Verwirkung
Vor dem Hintergrund dieser verjährungsrechtlichen Sonderregelung stellt sich also gerade bei Verbraucherdarlehensverträgen die Frage nach der Verwirkung der Ansprüche innerhalb des zehnjährigen Hemmungszeitraums. Schuldner und ihre Vertreter problematisieren dies insbesondere, wenn jedenfalls die regelmäßige Verjährungsfrist seit dem Entstehen des Anspruchs abgelaufen ist. Für Gläubiger ‒ die Kreditinstitute und die Käufer von Forderungen aus Konsumentenkrediten ‒ und ihre jeweiligen Rechtsdienstleister (unter Haftungsgesichtspunkten) birgt dies die Gefahr des Verlustes der Forderung.
Zeitmoment
Im vorliegenden Fall kann mit dem LG und dem OLG gut vertreten werden, dass das Zeitmoment erfüllt ist. Die Dauer der insoweit erforderlichen Zeitspanne richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls. Die Zeitspanne von sieben Jahren seit der Kündigung, Sicherheitenverwertung und Zahlungsaufforderung bis zur Einschaltung des Mahngerichts ist in Anbetracht des überschaubaren Sachverhalts und unter Berücksichtigung der Interessenlage der Parteien als „längere Zeit“ anzusehen.
MERKE | Schon hier sollte der Gläubiger in seiner Forderungsbearbeitung ansetzen. Kann der Schuldner die Forderung nicht zahlen, sollte beim kooperativen Schuldner ein abstraktes notarielles Schuldanerkenntnis mit Vollstreckungsunterwerfung als Titel (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) angestrebt werden. Lässt sich dies nicht erreichen oder legt ein Kostenvergleich die Titulierung im gerichtlichen Mahnverfahren nahe, kann auch dieser Weg bestritten werden. Sofern dem Gläubiger die dafür notwendigen Ressourcen fehlen, sollte er einen Anwalt oder Inkassodienstleister einsetzen oder den Verkauf der abschließend berechneten Forderung erwägen. |
Vertrauenstatbestand als Umstandsmoment
Entspricht das Vorgehen der Geschäftspolitik, also ein eigenes auch längeres Zuwarten bei mangelnder Liquidität des Schuldners statt der Einschaltung Dritter oder beruht die verzögerte Beitreibung auf einem Fehler (Akte verlegt), muss der Gläubiger sich auf das Umstandsmoment konzentrieren: Hier stand kein Verhalten der Gläubigerin im Raum, aus dem der Schuldner bei objektiver Betrachtung den Schluss ziehen durfte, sie werde ihr Recht nicht mehr geltend machen. Durch das letzte Schreiben der Gläubigerin (2004) war der Schuldner sowohl darüber informiert, dass der Erlös der Sicherheitenverwertung zur Rückführung des offenen Saldos aus dem gekündigten Darlehensvertrag nicht ausgereicht hatte, als auch darüber, dass die Klägerin gerade nicht gewillt war, es bei der Verwertung bewenden zu lassen und auf den Differenzbetrag zu verzichten. Allein die Tatsache, dass die Gläubigerin sich dann nicht mehr meldete, genügt als Umstandsmoment nicht.
MERKE | Es wäre insoweit am Schuldner gewesen, sich nach Ablauf einer längeren Zeit seinerseits bei der Gläubigerin mit der Mitteilung zu melden, dass er davon ausgehe, dass die Angelegenheit abschließend geregelt sei. Die bloße Hoffnung des Schuldners, auf eigenes Schweigen hin von der Gläubigerin im Laufe der Zeit vielleicht „vergessen“ zu werden, ist nicht schutzwürdig. |
Das hindert allerdings die Gläubigerin jedenfalls für den Fall, dass sie selbst zuwarten möchte, nicht, den Schuldner regelmäßig darauf hinzuweisen, dass an der berechtigten Forderung festgehalten werde und lediglich aufgrund seiner aktuellen Schwierigkeiten die Einleitung weiterer kostenauslösender Maßnahmen zurückgestellt werde. Damit wird neben dem Umstandsmoment auch dem Zeitmoment jede Grundlage entzogen.
Das OLG hat zu Recht kritisiert, was oft auch von Bevollmächtigten der Schuldner übersehen wird: Es ist eine klare Unterscheidung zwischen Zeit- und Umstandsmoment geboten. Der Satz: „Nach all den zeitlichen Verzögerungen hat der Schuldner darauf vertrauen dürfen, dass die Forderung nicht mehr verfolgt werde“, ist falsch, weil er allein das Zeitmoment betrifft.
Eine Schutzwürdigkeit kann nach dem OLG auch nicht darauf gestützt werden, dass sich hier ein Kreditinstitut und ein Verbraucher gegenüberstehen. Dies begründete keine Obliegenheit der Klägerin, nach Ablauf der dem Beklagten im genannten Schreiben gesetzten Frist zur Stellungnahme zur Vermeidung der Schaffung eines Vertrauenstatbestands „in einem überschaubaren Zeitraumc“ erneut an ihn heranzutreten. Das OLG beruft sich auf eine Entscheidung des LG Trier (NJW-RR 93, 55), das aus dem „besonderen Treueverhältnis“ zwischen der Kreditbank und dem Kunden, der „im Bereich des Kreditwesens“ wegen der „Gefahr der Zinshäufung und damit der Überschuldung“ einer „besonderen Betreuung“ bedürfe, eine „schützenswerte Position“ des Kunden ableitete. Diese wirke sich bei der Verwirkungsfrage dahin aus, dass die Fehlinterpretation eines Untätigbleibens „der Risikosphäre der Bank zuzurechnen“ sei. Diese Überlegungen lassen sich indes nicht in der im Ersturteil vertretenen Form verallgemeinern. Auch im Trierer Fall hielt das Gericht fest, dass ein Darlehensnehmer trotz jahrelanger Untätigkeit der Kreditbank nicht darauf vertrauen könne, wegen der Restschuld nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Die Besonderheit des Falls lag darin, dass dort „die Klägerin nicht darauf vertraut hat, die Bank werde auf die Restschuld verzichten, sondern davon ausgegangen ist, die Restschuld bestehe nicht mehr“. Diese Situation ist nicht vergleichbar mit der Fallkonstellation, in der dem Schuldner der Grund, die Höhe und die Aufrechterhaltung der Restforderung bekannt waren, sodass er sich auf die Weiterverfolgung einrichten konnte und musste.
Soweit das LG darüber hinaus betont, dass auch im Anwendungsbereich des § 497 Abs. 3 S. 3 BGB „bereits nach Ablauf der Regelverjährung die Annahme einer Verwirkung naheliegend“ sei, wenn die Bank es unterlasse, „den Kunden nach Kündigung eines Darlehens über den weiteren behaupteten Fortbestand der Forderung zu informieren“, kann dieses Argument vorliegend schon nicht greifen, weil der Beklagte durch das schon mehrfach erwähnte Abrechnungsschreiben ausreichend unterrichtet wurde. Im Übrigen tritt das OLG auch der Argumentation als solcher entgegen, weil sie auf eine Aushebelung des § 497 Abs. 3 S. 3 BGB hinausläuft, indem sie die im Verbraucherinteresse hinausgeschobene Verjährung durch den (eventuell gar auf das Zeitmoment reduzierten) Rechtsgedanken der Verwirkung faktisch wieder auf das Maß des § 195 BGB abkürzt. Um eine Verwirkung gar nicht erst zu riskieren, wären die Banken letztlich gezwungen, jeden Darlehensnehmer im Fall der Kündigung nach Ablauf der Regelverjährung in regelmäßigen Abständen und in beweissicherer Form an den Fortbestand der offenen Restforderung zu erinnern. Es stünde zu befürchten, dass der erforderliche Zusatzaufwand in die naheliegende Überlegung münden würde, mit Ablauf der Frist des § 195 BGB gleich zu einer gerichtlichen Geltendmachung überzugehen. Vor dem Hintergrund des § 497 Abs. 3 S. 3 BGB können die Banken mit der Rechtsverfolgung an sich entsprechend lange zuwarten, sie müssen es aber nicht. Das gesetzgeberische Ziel, durch Einführung dieser Vorschrift „zu vermeiden, dass der Darlehensgeber allein zur Vermeidung des Verjährungseintritts die Titulierung betreibt, was die Schuldenlast des Darlehensnehmers noch weiter erhöhen würde“ (BT-Drucksache 14/6857, S. 66), könnte im Ergebnis schnell konterkariert werden.
Das OLG weist hier auf den wichtigen Umstand hin, dass die in § 497 Abs. 3 S. 3 BGB gegenüber § 195 BGB verlängerte Verjährungsfrist nicht etwa eine dem Verbraucher nachteilige Vorschrift ist, sondern eine ihm dienende Regelung ist. Die Argumentation ist auf den Umstand übertragbar, dass der Gläubiger zur Vermeidung der hohen Kosten einer Titulierung den Schuldner um ein abstraktes Schuldanerkenntnis bittet und dies mit einer verjährungsverlängernden Vereinbarung (§ 202 Abs. 2 BGB) verbindet.
Liegt ein Vertrauenstatbestand vor, muss weiter festgestellt werden, dass sich der Schuldner auf das Ausbleiben einer weiteren Inanspruchnahme eingerichtet hatte. Das Umstandsmoment der Verwirkung setzt also weiter voraus, dass der Verpflichtete ‒ unterstellt, er durfte sich bei objektiver Bewertung auf eine Nichtausübung des Rechts einrichten ‒ in seinem schutzwürdigen Vertrauen auch tatsächlich so disponiert hat, dass die Zulassung einer verspäteten Durchsetzung für ihn eine unzumutbare Belastung mit sich brächte (BGH WM 85, 1271). Hierzu muss der Schuldner vortragen und einen streitigen Sachverhalt beweisen. Nennt er ‒ wie hier ‒ z.B. eine Familiengründung, muss er auch vortragen, dass er in Kenntnis seiner Schuld nicht geheiratet hätte.