· Fachbeitrag · Mahnverfahren
Anwaltswechsel zwischen Mahn- und streitigem Verfahren: Anrechnung der Verfahrensgebühr
| Vertritt sich der Anwalt selbst, erhält er nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO die gleiche Vergütung wie in dem Fall, dass er einen Dritten vertritt. Das kann allerdings kompliziert werden, wenn es im weiteren Verfahrensverlauf zu einem Anwaltswechsel kommt. Mit dieser Fallkonstellation hat sich aktuell der BGH beschäftigt. Der folgende Beitrag zeigt, welche Überlegungen Sie anstellen müssen, um Ertrags- und Zeitmanagement zu optimieren. |
Sachverhalt
Die Klägerin machte gegen die beklagte Sozietät Schadenersatzansprüche aus Anwaltshaftung geltend. In dem von der Klägerin betriebenen Mahnverfahren vertraten sich die Beklagten selbst. Nach Übergang in das streitige Verfahren beauftragten sie eine andere Rechtsanwaltskanzlei. Das LG hat die Klage abgewiesen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Nun kam es zum Streit über die Kosten, weil im Kostenfestsetzungsbeschluss dem Antrag der Beklagten folgend und auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 50.000 EUR eine 0,8-fache Verfahrensgebühr für das Mahnverfahren nach Nr. 3307, Nr. 1008 VV RVG in Höhe von 930,40 EUR berücksichtigt wurde, ohne diese auf die ebenfalls festgesetzten Gebühren der danach beauftragten Rechtsanwälte für das streitige Verfahren anzurechnen.
Die von der Klägerin wegen der unterlassenen Anrechnung dieser Gebühr eingelegte sofortige Beschwerde hat das OLG zurückgewiesen. Das OLG war der Auffassung, dass eine Anrechnung nach Nr. 3307 S. 2 VV RVG ausscheide, weil verschiedene Rechtsanwälte tätig geworden seien. Die erstattungspflichtige Gegenpartei könne sich im Fall eines Anwaltswechsels auch nicht auf § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO berufen. Der Nichteintritt einer Gebührenersparnis sei nicht unter diese Norm zu fassen. Um die letztgenannte Frage zu klären, hat das OLG die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Entscheidungsgründe
Der BGH ist dem OLG nicht gefolgt. Seine Sicht der Dinge lässt sich konsequent in dem folgenden Leitsatz zusammenfassen:
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§ 91 Abs. 2 S. 2 ZPO gilt auch bei einem Anwaltswechsel zwischen dem Mahnverfahren und dem nachfolgenden streitigen Verfahren (Abruf-Nr. 199517). |
Anrechnung
Zunächst zieht der BGH allerdings nicht in Zweifel, dass die Verfahrensgebühr für die Vertretung des Antragsgegners im Mahnverfahren nach Nr. 3307 S. 1 VV RVG nicht gemäß S. 2 dieser Bestimmung auf die Verfahrensgebühr für das folgende streitige Verfahren anzurechnen ist, wenn die Gebühren von verschiedenen Rechtsanwälten verdient sind.
MERKE | Das hat der BGH auch schon für die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG (BGH JurBüro 10, 190) sowie für die Anrechnung der Verfahrensgebühr im selbstständigen Beweisverfahren nach Vorbemerkung 3 Abs. 5 VV RVG entschieden (BGH NJW 14, 3518 und NJW 18, 625). |
Mit der jetzigen Entscheidung stellt der BGH klar, dass dies auch gilt, wenn ein Rechtsanwalt sich zunächst selbst vertreten und nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO Anspruch auf Gebührenerstattung hat, wie im Fall der Mandatierung durch einen Dritten.
Anwaltswechsel im Erstattungsverhältnis
Der BGH widerspricht dem OLG aber im Weiteren und hält § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO für anwendbar.
Nach § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO sind die Kosten mehrerer Rechtsanwälte nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste.
§ 91 ZPO betrifft in seiner Gesamtheit die Kosten des Rechtsstreits. Anwaltsgebühren für eine außergerichtliche Tätigkeit gehören nicht zu diesen Kosten. Wird eine Partei vorprozessual von einem anderen Rechtsanwalt vertreten als im Rechtsstreit, beschränkt § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO deshalb die Erstattung der gerichtlichen Verfahrensgebühr nicht. Umstritten ist hingegen, ob die Norm bei einem Anwaltswechsel nach einem Mahnverfahren oder nach einem selbstständigen Beweisverfahren anzuwenden ist.
Der BGH hat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden, dass § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO auf den Fall des Anwaltswechsels zwischen einem selbstständigen Beweisverfahren und dem nachfolgenden Hauptsacheverfahren anwendbar ist (BGH NJW 18, 625). § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO sei Ausdruck des in § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO verankerten Grundsatzes, dass jede Partei die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig halten muss, wie es sich mit einer ihre Rechte wahrenden Prozessführung verträgt. Da es insoweit um die Kosten des Rechtsstreits gehe, sei nur ein Anwaltswechsel innerhalb des gerichtlichen Verfahrens angesprochen.
Zu dem gerichtlichen Verfahren in diesem Sinne gehöre auch ein selbstständiges Beweisverfahren. Zwar handele es sich gebührenrechtlich um eine gegenüber dem Klageverfahren eigene Angelegenheit. Das Beweis- und das Erkenntnisverfahren seien aber sachlich, zeitlich und hinsichtlich der Beteiligten eng verflochten.
Diese Erwägungen überträgt der BGH nun auf das gerichtliche Mahnverfahren: Das Mahnverfahren ist Teil des in § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO angesprochenen gerichtlichen Verfahrens. Zwar sind das Mahnverfahren und das ihm folgende streitige Verfahren gebührenrechtlich verschiedene Angelegenheiten (§ 17 Nr. 2 RVG). Das Mahnverfahren ist ‒ mehr noch als das selbstständige Beweisverfahren ‒ mit dem streitigen Verfahren so eng verflochten, dass es als Teil des Rechtsstreits im Sinne von § 91 ZPO zu betrachten ist. Das Mahnverfahren ist kein eigenständiges Streitverfahren, sondern ein diesem nur vorgelagertes Verfahren zur vereinfachten und beschleunigten Erlangung eines Vollstreckungstitels (BGH NJW 91, 2084).
Den engen Zusammenhang verdeutlicht insbesondere § 696 Abs. 1 S. 1 ZPO: Im Fall eines Widerspruchs wird danach „der Rechtsstreit“ an das Prozessgericht abgegeben. Auch werden die im Verfahren vor dem Mahngericht erwachsenen Kosten als Teil der Kosten behandelt, die vor dem Prozessgericht erwachsen (§ 696 Abs. 1 S. 5, § 281 Abs. 3 S. 1 ZPO). Sie sind deshalb Gegenstand der Kostenentscheidung im streitigen Verfahren nach § 91 ZPO.
MERKE | Nichts anderes gilt nach § 700 ZPO nach einem Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid. Hier bedarf es zur Abgabe an das Streitgericht nicht einmal eines Antrages einer der Verfahrensbeteiligten. |
Der Anwendung von § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO steht auch nicht entgegen, dass die Beklagten nicht mehrere Rechtsanwälte beauftragt, sondern sich zunächst selbst in eigener Sache vertreten haben mit der Folge eines Gebührenerstattungsanspruchs nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO. § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO regelt nach ihrem Zweck auch einen solchen Fall.
MERKE | Hier ist zu sehen, dass ein Rechtsanwalt bei einer Selbstvertretung nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO so behandelt wird, als habe er einen Dritten vertreten. Er erwirbt also auch bei der Selbstvertretung einen erstattungsfähigen Vergütungsanspruch. Dann muss er auch im Weiteren so behandelt werden, als sei er von einem anderen Rechtsanwalt vertreten worden. |
Das Ergebnis ist für den sich selbst vertretenden Rechtsanwalt ernüchternd:
- Im gerichtlichen Mahnverfahren erhält er für die Selbstvertretung die volle Vergütung erstattet.
- Im gerichtlichen Erkenntnisverfahren muss er dann den beauftragten Rechtsanwalt im Innenverhältnis vollständig vergüten, erhält aber nur die um die angerechneten Gebühren aus dem Mahnverfahren verminderte Vergütung erstattet.
- Die Mehrkosten, die dadurch entstanden sind, dass sich der Rechtsanwalt im Mahnverfahren selbst vertreten und im streitigen Verfahren andere Rechtsanwälte beauftragt habt, muss der Gegner nach § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht erstatten.
Relevanz für die Praxis
Unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt sich als Antragsteller selbst vertritt und damit die Verfahrensgebühr nach Nr. 3305 VV RVG antritt oder er die Rolle des Antragsgegners mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3307 einnimmt, wird die jeweilige Gebühr vollständig auf die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG im Erkenntnisverfahren angerechnet. Es bleibt also in Summe allenfalls die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG als „Ertrag“ der Selbstvertretung im gerichtlichen Mahnverfahren, wenn es tatsächlich zum Klageverfahren kommt.
MERKE | Das gilt allerdings nur, wenn der Streitwert im gerichtlichen Mahnverfahren und im nachfolgenden Erkenntnisverfahren gleich ist. Ändert sich dieser, kann sich ein positiveres oder negativeres Ergebnis ergeben. |
Ist also die Durchführung des Klageverfahrens wahrscheinlich, kann sich der Rechtsanwalt tatsächlich die Selbstvertretung ersparen und sich in der gewonnenen Zeit einträglicheren Mandanten widmen.
Anders sieht es aus, wenn ein Klageverfahren nicht wahrscheinlich ist. Dann gibt es eine wirkliche Ertragschance. Das ist bei der Rolle des Antragstellers wahrscheinlicher, als in der Rolle des Antragsgegners. Als Antragsgegner kann der Übergang ins Streitverfahren auch durch eine eigene Antragstellung provoziert werden. Ergo: Es muss eine ex-ante-Prognose über den weiteren Verfahrensverlauf getroffen werden.
In einem Annex hat der BGH noch entschieden, dass der gewillkürte Anwaltswechsel keine zwingende Erforderlichkeit im Sinne des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO begründet. Das gelte auch, wenn die das Prozessrisiko abdeckende Haftpflichtversicherung die Vertretung durch eine spezialisierte Kanzlei verlangt und ebenso, wenn eine versicherungsvertragliche Verpflichtung besteht, einer entsprechenden Weisung des Versicherers zu folgen (hierzu schon vgl. OLG Nürnberg VersR 12, 636).
Allerdings kann eine solche Weisung im Innenverhältnis dazu führen, dass der Versicherer die Mehrkosten tragen muss.
PRAXISHINWEIS | Im Rahmen eines mitwirkenden Verschuldens ist zu beachten, dass der Rechtsanwalt die Weisung gegebenenfalls nach den Versicherungsbedingungen erwarten musste. Wer hier ein Risiko vermindern und eigene Ertragschancen wahren will, sollte dies schon vorab mit der Versicherung klären. |
Notwendig ist der Anwaltswechsel nur, wenn weder die Partei noch den Rechtsanwalt daran ein Verschulden trifft, was u. a. voraussetzt, dass die Notwendigkeit nicht absehbar war (Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 91 Rn. 13).