· Fachbeitrag · Mahnverfahren
Vollstreckungsbescheidgegen prozessunfähige Partei
Die unter Verstoß gegen § 170 Abs. 1 ZPO erfolgte Zustellung eines Vollstreckungsbescheids an eine aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar prozessunfähige Partei setzt die Einspruchsfrist in Gang. Der prozessunfähigen Partei, die den Nichtigkeitsgrund der mangelhaften Vertretung geltend macht, kann nicht entgegengehalten werden, sie hätte den Verfahrensmangel durch ein Rechtsmittel geltend machen müssen. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob die Partei von vornherein von einem Rechtsmittel abgesehen oder ob sie ein zunächst eingelegtes Rechtsmittel zurückgenommen hat (BGH 15.1.14, VIII ZR 100/13, Abruf-Nr. 140461). |
Entscheidungsgründe/Praxishinweis
Eine immer häufigere Konstellation: Die Forderungsbeitreibung wird gegen eine geschäftsunfähige oder beschränkt geschäftsfähige Person betrieben. Wegen der Möglichkeiten des Internets, vor allem die dem Gläubiger verschlossene Möglichkeit des persönlichen Kontakts mit seinem Vertragspartner, erscheinen immer mehr Minderjährige als Schuldner. Zudem altert die Gesellschaft, was zu mehr umfassenden Betreuungen, aber auch Betreuungen mit Einwilligungsvorbehalt in Vermögensangelegenheiten führt. Im Fall des BGH war der geschäftsunfähigen, da unter Betreuung stehenden Schuldnerin, nicht aber ihrem Betreuer der Mahnbescheid und der Vollstreckungsbescheid zugestellt worden. Der vom Betreuer erhobene Einspruch mit Wiedereinsetzungsantrag wurde später zurückgenommen. Stattdessen erhob der Betreuer Nichtigkeitsklage, die nach dem Tod der Schuldnerin von deren Erben fortgeführt wird. AG und LG haben der Klage stattgegeben. Der BGH ist dem gefolgt:
- Die Subsidiaritätsregelung des § 579 Abs. 2 ZPO steht der Erhebung der Nichtigkeitsklage nicht entgegen, weil sich diese Bestimmung nicht auf den Nichtigkeitsgrund der Prozessführung durch eine prozessunfähige Partei (§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) erstreckt.
- Die Nichtigkeitsklage ist auch nicht unstatthaft, weil das Ausgangsverfahren nicht ‒ wie von § 578 Abs. 1 ZPO gefordert ‒ rechtskräftig abgeschlossen worden ist. Durch die Rücknahme des Einspruchs ist der Vollstreckungsbescheid rechtskräftig geworden. Ausnahmsweise beginnt bei der Zustellung an eine prozessunfähige Partei entgegen § 170 Abs. 1 S. 2 ZPO die Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 HS 2 ZPO zu laufen (BGH NJW 08, 2125). Das soll gerade den Weg zur Nichtigkeitsklage eröffnen. Das leitet der BGH aus dem Zusammenspiel der §§ 586, 579 ZPO her. Einwendungen aus Rechtsprechung und Literatur gegen diese Sicht der Dinge weist der BGH zurück.
Der prozessunfähigen Partei steht damit die Möglichkeit offen, entweder einen Einspruch kombiniert mit einem Wiedereinsetzungsantrag in der Einspruchsfrist einzulegen oder Nichtigkeitsklage zu erheben.
Für den Gläubiger ist diese Situation misslich. Er kann sie nur vermeiden, wenn er spätestens vor der Titulierung Schutzmaßnahmen ergreift:
- Zur Vermeidung der Titulierung eines Anspruchs gegen einen Minderjährigen kann der Gläubiger durch eine Anfrage an das Einwohnermeldeamt das Geburtsdatum seines Schuldners klären. Es muss dann geprüft werden, ob eine Inanspruchnahme der gesetzlichen Vertreter unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Aufsichtspflicht in Betracht kommt (hierzu auch Aust, FMP 14, 108).
- Hinsichtlich eines Betreuten kann beim für den Wohnsitz des Schuldners zuständigen AG gefragt werden, ob er unter Betreuung steht. Da aber auch die Betreuung durch eine Vorsorgevollmacht in Betracht kommt, kann sich eine weitere Anfrage an das zentrale Vorsorgeregister empfehlen, dass von der Bundesnotarkammer geführt wird (www.vorsorgeregister.de). Die Bundesnotarkammer ist unter der Adresse Bundesnotarkammer, Zentrales Vorsorgeregister, Postfach 080151, 10001 Berlin zu erreichen.
Der Gläubiger ist dann in der Lage, die Zustellung zumindest auch an den Betreuer zu veranlassen und so Rechtsnachteile zu meiden, wenn die mangelnde Geschäftsfähigkeit ‒ wie im Fall des BGH - nicht auch Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Grundgeschäftes hat.