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  • · Fachbeitrag · Haftung

    Anspruch des Neugläubigers bei einer Nachlassverbindlichkeit

    Nach dem Tod des Schuldners richtet sich der Anspruch des Neugläubigers auf Ausgleich einer Nachlassverbindlichkeit gegen den Erben (BGH 26.9.13, IX ZR 3/13, Abruf-Nr. 140010).

     

    Sachverhalt

    Am 1.9.08 wurde über das Vermögen der Mutter des Beklagten das Insolvenz-verfahren eröffnet. Am 17.12.08 schloss die Mutter mit dem Kläger einen Mietvertrag über eine Wohnung in einer Seniorenresidenz. Der Beginn des Mietverhältnisses wurde auf den 1.1.09 festgelegt. Die monatliche Miete betrug 740 EUR zuzüglich einer Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 140 EUR. Gleichzeitig ging sie mit einer Gesellschaft, deren Geschäftsführer der Kläger war, ein als „Betreuungsvertrag“ bezeichnetes Vertragsverhältnis ein, nach dessen Inhalt für die Grundversorgung ein weiteres Entgelt von monatlich 90 EUR geschuldet wurde. Am 30.11.10 verstarb die Mutter. Der Beklagte ist deren Alleinerbe. Mit Schreiben vom 1.12.10 kündigte er das Mietverhältnis zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

     

    Der Kläger macht restliche Mietzahlungen für die Monate 12/10 sowie 1 und 2/11 sowie Telefonkosten und vorgerichtliche Anwaltskosten geltend. Das AG hat der Klage unter Beschränkung der Haftung auf den Nachlass stattgegeben. Die Berufung des Beklagten blieb ohne Erfolg. Daran hat der BGH keinen Anstoß genommen.

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Zu Recht ist das LG von der Passivlegitimation des Beklagten hinsichtlich der geltend gemachten Mietforderungen und deren Begründetheit ausgegangen.

     

    Die streitgegenständlichen Mietforderungen unterliegen nicht der Durchsetzungssperre des § 87 InsO. Die Sperre erfasst nur Insolvenzgläubiger. Gemäß § 38 InsO sind dies nur die Gläubiger, die einen bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Anspruch gegen den Schuldner haben. Neugläubiger sind durch § 87 InsO nicht gehindert, ihre nach Verfahrenseröffnung entstandenen Vermögensansprüche gegen den Schuldner unmittelbar geltend zu machen und in das beschlagnahmefreie Vermögen zu voll-strecken (BGH NJW-RR 12, 1465). Die Forderungen waren vorliegend nach der Verfahrenseröffnung entstanden.

     

    MERKE | Für den BGH war es nicht erwähnenswert, dass der Mietvertrag auch erst nach der Verfahrenseröffnung abgeschlossen wurde. Hierauf kommt es aber wohl an (vgl. BGH FMP 14, 25, in dieser Ausgabe).

     

    Der Beklagte ist passivlegitimiert. Die Mietforderungen betreffen den Zeitraum nach dem Tod der Schuldnerin bis zum Ende des Mietverhältnisses, das der Beklagte gekündigt hat. Hierbei handelt es sich um eine reine Nachlassverbindlichkeit, sodass der Erbe - hier der Beklagte - seine Haftung auf den Nachlass beschränken kann (BGH NJW 13, 933).

     

    MERKE | Auch wenn der Vorbehalt die Möglichkeit der Beitreibung der Forderung beeinträchtigen kann, sind zwei Dinge zu sehen:

     

    • Der Nachlass unterliegt keinem Pfändungsschutz mehr, sodass sich hieraus weitergehende Zugriffsmöglichkeiten ergeben können.
    • Nicht jedem Erben gelingt es in der Folge seine Haftung auch fristgerecht und formwirksam zu beschränken. Hier lohnt eine Prüfung bis ins Detail.
     

    Die Passivlegitimation des Beklagten wird nicht dadurch infrage gestellt, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen seiner Mutter mit deren Tod unmittelbar in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet wurde.

     

    MERKE | Der Tod des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt ohne Weiteres eine Überleitung des bisherigen Insolvenzverfahrens in das Nachlassinsolvenzverfahren, wobei dies sowohl für ein Regelinsolvenzverfahren als auch für ein Verbraucherinsolvenzverfahren gilt (BGH NJW 04, 1444; ZInsO 11, 389).

     

    Umstritten ist, an wen sich die Neugläubiger wenden müssen:

     

    • Nach ganz überwiegender Ansicht wird angenommen, dass nur das zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Erbfall erworbene pfändbare Vermögen des Erblassers zur Masse gehört, sodass sich die Neugläubiger des Erblassers an das bisher nicht pfändbare Restvermögen des Schuldners halten müssen.

     

    • Demgegenüber wird auch vertreten, § 38 InsO werde durch § 325 InsO insoweit verdrängt, als auch Verbindlichkeiten des Schuldners, die dieser nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet hat und die gemäß § 1967 BGB mit dem Erbfall Nachlassverbindlichkeiten werden, gemäß § 325 InsO Insolvenzforderungen sind.

     

    Der BGH schließt sich der ersten Ansicht an, da der Umfang der Insolvenzmasse abschließend durch die §§ 35, 36 InsO bestimmt werde. Das insolvenz-freie Vermögen des Schuldners steht den Insolvenzgläubigern nicht zu, sondern ausschließlich den am Insolvenzverfahren nicht beteiligten Neugläubigern des Schuldners.

     

    MERKE | Daher haftet der nach „Freigabe“ einer selbstständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO vom Schuldner durch diese Tätigkeit erzielte Neuerwerb während des eröffneten (Erst-)Verfahrens grundsätzlich nur den Neugläubigern, nicht aber den Insolvenzgläubigern (BGH WM 11, 1344; WM 13, 1612).

     

    Der Tod des Schuldners ändert hieran nichts. Dessen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Verbindlichkeiten waren keine Insolvenzforderungen und können im Todesfall diese Eigenschaft nicht erhalten.

     

    Dies wäre einerseits eine Bevorzugung der bisherigen Insolvenzgläubiger zulasten der Neugläubiger, soweit es den Neuerwerb angeht. Andererseits ginge der Vorrang des § 325 InsO zulasten der Insolvenzgläubiger, soweit die Masse auch für nach Verfahrenseröffnung begründete Verbindlichkeiten des Schuldners haften müsste.

     

    An der Wirksamkeit des Mietvertrags und der hieraus begründeten Verbindlichkeiten zweifelt der BGH nicht.

     

    Für den Gläubiger nachteilig ist eine Qualifizierung des Mietvertrags als Heimvertrag mit Pflege und Betreuungsleistungen. Nach § 4 Abs. 3 S. 1 des Gesetzes zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- und Betreuungsleistung (WBVG) endet dann das Mietverhältnis nämlich kraft Gesetzes mit dem Tod des Betreuten. Das war im vorliegenden Fall aber nicht anzunehmen, weil der Betreuungsleistung mit einem Wert von 90 EUR gegenüber dem Mietzins von 740 EUR nur untergeordnete Bedeutung zukam. Abzustellen ist auf die Auslegungsregeln des § 1 Abs. 2 HeimG. Eine nicht mehr untergeordnete Bedeutung liegt vor, wenn die Betreuungspauschale für den Grundservice erheblich über 20 Prozent der Miete einschließlich Betriebskosten liegt.

     

    TIPP | Es kann für den Gläubiger also sinnvoll sein, die Miete höher und die Pflege- und Betreuungsleistungen niedriger zu bemessen, wenn er sich eine (vergütete) Kündigungsfrist erhalten will, in der er einen Nachmieter finden kann, sodass ein Übergang ohne Forderungsausfall gelingt.

     

     

    Weiterführende Hinweise

    • Erbe kann Haftung auf Nachlass beschränken, FMP 13, 40
    • Hälfte des Erbes ist herauszugeben, FMP 13, 77
    • Bestattungskosten: Wer muss zahlen?, FMP 11, 187
    • Was ist mit dem Insolvenzverfahren beim Tod des Schuldners?, FMP 08, 172
    • Eheschließung in der Wohlverhaltensphase: Gläubiger müssen nachfragen, FMP 10, 11
    • Erbenhaftung: Keine Haftung für offene Gerichtskosten, FMP 12, 23
    • Gesamtrechtsnachfolge einer juristischen Person im laufenden Mahnverfahren, FMP 10, 186
    Quelle: Ausgabe 02 / 2014 | Seite 32 | ID 42505105