· Fachbeitrag · Selbstständige
BGH: Eine Insolvenz muss genügen
| Oft gibt der Insolvenzverwalter das Einkommen und Vermögen aus einer selbstständigen Tätigkeit des Schuldners frei und verlangt nur die Abgabe der pfändbaren Beträge zur Insolvenzmasse. Nicht immer ist der Schuldner hier aber erfolgreich. Das wirft die Frage auf, welche Folgen es hat, wenn der Schuldner mit der selbstständigen Tätigkeit in eine Situation gerät, in der auch insoweit ein Insolvenzgrund vorliegt. Damit hat sich jetzt der BGH auseinandergesetzt. |
Sachverhalt
Am 25.6.14 stellte der Schuldner Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen und auf Restschuldbefreiung. Mit Beschluss vom 1.9.14 eröffnete das Insolvenzgericht das Verfahren. Am gleichen Tag gab der Insolvenzverwalter die selbstständige Tätigkeit des Schuldners (Spediteur) frei.
Am 27.11.18 beantragte der Schuldner, das Insolvenzverfahren über das Vermögen aus der freigegebenen Tätigkeit zu eröffnen und stellte erneut einen Antrag auf Restschuldbefreiung sowie auf Stundung der Verfahrenskosten. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben zudem mehrere Gläubiger beantragt. Das AG eröffnete am 13.3.19 das Verfahren, wies aber die Anträge des Schuldners auf Restschuldbefreiung und Verfahrenskostenstundung als unzulässig zurück. Das LG hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen, sodass der BGH auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners entscheiden musste.
Entscheidungsgründe
Der BGH ist dem AG im Ergebnis gefolgt. Ein zweites Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung sei eines zu viel.
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Immer einen Blick auf das maßgebliche Recht
Das Insolvenzrecht ist in den letzten Jahren oft geändert worden. Gleichzeitig dauern Insolvenzverfahren und Wohlverhaltensphase meist Jahre. Es muss daher am Anfang stets die Prüfung stehen, welche Vorschriften einschlägig sind.
Maßgeblich sind für den vorliegenden Fall gemäß Art. 103h S. 1 EGInsO die Vorschriften der InsO in der Fassung des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.13 (BGBl. I S. 2379). Denn der Schuldner hat den Antrag auf Insolvenzeröffnung hinsichtlich des Vermögens aus der freigegebenen Tätigkeit nach dem 1.7.14 gestellt. Die Vorschriften der InsO i. d. F. des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.20 (BGBl. I S. 3328) waren hingegen noch nicht anzuwenden (Art. 103k Abs. 1, Abs. 2 EGInsO).
Antrag auf Restschuldbefreiung unzulässig
Für das danach anwendbare Recht ist der Antrag auf Restschuldbefreiung in analoger Anwendung von § 287a Abs. 2 Nr. 1 Fall 1 InsO unzulässig.
Der BGH hatte schon zum alten Recht entschieden, dass der Restschuldbefreiungsantrag eines Schuldners in einem Zweitinsolvenzverfahren nach Freigabe seiner selbstständigen Tätigkeit in analoger Anwendung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO a. F. jedenfalls solange unzulässig ist, als über seinen im Ausgangsverfahren gestellten Restschuldbefreiungsantrag nicht entschieden ist (BGH 18.12.14, IX ZB 22/13, Abruf-Nr. 175190). Die Restschuldbefreiung solle als Hilfe für unverschuldet in Not geratene Personen dienen, nicht als Zuflucht für die, die bewusst finanzielle Risiken auf andere abwälzen wollen. Der Schuldner soll aus dem vorherigen Verfahren die richtigen Konsequenzen ziehen und zu einem vorsichtigeren Wirtschaften angehalten werden.
Diese Überlegungen gelten erst recht, wenn der Schuldner während eines noch laufenden Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens einen weiteren Restschuldbefreiungsantrag stellt. Auch könne die für einen zulässigen Restschuldbefreiungsantrag erforderliche Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO a. F. nicht wirksam für zwei verschiedene, zeitgleich stattfindende Verfahren abgegeben werden.
An dieser Rechtsprechung hält der BGH jetzt auch für Insolvenzverfahren fest, deren Eröffnung nach dem 1.7.14 beantragt worden sind. Dem stehe die aktuelle Gesetzgebung nicht entgegen. Der Gesetzgeber habe nach 2014 eine Reihe der rechtsfortbildenden Entscheidungen des BGH in das Gesetz übernommen. Die hier angesprochene Konstellation findet sich allerdings nicht unter den Unzulässigkeitsgründen des § 287a Abs. 2 InsO. Daran hat sich eine Streitfrage entzündet:
- Die einen meinen, die vom BGH zur Erteilung der Restschuldbefreiung im Zweitverfahren entwickelten Rechtsgrundsätze seien seit Inkrafttreten des § 287a Abs. 2 InsO am 1.7.14 nicht mehr anwendbar, weil diese Vorschrift eine abschließende Aufzählung der Unzulässigkeitsgründe enthalte (Busching/Klersy, ZInsO 15, 1601; Büttner, ZInsO 17, 1057, 1066; wohl auch Schmidt/Henning, InsO, 19. Aufl., § 287a Rn. 8; eine Analogiebildung generell ablehnend etwa: AG Göttingen NZI 14, 1056; AG Hannover ZVI 15, 236; AG Aachen NZI 17, 114; Andres/Leithaus/Andres, InsO, 4. Aufl., § 287a Rn. 2; MüKo/Stephan, InsO, 4. Aufl., § 287a Rn. 70; HK-InsO/Waltenberger, 10. Aufl., § 287 Rn. 15).
- Andere meinen, dass jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation der zweite Restschuldbefreiungsantrag auch nach neuem Recht unzulässig sei (Graf-Schlicker/Kexel, InsO, 5. Aufl., § 287a Rn. 11; Pape in Henning/Lackmann/Rein, Privatinsolvenz, § 287 InsO Rn. 20; Laroche, VIA 15, 44; Sternal, NZI 16, 281; Lange, ZVI 18, 9, 15; Nawroth/Steinbach, ZInsO 18, 700; wohl auch LG Hannover 13.2.15, 11 T 2/15; allgemein zur Möglichkeit einer Analogie: Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2021, § 287a Rn. 17; BeckOK-InsO/Riedel, 2021, § 287a Rn. 14; Pape in Henning/Lackmann/Rein, Privatinsolvenz, § 287a InsO Rn. 30; Nerlich/Römermann/Römermann, InsO, 2015, § 287a Rn. 3: beschränkt auf Fälle „evidenten Missbrauchs“).
- Schließlich wird vertreten, dass in einem Verfahren über nach § 35 Abs. 2 InsO freigegebenes Vermögen ein Restschuldbefreiungsantrag generell unzulässig sei (AG Göttingen ZVI 16, 445; ZVI 17, 337; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, a. a. O., § 287 Rn. 14; Montag, ZVI 13, 453; Pape/Pape, ZInsO 13, 685; Schmidt, ZVI 19, 249).
Der BGH folgt der zweiten Meinung und hält an seiner Rechtsprechung fest. Der Schuldner kann danach in einem Insolvenzverfahren über freigegebenes Vermögen jedenfalls nicht in zulässiger Weise einen weiteren Restschuldbefreiungsantrag stellen, wenn über seinen im Ausgangsverfahren gestellten Restschuldbefreiungsantrag nicht entschieden ist. Die Unzulässigkeit ergibt sich für ihn weiterhin in Analogie zu § 287a Abs. 2 Nr. 1 Fall 1 InsO.
MERKE | Eine Analogie erfordert zum einen eine planwidrige Regelungslücke. Zum anderen muss die Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte gegeben sein. Es muss also der entscheidungsrelevante Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar sein, den der Gesetzgeber geregelt hat. Folge: Es muss angenommen werden können, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. |
Obwohl der Gesetzgeber nun schon vielfach die InsO geändert hat, sieht der BGH beide Voraussetzungen als gegeben an.
- § 287a Abs. 2 Nr. 1 InsO enthalte für den Fall eines weiteren Restschuld-befreiungsantrags in einem Verfahren über gemäß § 35 Abs. 2 S. 1 InsO freigegebenes Vermögen eine planwidrige Regelungslücke, weil sie ergänzungsbedürftig sei. Der Gesetzgeber habe zwei Fallgruppen gebildet. § 287a Abs. 1 Nr. 1 InsO bestimme die Zulässigkeit eines erneuten Restschuldbefreiungsantrags danach, ob und wann der Schuldner bereits in der Vergangenheit die Rechtswohltat einer Restschuldbefreiung erlangt habe, während § 287a Abs. 1 Nr. 2 InsO als Missbrauchssperre ausgestaltet sei. Dagegen bleibe der Fall ungeregelt, dass der Schuldner einen Restschuldbefreiungsantrag in einem Zweitinsolvenzverfahren nach Freigabe seiner selbstständigen Tätigkeit stellt, obwohl die Entscheidung über den Restschuldbefreiungsantrag des Ausgangsverfahrens noch ausstehe. Da dies im gesamten Gesetzgebungsverfahren nicht angesprochen sei, liege eine planwidrige Lücke vor.
- Es bestehe auch die für eine Analogie erforderliche Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Es sei daher anzunehmen, dass der Gesetzgeber für die vorliegende Fallkonstellation die Unzulässigkeit des Restschuldbefreiungsantrags im Zweitverfahren vorgesehen hätte. Der Gesetzgeber sehe den Schuldner in der Pflicht, aus dem Erstverfahren die richtigen Konsequenzen zu ziehen und die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs mit der gebotenen Vorsicht zu nutzen.
- Dieser Gesetzeszweck greife indes nicht nur nach einer im Erstverfahren erteilten Restschuldbefreiung, sondern auch dann, wenn über den Restschuldbefreiungsantrag des Erstverfahrens noch nicht entschieden sei. Lässt es der Schuldner nämlich im Erstverfahren zur Erteilung der Restschuldbefreiung kommen, ist ein erneuter Antrag auf Restschuldbefreiung innerhalb der nächsten zehn Jahre gemäß § 287a Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 InsO unzulässig.
- Diese verfahrensrechtliche Verknüpfung zwischen Erst- und Zweitantrag gilt auch, soweit es um neue Verbindlichkeiten geht, die aus der vom Insolvenzverwalter freigegebenen selbstständigen Tätigkeit stammen. Denn § 287a Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 InsO unterscheidet nicht nach der Herkunft der Verbindlichkeiten des Schuldners.
Hindernis: Es kann keine zwei Abtretungserklärungen geben
Schließlich steht die vom Senat bereits mit Beschluss vom 18.12.14. (IX ZB 22/13) gezeigte Systematik der §§ 287 ff. InsO parallel geführten Restschuldbefreiungsverfahren weiterhin entgegen.
Insbesondere stellt eine Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 InsO auch nach neuem Recht eine besondere Verfahrensvoraussetzung für die Durchführung des Restschuldbefreiungsverfahrens dar, die der Schuldner aber nicht wirksam für zwei verschiedene, zeitgleich stattfindende Verfahren abgeben kann. Die Länge des Zeitraums, in dem sich beide Verfahren überschneiden, ist für den BGH dabei ohne Bedeutung.
Ohne Restschuldbefreiung keine Stundung
Der Antrag des Schuldners auf Stundung der Verfahrenskosten ist dann ebenso unzulässig. Hierbei muss die Frage, ob bei einem Insolvenzverfahren nach Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit ein Antrag auf Kostenstundung generell unzulässig ist (so etwa: AG Göttingen ZVI 17, 337; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2019, § 4a Rn. 25; Sternal, NZI 18, 241), nach dem BGH nicht abschließend beantwortet werden.
Der Antrag ist im vorliegenden Fall schon deshalb unzulässig, weil der Schuldner keine Restschuldbefreiung in dem eröffneten Insolvenzverfahren erreichen kann.
Nach dem früheren Rechtszustand war dem Schuldner auch dann die Kostenstundung zu versagen, wenn die Voraussetzungen des § 4a Abs. 1 S. 3 und 4 InsO a. F. nicht vorlagen, aber bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren zweifelsfrei feststand, dass der Schuldner aus einem anderen Grund keine Restschuldbefreiung erlangen konnte. Es sollten nicht öffentliche Mittel für eine Stundung eingesetzt werden, wenn von Anfang an zweifelsfrei feststeht, dass die Restschuldbefreiung letztlich versagt werden wird (BGH NZI 17, 627).
Daraus ist nach dem BGH auch für das neue Recht abzuleiten, dass in den Fällen, in denen der Schuldner die Restschuldbefreiung erreichen kann, ihm die Kostenstundung ‒ sofern die weiteren Voraussetzungen des § 4a InsO gegeben sind ‒ zu gewähren ist. Ist ein Antrag auf Restschuldbefreiung nach § 287a Abs. 2 InsO dagegen unzulässig, führt dies deswegen zur Unzulässigkeit des Stundungsantrags (vgl. BT-Drucksache 17/11268, S. 20).
Relevanz für die Praxis
Der im Eröffnungsverfahren anzuhörende Gläubiger sollte nicht darauf vertrauen, dass das Insolvenzgericht die Grundsätze des BGH berücksichtigt. Dies gilt insbesondere für bereits in der Vergangenheit eröffnete Zweitverfahren.
PRAXISTIPP | Hier sollte der Gläubiger unter Hinweis auf die Entscheidung des BGH unmittelbar einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung stellen. Der Gläubiger rettet so seine Forderung und erhält sich die Chance der künftigen, zumindest teilweisen Realisierung. |